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Nomenklatur (Anatomie)
Die anatomische Nomenklatur entwickelte sich bzw. wurde entwickelt, damit es Fachkundigen möglich ist, mit denselben Begriffen immer dieselben Körperteile der Lebewesen zu bezeichnen. Seit der Antike versuchen sich die Menschen an dieser allgemeinen Namensgebung. Deswegen gibt es eine Vielzahl von Bezeichnungen für dieselben Körperteile. Zusätzlich können Teile des Körpers, besonders Muskeln und mehrfach unterteilte Organe, unterschiedlich aufgeteilt werden. So wird zum Beispiel der Quadrizeps in einigen Nomenklaturen als Sammelbezeichnung für vier Muskeln definiert, während in anderen, neueren Nomenklaturen derselbe Quadrizeps als ein einziger Muskel mit vier Muskelköpfen gilt.
In der Medizin des Altertums wurden vor allem griechische und lateinische Namen verwendet. Durch den Einfluss der Arabischen Medizin entstand bis in das Mittelalter ein Sammelsurium von Begriffen aus Griechisch, Latein, Arabisch, Persisch, Syrisch und Hebräisch. Insbesondere Andreas Vesalius, der den arabisch geprägten Wörtern ablehnend gegenüberstand, entwickelte im 16. Jahrhundert eine auf Latein und latinisiertem Griechisch basierende grundlegende Reform des anatomischen Wortschatzes. Latein war im Mittelalter die generelle Universitätssprache.[1] Die heutigen anatomischen Nomenklaturen verwenden immer noch weitestgehend die lateinische Sprache. Ein Vorteil ist, dass diese Sprache als sogenannte „tote Sprache“ (nicht mehr aktiv gesprochen, eine Ausnahme stellt Vatikanstadt dar, in welcher es offizielle Amtssprache ist) keinen Veränderungen mehr unterliegt. In jüngerer Zeit unterliegt das medizinische Latein dennoch einigen Veränderungen. Sie sind in der Dominanz der englischen Sprache in der modernen Wissenschaftslandschaft begründet. Insbesondere die Diphthonge „oe“ und „ae“ werden in der modernen Schreibweise einfach durch „e“ ersetzt (z. B. Taenia → Tenia, Oesophagus → Esophagus).
Es gibt heute etwa 8000 anatomische Bezeichnungen, die aus etwa 600 Grundbegriffen zusammengesetzt sind (400 lateinischer, 200 griechischer Herkunft). Die Bezeichnungen werden unabhängig ihrer Herkunft in der Regel wie lateinische Formen behandelt und lateinisch konjugiert. Die übliche Aussprache entspricht dem spätlateinischen Gebrauch: c wird vor hellen Vokalen (e, i, ae, oe, y) wie z, sonst wie k gesprochen.
Nomenklaturen
Um die Varianten zu vereinheitlichen, wurden mehrere Regelwerke aufgestellt. Im Zweifel ist grundsätzlich die neuere Zuordnung zu verwenden, aber gelegentlich stößt man auch auf ältere Definitionen. Die humananatomischen Nomenklaturen sind:
- Basler Nomina Anatomica (BNA) von 1895
- Jenaer Nomina Anatomica (JNA) von 1935
- Pariser Nomina Anatomica (PNA) von 1955
- Terminologia Anatomica von 1998 (aktuell geltend).
Eine Vereinheitlichung der anatomischen Begriffe war notwendig geworden, da sich ab dem Mittelalter eine Vielzahl verschiedener Begriffe für ein und dieselbe Struktur entwickelt hatte. Die 1895 eingeführte BNA versuchte dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.[1] Die 1955 eingeführte PNA war für die vergleichende Morphologie eher ein Rückschritt, denn die Lagebezeichnungen orientieren sich (wie schon bei der BNA) wieder an der aufrechten Körperhaltung des Menschen.
Für andere Säugetiere war die PNA nur eingeschränkt sinnvoll. Deshalb wurde 1955 eine Arbeitsgruppe gegründet, die die Nomina Anatomica Veterinaria (NAV) erarbeitete. Sie erschien 1968 in erster Auflage, mittlerweile gilt die 5. Auflage aus dem Jahre 2005. Die veterinäranatomische Nomenklatur ist weitgehend mit der humananatomischen identisch, so dass eine gegenseitige Verständigung gesichert ist, selbst auf die Gefahr hin, dass bestimmte Namen eigentlich wenig sinnvoll sind. So ist beispielsweise der Musculus teres major (übersetzt: „großer runder Muskel“) zwar beim Menschen rundlich, bei den übrigen Säugetieren aber ein streifenförmiges Muskelband, wird aber dennoch auch bei Tieren so benannt. Lediglich bei bestimmten Lage- und Richtungsbezeichnungen weichen NAV und PNA voneinander ab. Eine weitere Besonderheit der NAV ist, dass sie konsequent auf Eigennamen verzichtet.
Für Vögel ließ sich, aufgrund vieler baulicher Eigenheiten, die anatomische Nomenklatur ebenfalls nicht einfach übertragen. Daher wurde für diese Wirbeltierklasse eine eigene Nomenklatur geschaffen, die Nomina Anatomica Avium (NAA). Sie liegt seit 1993 in zweiter Auflage vor.
Namenskonventionen
All diese Regelwerke legen übereinstimmend fest, dass anatomische Namen immer aus mindestens zwei Teilen bestehen, oft aus drei, manchmal sogar aus vier. Diese Teile sind nach einem einfachen System zusammengesetzt. Einteilige Namen gibt es lediglich für übergeordnete Regionen (Caput Kopf, Collum Hals, Thorax Brust usw.) und wichtige Organe (Cor Herz, Cerebrum Gehirn u. a.) und einige andere Strukturen (Clavicula Schlüsselbein, Platysma u. a.)
Der erste Namensteil nennt die „Baugruppe“ (zum Beispiel Knochen – Os) oder charakterisiert die „Bauform“ (zum Beispiel Rinne – Sulcus). Der zweite Namensteil beschreibt diese nun näher, indem die Form, Lage, Länge, Farbe oder die Zugehörigkeit zu einem Organ angegeben wird. Wenn diese beiden Namensteile immer noch nicht eindeutig sind, werden zusätzliche Namensteile angehängt, die weitere Orts-, Größen oder Zahlenangaben (der Vordere, der Größte, der Zweite, ...) enthalten.
Bei einigen häufig verwendeten Strukturen wird der erste Namensteil abgekürzt: A. für Arterie (Arteria), Art. für Gelenk (Articulatio), For. für Loch (Foramen), Ln. für Lymphknoten (Lymphonodus), M. für Muskel (Musculus), N. für Nerv (Nervus), V. für Vene (Vena) und dergleichen mehr. Wenn mehrere Muskeln, Venen, Lymphknoten etc. gemeint sind, wird der letzte Buchstabe der Abkürzung verdoppelt: Mm. sind also „mehrere Muskeln“, Vv. bedeutet „mehrere Venen“, Lnn. „mehrere Lymphknoten“.
Lateinisch | Kürzel | Deutsch |
---|---|---|
Angulus | Winkel, Ecke | |
Apertura | Öffnung | |
Arcus | Bogen | |
Arteria | A. | Arterie (Ader, die vom Herzen weg führt) |
Articulatio | Art. | Gelenk |
Bursa | B. | Schleimbeutel |
Canalis | Kanal | |
Caput | Kopf (als Form, nicht als Schädel; zum Beispiel: Gelenkkopf) | |
Cavitas | Höhle | |
Collum | Hals (z.B. bei Knochen) | |
Cornu | Horn, Fortsatz | |
Corpus | Körper, Schaft (bei Knochen) | |
Crista | Kamm, Vorsprung, verstärkter Rand | |
Ductus | Gang, Röhre | |
Fascia | Faszie (bindegewebige Hülle um Muskeln) | |
Fossa | Grube, Vertiefung | |
Foramen | Loch | |
Glandula | Drüse | |
Gyrus | Windung, v. a. Hirnwindung | |
Hiatus | Durchtrittstelle, Spalte, Öffnung | |
Lamina | Häutchen, Schicht | |
Ligamentum | Lig. | Band |
Lobus | Lappen (Großhirnlappen, Lungenlappen) | |
Margo | Rand | |
Musculus | M. | Muskel (eigentlich: Mäuschen) |
Nervus | N. | Nerv |
Nodus | Nd. | Knoten |
Nucleus | Ncl. | Kern, Kerngebiet |
Os | Knochen | |
Pars | Teil, eins von mehreren | |
Plexus | Geflecht | |
Processus | Proc. | Vorsprung, Fortsatz |
Radix | Rad. | Wurzel, Ursprung |
Ramus | R. | Ast, Zweig |
Recessus | von re~: zurück~ und cedere: weichen | |
Septum | Wand, Trennung | |
Sinus | Ausbuchtung, Vertiefung, Höhle, Nasennebenhöhlen, Erweiterungen von Venen (Sinus cavernosus u. a.) | |
Sulcus | Furche, Rinne | |
Tendo | Sehne | |
Tuber | Höcker, Wulst | |
Tuberculum | Tub. | Höckerchen |
Tuberositas | unebene, höckerige, raue Stelle (häufig Ansatzstelle für Sehne eines Muskels) | |
Vas | Gefäß, Ader | |
Vena | V. | Vene (Ader, die zum Herz hinführt) |
Lateinisch | Kürzel | Deutsch |
---|---|---|
abdominalis | zum Bauch (Abdomen) gehörig | |
acromialis | zur Schulterhöhe (Acromion) gehörend | |
brachialis | am Oberarm (Brachium) | |
costalis | an den Rippen (Costa) | |
cranialis | zum Schädel (Cranium) gehörend oder zeigend, oberhalb (schädelwärts) gelegen | |
cysticus | zum Gallengangssystem gehörend | |
dorsalis | am Rücken (Dorsum), rückenwärts gelegen, gilt auch für Hand- und Fußrücken | |
femoris | am Oberschenkel (Femur) | |
fibularis | zum Wadenbein (Fibula) gehörend | |
gastricus | zum Magen (Gaster) gehörend | |
hepatis | an oder in der Leber (Hepar, griechisch) | |
iliacus | am oder im Darmbein (Os ilium) | |
lienalis | zur Milz (Lien) gehörend | |
palmaris | zur Handfläche (Palma manus) gehörend | |
pectoralis | an der Brust (Pectus) | |
peroneus | am Wadenbein | |
plantaris | zur Fußsohle (Planta pedis) gehörig | |
pulmonalis | an oder in der Lunge (Pulmo) | |
radialis | an der Speiche (Radius) | |
renalis | an oder in der Niere (Ren) | |
thoracicus | am oder im Brustkorb (Thorax) | |
tibialis | am Schienbein (Tibia) | |
transversus | quer verlaufend, hindurch strebend | |
ulnaris | an der Elle (Ulna) | |
vertebralis | zum Wirbel (Vertebra) |
Lateinisch | Kürzel | Deutsch |
---|---|---|
anterior | ant. | vorderer |
ascendens | aufsteigend | |
caudalis | unten, schwanzwärts | |
cranialis | oben, kopfwärts | |
descendens | absteigend | |
dexter | dext. | rechts (vom Patienten aus, nicht vom Betrachter!) |
dorsalis | dors. | hinten, am Rücken, rückenwärts |
externus | ext. | außen, an der Oberfläche |
inferior | inf. | unterer |
internus | int. | innen, im Körper |
lateralis | lat. | seitlich, außen |
longitudinalis | in Längsrichtung | |
maximus | max. | der Größte |
medialis | med. | innen, zur Mitte hin |
medius | mittlerer, zwischen zwei anderen | |
minimus | min. | der Kleinste |
posterior | post. | hinterer |
profundus | prof. | tief |
sinister | sin. | links (vom Patienten aus, nicht vom Betrachter!) |
superior | sup. | oberer |
superficialis | superf. | oberflächlich |
ventralis | ventr. | vorn, am Bauch, bauchwärts |
Hinweis: Die in der zweiten und dritten Tabelle genannten lateinischen Adjektive treten in unterschiedlichen Formen auf, abhängig vom grammatischen Geschlecht des Substantivs der Wortverbindung. Die Adjektive werden den Substantiven so angepasst, dass beide in KNG-Kongruenz zueinander stehen. Dabei ändert sich allerdings lediglich die Endung. Hier ist jeweils nur die männliche Form der Adjektive genannt. Die weibliche Form des männlichen medius wäre beispielsweise media, die sächliche medium.
Siehe auch
Literatur
- Wolfgang Dauber, Heinz Feneis: Feneis’ Bild-Lexikon der Anatomie. 9. Auflage. Thieme, Stuttgart 2005, ISBN 3-13-330109-8.
- Ian Whitmore (Hrsg.): Terminologia Anatomica. International Anatomical Terminology. Thieme, Stuttgart 1998, ISBN 3-13-114361-4.
Dieser Artikel wurde am 14. September 2005 in dieser Version in die Liste der lesenswerten Artikel aufgenommen. |
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Heiner Fangerau (Hrsg.): Medizinische Terminologie. 3. Auflage. Lehmanns Media, 2008, ISBN 978-3-86541-297-3.
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