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Internalisierung (Sozialwissenschaften)
Als Internalisierung bezeichnet man in den Sozialwissenschaften, insbesondere in der Soziologie, die Verinnerlichung gesellschaftlicher Werte, Sitten, Normen und sozialer Rollen im Rahmen der Sozialisation und der Erziehung.
Dazu gehören z. B. als Normen: „Grußsitten“, die körperliche „Reinlichkeit“ in der Öffentlichkeit oder die noch als unaufdringlich geltende Dauer von Blicken auf Fremde in öffentlichen Verkehrsmitteln bis hin zu rechtlichen Normen. Werte können sein: „Demokratie“, „freie Wahlen“, ethische Werte wie „Gerechtigkeit“, „Solidarität“ bis hin zu „freier Wettbewerb“, „Unantastbarkeit des Eigentums“. Normen und Werte stellen in der Gesellschaft teilweise ein heterogenes und widersprüchliches Konglomerat dar, dass die Internalisierung erschwert.
In der Politikwissenschaft wird als Internalisierung die Eingliederung von Werten und Normen in ein System bezeichnet.
In der Psychoanalyse werden als Internalisierung die Prozesse bezeichnet, bei denen das Subjekt reale oder phantasierte Interaktionen mit seiner Umwelt in innere Regulationen und Charakteristika verwandelt.[1] Diese Vorgänge sind das Gegenstück der Externalisierungsprozesse und somit als komplementär zu ihnen anzusehen.
Kulturelle Werte
Werte in einer Gesellschaft stellen eine wichtige Orientierung in einer jeden Gesellschaft dar. Sie sind eine äußere Leitlinie, an denen sich jedes Individuum ausrichten muss, will es innerhalb einer Gesellschaft akzeptiert werden. Werte und Normen stellen Ansprüche der Gesellschaft an das Individuum dar. Kulturelle Werte werden in der Gesellschaft dargestellt als etwas „Selbstverständliches“ und Universales. Die Analyse oder sogar Anzweifelung von Werten wird häufig bestraft (z. B.: „fehlender Stallgeruch“). Korrekte Befolgung von Werten und Normen wird belohnt (z. B.: „Das ist einer von uns“).
In der primären Sozialisation innerhalb der Familie lernt das Individuum Werte und Normen (a) zu erkennen (welche Werte und Normen sind zu befolgen?), (b) emotional zu akzeptieren und (c) danach zu handeln. Die gelungene Internalisierung von Werten und Normen wird in der sekundären Sozialisation dadurch erreicht, dass das Individuum lernt, mit Werten und Normen reflektierend umzugehen: (a) Der Geltungsbereich von Werten und Normen ist räumlich und zeitlich begrenzt und (b) die Ansprüche der Gesellschaft können in Widerspruch stehen zu ethischen Grundsätzen als Ansprüche des Gewissens an das Individuum.
Solidarität
Emile Durkheim (1858–1917) ging als einer der ersten Soziologen der Frage nach, wie die Integration der arbeitsteiligen Individuen erfolgt. Seine Antwort darauf war: Es gibt eine „solidarische Kooperation“, ein gemeinsames Bewusstsein, welches nicht nur Werte und Normen umfasst, sondern auch Glaubensvorstellungen und das Wissen über die Welt. Diese Vorstellungen werden vom Individuum verinnerlicht (internalisiert). Das Wort „Internalisierung“ selbst wurde später von Talcott Parsons in seiner strukturfunktionalen Systemtheorie geprägt und zielt dort auf denselben Sachverhalt ab wie bei Durkheim: Integration der Individuen durch Internalisierung von Werten und Normen.
Kritische Distanz
Jürgen Habermas wies bereits in den 1960er Jahren darauf hin, dass Internalisierung nicht nur das Lernen bestehender Werte und Normen – die sich ändern können – darstellt, sondern auch in der Sozialisation gelernt werden muss, wie reflexiv damit umzugehen ist: Die „reflektierende Urteilskraft“ des Einzelnen muss im Sozialisationsprozess entwickelt werden um (a) die Autonomie des Individuums innerhalb der Gesellschaft zu gewährleisten und (b) um den Veränderungen der Gesellschaft Rechnung zu tragen.
Forschung heute
Im Einzelnen wird heute untersucht, wie die Mechanismen der Internalisierung in Familie, Schule, Massenmedien und Beruf wirken. Unterschiedliche Vermittlung von Werten und Normen nicht nur in den soeben genannten Institutionen, sondern auch in unterschiedlichen sozialen Klassen und Schichten, bei Migranten unterschiedlicher Herkunft und religiösen Glaubensrichtungen (Christen, Muslime, Juden etc.) sind zu berücksichtigen. Die Ergebnisse sind abschließend noch nicht zu bewerten.[2]
Trotz aller Unterschiede zwischen den Individuen muss eine Gesellschaft es leisten, die Individuen zu integrieren (Durkheim) und einen allseits geteilten Konsens erreichen. Sinkende Wahlbeteiligung, zunehmende Kriminalität und Vandalismus sind soziale Indikatoren eines abnehmenden Konsensus in der Gesellschaft.
Diverse Meinungsforschungsinstitute veröffentlichen regelmäßig Hierarchien von Werten, die den Bürgern wichtig erscheinen: Diese reichen von „Kriminalitätsbekämpfung“ über „Arbeitslosigkeit“ und „Umwelt“, „Klimaschutz“ bis hin zu „Friedenssicherung“ und „Bildung“. Deutlich wird hierbei stets der rasche Wandel, die diesen Hierarchien unterliegen.
Literatur
- Dieter Claessens: Familie und Wertsystem, Berlin 1972
- Jürgen Habermas: Zur Entwicklung der Interaktionskompetenz, 1975
- Jürgen Habermas: Thesen zur Theorie der Sozialisation, 1968
- Dieter Geulen: Sozialisation, in: Hans Joas (Hg.): Lehrbuch der Soziologie, 2007 (dort auch weitere Literatur)
- Emile Durkheim: Über soziale Arbeitsteilung, 1893
Einzelnachweise
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Internalisierung (Sozialwissenschaften) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |