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Entfremdete Arbeit
Die entfremdete Arbeit (auch entäußerte Arbeit) ist ein von Karl Marx geprägtes Konzept der Entfremdung im Kapitalismus. In einem weiteren Sinn stellt Arbeit für Marx eine zentrale Kategorie dar, um Entfremdung in unterschiedlichsten Gesellschaftsformationen zu begreifen.
„Ökonomisch-philosophische Manuskripte“
Das Konzept der entfremdeten Arbeit formulierte Marx in den zu Lebzeiten unveröffentlichten ökonomisch-philosophischen Manuskripten von 1844, welche das erste größere polit-ökonomische Werk von Marx darstellen und erst 1932 veröffentlicht wurden. Marx kam dort zu dem Schluss, dass der Arbeiter durch seine Tätigkeit fortwährend einen immer größeren, ihm fremden Reichtum in Form von Privateigentum in den Händen der Kapitalistenklasse produziert, vermittels welchem er erneut ausgebeutet wird. Das Privateigentum wäre daher Produkt der entfremdeten Arbeit, wie auch Mittel, durch welches sich die Entäußerung der Arbeit beständig weiter realisiert. Der Arbeiter produziert daher in seiner Tätigkeit nicht nur eine anwachsende Zahl ihm fremder Waren, mit ihnen reproduziert er auch zugleich das ihn ausbeutende Lohnarbeitsverhältnis selbst und die Warenförmigkeit seiner Arbeit. Mit der fortlaufenden „Verwertung der Sachenwelt“ nehme die „Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu.“ Der Arbeiter werde umso ärmer, je mehr Reichtum er produziert. Die Entfremdung durch das Lohnarbeitsverhältnis zwischen Arbeiter und Kapitalist manifestiere sich in vier Formen:
- Dem Arbeiter tritt sein Arbeitsprodukt als fremdes Wesen und unabhängige Macht gegenüber. Sein Arbeitsprodukt gehört nicht ihm, sondern einem Anderen.
- Die eigene Tätigkeit ist eine fremde, dem Arbeiter nicht angehörige Tätigkeit. Die Arbeitstätigkeit befriedigt keine Bedürfnisse des Arbeiters, sie dient nur als Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen, so dass die Arbeit als eine Pest geflohen wird, sofern kein materieller Zwang herrscht. Die Äußerlichkeit der Arbeit zeige sich darin, dass die Arbeitsverausgabung dem Arbeiter nicht eigen ist, sondern einem anderen gehört.
- Sowohl der Gattungscharakter des Menschen, die freie und bewusste Tätigkeit, wie sein Gattungsleben, die Bearbeitung der Umwelt und der Gesellschaft, sind dem Arbeiter nicht möglich, sein Gattungswesen ist ihm entfremdet.
- Eine unmittelbare Konsequenz aus der Entfremdung von Arbeitsprodukt, Tätigkeit und dem menschlichen Wesen ist die Entfremdung des Menschen von dem Menschen.
Veränderungen in den „Thesen über Feuerbach“ und „Die deutsche Ideologie“
Marx war zur Zeit der Abfassung der ökonomisch-philosophischen Manuskripte in seiner Argumentation noch stark von den Begrifflichkeiten Ludwig Feuerbachs beeinflusst, was sich beispielsweise in den Überlegungen zur Entfremdung des Gattungswesens widerspiegelt. 1845 kritisierte Marx in den ebenfalls zu Lebzeiten unveröffentlichten, und erst 1888 von Friedrich Engels herausgebrachten Thesen über Feuerbach den feuerbachschen Materialismus und sein Menschenbild. Feuerbach würde den Menschen und die Natur als fertige Gegenstände ansehen, und nicht erkennen, dass die Menschen ihre Umwelt und sich selbst bearbeiten und verändern. Das menschliche Wesen müsse daher als Ensemble der konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse aufgefasst werden, und nicht als ein außerhalb der wirklichen Lebensprozesse der Menschen sitzendes Abstraktum. Jene Phänomene der Wirklichkeit, welche unter dem Konzept der Entfremdung gefasst wurden, so wird in der ebenfalls erst 1932 veröffentlichten Schrift Die deutsche Ideologie (1845/46) festgehalten, könnten nicht aus einer Idee, oder einem abstrakten menschlichen Wesen begriffen werden. Die Entfremdung muss aus den wirklichen gesellschaftlichen Widersprüchen gewonnen werden, welche die Menschen in ihrem Lebensprozess eingehen müssen. Um jene Phänomene zu bekämpfen, die als Entfremdung gefasst wurden, kann nicht an eine Idee oder das abstrakte menschliche Wesen appelliert werden, es müssen jene gesellschaftlichen Verhältnisse verändert werden, welche die Entfremdung produzieren.
In der Schrift Die deutsche Ideologie problematisiert Marx zudem noch den Begriff der Entfremdung dahingehend, dass dieser idealistisch vorgeprägt wäre und daher oftmals falsch interpretiert werden könnte. So spricht er dort auch nur von „Entfremdung“, „um den Philosophen verständlich zu bleiben.“ Er meint hier mit Entfremdung vor allem, dass die hierarchische gesellschaftliche Teilung der Arbeit, die Festsetzung der sozialen Tätigkeit, kurz die Bildung von Klassen und die damit verbundene Verfügung über fremde Arbeitskraft, die Individuen in ihrer freien Entwicklung einschränkt. Das gesellschaftliche Zusammenwirken in der Produktion des Lebens erscheint den Individuen nicht als ihre eigene Macht, sie ist eine fremde, außer ihnen stehende, durch die gesellschaftlichen Beziehungen vermittelte Gewalt. Dieser Umstand könne nur dadurch aufgehoben werden, dass die Menschen einerseits ihre eigenen Kräfte als gesellschaftliche erkennen und organisieren, sie die gesellschaftlichen Widersprüche, die sich aus den konkreten gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen ergeben, erkennen und aufheben. Andererseits sind umfassend entwickelte Produktivkräfte eine Voraussetzung, und eine Aufhebung der hierarchischen Teilung der Arbeit zu ermöglichen. Somit könnte der Mensch seine Umwelt bewusst tätig gestalten und verändern, sein gesellschaftliches Sein würde ihm nicht mehr als fremde, ihn bestimmende Macht gegenüberstehen, sondern als eine Ermöglichung zu umfassender individueller Entfaltung.
„Das Kapital“
In Marx ökonomischen Hauptwerk, dem Kapital, bildet entfremdete Arbeit keine theoretische Kategorie. Marx nutzt nur gelegentlich den Begriff in unterschiedlichen Zusammenhängen. Ob er das Konzept der Entfremdung in seine Theorie der kapitalistischen Produktionsweise systematisch integriert hat, oder ob er andere Konzepte dabei anwendete, ist umstritten.
Beispielsweise merkt Marx an, das die „verselbständigte und entfremdete Gestalt, welche die kapitalistische Produktionsweise überhaupt den Arbeitsbedingungen und dem Arbeitsprodukt gegenüber dem Arbeiter gibt“, sich mit „der Maschinerie zum vollständigen Gegensatz“ (MEW 23: 455) entwickle. Diese Überlegung formuliert er im Zusammenhang mit der Produktion des relativen Mehrwerts (Steigerung des Mehrwerts durch Produktivitätssteigerung) und der reellen Subsumtion der Arbeitskraft unter das Kapital. In der großen Industrie wären nicht die Werkzeuge Mittel der Arbeitenden, sondern die Arbeitenden nur Beiwerk zur Produktionsmaschinerie.
An anderer Stelle formuliert er ähnlich wie in der deutschen Ideologie Entfremdung als Macht, die aus den gesellschaftlichen Beziehungen erwächst und den Akteuren als fremde Macht gegenübertritt. So schreibt er, das Kapital zeige „sich immer mehr als gesellschaftliche Macht ... – aber als entfremdete, verselbständigte gesellschaftliche Macht, die als Sache, und als Macht des Kapitalisten durch diese Sache, der Gesellschaft gegenübertritt.“ (MEW 23: 274)
In einer Zusammenfassung bestimmter Ausführungen im Kapital greift Marx einige Punkte entfremdeter Arbeit auf, wie er sie schon in den ökonomisch-philosophischen Manuskripten formulierte:
- „Einerseits verwandelt der Produktionsprozeß fortwährend den stofflichen Reichtum in Kapital, in Verwertungs- und Genußmittel für den Kapitalisten. Andrerseits kommt der Arbeiter beständig aus dem Prozeß heraus, wie er in ihn eintrat – persönliche Quelle des Reichtums, aber entblößt von allen Mitteln, diesen Reichtum für sich zu verwirklichen. Da vor seinem Eintritt in den Prozeß seine eigne Arbeit ihm selbst entfremdet, dem Kapitalisten angeeignet und dem Kapital einverleibt ist, vergegenständlicht sie sich während des Prozesses beständig in fremdem Produkt. Da der Produktionsprozeß zugleich der Konsumtionsprozeß der Arbeitskraft durch den Kapitalisten ist, verwandelt sich das Produkt des Arbeiters nicht nur fortwährend in Ware, sondern in Kapital, Wert, der die wertschöpfende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kaufen, Produktionsmittel, die den Produzenten anwenden. Der Arbeiter selbst produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eignen Vergegenständlichungs- und Verwirklichungsmitteln getrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter. Diese beständige Reproduktion oder Verewigung des Arbeiters ist das sine qua non der kapitalistischen Produktion.“ (MEW 23: 595f.)
Rezeption
Entscheidende Werke der marxschen Entfremdungstheorie wurden erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts veröffentlicht, weshalb sich frühere marxistische Theoretiker mit diesen marxschen Überlegungen nicht in selber Weise auseinandersetzen konnten wie spätere. Mit der Veröffentlichung setzte ein Boom an Rezeptionen ein, die oftmals versuchten, die marxsche Theorie im Kontext der veränderten Quellenlage neu zu interpretieren. Besonders die ökonomisch-philosophischen Manuskripte wurden dabei herangezogen um sie der realsozialistischen Praxis gegenüberzustellen.
Die Rezeption lässt sich grob in zwei Richtungen unterteilen. Die eine sah in dem Frühwerk die philosophische Basis für die späteren ökonomischen Studien bzw. das philosophische Grundprogramm von Marx. Sein Werk drehe sich um die Bedingungen zur Aufhebung der Entfremdung der Menschen in der modernen Gesellschaft und damit um die Emanzipation des Menschen. Andere betonten dagegen den theoretischen Bruch zwischen dem Frühwerk und den späteren - marxistischen - Werken. Marx argumentiere in seinem Frühwerk noch in der Gedankenwelt Feuerbachs und Hegels. Er greife beispielsweise immer wieder auf die feuerbachsche Fassung des Gattungswesen des Menschen (wie er sie in den Thesen über Feuerbach kritisiert) zurück und denke auch sonst in Kategorien Feuerbachs und Hegels. Die theoretische Revolution von Marx würde gerade in dem Bruch mit Hegel und Feuerbach bestehen. Der später von Marx praktisch aufgegebene Begriff der Entfremdung deute darauf hin, dass er dieses theoretische Konzept durch andere Konzepte ersetzte. Die in den ökonomisch-philosophischen Manuskripten formulierten Thesen können daher nach dieser Sichtweise nicht als philosophisches Programm von Marx verstanden werden.
Literatur
- Karl Marx, Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie, 1845/46 (Erstveröffentlichung 1932)
- Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 1844 (Erstveröffentlichung 1932)
- Karl Marx: Thesen über Feuerbach, 1845 (Erstveröffentlichung 1888)
- Karl Marx: Das Kapital, 1867
- István Mészáros: Der Entfremdungsbegriff bei Marx, List Taschenbücher der Wissenschaft Band 1607, Entwicklungsaspekte der Industriegesellschaft, München 1973
Weblinks
- Entfremdung auf marx-forum.de
- Marxism & Alienation im Marxists Internet Archive
- David McLellan: Aliennation in Hegel and Marx; in: Philip P. Wiener [Hg.]: The Dictionary of the History of Ideas: Studies of Selected Pivotal Ideas, Charles Scribner's Sons: New York, 1973-74.
- Ingo Elbe: Entfremdete und abstrakte Arbeit. Marx’ "Ökonomisch-philosophische Manuskripte" im Vergleich zu seiner späteren Kritik der politischen Ökonomie
- Dolf Schiesser: Ökonomie und Entfremdung
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