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Burschensprache
Die Burschensprache oder Studentensprache war eine von zahlreichen lateinischen, französischen und latinisierten Wörtern durchsetzte Standessprache, die unter deutschsprachigen Studenten gesprochen wurde und ihre Blütezeit vom 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte. Sie hatte überregionale Geltung, auch wenn die Kastensprache der zechfreudigen und rauflustigen Studenten der Universitäten Gießen, Göttingen, Halle (Saale) und Jena als bestimmend galt. Mitglieder deutscher Studentenverbindungen sprechen auch heute noch eine besondere Sprache.
Von einer ausgeprägten Studentensprache als Sondersprache kann allerdings seit dem 20. Jahrhundert nicht mehr gesprochen werden, obwohl sich eine Vielzahl von Begriffen im Milieu der Studentenverbindungen gehalten hat.
Geschichte
Die Hochschulen des 18. und 19. Jahrhunderts waren in einem ständigen Informationsaustausch, daher mussten auch alle in einer einheitlich verständlichen Sprache miteinander reden. Da die Studentensprache nicht lokal gewachsen war, sondern sich auf den ganzen deutschen Raum ausdehnte, war sie auch allgemein verständlich. Die Burschensprache verband alle deutschen Studenten miteinander.
Andererseits stellte Friedrich Christian Laukhard (1757–1822) bereits im Jahre 1800 fest, „daß die Gießener Burschensprache ein Deutsch ist, das ein Deutscher so wenig versteht wie Arabisch“. Daran lässt sich bereits erkennen, wie schwer verständlich die „burschikose“ Ausdrucksweise der Studenten für Außenstehende war.
Johannes Meiner sprach über das Phänomen Studentensprache wie folgt: „Die eigene, nur ihnen gehörige und von ihnen gebrauchte Studentensprache, eine Art Geheimsprache, entstammt von Anfang an verschiedenen Quellen, und die allgemeine kulturelle Entwicklung hat dann auch im Sprachgut ihre deutlichen und unauslöschlichen Spuren hinterlassen.“
Die Studentensprache umfasst das ganze Studentenleben in all seinen Formen und Äußerungen. Ihr vielseitiger und reichhaltiger Wortschatz ist in den großen allgemeinen deutschen Wörterbüchern niemals vollständig erfasst worden, denn dazu ist die Menge »burschikoser« Wortbildungen zu groß.
Die ersten studentensprachlichen Wörterbücher sind schon früh entstanden, so das Handlexikon des Salamasius um die Mitte des 18. Jahrhunderts, 1781 ein Wörterbuch von Christian Wilhelm Kindleben und 1795 ein weiteres von Christian Friedrich Augustin. Das Burschicose Wörterbuch des Schweizers Johann Grässli – es erschien unter dem Pseudonym J. Vollmann – unterschied sich von diesen Lexika durch seine lebendige und anschauliche Schilderung des Studentenlebens. Der Lüneburger Jurist Daniel Ludwig Wallis findet 1813 die Form eines Hochschulführers für die Göttinger Universität, schildert die Abläufe und Kosten und fügt ein Kapitel als lexikalisches Wörterbuch an. Auch sein Corpsbruder Georg Kloß hinterließ ein Idiotikon der Burschensprache, das postmortem veröffentlicht wurde. Bei diesen beiden Praktikern ist also gleichzeitig von einer großen Realitätsnähe auszugehen. Bemerkenswert im Fall des 1813 während der Franzosenzeit erschienenen Werkes von Wallis ist der verblümt enthaltene Hinweis auf die bestehende Zensur und deren Auswirkung auf den Inhalt des Wörterbuches: Der starke behördliche Verfolgungsdruck auf die Studentenverbindungen dieser Zeit musste vom Autor berücksichtigt werden, wollte er seine Kommilitonen nicht gefährden.
Die Wörter der studentischen Standessprache – sie entstammen größtenteils von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts – unterliegen ebenso wie studentische Redensarten im Laufe der Zeit auch einem Bedeutungswandel.
Die Blütezeit der deutschen Burschensprache ist das 18. Jahrhundert, als die deutsche Muttersprache das Latein an den Hohen Schulen allmählich verdrängte. Damals bestimmte der Student mit seinem Erscheinungsbild, mit seinen Sitten nicht nur das Leben in den kleinen Universitätsstädten, seine Sprache und ihr Wortschatz beherrschte auch den Verkehr mit den Bürgern. Ebenso stand die Sprache der Pennäler unter dem Einfluss der Hochschule und ihrer Sondersprache. Der deutsche Student trug seine Burschensprache aber auch in seine Heimat, er nahm sie auf seinem weiteren Lebensweg mit.
Sprachliche Besonderheiten
Die Sprache der deutschen Studenten insbesondere des 16. und 17. Jahrhunderts sowie des beginnenden 18. Jahrhunderts war von griechischen und vor allem lateinischen Sprachelementen viel stärker durchsetzt als die Sprache der heutigen Hochschüler. Latein, die universelle Sprache der Wissenschaft, bestimmte die Lehre und das Leben an den deutschen Hohen Schulen.
„Teutonisare“, deutsch sprechen, war verpönt und stand sogar unter Strafe. Der Student übernahm lateinische Wörter unverändert in seinen Wortschatz – und wendete sie u. a. in der Bezeichnung der Chargen und im traditionellen studentischen Liedgut an.
Der Student streift schließlich jeden Regelzwang ab, er mischt ohne Hemmung lateinische, griechische und deutsche Sprachelemente und versetzt deutsche Wörter mit lateinischen Endungen. Als das bekannteste sei der in der Umgangssprache gebräuchliche Ausdruck Bursche erwähnt, das Wort leitet sich von Bursarius, dem Bewohner einer Burse, ab. Das lat. bursa (urspr. Tasche, Beutel, Börse) wandelte seine Bedeutung zu gemeinschaftlicher Kasse, davon abgeleitet ist der Ausdruck die Burse, einer Gemeinschaft, die aus einer gemeinsamen Kasse lebt, und des Weiteren die Burse, das gemeinschaftliche Wohnheim von Hochschullehrern und ihren Schülern. Die Gesamtheit der Bewohner einer Burse, den Bursanten oder die Bursgesellen (Bursale, auch Bursalis, Burßgesell und Bursenknecht) wurde auch als die Bursch bezeichnet – und erst allmählich ist dieser Ausdruck auf den einzelnen Bewohner übertragen worden. Im 17. Jahrhundert tritt neuerlich ein Bedeutungswandel ein: Der Bursch ist ein Synonym für Student, eine Bedeutungsverengung im 19. Jahrhundert macht daraus ein Vollmitglied einer Studentenverbindung. In Süddeutschland und Österreich erfuhr der Begriff dagegen eine Weitung und bezeichnet jeden jungen Mann.
Vom lat. Adjektiv crassus (dick, weitgehend) wurde im 18. Jahrhundert krass übernommen, wobei die Vermischung mit nhd. graß – heute noch gebräuchlich in grässlich – eingetreten ist, so dass die studentensprachliche Benennung „ein krasser Fux“ einen jungen Studenten ohne Lebensart meint.
Der Burschensprache des 17. Jahrhunderts entstammt fidel, von lat. fidus (treu, zuverlässig) abgeleitet. Einen Bedeutungswandel machte aus einem fidelen Burschen – in der Studentensprache etwas gröber auch als fideler Knochen angesprochen – einen Bruder Liederlich, einen lockeren Gesellen; heute hat das einstige Wort der Burschensprache die harmlose Bedeutung von heiter, lustig angenommen.
Typische Wortbildungen der studentischen Standessprache sind Exkneipe, Conkneipant. Als ebenso echt studentische Wortschöpfungen sind anzusprechen: Spiritus Kornus für Branntwein, Dickus für einen beleibten Menschen, Politikus für einen Schlaukopf; gleichwertig gelten aber auch Pfiffikus und Luftikus, – ebenso Schwachmatikus oder Schlechtikus.
Als Bacchanten wurden in studentischen Kreisen im 16. und 17. Jahrhundert die Neulinge an den Hohen Schulen bezeichnet. Ähnliche Wörter der Burschensprache auf –ant sind Erzstapulant, Lyrant, Schnurrant oder Paukant.
Der französische Einfluss auf die studentische Standessprache ist nicht minder bedeutsam als der des lange vorherrschenden Lateins.
Um 1700 regt sich ein neuer Geist an den deutschen Hohen Schulen. So verdrängt Professor Christian Thomasius in Halle das Latein aus den Hörsälen und liest als Erster in der deutschen Hochschulgeschichte in seiner deutschen Muttersprache.
Andererseits übt das Französische im Zeitalter Ludwigs XIV. nachhaltigen Einfluss auf das gesamte Kulturleben, somit auch auf die Sprache und das Schrifttum im deutschen Sprachraum aus.
Der französische Einfluss zeigt sich in der Burschensprache im Wortschatz, wie auch in der Wortbildung. In der Standessprache des deutschen Studenten dringen – wie in der Sprache des Gebildeten von damals auch – französische Wörter ein und ersetzen deutsche.
Als die geläufigsten Beispiele, sie sind als deutsche Termini noch heute gebräuchlich, gelten: das Couleur (franz. Farbe)
- die Farben einer Studentenverbindung, durch Begriffserweiterungen;
- eine farbentragende Verbindung: „Zu welchem (welcher) Couleur gehört er?“
Couleur tragen, die Farben der Studentenverbindung im Band, in der Mütze, im Bier-, Wein oder Sektzipfel zeigen, als häufig gebrauchte Wortzusammensetzungen seien hier erwähnt: Couleurbruder, Couleurbummel, Couleurdame, Couleurdiener, Couleurkarte, Couleurstudent, couleurfähig.
Andererseits kommt es zu neuen Wortbildungen – z. T. von französischen Wörtern abgeleitet – mit französischen Endungen, z. B. auf –ier und –age. Ein Beispiel ist das heute ins normale Hochdeutsch gelangte Wort „Blamage“ (Schande, Bloßstellung), eine um 1750 geprägte französisierende Neubildung der deutschen Burschensprache, die trotz ihres französischen Grundwortes (blâmer = tadeln) nie der französischen Sprache angehört hat.
Des Weiteren sind auch burleske Wortbildungen bezeugt: luderös, pechös, malitiös, philiströs, schauderös, schmissös.
Auch der Einfluss des Hebräischen, des Jiddischen und des Rotwelschen auf die Burschensprache ist nicht zu übersehen. Fahrende Scholaren und Bettelstudenten des Spätmittelalters kamen auf ihren Reisen in Verbindung mit Händlern und Schaustellern, aber auch Gaunern. Dies hat sich in ihrer Sprache niedergeschlagen, besonders bei Ausdrücken des Geldwesens oder für Betrügereien.
Der Einfluss deutscher Dialekte auf die Studentensprache ist vorhanden – gemessen an dem Einwirken fremder Sprachen auf sie allerdings gering. Ein bekanntes Beispiel ist das Wort Fink; es stammt ursprünglich aus dem Niederdeutschen und bezeichnete einen leichtlebigen, leichtsinnigen Jüngling, später dann einen Nichtkorporierten.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist die Entlehnung von Begriffen aus anderen deutschen Gruppen- und Berufssprachen. Neben fremdsprachigen Einflüssen wirkt auch die Volkssprache der Universitätsstädte auf die Studentensprache ein. Sie entlehnt nicht nur Ausdrücke des Standarddeutsch und formt sie um, sondern bedient sich ebenso der Umgangssprache und im Besonderen anderer Sondersprachen.
Besonders reich ist die Burschensprache an bildhaften, auch teils grob ausfallenden, Vergleichen, von denen einige heute nicht mehr verwendet werden.
Manches kräftige Wort oder komisches Wortgebilde ist dem Zufall oder dem jugendlichen Übermut eines flotten Burschen entsprungen, was die Farbigkeit und den Einfallsreichtum der deutschen Studentensprache auszeichnet. Aus dem reichen Schatz der Burschensprache – wie aus dem anderer deutscher Standessprachen und Berufssprachen auch – sind viele Wörter und Redewendungen in die Umgangssprache eingegangen; einige hat sogar die allgemeine Literatursprache aufgenommen: ein ungehobelter Bursche.
Gerade einige markante, aussagekräftige Wörter der Burschensprache leben in der Umgangssprache weiter.
Siehe auch
Literatur
- Studentikoses Idiotikon oder gemeine deutsche Burschensprache. herausg. von einem bemoosten Haupte, Verlag Hochhausen, Jena 1841.
- Martin Biastoch: Kolossale Stöpselei! Ein Beitrag zur Studentensprache des 19. Jahrhunderts. In: Einst und Jetzt. Bd. 35, 1990, S. 35–38.
- Richard Fick: Auf Deutschlands hohen Schulen. Ludwig Thilo, Berlin 1900.
- Friedhelm Golücke: Studentenwörterbuch. Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte, Würzburg 1987.
- Helmut Henne und Georg Objartel (Hrsg.): Bibliothek zur historischen deutschen Studenten- und Schülersprache. Bd. 1–6. Berlin; New York 1984.
- Bd. 1: Historische deutsche Studenten- und Schülersprache. Einführung, Bibliographie und Wortregister.
- Bd. 2: Wörterbücher des 18. Jahrhunderts zur deutschen Studentensprache.
- Bd. 3/4: Wörterbücher des 19. Jahrhunderts zur deutschen Studentensprache I/II.
- Bd. 5: Wissenschaftliche Monographien zur historischen deutschen Studenten- und Schülersprache.
- Bd. 6: Kleinere wissenschaftliche Beiträge zur historischen deutschen Studenten- und Schülersprache. Anhang: Verdeutschungswörterbücher.
- Christian Wilhelm Kindleben: Studenten–Lexicon. Halle (Saale) 1781.
- Georg Kloß: Das Idiotikon der Burschensprache, herausgegeben mit einer Einführung von Carl Manfred Frommel, Frankfurt a. M. 1931.
- Friedrich Kluge: Deutsche Studentensprache. Trübner, Straßburg 1895 (Neuausgabe: Studentengeschichtliche Vereinigung des Coburger Convents, Nürnberg 1984–1985).
- Peter O. Krause: O alte Burschenherrlichkeit. Graz 1979.
- Norbert Nail: Regionalsprachliches in der historischen deutschen Studentensprache des 18. und 19. Jahrhunderts. In: Deutscher Wortschatz. Lexikologische Studien. Ludwig Erich Schmitt zum 80. Geburtstag von seinen Marburger Schülern. Herausgegeben von Horst Haider Munske, Peter von Polenz, Oskar Reichmann, Reiner Hildebrandt. Berlin/New York: Walter de Gruyter 1988, S. 351–369. (PDF-Datei)
- Norbert Nail: Go-in / Go-out: Kontinuität und Wandel in der deutschen Studentensprache des 19. und 20. Jahrhunderts – Ein Versuch. In: Beiträge zu Linguistik und Phonetik. Festschrift für Joachim Göschel zum 70. Geburtstag. Herausgegeben von Angelika Braun. Stuttgart 2001 (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte; 118), S. 135–153. (PDF-Datei)
- Norbert Nail: Jenseits des „breiten Steins“: Studentendeutsch in der DDR.In: Studenten-Kurier 3/2013, S. 15–17.
- Gerhard Richwien: Student sein. Gesellschaft für deutsche Studentengeschichte, Würzburg 1998.
- Paul Ssymank: Das deutsche Studententum. Verlag für Hochschulkunde, München 1932.
- J. Vollmann: Vollmann: Burschicoses Wörterbuch. Ragaz 1846; Nachdruck mit Einleitung, Graz 1969.
- Daniel Ludwig Wallis: Der Göttinger Student. Göttingen 1813 (VI. Teil). (Online in der Google Buchsuche)
Weblinks
- Homepage der Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte
- Informationsportal über Studentenverbindungen cousin
- Bibliographie zur Studentensprache
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