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Interdisziplinarität
Unter Interdisziplinarität versteht man die Nutzung von Ansätzen, Denkweisen oder zumindest Methoden verschiedener Fachrichtungen.
Eine interdisziplinäre oder fächerübergreifende Arbeitsweise umfasst mehrere voneinander unabhängige Einzelwissenschaften, die einer meist wissenschaftlichen Fragestellung mit ihren jeweiligen Methoden nachgehen. Hierbei spielt eine untergeordnete Rolle, ob diese Fachgebiete selbst interdisziplinäre Ansätze verfolgen oder ob sich diese Ansätze erst durch eine Kombination der Fachgebiete ergeben.
In Abgrenzung zur Multidisziplinarität ist wichtig, dass Methoden zwischen den Disziplinen vermittelt werden und sich damit Lösungsstrategien nicht nur durch einen Austausch der Ergebnisse ergeben. Interdisziplinarität bedingt das Zusammenführen verschiedener Teilaspekte, ein reines Nebeneinander dieser Aspekte reicht hierfür nicht aus.
Ursachen und Formen der Interdisziplinarität
Wissenschaftliche Forschung ist durch arbeitsteilige Prozesse gekennzeichnet. Spezialisierung in einzelnen Fächern ist die Konsequenz. Allerdings ist die Wirklichkeit, die die wissenschaftliche Forschung reflektiert, vielschichtig und komplex. Eine Unterteilung in Einzelwissenschaften, die oft willkürlich ist, findet in der Wirklichkeit nur selten statt; die Probleme sind nicht entsprechend den disziplinären Grenzen geschnitten, sondern umfassen mehrere Fächer. Forschungsfragen können also häufig nicht aus einem einzelnen Fach heraus beantwortet werden, sodass eine Zusammenarbeit zwischen (inter) den Disziplinen notwendig ist.
Einige neue wissenschaftliche Fachrichtungen wie Biochemie oder Geotechnik sind aus längerer interdisziplinärer Zusammenarbeit entstanden (vgl. Interdisziplinäre Wissenschaft). Daneben sind auch weniger stark strukturierte Formen der fächerübergreifenden oder interdisziplinären Forschung vorstellbar. Oft praktiziert auch der einzelne Wissenschaftler eine persönliche Interdisziplinarität, indem er Kompetenzen unterschiedlicher Disziplinen in sich vereint.
Wesentlich für die fächerübergreifende Zusammenarbeit ist, dass über die Fachgrenzen hinweg ein Verständigungsprozess stattfindet, d.h. eine gemeinsame Sprache zur Beschreibung und Lösung der Probleme gefunden wird, aber auch Kriterien, beispielsweise zur Bewertung der Qualität der wissenschaftlichen Leistung, geteilt werden.
Ab wann von interdisziplinärer Arbeit gesprochen wird, kann sich in verschiedenen Fachrichtungen stark unterscheiden. So würde ein Ingenieur für Nachrichtentechnik die Zusammenarbeit mit einem Ingenieur für Hochspannungstechnik nicht als interdisziplinär bezeichnen. Dagegen sprechen Mediziner bereits von Interdisziplinarität bei Zusammenarbeit von Urologie und Gynäkologie, obwohl diese Fachrichtungen nahe verwandt sind.
Beispiele
- Die Politologie greift Theorien, Modelle, Konzepte usw. anderer, eigenständiger Fachbereiche wie der Soziologie, der Volkswirtschaftslehre und der Allgemeinen Staatslehre auf und entwickelt sie so entschieden mit.
- Ein Paläontologe arbeitet mit Zoologen, Botanikern und Geowissenschaftern zusammen, um mit deren Ergebnissen ein möglichst umfassendes Bild ausgestorbener Tier- oder Pflanzenarten zu entwerfen.
- In der Archäologie spielen naturwissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Forschungen eine große Rolle. So werden beispielsweise die Erkenntnisse von den Nachbarwissenschaften Geschichtswissenschaft, Ethnologie oder Anthropologie intensiv genutzt, auch biologische, geowissenschaftliche und paläoklimatologische Forschungen werden immer bedeutsamer.
- Fachleute der Wildbachverbauung untersuchen gemeinsam mit Geologie, Bodenmechanik, Geotechnik und Geodäsie die Bewegungen eines Steilhanges und die Gefahr von Muren.
- Ein Arzt für Innere Medizin kooperiert mit einem Röntgenfacharzt und mit Physikern oder Ingenieuren, um neue Methoden oder Geräte zu entwickeln.
- Ein Wirtschaftsinformatiker arbeitet häufig mit Wirtschaftswissenschaftern und Informatikern zusammen. Daneben entwickelt er eigene Methoden für einige Problemtypen, wo sich die Verfahren der zwei anderen Wissenschaften als unzureichend erwiesen haben.
- Ein Wirtschaftsingenieur arbeitet z. B. im Management eines Industrieunternehmens und fördert dort Verständnis und Zusammenarbeit zwischen Betriebswirten, Controllern und Ingenieuren verschiedener Branchen mit seinem eigenen, interdisziplinären Fachwissen (vgl. dazu die Qualitätsmanagement-Methode Quality Function Deployment oder auch Six Sigma). Ähnliche Aufgabengebiete bearbeitet auch das Patentingenieurwesen.
- Die Kindheitsforschung untersucht die Lebensbedingungen von Kindern unter anthropologischen, wirtschaftlichen, geschichtlichen, soziologischen und anderen Gesichtspunkten.
- Die Sozialökonomie nach Alfred Oppolzer und Ernst Langthaler stellt einen interdisziplinäre Ansatz zur Beschreibung historischer sozialer Vorgänge dar.
- Die Forschung zu den komplexen Problemlagen des globalen Wandels setzt eine interdisziplinäre Herangehensweise voraus, um unter anderem Basisinformationen für politische Handlungen liefern zu können. Je nach Fragestellung findet beispielsweise eine Zusammenarbeit zwischen Biologen, Hydrologen, Psychologen, Juristen, Ökonomen und Geographen statt. Oft findet in einem Projekt neben der interdisziplinären Kooperation auch eine transdiziplinäre Kooperation statt.
Literatur
- Christine von Blanckenburg, Birgit Böhm, Hans-Liudger Dienel, Heiner Legewie, Leitfaden für interdisziplinäre Forschergruppen: Projekte initiieren - Zusammenarbeit gestalten. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-515-08789-3.
- Rico Defila, Antonietta Di Giulio, Michael Scheuermann: "Forschungsverbundmanagement - Handbuch für die Gestaltung inter- und transdisziplinärer Projekte", vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich, 2006
- Heinrich Parthey: Persönliche Interdisziplinarität in der Wissenschaft. In: Walther Umstätter und Karl-Friedrich Wessel: Interdisziplinarität – Herausforderung an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Kleine Verlag, Bielefeld 1999, S. 243–254.
- Julie Thompson Klein: Crossing Boundaries: Knowledge, Disciplinarities, and Interdisciplinarities. University Press of Virginia, Charlottesville 1996.
- Robert Frodeman, Julie Thompson Klein, Carl Mitcham (Hrsg.): The Oxford Handbook of Interdisciplinarity. Oxford University Press, Oxford 2010.
- Michael Jungert, Elsa Romfeld, Thomas Sukopp, Uwe Voigt (Hrsg.): Interdisziplinarität. Theorie, Praxis, Probleme. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2010.
- Alexander Grau: Mehr Disziplin für alle Disziplinen! In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23. Februar 2003, S. 63.
- Eine Sondernummer der französischen Zeitschrift Labyrinthe. Atelier interdisciplinaire, 27 (2007) : La Fin des Disciplines ?, mit gewissen Texten online.
- Harald A. Mieg: Interdisziplinarität braucht Organisation! In: Umweltpsychologie 2003, 7(2), S. 32-52.
- Harald Welzer: "Nicht über Sinn Reden!" In: Die Zeit vom 27. April 2006, aufgerufen 10. Dezember 2014.
Weblinks
- Konzepte und empirische Befunde zur Interdisziplinarität: Einige Möglichkeiten für die Wissenschaftssoziologie, an Arbeiten von Heinrich Parthey anzuschließen (PDF-Datei; 3,57 MB)
- Ernst-Ludwig Winnacker: Die neue Art der Interdisziplinarität (PDF-Datei; 62 kB)
- Dieter Wolf: Einheit von Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Ein modernes interdisziplinäres Projekt von Marx und Engels. (PDF; 219 kB) In: Carl-Erich Vollgraf, Richard Sperl & Rolf Hecker (Hrsg.): Karl Marx und die Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert. Argument, Berlin/Hamburg 2006, ISBN 3-88619-666-6
- Interfakultäre Koordinationsstelle für Allgemeine Ökologie (IKAÖ), Forschungsgruppe Inter-/Transdisziplinarität; Universität Bern
- Online-Bibliographie zu Inter- und Transdisziplinarität an der Universität Bern
Siehe auch
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Interdisziplinarität aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |