Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Diskussion:Gábor Hirsch

Aus Jewiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

tachles-Newsletter vom 24.8.2020:


Der Gründer der Schweizer Kontaktstelle für Überlebende des Holocaust ist am Donnerstag gestorben.

Sein Leben lang arbeitete Gábor Hirsch als Elektro-Ingenieur. In der Öffentlichkeit bekannt wurde er als Überlebender des Holocaust und er gab anderen Überlebenden während der Debatte um die Schweiz im Zweiten Weltkrieg eine Stimme. 1995 gründete er gemeinsam mit dem Mengele-Zwilling Otto Klein die Kontaktstelle für Überlebende des Holocaust. Neben Vermittlung und Aufklärung, diente die Kontaktstelle auch als Informationszentrum für Überlende zu Fragen von Entschädigungen und Hilfeleistungen. Gábor Hirsch, wurde am 9. Dezember 1929 im ungarischen Békéscsaba geboren. Ungarn wurde am 19. März 1944 von Deutschland besetzt, und bis Mai waren die rund 2500 Juden von Békéscsaba in 100 jüdischen Häusern in der Nähe der Synagoge konzentriert. Mitte Juni wurden alle Juden in das Ghetto Békéscsaba in einer Tabakfabrik geschickt. Gábors Vater musste militärische Zwangsarbeit leisten, Gábor und seine Mutter wurden mit einem Viehwagen mit 3'118 Personen am 29. Juni 1944 in ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Gábor Hirsch überlebte auf abenteuerliche Weise bis die sowjetische Armee das Lager am 27. Januar 1945 befreite. In verschiedenen DP-Lagern kam er zu Kräften, bevor er sich mit seinem Vater in Budapest wieder traf. Die Mutter wurde im Lager Stutthof ermordet. Hirsch absolvierte ein technisches Gymnasium und setzte sein Studium an der Universität fort. Während der ungarischen Revolution wanderte er 1956 in die Schweiz aus, wo er seinen Abschluss als Elektrotechniker machte und eine Familie gründete. Noch im Janur 2020 nahm Gabor Hirsch an der 75-Jahr-Feuer in Auschwitz Teil. Seine Söhne Michael und Mathias begleiteten ihn. Bis vor kurzem hielt er noch Vorträge oder berichtete als Zeitzeuge in Schulen. Die Beerdigung findet am 25. August aufgrund der Pandemie-Regelungen im engsten Familienkreis auf dem Friedhof der Jüdischen Liberalen Gemeinde Or Chadasch statt.

--

Anita Winter, Ende August 2020:

Beruflich war Gabor Hirsch ein erfolgreicher Elektroingenieur; seine eigentliche Berufung erwuchs aber aus seiner Rolle als Zeitzeuge des Holocaust: Der Gründer der Kontaktstelle für Überlebende berichtete bis kurz vor seinem Tod in tief beeindruckender Art und Weise über seine Erinnerungen an den Holocaust. Er hatte das Schlimmste überlebt. Seine Berichte waren nüchtern und erreichten gerade deshalb eindrücklich seine Zuhörerinnen und Zuhörer.


Die letzte Erinnerung an seine Mutter ist beispielhaft für die Art, wie Gabor über seine schrecklichen Erlebnisse berichtete: «In Auschwitz arbeitete ich einmal hinter dem Frauenlager – wir mussten Grasziegel stechen. Ich wollte meine Mutter nochmals sehen und hatte ihr extra meine Portion Brot mitgebracht. Tatsächlich konnten wir nochmals ein paar Worte miteinander wechseln. Aber mein Brot konnte ich ihr nicht geben. Stattdessen gab sie mir ihre Portion Brot. Das war das letzte Mal, dass ich meine Mutter gesehen habe.» Einfache, klare Worte

Mit dieser Art der nüchternen Beschreibung wurde Gabor Hirsch zu einer markanten Stimme gegen das Vergessen in unserem Land. Ich erinnere mich an den letzten grossen Auftritt des Holocaust-Überlebenden vor Schülerinnen und Schülern im März dieses Jahres: Ich begleitete ihn an jenem Tag und beobachtete, wie er vor Hunderten von Schülern sprach. Er fesselte sie mit seiner direkten, authentischen Erzählweise: Während er den Alltag in Auschwitz beschrieb, krempelte er plötzlich die Ärmel hoch, um seine eintätowierte Häftlingsnummer B-14781 zu zeigen.

Die tiefe Betroffenheit der jungen Zuhörerinnen und Zuhörer war im Saal deutlich zu spüren. Mit einfachen, klaren Worten berichtete er von den Schrecken der Shoah, davon, wie er entrechtet und gedemütigt wurde, aber auch davon, wie er den Holocaust überlebte und danach weiterlebte.

Solche Vorträge in Schulen oder Universitäten hielt er bis kurz vor seinem Tod: Unermüdlich berichtete er als einer der letzten Zeitzeugen über diese furchtbare Ära – auch aus Verpflichtung gegenüber den Millionen Menschen, die nicht mehr sprechen können. Diese Unermüdlichkeit legte die Grundlage für seine Bedeutung in der Schweiz. Nur wenige Überlebende können heute noch über die Naziherrschaft erzählen.

Der gebürtige Ungar wurde deshalb zu einem unersetzbaren Botschafter. Eine Stimme gegen das Vergessen. Gabor Hirsch war davon überzeugt, dass die Erinnerung und das weitergegebene Wissen präsent bleiben müssen: Nur dann würde sich die Geschichte nicht wiederholen. Und deshalb nahm er die grosse Arbeit des unermüdlichen Aufklärers auf sich – und zwar vor und mit allen Generationen. «Mit uns reden»

Genauso wie er vor jungen Menschen sprechen konnte, vermochte er auch gegenüber Politikern aufzutreten: Am 19. Januar empfing Bundespräsidentin Sommaruga Überlebende des Holocaust für einen persönlichen Austausch zu einem Mittagessen in Bern. Während dieser Begegnung formulierte Gabor Hirsch einen Satz, den wir alle nicht vergessen sollten: «Man soll nicht über uns, sondern mit uns reden.» Dieses «mit uns reden» wird aber immer schwieriger, weil die Zahl der Zeitzeugen immer kleiner wird.

Wir können Gabor Hirsch nicht genug dafür dankbar sein, dass er jahrelang die Kraft aufbrachte, uns über seine Erfahrungen und Erinnerungen zu berichten – Erinnerungen, die manchmal fast nicht in Worte zu fassen sind. Auch deshalb kann seine Lebensleistung nicht hoch genug geschätzt werden. Der Tod von Gabor Hirsch erinnert daran, dass die Verantwortung, die Erinnerungen an den Holocaust wachzuhalten, immer mehr von den nachwachsenden Generationen übernommen werden muss.

Gabor Hirsch wollte die Menschen vor den Gefahren von Rechtsextremismus und Rassismus warnen und darauf hinweisen, wohin solche Tendenzen führen können. Er trat unermüdlich für den Rechtsstaat und eine starke Demokratie ein. Diese Arbeit muss nun ohne ihn weitergeführt werden. Gabor Hirschs Erbe verpflichtet. Wir haben einen herzensguten Menschen, Freund, Lehrer und Mentor verloren, den alle, die ihm begegnet sind, nie vergessen werden.