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Ghetto Bialystok

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Das Ghetto Bialystok lag in der gleichnamigen polnischen Stadt Białystok der Woiwodschaft Podlachien. Nach der Besetzung der Stadt durch die deutsche Wehrmacht 1939 errichteten die Deutschen das Ghetto 1941 als ein Konzentrationslager, das 1943 nach der Ermordung oder Deportation aller Gefangener durch die deutsche Besatzungsmacht aufgelöst wurde.

Karte des heutigen Polen

Lage und Stadtgeschichte

Białystok liegt rund 180 km nordöstlich der polnischen Landeshauptstadt Warschau nahe an der weißrussischen Grenze. Die Stadt blickt – wie die gesamte Region – auf eine wechselvolle Vergangenheit zurück: 1795 wurde sie preußisch, 1807 russisch, 1921 – nach dem Ersten Weltkriegpolnisch, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs aufgrund der Vereinbarungen im Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt wurde es von der Sowjetunion besetzt und der Weißrussische Sozialistische Sowjetrepublik angegliedert; 1941 von der deutschen Wehrmacht besetzt und dem Bezirk Bialystok angegliedert.

Białystok war die osteuropäische Stadt mit dem höchsten Bevölkerungsanteil jüdischer Bürger (geschätzt auf über 60 Prozent). Eine 1931 durchgeführte Volkszählung ergab eine Bevölkerung von rund 91.000 Personen, von denen 43 Prozent, also fast 40.000 Menschen, jüdischer Abstammung waren. Bei Kriegsausbruch am 1. September 1939 war die jüdische Bevölkerung auf rund 50.000 Personen angewachsen.

Am 15. September 1939 eroberte die deutsche Wehrmacht die Stadt, die aber nach der sowjetischen Besetzung Ostpolens 1939 gemäß den Vereinbarungen im geheimen Zusatzprotokoll des Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes für die folgenden 21 Monate Teil der sowjetischen Besatzungszone wurde. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurde es vom deutschen Militär besetzt. Inzwischen war der jüdische Bevölkerungsanteil aufgrund des Flüchtlingszustroms auf mehr als 60.000 Personen angewachsen.

Der Tag der deutschen Besetzung – der 27. Juni 1941 – wurde in der jüdischen Gemeinde als „Roter Freitag“ bekannt. Das deutsche Polizeibataillon 309 unter Oberstleutnant Ernst Weis versammelte sich an der Großen Synagoge im jüdischen Viertel und trieb Einwohner in die Synagoge, um sie anschließend in Brand zu setzen. Mindestens 700 Menschen verbrannten bei lebendigem Leib, insgesamt kamen in den ersten zwei Wochen der deutschen Besatzung 4.000 jüdische Einwohner durch Übergriffe oder Massenerschießungen unter anderem auf direkten Befehl von SS-Führer Himmler ums Leben, der die Stadt am 8. Juli 1941 besucht hatte.

Errichtung des Ghettos

Kurz nach der Okkupation wurden Rabbi Gedaliah Rosenmann und der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Efraim Barasz, aufgefordert, einen Judenrat aus zwölf Personen zu bilden. Am 1. August 1941 wurde das Ghetto auf zwei schmalen Gebieten beidseits des Flusses Biała errichtet und mit Holz- und Stacheldrahtzäunen abgeriegelt. Jüdischer Grundbesitz außerhalb des Ghettos wurde enteignet, alle Juden im Alter von 15 bis 65 Jahren wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet.

Wie auch in anderen Ghettos war der Raum für die Menge der Menschen bei weitem zu klein; zwei bis drei Familien mussten sich in der Regel ein einziges Zimmer teilen. Die Verpflegungszuteilung war unregelmäßig und unzureichend. Zur Versorgung war die Bevölkerung auf Lebensmittelschmuggel angewiesen und versuchte auch, innerhalb des Ghettos auf engstem Raum Obst- und Gemüsegärten anzulegen.

Im September 1941 wurden 4.500 kranke, unausgebildete oder nicht arbeitsfähige Juden nach Pruzhany, einem Ort 100 km südöstlich von Bialystok, deportiert. Kaum jemand überlebte bis zur Auflösung dieses Ghettos im Januar 1943.

Das Ghetto Białystok entwickelte sich rasch zu einem „industriellen Zentrum“. Innerhalb seiner Grenzen befanden sich ungefähr zehn dem deutschen Industriellen Oskar Steffen gehörende Fabrikanlagen. Die meisten Einwohner wurden dort oder in anderen Werkstätten innerhalb des Ghettos zur Arbeit verpflichtet. Nur eine geringe Zahl war in anderen Arbeitsstätten außerhalb des Ghettos tätig.

Auch der Judenrat wurde zu einem wichtigen Arbeitgeber. Rund 2.000 Menschen arbeiteten in Schulen, auf Krankenstationen, in Apotheken, dem Gericht und anderen Institutionen. Es wurde ein Jüdischer Ordnungsdienst eingerichtet, der aus 200 Mann bestand.

Widerstandshandlungen

Im Verlauf des Jahres 1942 bildete sich nach vorangegangenen Einzelaktionen eine erste vereinte Widerstandsbewegung mit Namen „Block Nr. 1“ beziehungsweise „Front A“, die sich aus Kommunisten, Sozialisten, „Bundisten“ und Zionisten zusammensetzte und später als „Block Nr. 2“ bezeichnet wurde. Sie gründete ein geheimes Archiv, das in einem Versteck außerhalb des Ghettos eingerichtet wurde und begann damit, zahlreiche Daten und Informationen über das Ghettoleben zu sammeln. Bemühungen, mit der polnischen Untergrundarmee zusammenzuarbeiten und von diesen mit Waffen ausgerüstet zu werden, blieben ohne Erfolg. Einer kleinen Gruppe von Widerstandskämpfern gelang es im Dezember 1942, dem Ghetto zu entkommen und sich den polnischen Partisanen anzuschließen.

Aktion Reinhard, bewaffneter Aufstand dagegen

Zwischen dem 5. und 12. Februar 1943 wurden im Zuge der Aktion Reinhard in dem nun noch rund 40.000 Einwohner zählenden Ghetto 2.000 Menschen erschossen und 10.000 in das Vernichtungslager Treblinka gebracht. Im Sommer 1943 verfügte Himmler ungeachtet der lokalen Proteste und der Forderungen, das Lager aus ökonomischer Sicht aufrechtzuerhalten, die sofortige Liquidierung des Ghettos. In der Nacht vom 15. auf den 16. August 1943 umstellten SS-Einheiten, deutsche Polizei und ukrainische Hilfskräfte das Ghetto; die Bewohner wurden informiert, dass sie nach Lublin deportiert würden.

Hierauf begann die Untergrundbewegung einen teilweise bewaffneten Aufstand, der bis zum 19. August anhielt. Da die Widerständler nicht in der Lage waren, aus dem Ghetto zu fliehen, zogen sie sich in Bunker und Verstecke zurück, wo die meisten von ihnen nach und nach entdeckt und erschossen wurden.

Deportationen

Die Deportationen konnten am 18. August beginnen und dauerten drei Tage. 7.600 Juden wurden nach Treblinka transportiert, weitere Tausende – die genaue Zahl ist unbekannt – nach Majdanek. Dort fand eine Selektion statt; Arbeitsfähige wurden nach Poniatowa, Bliżyn oder Auschwitz verbracht. Mehr als 1.200 Kinder im Alter von 6 bis 15 Jahren wurden am 23. August nach Theresienstadt deportiert, wo viele starben. Die Überlebenden wurden wenige Wochen später nach Auschwitz-Birkenau gebracht, wo sie zusammen mit den 53 Erwachsenen, die sie freiwillig betreuten und begleiteten, vergast wurden.

Das „kleine Ghetto“

In Białystok selbst wurde zunächst ein „kleines Ghetto“ mit 2.000 verbliebenen Juden aufrechterhalten, das nach drei Wochen ebenfalls aufgelöst wurde und deren Einwohner ins KZ Majdanek geschickt wurden, wo sie im Rahmen der Aktion Erntefest ermordet wurden.

Am Ende des Zweiten Weltkrieges hatten 300 bis 400 Białystoker Juden entweder als Partisanen oder in den Arbeitslagern überlebt.

Als sich 1998 vier Schüler im Rahmen eines Geschichtswettbewerbs entschieden, in Białystok die Geschichte des Ghettos und der Białystoker Juden vom Juli 1941 bis August 1943 zu rekonstruieren, ermittelten sie in der Stadt mit heute rund 300.000 Einwohnern nur noch zwei ansässige Juden.

Geheimes Archiv

In Bialystok initiierte Mordechai Tenenbaum nach dem Vorbild aus dem Warschauer Ghetto ein geheimes Archiv. Diese Dokumente befinden sich heute in Israel und Polen.

Literatur

  • Freia Anders, Hauke-Hendrik Kutscher, Katrin Stoll (Hg.): Bialystok in Bielefeld. Nationalsozialistische Verbrechen vor dem Landgericht Bielefeld 1958 bis 1967. 2003, ISBN 3-89534-458-3
  • Freia Anders, Katrin Stoll, Karsten Wilke (Hg.): Der Judenrat von Białystok - Dokumente aus dem Archiv des Białystoker Ghettos 1941-1943. Schoeningh Verlag, Paderborn 2010. ISBN 978-3506768506 .
  • Chaika Grossmann: Die Untergrundarmee. 1933, ISBN 3-596-11598-1
  • Israel Gutman u.a.: Encyclopedia of the Holocaust. Macmillan Publishing Company, New York, 1990
  • Michael Okroy, Ulrike Schrader (Hg.): Der 30. Januar 1933 - Ein Datum und seine Folgen. 2004, ISBN 3-9807118-6-2
  • Alexander B. Rossino: Polish „Neighbors“ and German Invaders: Contextualizing Anti-Jewish Violence in the Bialystok District during the Opening Weeks of Operation Barbarossa, in: Studies in Polish Jewry, Volume 16 (2003)
  • Jacob Shepetinski, Michael Anderau: Die Jacobsleiter. Erinnerungen eines Shoah- und Gulag-Überlebenden. 2005, ISBN 3-907576-78-0
  • Arad, Yitzhak: Belzec, Sobibor, Treblinka - The Operation Reinhard Death Camps. Indiana University Press, Bloomington and Indianapolis, 1987

Film

  • Ingrid Strobl: Mir zeynen do. Dokumentarfilm, 1992, produziert im Auftrag des WDR. [1]

Weblinks

Einzelnachweise

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