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Anerkennung
Anerkennung bedeutet die Erlaubnis einer Person oder einer Gruppe gegenüber einer anderen Person, Gruppe oder Institution, sich mit ihren derzeitigen spezifischen Eigenschaften an der Kommunikation, an Entscheidungsprozessen oder anderen gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen.
Der Begriff Anerkennung wird auch als Synonym für Akzeptanz, Lob oder Respekt verwendet.
Gegenseitige Anerkennung gilt als notwendig für jede Art von Zusammenleben, beispielsweise in der Ehe, in einer Schulklasse oder im Beruf. Wird ein Gruppenmitglied nicht anerkannt, gerät es in Gefahr, zum Außenseiter zu werden.
Philosophie
Die Anerkennung anderer Menschen, Dinge oder Sätze schränkt die Handlungsfreiheit eines Subjektes ein: Die Anerkennung anderer Menschen schließt Verpflichtungen ihnen gegenüber ein, die von ihrer Respektierung als Personen, über die Zustimmung zu ihren Wünschen, bis hin zur Würdigung ihrer Leistungen reicht.[1] Gegenüber juristischen Personen wie Vereinen, Gemeinden oder Staaten meint Anerkennung eine „offizielle Bestätigung, Erklärung der Gültigkeit oder der Rechtmäßigkeit“.[1] Bezogen auf Aussagen oder Normen bedeutet Anerkennung ihre Beachtung, Billigung oder Wahrheitsannahme.[1] Indem das Erkennen in der Anerkennung eine Bedeutung für das menschliche Handeln erlangt, verknüpft die Anerkennung theoretische und praktische Philosophie. In der Logik spielt Anerkennung eine Rolle in der Aussagentheorie Gottlob Freges.
Philosophische Ansätze, die Anerkennung oder bedeutungsähnliche Begriffe verwenden, lassen sich bis zu Rousseau zurückverfolgen. Grundlegend ist der Begriff der Anerkennung für die Philosophie Immanuel Kants, auch wenn er diesen nicht unmittelbar verwendet. Dies kommt bereits in der Menschenrechtsformel des kategorischen Imperativs zum Ausdruck, wonach man sich oder einen anderen Menschen jederzeit niemals nur als Mittel, sondern stets auch als Zweck behandeln soll.[2] Also hat man die eigene Willkür mit der Willkür der anderen nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit in Einklang zu bringen[3]. Entsprechend hat ein jeder Mensch "rechtmäßigen Anspruch auf Achtung von seinen Nebenmenschen, und wechselseitig ist er dazu auch gegen jeden Anderen verbunden." [4].
Einen ersten Versuch der Systematisierung des Anerkennungsbegriffes leistete Johann Gottlieb Fichte in seiner Grundlage des Naturrechts (1796).
- „Im wechselseitigen Auffordern zu freiem Handeln und im Begrenzen der eigenen Handlungssphäre zugunsten des Anderen bildet sich sowohl individuelles wie gemeinsames Bewusstsein – eines ist nicht ohne das andere.“[5]
Darauf aufbauend entwickelte Georg Wilhelm Friedrich Hegel 1802–1807 in seinen frühen Schriften in Jena ein theoretisches System, in dessen Zentrum ein Anerkennungsbegriff stand. Bei Fichte und Hegel ersetzt die Anerkennung gewissermaßen den Gesellschaftsvertrag als Grundlage von Recht und Staat.[1] Mit Hegel endete zunächst die Entwicklung der philosophischen Anerkennungstheorie.[1]
Als Erster belebte der aus Russland stammende Alexandre Kojève in Frankreich Hegels Ansatz direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges neu. Dem jungen Hegel folgend, hob er hervor, dass Anerkennung zur Bildung des Selbstbewusstseins notwendig sei. Dies bedinge auch, dass niemand für sich selbst allein diese Entwicklungsstufe erreichen könne. Erst wenn mehrere „Bewusstseine“ aufeinandertreffen, ereignet sich das, was Hegel „Bewegung der Anerkennung“, „Dialektik der Anerkennung“ nennt und den „Kampf um Anerkennung“ als Spezifikum des Menschen nötig macht. Hegel beschreibt dies in seiner „Phänomenologie des Geistes“ im Kapitel „Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewusstseins; Herrschaft und Knechtschaft“. Folgenschwer hat Karl Marx daraus sein Modell des Klassenkampfes entwickelt. Im 20. Jahrhundert beeinflusste dies auch psychoanalytische Entwürfe, etwa Jacques Lacans.
- In Deutschland wurde das Anerkennungsprinzip Hegels zuerst 1968 von Jürgen Habermas aufgegriffen.[6] Habermas wies auf seine Aktualität hin und betonte die Vorteile des Konzeptes der Anerkennung gegenüber Problemen der Theorien von Immanuel Kant und Karl Marx: Bei Kant fehle in der Klärung moralischer Fragen die zwischenmenschliche Interaktion und damit tatsächliche Intersubjektivität. Marx hingegen reduziere Interaktion auf Arbeit.[1] Hegel habe mit der Anerkennung hingegen richtigerweise Interaktion und Arbeit auseinandergehalten.[7]
- Auch Karl-Heinz Ilting (1972) sowie der Hegel-Forscher Ludwig Siep (1975) in Münster und später Andreas Wildt (1982) in Berlin befassten sich in der Folge damit.
- Als Weiterentwicklung der Sozialphilosophie der Frankfurter Schule (Kritische Theorie) und im Anschluss an Habermas’ Ansätze rückte dann Axel Honneth Anerkennung in das Zentrum seiner Arbeiten. In der Gegenwartsphilosophie wird Honneth mit dem Begriff Anerkennung eng verbunden, weil er sich 1990 mit diesem Thema am Fachbereich Philosophie der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main Frankfurt am Main habilitierte.
- Mit dem Thema Anerkennung befasste sich auch der dem Kommunitarismus zuzurechnende Philosoph Charles Taylor in seiner Schrift Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung (1997).
- Der israelische Philosoph Avischai Margalit tritt für eine „anständige Gesellschaft“ ein.[8] Hierunter versteht er eine Gesellschaft, in der die Menschen anerkannt und nicht durch Institutionen gedemütigt werden.
- Ausgehend vom Zusammenbruch von Sowjetunion bzw. Kommunismus und bezugnehmend auf Hegel und Kojève diskutiert Francis Fukuyama in Das Ende der Geschichte (1992) die Bedeutung der Anerkennung (griech.: Thymos) in Form von Isothymia und Megalothymia für die Geschichtsentwicklung.
- Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler stellt die Frage nach der Anerkennung und Anerkennbarkeit von Leben im Kontext dessen Gefährdet-seins und dessen Betrauerbarkeit.[9]
Logik
In der Theorie und Terminologie von Frege ist das Urteilen die Anerkennung des Wahrheitswertes eines Gedankens. [10]
Psychologie
Die Psychologie betrachtet den engen Zusammenhang von Anerkennung (als Lob, Bestätigung oder Respekt) und der Entwicklung und Bewahrung des Selbstwertgefühls eines Menschen.
Für die Psychoanalyse ist Anerkennung – als mehr oder minder unwillkürliche Geste des Bewusstseins im Rahmen der Tiefenpsychologie der Abwehrmechanismen – ein Modus der (buchstäblichen) Wahrnehmung äußerlicher Gegebenheiten (etwa des anatomischen Geschlechtsunterschiedes) in ihrer seelischen Bedeutsamkeit (vgl. etwa Kastrationsangst) und die Gegenbewegung zur Verleugnung.
Im Konzept „Emotionale Kompetenz“ von Claude Steiner[11] spielt die Idee der Anerkennung eine zentrale Rolle: Es wird davon ausgegangen, dass viele Menschen unter einem erheblichen Mangel an Anerkennung und Zuwendung, sogenannten Positive Strokes, leiden. Als Ursachen werden verinnerlichte dysfunktionale Beziehungsmuster aus der Kindheit und der weiteren Entwicklung angenommen. Als Folgen dieses Zuwendungsmangels werden seelische Erkrankungen konstatiert.
Claude Steiner entwickelte den Gedanken der „Stroke-Ökonomie“: Anerkennung wird innerhalb der Familie unbewusst knappgehalten. Damit erreichen Eltern, dass eine Situation, in der unbegrenzt Anerkennung gegeben wird, umgewandelt wird in eine Situation, in der Anerkennung Mangelware ist und der Preis dafür entsprechend hoch ist. Nach Steiner dient dies Eltern dazu, ihre Kinder steuern zu können. Steiner glaubt, dass Erwachsene immer noch unbewusst diese Regeln im Alltag befolgen und so zu wenig Anerkennung geben und erhalten.
Recht
Juristisch bedeutet Anerkennung die rechtliche Gleichstellung von Personen bezüglich eines bestimmten Sachverhalts.
Der Begriff der Anerkennung wird in der juristischen Fachliteratur häufig im Zusammenhang mit der „Anerkennung von Asylbewerbern“ gebraucht. Sehr verbreitet sind auch Regelungen zur „Anerkennung von Studienleistungen“, etwa in Prüfungsordnungen, sowie Vorschriften zur Anerkennung von im Ausland erbrachten Leistungen oder Abschlüssen.
Politik
Als „diplomatische Anerkennung“ erscheint der Anerkennungsbegriff in der politikwissenschaftlichen Literatur: Er meint die völkerrechtliche Akzeptanz eines politischen Systems als Staat sowie den Beginn oder Vollzug diplomatischer Beziehungen. Als bekanntes Problem zwischenstaatlicher Anerkennung galt die Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik.
Siehe auch
Literatur
Aufsätze
- Gabriel Amengual: Anerkennung. In: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie. Bd. 1: A–N. Meiner, Hamburg 1999, ISBN 3-7873-1452-0, S. 66–68.
- Jürgen Habermas: Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels „Jenenser Philosophie des Geistes“. In: Jürgen Habermas: Technik und Wissenschaft als „Ideologie“. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968, S. 9–47.
- Karl-Heinz Ilting: Anerkennung. Zur Rechtfertigung praktischer Sätze. In: Gerd-Günther Grau (Hrsg.): Probleme der Ethik. Zur Diskussion gestellt auf der wissenschaftlichen Tagung 1971 des engeren Kreises der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie in Deutschland e. V. Alber, Freiburg im Breisgau/München 1972.
- Thomas Laugstien: Anerkennung, in: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 1, Argument-Verlag, Hamburg, 1994, Sp. 249-261.
- Peter Sitzer/Christine Wiezorek: Anerkennung. In: Wilhelm Heitmeyer/Peter Imbusch (Hrsg.): Integrationspotenziale einer modernen Gesellschaft. VS-Verlag, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14107-4, S. 101–132.
Monographien
- Seyla Benhabib: Kulturelle Vielfalt und demokratische Gleichheit. Politische Partizipation im Zeitalter der Globalisierung. Fischer, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-596-14072-2.
- Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Phänomenologie des Geistes. Göbhard, Bamberg/Würzburg 1807.
- Axel Honneth: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-58128-7.
- Rainer-Mathias Limmer: Der Begriff der Anerkennung. Philosophisch-psychologische Untersuchungen. Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität München 2005 (online, PDF, 0,98 MB).
- Ludwig Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes. Habilitationsschrift, Freiburg 1975.
- Andreas Wildt: Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. Klett-Cotta, Stuttgart 1982.
Weblinks
- Paddy McQueen: Social and Political Recognition in der Internet Encyclopedia of Philosophy (englisch, inklusive Literaturangaben)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 Gabriel Amengual: Anerkennung. In: Hans Jörg Sandkühler (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie. Bd. 1: A–N. Meiner, Hamburg 1999, ISBN 3-7873-1452-0, S. 66–68.
- ↑ Immanuel Kant: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 67
- ↑ Immanuel Kant: Metaphysik der Sitten, RL, Akademie-Ausgabe Band VI, 230
- ↑ Immanuel Kant: Metaphysik der Sitten, TL, Akademie-Ausgabe Band VI, 462
- ↑ zitiert nach Ludwig Siep: Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes. Alber, Freiburg/München 1979, S. 22
- ↑ Jürgen Habermas: Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels „Jenenser Philosophie des Geistes“. In: Jürgen Habermas: Technik und Wissenschaft als „Ideologie“. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968, S. 9–47. Vgl. auch Jürgen Habermas: Erkenntnis und Interesse. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968, S. 81.
- ↑ Jürgen Habermas: Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels „Jenenser Philosophie des Geistes“. In: Jürgen Habermas: Technik und Wissenschaft als „Ideologie“. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968, S. 46.
- ↑ Avishai Margalit: The Decent Society: (1996) translated by Naomi Goldblum, deutsch: Politik der Würde. Über Achtung und Verachtung, Fischer 1999
- ↑ Unter anderem 2009 in "Raster des Krieges"/"Frames of War".
- ↑ Frege, Gottlob, ’’Der Gedanke: eine logische Untersuchung’’, in: Beiträge zur Philosophie des deutschen Idealismus I, 2 (1918), S. 58 (62), in: Frege, Logische Untersuchungen, 3. Aufl. (1986) - ISBN 3-525-33518-0, S. 30 (35): „Wir unterscheiden demnach 1. das Fassen des Gedankens - das Denken, 2. die Anerkennung der Wahrheit eines Gedankens - das Urteilen, 3. die Kundgebung dieses Urteils - das Behaupten.“
- ↑ Claude Steiner: Emotionale Kompetenz. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1999, ISBN 3-423-36157-3.
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