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Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme
Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD, englisch International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) ist das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem der Medizin. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben. Die aktuelle, international gültige Ausgabe (engl. revision) ist ICD-10, Version 2012.[1]
In Deutschland sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen laut § 295 Absatz 1 Satz 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (Abrechnung ärztlicher Leistungen) verpflichtet, Diagnosen nach ICD-10 German Modification (GM) zu verschlüsseln. Verbindlich für die Verschlüsselung in Deutschland ist die vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) herausgegebene ICD-10-GM Version 2014.[2]
Geschichte der ICD
Die Ursprünge des ICD-Systems gehen auf die 1850er Jahre zurück. 1893 wurde die von Jacques Bertillon erarbeitete Bertillon-Klassifikation beziehungsweise das Internationale Todesursachenverzeichnis eingeführt. Nach und nach entstand aus älteren internationalen Klassifikationen, die ursprünglich ausschließlich zur Erfassung von Todesursachen dienten, das ICD-System, das 1938 bereits in der 5. Ausgabe vorlag. Seit Gründung der Weltgesundheitsorganisation 1948 wird das Klassifikationssystem von der WHO weiterentwickelt. Sie legte 1948 die 6. Ausgabe vor. Bis zur ICD-9 (1976) erfolgten etwa alle zehn Jahre weitere revidierte Ausgaben, da aufgrund der Fortschritte in der Medizin Änderungen und Ergänzungen erforderlich wurden. Die Arbeit an der letzten, der zehnten Ausgabe begann 1983 und wurde 1992 abgeschlossen. Die derzeit gültige Ausgabe ist die ICD-10 in der Version von 2013.[3] Im Frühjahr 2007 wurde mit den ersten Arbeiten zur ICD-11 begonnen.[4]
Länderspezifische Ausgaben und Spezialausgaben
Einige Staaten wie Deutschland, Österreich, die USA und Australien verwenden länderspezifische ICD-Erweiterungen. In den USA ist eine an klinische Bedürfnisse angepasste Version ICD-9-CM (clinical modification) populär. In Österreich wird die Version ICD-10 BMG 2013 verwendet.
Deutschland
In der DDR erfolgte ab 1952 die Kodierung der Diagnosen sowohl bei stationärer als auch bei ambulanter Behandlung nach jeweils gültiger ICD als Eintrag in das SV-Heft. In der Bundesrepublik Deutschland wurde 1986 erstmals die ICD-9 zur Diagnosenverschlüsselung in Krankenhäusern verpflichtend eingesetzt.
Eine deutschlandspezifische, von der WHO-Version abweichende Version (ICD-10-SGB-V) wurde zunächst von 2000 bis 2003 eingesetzt.[5] Seit 2004 heißt die deutsche ICD-Ausgabe ICD-10-GM (German modification). Sie wird vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) herausgegeben. Dort sind auch ältere, in Ost- und West-Deutschland verwendete ICD-Versionen archiviert und einsehbar. Darüber hinaus gibt es in Deutschland ein alphabetisches Verzeichnis zur ICD-10-GM, den sogenannten Diagnosenthesaurus. Seit dem 1. Januar 2014 gilt die ICD-10-GM in der Version 2014,[6] die zur Verschlüsselung von Diagnosen in der ambulanten und stationären Versorgung anzuwenden ist.
Für verschiedene Fachbereiche (Pädiatrie, Neurologie) existieren Spezialausgaben. Für die Todesursachenverschlüsselung gilt in Deutschland weiterhin die ICD-10-WHO-Version 2006.
In Deutschland kann der ICD-10-Schlüssel im ambulanten Bereich durch einen angefügten Buchstabencode ergänzt werden:
- Sicherheit:
- A = Ausschluss einer solchen Erkrankung
- G = gesicherte Diagnose
- V = Verdacht auf
- Z = symptomfreier Endzustand nach einer Erkrankung
- Lokalisation:
- R = rechts
- L = links
- B = beidseits
Nach den §§ 295 und 301 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch sind in Deutschland Vertragsärzte und Krankenhäuser zur Diagnoseverschlüsselung nach ICD verpflichtet. Wurde dies in der Anfangszeit meist durch Ärzte gemacht, wird diese Aufgabe heute auch von Kodierfachkräften wahrgenommen. Aus dem ICD- und dem OPS-Code wird eine Diagnosis Related Group (DRG, Diagnosebezogene Fallgruppe) errechnet, so dass eine fall- und diagnosebezogene Abrechnung möglich wird. Die ICD sind zusammen mit der OPS-Verschlüsselung für Krankenhäuser Grundlage des DRG-Systems, das 2003 als Berechnungsgrundlage für die Leistungsvergütung in Deutschland eingeführt wurde. Ziel dieses neuen Systems ist es, trotz zunehmender Belastung des Gesundheitswesens durch die demographische Entwicklung eine Steuerungsmöglichkeit der Kostenentwicklung zu erhalten.
Bände
Die ICD-10 liegt in drei Bänden vor:
- Band I: Systematisches Verzeichnis
- Band II: Regelwerk
- Band III: Alphabetisches Verzeichnis
Aufbau
Die ICD-10 ist ein einachsiges und monohierarchisches Klassifikationssystem. Sie gliedert sich in:
- eine dreistellige allgemeine Systematik (zum Beispiel A95: Gelbfieber)
- eine vierstellige ausführliche Systematik (zum Beispiel A95.0: Buschgelbfieber)
- gelegentlich fünfstellige Verfeinerungen (zum Beispiel M23.31: Sonstige Meniskusschädigungen, vorderes Kreuzband oder Vorderhorn des Innenmeniskus)
Die Notation ist alphanumerisch. Die erste Stelle ist ein Buchstabe, die Stellen zwei bis fünf enthalten Ziffern, die vierte Stelle ist durch einen Punkt abgetrennt. Die Bereiche U00–U49 bzw. U50–U99 sind für Erweiterungen bzw. Forschungszwecke reserviert. ICD-10 enthält:
- 22 Krankheitskapitel
- 261 Krankheitsgruppen (zum Beispiel E10–E14: Diabetes mellitus)
- 2.037 dreistellige Krankheitsklassen (Kategorien) (zum Beispiel E10.-: Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ-I-Diabetes])
- 12.161 vierstellige Krankheitsklassen (Subkategorien) (zum Beispiel: E10.1: Primär insulinabhängiger Diabetes mellitus [Typ-I-Diabetes] mit Ketoazidose)
Die Einteilungs-Kriterien wechseln zwischen Topographie, Ätiologie und Pathologie.
Das systematische Verzeichnis enthält eine Zusatzklassifikation (M-Achse), mit der Neubildungen histologisch klassifiziert werden können. Hierbei handelt es sich um einen sechsstelligen Schlüssel, der mit dem Buchstaben „M“ beginnt. Darauf folgen vier Ziffern zur Codierung der Neubildung, gefolgt von einem Schrägstrich (/) und einer Ziffer zur Codierung des pathologischen Verhaltens (zum Beispiel: M8051/3: verruköses Karzinom o. n. A.). Der Aufbau der M-Achse entspricht weitgehend der Klassifikation nach ICD-O bzw. nach SNOMED.
Krankheitskapitel
Kapitel | Notation | Bezeichnung |
---|---|---|
I | A00–B99 | Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten |
II | C00–D48 | Neubildungen (beispielsweise Tumore u. Ä.) |
III | D50–D89 | Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems |
IV | E00–E90 | Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten |
V | F00–F99 | Psychische und Verhaltensstörungen |
VI | G00–G99 | Krankheiten des Nervensystems |
VII | H00–H59 | Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde |
VIII | H60–H95 | Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes |
IX | I00–I99 | Krankheiten des Kreislaufsystems |
X | J00–J99 | Krankheiten des Atmungssystems |
XI | K00–K93 | Krankheiten des Verdauungssystems |
XII | L00–L99 | Krankheiten der Haut und der Unterhaut |
XIII | M00–M99 | Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes |
XIV | N00–N99 | Krankheiten des Urogenitalsystems |
XV | O00–O99 | Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett |
XVI | P00–P96 | Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben |
XVII | Q00–Q99 | Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien |
XVIII | R00–R99 | Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind |
XIX | S00–T98 | Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen |
XX | V01–Y98 | Äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität |
XXI | Z00–Z99 | Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen |
XXII | U00–U89 | Schlüsselnummern für besondere Zwecke |
Doppelklassifikation von Erkrankungen
Einige Erkrankungen werden in ICD-10 mit einer Doppelklassifikation abgebildet. Die primäre Einteilung erfolgt nach der Ätiologie, die sekundäre nach der Organmanifestation. In der Systematik wird der Primärschlüssel mit einem Kreuzzeichen (+) abgebildet, der Sekundärschlüssel mit einem Sternzeichen (*). Diese Notation wird als Kreuz-Stern-System bezeichnet.
Beispiel: Der ICD-10-Code A17.0+ (tuberkulöse Meningitis) ist bezüglich der Ätiologie eine Infektionskrankheit, und bezüglich der Organmanifestation eine Krankheit des Nervensystems (G01*).
Beispiel: Ein Augenarzt, der eine diabetische Retinopathie behandelt und nicht die Grunderkrankung (Diabetes mellitus), ist vorrangig am klinischen Sekundärschlüssel interessiert:
- Ätiologie: E10.30+ Diabetes mellitus Typ I mit Augenkomplikation, nicht als entgleist bezeichnet.
- Organmanifestation: H36.0* Retinopathia diabetica.
Die Kreuz-Notation wird für statistische Zwecke verwendet. Die Stern-Notation hat einen größeren klinischen Bezug und wird u. a. für die Leistungsverrechnung verwendet.
Kritik an der ICD
In Deutschland hätte bereits 1996 die vertragsärztliche Abrechnung ausschließlich auf Basis der Verschlüsselung nach ICD-10 erfolgen sollen. Nach massivem Widerstand aus der Ärzteschaft wurde die ICD-10 zunächst als freiwillige Option eingeführt, die Verwendung einer überarbeiteten Version ist seit 2000 Pflicht.
Hauptkritikpunkte an der ICD sind:
- Es wurde befürchtet, dass durch datentechnische Auswertungsverfahren die ärztliche Schweigepflicht ausgehöhlt werden könnte („gläserner Patient“).
- Durch die Möglichkeit einer maschinellen Auswertung der Abrechnungsdaten solle die ärztliche Tätigkeit in unzulässigem Maß transparent und kontrollierbar gemacht werden („gläserner Arzt“).[7]
- Die Gliederung entspricht nicht medizinischen oder praktischen Gesichtspunkten, sondern folgt lediglich statistischen Erfordernissen. So werden etwa unter K alle Krankheiten des Verdauungssystems zusammengefasst (von den Zähnen bis zum Darmausgang), die in der ärztlichen Praxis ganz verschiedene Fachgruppen betreffen. Andererseits fehlen dort wichtige gastrointestinale Krankheiten wie Karzinome, die allgemein unter C eingeordnet sind.
- Die nationalen Anwendungen der ICD sind unvollständig. So waren zeitweise in der Bundesrepublik Deutschland Codes ausgeschlossen. Die internationale Vergleichbarkeit von Krankheitsursachen ist damit eingeschränkt.
- Die Verwendung mancher Diagnosen, speziell unter Z, könnte eine unzulässige Offenlegung der persönlichen Situation und Umgebung des Patienten sein, z. B. Angaben über Einflüsse aus dem familiären oder beruflichen Umfeld.
- Nicht jede Symptomatik entspricht einem Krankheitsbild nach ICD; das erschwert dem Arzt klare Angaben, wenn zunächst kein Krankheitsbild hundertprozentig passt.
- Auch unter statistischen Gesichtspunkten ist die ICD fragwürdig, weil sie nicht klar zwischen Diagnosen und Symptomen unterscheidet. (Hämaturie [ICD-10: D68.3] ist ein Symptom, das verschiedene Ursachen haben kann. Dies führt zu Ungenauigkeit, weil formal immer das Symptom und die Ursache codiert werden sollten, aber in der Praxis selten beides codiert wird.)
Klassifikationssystem via XML
Für die systematische EDV-verträgliche Klassifikation via XML existiert die spezielle, genau hierfür von XML abgeleitete Markup-Sprache ClaML
Andere Klassifikationssysteme
Für die psychiatrischen Erkrankungen gibt es parallel das DSM-IV-Klassifikationssystem (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) der American psychiatric association (APA). Die Diagnosen sind weitgehend kompatibel, so dass eine Diagnose, die mit einem der Systeme erstellt worden ist, in der Regel umkodiert werden kann.
Literatur
- Bettina Busse: ICD-10 und OPS. Books on Demand, 2005
Weblinks
- ICD-10-GM – Infos und Datenbank beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information – DIMDI mit Links auf weitere Klassifikationen im Gesundheitswesen
- Kopien der DIMDI-Datenbank:
- ICD-10 GM 2014 Aktuelle ICD-, OPS- und G-DRG Katalogsuche
- ICD Code Weblink zur ICD 10 GM und OPS Suche
- ICD-Scout Ermöglicht eine Volltextsuche im systematischen und alphabetischen Verzeichnis des ICD-10-GM
- Deutsche Suchmaschine für ICD-Diagnosen und OPS-Therapien Leistungsstarke Suchmaschine für ICD-10 und OPS Codes/Schlüssel bzw. deren Klartexte
- Semantische Suchmaschine für ICD- und OPS-Codes Semantische Suchmaschine für ICD- und OPS-Codes; inklusive Ableitung der entsprechenden DRGs
- Suchmaschine für ICD-10 Codes deutsch und französisch : Krankheitsbilder und Diagnosensuche inkl. Medizinischem Thesaurus, Wörterbuch und Umgangssprache
- Die Geschichte der Internationalen Klassifikation: Ausführliche Zusammenfassung auf Deutsch
- WHO ICD Homepage Offizielle Homepage der ICD bei der WHO
- WHO ICD-10 Homepage Offizielle Homepage des ICD-10 der WHO (englisch)
Quellen
- ↑ WHO List of Official ICD-10 Updates
- ↑ http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/index.htm
- ↑ Übersicht der Geltungszeiten für die ICD-10-GM und Anwendungsbereiche für die verschiedenen Versionen
- ↑ [1]ICD-11
- ↑ http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/index.htm
- ↑ http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/index.htm
- ↑ Vgl. WELT-Online Artikel Der „gläserne Patient“ wird zum Zankapfel
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