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Cyanidvergiftung

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Eine Cyanidvergiftung oder Blausäurevergiftung ist eine Vergiftung mit Cyaniden oder Cyanwasserstoff (Blausäure). Zu den Cyaniden zählen die Salze der Blausäure sowie organische Cyanide, bei denen die Cyanogruppe (–C≡N) an einen organischen Rest gebunden ist (Nitrile). Blausäure und Cyanid-Salze sind sehr giftig[1], während organische Cyanide eine geringere Toxizität aufweisen[2]. Toxisch wirksam ist dabei das Cyanid-Ion. Dieses bindet an das Eisenatom der Cytochrom-c-Oxidase des Mitochondriums, wodurch das Enzym blockiert wird. Damit hört die Zellatmung auf, was letztlich zu einer sogenannten „inneren Erstickung“ führt.

Vergiftungen mit diesen Substanzen können im industriellen und gewerblichen Bereich als Unfälle, aber auch im Privatbereich in Folge absichtlicher Giftbeibringung bei Mord und Selbstmord vorkommen. Das Gift kann entweder als gasförmige Blausäure über die Lunge aufgenommen werden (Einatmen von cyanidhaltigem Brandrauch), in flüssiger Form (Zerbeißen einer Blausäure-Kapsel im Mund), aber auch oral als Salz (Verschlucken von Kaliumcyanid). Ebenso ist eine Giftaufnahme über die Haut möglich.

Vergiftungen

Blausäure

Blausäure (Cyanwasserstoff) ist wegen seines niedrigen Siedepunktes von 25,7 °C insbesondere in flüssiger Form gefährlich zu handhaben. Auch bei Raumtemperatur hat Blausäure einen hohen Dampfdruck und ist dementsprechend leicht flüchtig. Blausäure bildet mit Luft in Konzentrationen über 5,6 % explosionsfähige Gemische. Während der charakteristische Bittermandelgeruch von den meisten Menschen sehr empfindlich wahrgenommen wird, können 30 bis 40 % der Menschen den typischen Geruch von Blausäure genetisch bedingt gar nicht wahrnehmen.[3][4] Eine Vergiftung kann deswegen leicht auch durch Einatmen (inhalativ) erfolgen. Es müssen daher besondere Sicherheitsmaßnahmen beim Umgang mit Blausäure getroffen werden. Blausäure diffnundiert sehr leicht durch Zellmembrane. Als sehr schwache Säure liegt sie gelöst in Wasser liegt zu 98% in undissoziierter Form vor [5].

Bei Inhalation einer letalen Dosis gasförmiger Blausäure oder beim Verbringen von flüssiger Blausäure in den Mundraum tritt sofortige Bewusstlosigkeit und innerhalb von Sekunden (bereits ab 2-3 Atemzüge) der Tod ein, da das lipophile Blausäure-Molkül über Lunge und Schleimhäute sehr schnell aufgenommen werden kann. Bei einem Suizid wird häufig Kaliumcyanid mit sauren Lösungen versetzt und hierdurch vor der Einnahme in Blausäure umgewandelt[6]. Diese angesäuerte blausäurehaltige Lösung wird sodann in den Mundraum verbracht. Für die Rettungkräfte und Ersthelfer besteht beim Kontakt mit einer angesäuerten Lösung von Kaliumcyanid bei Wiederbelebungsversuchen akute Lebensgefahr.

Zu unbeabsichtigten Vergiftungen mit gasförmiger Blausäure kann es im gewerblichen Bereich durch Einatmen von Blausäure bei der Galvanisierung oder der Schädlingsbekämpfung und in Laboratorien kommen. Auch Rauchgase können bei unvollständiger Vebrennung von stickstoffhaltingen Verbindungen, wie Federn, Wolle und Kunststoffen (z. B. Polyacrylnitril, Polyurethanschaum) ebenfalls größere Mengen Blausäure enthalten.

Aufgrund des ultraschnellen Wirkungseintritts bei einer Blausäure-Vergiftung gab es Spekulationen über den Tod von Adolf Hitler bezüglich dessen Handlungsfähigkeit. Fraglich war, ob dieser nach dem Zerbeißen einer Cyanid-Kapsel noch in der Lage war, den Abzug einer Pistole zu betätigen und sich in den Schläfenlappen zu schießen [7][8].

Toxizität von Blausäure
Die Aufnahme der Blausäure kann durch direkte Einnahme, über die Atemwege oder über die Haut erfolgen. Blausäure ist extrem giftig, schon 1–2 mg Blausäure pro kg Körpermasse wirken tödlich.

Konzentration in Luft
(ppm)
Auswirkungen[9]
2–5 Wahrnehmungsgrenze durch Geruch
10 PEL Expositionsgrenze
20–40 Leichte Symptome nach mehreren Stunden
45–54 30 bis 60 Minuten lang tolerierbar
ohne sofortige oder nachträgliche Schädigung
100–200 Tödlich nach 30 bis 60 Minuten
300 Sofort tödlich (ohne erste Hilfe)

Salze der Blausäure

Werden die Salze der Blausäure (z.B. Kaliumcyanid) geschluckt, so tritt der Tod erst nach einigen Minuten (15 min bis 1 Stunde) ein, da das Cyanid-Ion durch die Magensäure mittels einer Protonierungsreaktion erst in resorbierbare Blausäure umgewandelt werden muss [10]. Der Tod erfolgt dann qualvoll unter akuter Atemnot, Kopfschmerzen, Übelkeit und Krämpfen aufgrund einer Atemlähmung.

Organische Cyanide

Organische Cyanide sind in cyanogenen Nahrungspflanzen (Bittermandel, Maniokknollen) – meist als Cyanogene Glycoside – enthalten. Die letale Dosis liegt bei etwa 60 - 80 Bittermandeln bei einem Erwachsenen und etwa 10 Bittermandeln für ein Kind.

Mechanismus einer Cyanidvergiftung

Toxisch wirksam ist das Cyanid-Ion. Es wird entweder als HCN über die Lunge oder als Cyanid oral aufgenommen und dann im Magen durch die Magensäure in HCN umgewandelt. Das HCN gelangt in die Zelle und zu den Mitochondrien. Dort hemmt es die Atmungskette so dass der Sauerstoff von der Zelle nicht mehr verarbeitet wird (ATP-Verarmung, innere Erstickung, Lactazidose).

Die Blockade erfolgt durch eine chemische Bindung des Cyanid an das Fe3+-Ionen des Enzyms Cytochrom c Oxidase im Mitochondrium, welches in Folge den Sauerstoff nicht mehr zur Energiegewinnung aktivieren kann. Da der Sauerstoff von den Zellen nicht verwertet werden kann, ist das venöse Blut weiterhin mit Sauerstoff angereichert. Eine hellrote Färbung der Haut ist deswegen trotz ausgeprägter Atemnot ein typisches Anzeichen einer Vergiftung mit Cyaniden.

An das Fe2+-Ion des Hämoglobins ist das Cyanid vergleichsweise schwach gebunden, so dass eine Inaktivierung des Hämoglobins bei einer Vergiftung mit Cyaniden eine untergeordnete Rolle spielt.

Vergiftungssymptome

Eine ausbleibende Zyanose trotz Atemnot und gleichzeitiger Bittermandelgeruch sind die Anzeichen einer Cyanidvergiftung. Bei einem Tod durch Blausäure tritt eine hellrote Färbung der Haut auf. Ebenso sind die Leichenflecke ähnlich wie bei einer Kohlenstoffmonoxid-Vergiftung leuchtend rot. Die hellrote Färbung kommt dadurch zustande, dass auch venöses Blaut weiterhin mit Sauerstoff gesättigt ist, da diese aufgrund einer Blockade der inneren Atmung von den Zellen nicht verwertet werden konnte. Bei einer Vergiftung mit hohen Konzentrationen kann allerdings die hellrote Färbung der Haut ausbleiben.

Bei einer inhalativen Vergiftung mit sehr hohen Konzentrationen kommt es nach wenigen Sekunden zur Hyperventilation, Atemstillstand, Bewusstlosigkeit und innerhalb von wenigen Minuten zum Herzstillstand.

Therapie

Entgiftung
Die körpereigene Entgiftung von kleinen Mengen geschieht rasch durch Kopplung von Cyanid an Schwefel in der Leber (Leberenzym ist Rhodanese) zu Rhodanid, welches anschließend ausgeschieden wird. Die körpereigene Entgiftungskapazität liegt bei 0,1 – 1 mg/kg/h. [11]. Um die körpereigene Entgiftung zu beschleunigen werden größere Mengen Schwefel zugeführt (intravenöse Gabe von Natriumthiosulfat oder S-Hydril).

Antidot
Die körpereigenen Entgiftung reicht bei einer Akutvergiftung jedoch nicht aus und deswegen wird durch Gabe von 4-DMAP ungefähr ein Drittel des Vorhanden Fe2+ des Hämoglobin in Fe3+ umgewandelt. Das umgewandelte Fe3+ (Methämoglobin) bindet das Cyanid-Ion stärker, so dass immer weniger Cyanid an das Cytochrom in den Mitochandrien gebunden ist und dieses stattdessen an das Methämoglobin gekoppelt wird, wodurch die Blockade der inneren Atmung gelöst wird. Weitere Möglichkeiten, um das Hämoglobin in Methämoglobin umzuwandeln ist die Gabe von Hydroxycobalamin (Handelsname: Cyanokit® in der EU seit 2007 zugelassen).[12] [13]. Gemessen am gesamten Hämoglobin genügt schon eine geringe Menge an Methämoglobin-Bildung, um einen großen Teil der Cyanidionen zu binden. Die Wirksamkeit dieser Gegenmittel hängt allerdings von der Hämoglobinkonzentration im Blut ab. Bei Brandgasinhalation muss unbedingt beachtet werden, dass durch eine gleichzeitig vorliegende Kohlenmonoxidvergiftung größere Mengen Hämoglobin bereits gebunden sind und keinen Sauerstoff mehr transportieren können. Dies birgt bei der Behandlung, die bis zu einem Drittel des Hämoglobins umwandelt, die große Gefahr einer tödlichen Hypoxie.

Die Anwendung von Hydroxycobalamin hat ein gutes Nutzen-Risiko-Verhältnis und sollte daher bereits im Verdachtsfall verabreicht werden.Für dieses Antidot bestand bisher keine offizielle Zulassung in Deutschland, es wurde aber in einzelnen Regionen versuchsweise verwendet (etwa Berufsfeuerwehr München). 4-DMAP ist nur das Mittel zweiter Wahl, da 4-DMAP selbst bei Überdosierung zu Vergiftungen führen kann. Es sollte nur bei gesicherter Diagnose einer Cyanidvergiftung angewendet werden. Bei einer Cyanid-Rauchgas-Vergiftung ist 4-DMAP kontraindiziert, weil es die gleichzeitig bestehende Kohlenmonoxidvergiftung sogar verschlimmert.

Als weitere Maßnahme könnte Isoamylnitrit zur Inhalation verabreicht werden, welches ebenfalls eine Methämoglobinbildung bewirkt; diese Maßnahme sollte wegen der Gefahr eines starken Blutdruckabfalls allerdings nur mit Vorsicht angewandt werden. In Deutschland befindet sich kein Präparat mit diesem Wirkstoff auf dem Markt; andere NO-Donatoren wie Glyceroltrinitrat bewirken nur eine sehr geringe Methämoglobinbildung und sind nicht als Antidot geeignet.

Es sind ebenfalls Fälle bekannt, in denen Kelocyanor als wirksames Antidot eingesetzt wurde, indem es Cyanidionen bindet. [14]

Einzelnachweise

  1. Franz-Xaver Reichl, Jochen Benecke: Taschenatlas der Toxikologie, S. 134
  2. Nitrile. In: Römpp Online. Georg Thieme Verlag, abgerufen am 19. Dezember 2013.
  3. Chemie im Alltag: Tödlicher Giftanschlag auf BASF Mitarbeiter, 2006
  4. Universität Freiburg: Einführungskurs zu den Grundpraktika in Anorganischer und Analytischer Chemie, Vorlesungsscript Wintersemester 2006/2007
  5. Tachenatlas der Toxikologie S. 134
  6. Rechtsmedizin (1999) 9 S. 56-61, Handlungsfähigkeit bei tödlichen oralen Intoxikationen mit Cyan-Verbindungen, Springer-Verlag 1999
  7. Rechtsmedizin (1999) 9 S. 56-61, Handlungsfähigkeit bei tödlichen oralen Intoxikationen mit Cyan-Verbindungen, Springer-Verlag 1999
  8. http://link.springer.com/article/10.1007%2Fs001940050080#page-2
  9. Maxwell, G.R. et al., Journal of Hazardous Materials, 142 (2007) 677-684.
  10. Taschenatlas der Toxikologie, Franz-Xaver Reichl, Jochen Benecke, S. 135
  11. Taschenatlas der Toxikologie, Reichl und Benecke, S. 134
  12. Hydroxocobalamin for Acute Cyanide Poisoning: New Data from Preclinical and Clinical Studies; New Results from the Prehospital Emergency Setting; Richard C. Dart; 2006, Vol. 44, No. s1 ,
  13. Indikation von Hydroxycobalamin bei der Cyanidvergiftung aus Klinik und Forschung 2013
  14. The use of dicobalt edetate (Kelocyanor) in cyanide poisoning. Abgerufen am 12. Dezember 2013.
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