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Benutzer:Michael Kühntopf/Benutzer Freud: Antisemitismus etwas differenzierter betrachtet

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Benutzer:Freud hat im Verlaufe einer Diskussion unter befreundeten Jewiki-Autoren zur Zurechnungsfähigkeit bzw. begrifflichen Unterscheidung antisemitischen Handelns folgende kleine Ausarbeitung angefertigt und Jewiki zur Publikation zur Verfügung gestellt:


Ich vertrete den Standpunkt, daß man hier nicht zwischen „der hat das nicht böse gemeint“ und Leute vom Schlage eines Julius Streicher unterscheiden sollte, sondern daß man zwischen „vorsätzlich antisemitisch“ und „fahrlässig antisemitisch“ unterscheiden sollte.

Es gibt fahrlässigen Antisemitismus oder den fahrlässigen Gebrauch antisemitischer Stereotypen. So ist beispielsweise das Wort „Winkeladvokat“ antisemitisch, aber wer sich dessen nicht bewußt ist, kann das Wort fahrlässig und ohne den Vorsatz einer antisemitischen Äußerung verwenden.

Damals (frühe 90er) habe ich im Strafrecht Allgemeiner Teil folgende – hier nur umgangssprachlich wiederzugebende – Kategorisierung gelernt, die wohl bis heute im Prinzip unverändert ist („strafrechtlicher Erfolg“ ist die Erfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale einer Strafvorschrift):

• Leichte Fahrlässigkeit: Täter sieht die Gefahr des strafrechtlichen Erfolges nicht (könnte sie aber sehen, wenn er richtig hinsähe) und will ihn auch nicht

• Grobe Fahrlässigkeit: Täter sieht die Gefahr des Erfolges, will ihn zwar nicht, aber handelt trotzdem so, daß der strafrechtliche Erfolg eintritt

• Bedingter Vorsatz: Täter will den strafrechtlichen Erfolg nicht wirklich, also: es kommt ihm nicht darauf an, aber er will sich jetzt so und so verhalten, koste es, was es wolle

• Direkter Vorsatz II. Grades: Täter will den strafrechtlichen Erfolg (aus irgendeinem Grunde)

• Direkter Vorsatz I. Grades: Täter will den strafrechtlichen Erfolg; es kommt ihm eben auf diesen an

Dieses Schema zugrunde gelegt, fängt ab grober Fahrlässigkeit oder ab bedingtem Vorsatz m.E. folgender Satz von Salzborn / Uni Göttingen an, zu greifen: „Es ist richtig, denjenigen einen Antisemiten zu nennen, der sich antisemitisch betätigt“. Ich würde formulieren: „Es ist richtig, denjenigen einen Antisemiten zu nennen, der sich bewußt (oder bei Anwendung zumutbarer Sorgfalt wissen könnend) antisemitisch äußert.“

Falsch ist m.E. der Ansatz von Juliane Wetzel, eigentlich niemand unterhalb von Streicher & Co. einen Antisemiten zu nennen, sondern nur ein Verhalten als antisemitisch zu bezeichnen. Diese Sicht möchte ich nur den fahrlässig Handelnden oder den leicht fahrlässig Handelnden angedeihen lassen.

Dies vorweg geschickt: Der wichtigste Grund für einen Strafprozeß ist nicht die Bestrafung des Schuldigen, sondern vielmehr die Wiederherstellung des durch die Straftat gestörten Rechtsfriedens.

Wenn ich jetzt diese Grundlagen auf Antisemiten / antisemitische Stereotype übertrage, im offenen Artikulieren und Bestandpunkten von Antisemitismen einen natürlich nicht stets strafrechtlichen, aber eben doch in der Beurteilung wesensähnlichen Prozeß im vorjuristischen Raum, hier: der Öffentlichkeit, sehe, dann sind solche Listen wie die in Jewiki augenblicklich von manchen beanstandete möglicherweise nicht als Prangerlisten per se wichtig und richtig, aber – und das tut diese Liste – als Indikator einer Entwicklung. Es ist vielleicht nicht wichtig, ob A ein Antisemit ist. Aber es ist wichtig, daß A, B, C, D, … Antisemiten sind, und daß im Jahr 2000 nur A sich in Wikipedia betätigen durfte, und mit der Zeit kamen B und C und D hinzu… Dafür ist eine solche Liste mit chronologischer Taktung wichtig.

André Freud, 14. Mai 2015