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Decretum Gratiani
Das Decretum Gratiani (um 1140) war das Hauptwerk des in Bologna lebenden und als Vater der Kanonistik geltenden Kamaldulensermönchs Gratian.
Es bildet den ersten Teil einer Sammlung von sechs Rechtsbüchern, die im Corpus Iuris Canonici zusammengefasst sind. Name und Idee dieses Corpus laufen parallel zum Corpus Iuris Civilis, einer Sammlung des römischen Rechts.
Quellen
Gratians Quellen waren das römische Recht, die Bibel, Dekretalen (Papstbriefe), Konzils- und Synodalakten und ältere Rechtssammlungen. Die Erstellung seines Decretum hatte Signalwirkung: Ab dieser Zeit wurde das kanonische Recht an der Rechtsschule von Bologna wissenschaftlich gelehrt und bearbeitet.
Es wurde gelegentlich behauptet, Gratian habe Burchard von Worms' Decretorum Libri XX nicht verwendet. Diese Behauptung ist unzutreffend. Zwar wurden andere Rechtssammlungen wesentlich systematischer von Gratian verwandt, doch kommt der Name Burchards sogar zweimal im Decretum vor: Beide Male D.73 c.1. Freisen weist sogar nach, dass Gratian eine von Burchard verwendete, wohl verfälschte Stelle in sein Dekret aufnimmt und sie korrigiert: C.35 q.5 c.1 und C.35 q.4 c.1 – bei Burchard Bur. 7.10 (Lit.: Freisen, S. 16, 417, 421).
Eine sehr wichtige Quelle ist die sogenannte Sammlung in drei Büchern, eine nur in zwei Handschriften erhaltene Sammlung (Biblioteca Apostolica Vaticana, Vat. lat. 3831, und Pistoia, Archivio Capitolare del Duomo, C 109), die wesentlichen Einfluss auf die zweite Redaktion des Decretum Gratiani ausübte.
Entstehung
Gratian lehrte Recht oder kanonisches Recht in Bologna. Die Beschäftigung mit diesem Sujet ließ es als sinnvoll erscheinen, ein dem Corpus Iuris Civilis vergleichbares Standardwerk auch für das Kanonische Recht zu besitzen: Die Geburtsstunde des Decretum.
Wirkung
Gratian selbst nannte sein Werk Concordia Discordantium Canonum (lat. Übereinstimmung entgegenstehender Regeln) und stellt einen nicht streng systematischen, nach scholastischer Methode abgefassten Leitfaden des Kirchenrechts bis zum zweiten Laterankonzil von 1139 dar. Der Name ist Programm: Gratian versuchte scheinbar gegensätzliche Canones miteinander zu harmonisieren, er diskutiert unterschiedliche Meinungen und entscheidet sich für eine Lösung. Diese dialektische Arbeitsweise machte es für andere Rechtslehrer interessant, mit dem Dekret zu arbeiten und eigene Lösungen und Kommentare zu entwickeln. Gratian entwickelt allgemeine Sätze (distinctiones), formulierte fingierte Rechtsfälle (causae), stellte Rechtsfragen (quaestiones) und harmonisierte Widersprüche in dicta (paragraphi). Diese Kommentare wurden zunächst – ebenso wie in der Legistik – in der Form von Glossen verfasst. Gedruckte Ausgaben des 16. oder 17. Jahrhunderts sind sehr häufig mit Glossen ediert. Sammlungen von Glossen nennt man Glossenapparat oder Lectura in Decretum (siehe auch Glossatoren). Systematische Kommentare nennt man Summen. Sehr bald waren einige dieser Summen zum Dekret im Umlauf und erlangten vergleichbare Berühmtheit. Frühe Kommentatoren waren Paucapalea (vor 1148) und Magister Rolandus, den man – wohl irrtümlich – mit Papst Alexander III. (1159–1181) identifizierte.
Die wohl wichtigsten Kommentatoren waren Rufinus von Bologna († vor 1192) und Huguccio († 1210). Weniger bekannt, vielleicht weil vom gewichtigeren Werk Huguccios und Rufins überlagert, war das des Simon von Bisignano. Sein Werk besteht aus Glossen zum Dekret und der Summa Simonis.[1]
Eine der wichtigen Auswirkungen des Decretum gratiani war die Tatsache, dass das altkirchliche Zinsverbot in der mittelalterlichen Kirche allgemeine Verwendung fand.
Ausgabe
- Decretum sive Concordia discordantium canonum. Kritische Ausgabe von Emil Friedberg, Leipzig 1879–1881 (= Corpus Iuris Canonici, 1), Repr. Graz 1959
- Timothy Reuter, Gabriel Silagi: Wortkonkordanz zum Decretum Gratiani. (Monumenta Germaniae Historica, Hilfsmittel 10). 5 Bände. Monumenta Germaniae Historica, München 1990, ISBN 3-88612-022-8.
Literatur
- Josef Freisen: Geschichte des Kanonischen Eherechts bis zum Verfall der Glossenliteratur. 2. Auflage, Schöningh, Paderborn 1893 (Nachdruck: Scientia, Aalen 1963)
- Kerstin A. Jacobi: Der Ehetraktat des Magisters Rolandus von Bologna. Redaktionsgeschichtliche Untersuchung und Edition. In: Schriften zur Mediävistik. 3. 2004, Hamburg, ISBN 3-8300-1193-8.
- Stephan Kuttner: Harmony from Dissonance: An Interpretation of Medieval Canon Law., Latrobe, Pennsylv. 1960
- Mary E. Sommar: The Correctores Romani: Gratian's Decretum and the counter reformation humanists. Lit, Wien et al. 2009, ISBN 978-3-643-90019-7.
- Rudolf Weigand: Glossatoren des Dekrets Gratians. (Bibliotheca Eruditorum 18). Keip, Goldbach 1997, ISBN 3-8051-0272-0.
- Anders Winroth: The making of Gratian's Decretum. In:Cambridge studies in medieval life and thought. Ser. 4, 49, Cambridge 2000
- Hartmut Zapp: Decretum Gratiani. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 3, Sp. 625
Weblinks
- Elektronische Ausgabe der Edition Friedbergs, Münchner Digitalisierungszentrum (Bayerische Staatsbibliothek München)
- Decretum Gratiani im Repertorium „Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters“
- Werke von Gratian im Gesamtkatalog der Wiegendrucke
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. Daniel Schwenzer, Simon von Bisignano. In: Traugott Bautz, Biographisch-bibliographisches kirchenlexikon (BBKL), Bd. 16, 1999, Sp. 1442-1446.
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