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Geschichte Prags

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Selten ist eine Hauptstadt so eng mit der Geschichte ihres Landes verknüpft wie Prag. Dadurch gibt es zwischen der Geschichte der Stadt Prag und der Geschichte Tschechiens beziehungsweise Böhmens Überschneidungen. Zur Unterstützung beim Lesen und um die Ereignisse geschichtlich besser einordnen zu können hilft die Liste der böhmischen Herrscher.

Ur- und Frühgeschichte

Das bereits im Paläolithikum begangene fruchtbare Prager Becken gehört zu den nahezu durchgängig und am dichtesten besiedelten Gebieten Böhmens. Archäologische Ausgrabungen, die eine lange Tradition in der Region haben, erbrachten zahlreiche Siedlungs- und Grabfunde aus dem Neolithikum, der Bronze- und Eisenzeit. Die in der La-Tène-Zeit in Böhmen siedelnden Kelten bezeichneten sich selbst als Boier. Von besonderer Bedeutung ist das späthallstatt- und La-Tène-zeitliche Oppidum Závist im südlichen Prager Stadtgebiet. Im 1. Jahrhundert n. Chr. wanderten germanische Gruppen aus dem Norden in die Gegend um Prag ein und schlossen sich den Markomannen unter Marbod an. Im Zuge der Völkerwanderung wurde das Prager Becken von den inzwischen hier lebenden Langobarden im 6. Jahrhundert weitestgehend geräumt.

Die frühmittelalterliche Besiedlung

In der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts wanderten Slawen nach Böhmen ein und ließen sich auf dem heutigen Stadtgebiet nieder. Von besonderer Bedeutung ist die frühslawische Siedlung bei Roztoky im Norden von Prag, die sich am linken Ufer der Moldau erstreckte. Siedlungsfunde des 6./7. Jahrhunderts sind jedoch auch in den anderen, insbesondere den nördlichen, Stadtteilen wie Bubeneč, Dejvice, Veleslavín und Bohnice bekannt, doch wurden sie meist schon Anfang des 20. Jahrhunderts weitestgehend undokumentiert zerstört. Frühslawische Brandgräber konnten unter anderem in Hradčany, Dejvice und wiederum in Bohnice ausgegraben werden.

Im Laufe des 8. und 9. Jahrhunderts verdichtete sich die Besiedlung weiter und es wurden erste, leicht befestigte Burgwälle wie in Butovice oder auf dem Sporn Zámka bei Bohnice angelegt. Im 9. Jahrhundert entstand auf dem hervorragend natürlich geschützten Berg Šárka ein Burgwall, der wohl eine zentrale Funktion für das Umland einnahm.

Die ältesten Burgen und Siedlungen des Mittelalters

Die älteste nachweisbare mittelalterliche Ansiedlung im inneren Stadtgebiet ist die Prager Burg auf dem Hradschin (Hradčany), die in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts durch das tschechische Herrschergeschlecht der Přemysliden gegründet wurde. Hier wurden am Ende des 9. Jahrhunderts und im Laufe des 10. Jahrhunderts auch die ersten christlichen Kirchen errichtet. Zur selben Zeit existierten auch bereits Ansiedlungen im Bereich der heutigen Kleinseite (Malá Strana) sowie des Loreto- (Loretánské náměsti) und des Hradschinplatzes (Hradčanské náměsti).

Unter den Přemysliden, die sich gegen konkurrierende Geschlechter durchsetzen konnte, wurde Prag mehr und mehr zum politischen und wirtschaftlichen Zentrum des Landes. Nachdem in Böhmen von Kaiser Otto 973 unter Boleslav II. ein selbständiges Bistum eingerichtet wurde, wurde Prag der Sitz des Bischofs und unterstand nun dem Erzbistum Mainz, nachdem das Gebiet des Bistums zuvor kirchlich zum Bistum Regensburg gehört hatte. Das Bistum Prag wurde 1344 zum Erzbistum erhoben und damit vom Erzbistum Mainz unabhängig.

Um 965 besuchte der jüdisch-arabische Kaufmann Ibrahim ibn Jaqub die Stadt und gab einen eindrucksvollen Bericht über dieses weitbekannte Handelszentrum. Lange wurde an dem Wahrheitsgehalt gezweifelt, doch haben archäologische Ausgrabungen der letzten Jahrzehnte in der Kleinseite seine Angaben bestätigt.

In der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts wurde auf der gegenüberliegenden Seite der Moldau eine zweite Burg gegründet: der Vyšehrad. Fürst Vratislav II. (1061–1092, seit 1085 König von Böhmen) verlegte um 1070 seine Residenz von der Prager Burg auf den Vyšehrad, gründete das Kollegiatstift St. Peter und Paul und ließ neben einem romanischen Palast auch weitere Kirchen errichten.

Im Schutz der beiden Burganlagen ließen sich im 11. und 12. Jahrhundert entlang der Moldau und der verbindenden Wege deutsche und jüdische Kaufleute sowie einheimische Handwerker nieder. Ein wesentlicher Grund dafür war die Lage an der Kreuzung wichtiger Handelsstraßen und die Existenz zweier Furten durch die Moldau. Die losen Ansiedlungen besaßen zumeist schon eigene Pfarr- und Friedhofskirchen. Seit dem späten 12. Jahrhundert waren die beiden Seiten des Flusses durch die steinerne Judith-Brücke verbunden, die auf hölzerne Vorgänger aus dem späten 9. und 10. Jahrhundert zurückgeht.

Die Gründung der Altstadt um 1230/34

König Wenzel I. ließ um 1230/34 die größte dieser romanischen Siedlungen an der Moldaubiegung befestigen und erteilte ihr das Stadtrecht. Prag wurde zur königlichen Residenzstadt der böhmischen Herrscher. Die Stadtbefestigung mit doppelter Mauer und Graben zerschnitt einerseits Siedlungen wie um St. Martin „in der Mauer“ (Kostel sv. Martina ve zdi), andererseits wurden bisher noch unbebaute Flächen in den Mauerring mit einbezogen, die nun jedoch recht zügig bebaut wurden. So gründete der spätere königliche Münzmeister Eberhard durch süddeutsche Kolonisten die Gallusstadt (Nova civitas circa S. Gallum; Havelské město), die bis zur Vereinheitlichung der Stadtrechte der Prager Altstadt um 1287 eine eigene Rechtsordnung besaß. Sie entstand um einen regelmäßig angelegten „Neuen“ Markt (Nové tržiště), der sich vom heutigen Obstmarkt (Ovočny trh) bis zum Kohlenmarkt (Uhelný trh) erstreckte.

Die Stadt auf der Kleinseite und die Stadt Hradschin

Wenzels Sohn Přemysl Ottokar II. vertrieb auf dem anderen Moldauufer die unterhalb der Burg ansässige tschechische Bevölkerung, siedelte 1257 norddeutsche Kolonisten an und gründete die erste Prager Neustadt (Nova civitas sub castro Pragensis), die heutige Kleinseite (Malá Strana), die er mit Magdeburger Stadtrecht versah. Als dritte Prager Stadt wurde vor 1320 wohl vom Burggrafen Hynek Berka von Dubá die abhängige Stadt Hradschin (Hradčany) angelegt.

Ausbau der Stadt unter Karl IV. und Wenzel IV. und die Anlage der Neustadt 1348

Altstädter Turm der Karlsbrücke, erbaut um 1400, Bild um 1900

Für die Stadtgeschichte Prags ist die Mitte und die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts von besonderer Relevanz. Während der Regierungszeit Karls IV. und seines Sohnes Wenzels IV. erlebte die Stadt den bisher umfassendsten Wandel hinsichtlich Bedeutung und Größe. Ziel der beiden Herrscher war der Ausbau Prags zur neuen Residenzstadt und würdigen Metropole nicht nur der Länder der böhmischen Krone, sondern des ganzen Heiligen Römischen Reiches. Noch während der Regierungszeit seines Vaters Johann von Luxemburg (der Blinde) ließ Karl im Jahr 1333 die durch einen Brand 1303 zerstörte Prager Burg auf dem Berg Hradschin wiederaufbauen. Elf Jahre später wurde auf sein Bemühen hin das Bistum Prag zum Erzbistum erhoben. Daraufhin begann auch der Neubau der St.-Veits-Kathedrale. Im Jahre 1346 wurde Karl IV. zum römisch-deutschen König gewählt und 1348 gründete er die Prager Universität als erste deutsche Universität sowie die riesige Prager Neustadt. Zur selben Zeit ließ er auch die zweite Prager Burg, den Vyšehrad, vergrößern und erneuern. Nachdem Karl 1355 zum Kaiser gekrönt worden war, begannen 1357 der Bau der heutigen Karlsbrücke mit dem Altstädter Brückenturm und 1360 die Erweiterung der Stadt auf der anderen Moldauseite, der Kleinseite, durch Errichtung einer neuen Befestigung. Der Bauaufschwung strahlte auch auf die älteste und bedeutendste Prager Stadtanlage, die Altstadt ab, in der fast alle Kirchen und zahlreiche profane Gebäude auf königliche oder private Initiative hin neu- oder umgebaut wurden. Die Bautätigkeit hielt auch nach dem Tod Karls IV. 1378 an, und zahlreiche Bauvorhaben konnten unter Wenzel IV. vollendet werden. Mit dessen Enthebung vom Königsthron im Jahr 1400 hörte Prag auf, Residenzstadt zu sein, und damit stoppten auch weitestgehend alle Bauvorhaben. Zu einem ersten erheblichen Rückschlag in der Entwicklung Prags kam es bereits beim Ausbruch der hussitischen Revolution 1419, als Prag zu einem großen Teil zerstört wurde.

Wappen der Prager Altstadt aus dem Jahre 1649 und gegenwärtig Wappen der Stadt Prag in leicht modifizierter Form
Wappen der Prager Neustadt aus dem Jahre 1649

Obgleich nur einige kirchliche und administrative Gebäude bis heute erhalten blieben, bestimmt die Anlage der Neustadt bis heute wesentlich das Stadtbild Prags. Bemerkenswert sind vor allem das systematische Vorgehen und die Regelhaftigkeit der 1348 begonnenen Neustadt, die durch drei große Märkte gegliedert wurde. Der Heumarkt (heute Hybernergasse/Hybernská ulice) und Rossmarkt (Wenzelsplatz/Václavské náměstí) mit einer Länge von fast 700 m wurden entlang älterer Handelswege angelegt und reichten jeweils von einem Tor der Altstadt bis zu einem neuen, als Teil der Befestigung der Neustadt errichteten Tor. Beim Viehmarkt (Karlsplatz/Karlovo náměstí) war dies nicht möglich, aber auch hier lief die über den Platz führende Straße vom Altstadt-Tor bis zum Haupttor des Vyšehrads. Von den entlang der Himmelsrichtungen beziehungsweise genau diagonal zu diesen errichteten Märkten aus wurden weitgehend rechtwinklig ausgerichtete Straßensysteme angelegt, was zu leichten Unregelmäßigkeiten führen musste, die aber geschickt ausgeglichen wurden. In unmittelbarer Nähe der Märkte wurde jeweils ein Kloster gegründet: St. Maria Schnee, St. Ambrosius und das Emmauskloster. Ebenso wurden die Geländedominanten der Neustadt durch großartige Kirchenarchitekturen hervorgehoben, wobei dem (auch aus Verteidigungsgründen) wichtigsten Ort, dem Karlshof, die größte Bedeutung zukam. Ähnlich der Ansiedlung von verschiedenen Orden wählte man auch die unterschiedlichsten kirchlichen Grundriss- und Raumdispositionen, vom einschiffigen Bau über Hallenkirchen und Basiliken bis zu Zentralbauten.

Die fünf wichtigsten Kirchenanlagen im weitgehend unbesiedelten Süden der Neustadt bilden die Enden und den Schnittpunkt eines imaginären Kreuzes, wodurch der Stadt nach mittelalterlicher Vorstellung ein besonderer Segen zukam. Ein weiteres Kreuz, das an seinen Enden ebenso mit städtebaulichen Dominanten besetzt war, formten der Rossmarkt und die beiden Verbindungsstraßen zu den anderen Märkten. Der Rossmarkt teilte die Neustadt in zwei Stadtteile und verband sie gleichzeitig. Zusätzlich zur Erweiterung der zahlreichen älteren Pfarrkirchen erhielten beide Teile je eine neue Pfarrkirche – die obere Neustadt die St.-Stephans-Kirche und die untere Neustadt die Kirche St. Heinrich und Kunigunde als die Hauptpfarrkirche der gesamten Neustadt –, die zumindest in der ursprünglichen Planung ein fast identisches Äußeres hatten.

Der Aufbau der Neustadt war wohl im Wesentlichen schon 1367 abgeschlossen, also zum Zeitpunkt der bald darauf wieder rückgängig gemachten Vereinigung mit der Altstadt. Prag wurde infolge der Maßnahmen Karls IV. mit rund 40.000 Einwohnern 1378 viertgrößte Stadt nördlich der Alpen nach Paris, Gent und Brügge. V. Lorenc rechnete sogar mit einer Gesamtzahl von 67.110 Einwohnern auf beiden Seiten des Flusses. Zählt man die bei dieser Berechnung noch nicht berücksichtigte Besatzung des Vyšehrads, die Geistlichen und die Angehörigen des Hofs und der Universität hinzu, ergibt sich eine Schätzung der Gesamtbevölkerung Prags in der Mitte des 14. Jahrhunderts von ungefähr 85.000 Einwohnern. Hinsichtlich ihrer Fläche war sie sogar die drittgrößte Stadt in Europa nach Rom und Konstantinopel. Die unter Karl IV. errichteten Stadtmauern umschlossen eine Fläche von 7,5 km², von denen allein ungefähr ein Drittel (rund 2,4 km²) auf die Neustadt entfiel.

Älteste überlieferte Ansicht Prags aus der 1493 gedruckten Schedelschen Weltchronik.

Hussitenzeit

Wachsende soziale und religiöse Spannungen, die in den unterschiedlich strukturierten Prager Städten besonders deutlich wurden, führten zu dem Aufstand der Hussiten, der mit dem ersten Prager Fenstersturz am 30. Juli 1419 begann und die Städte stark in Mitleidenschaft zog. Im Jahre 1422 wurde Jan Želivský, der Anführer der radikalen Hussiten, am Altstädter Ring hingerichtet.

Frühe Neuzeit

1526 trat die Habsburger Dynastie die Thronfolge an und hielt den Thron fast lückenlos bis ins Jahr 1918 inne. 1541 zerstörte ein Feuer die Gebäude auf dem Hradschin und der Kleinseite fast vollständig. 1546/47 beteiligten sich auch die Prager Städte am böhmischen Ständeaufstand gegen König Ferdinand I. Nach dessen Niederschlagung konnte der König im Juli 1547 mit seinen Truppen in die Moldaumetropole einziehen. Die Prager Städte verfielen dem königlichen Strafgericht und hatten zusammen mit den anderen utraquistischen Städten am meisten zu büßen. Sie verloren viele Rechte und Freiheiten und mussten hohe Strafgelder entrichten.

Unter Kaiser Rudolf II. (1576–1611) wurde Prag 1583 wieder Kaiserresidenz und somit Brennpunkt des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens in Mitteleuropa. In dieser Zeit kamen viele Deutsche, aber auch Angehörige anderer Nationalitäten als Neubürger nach Prag. Der Kaiser förderte auch die Wiederansiedlung der Juden in der Prager Altstadt. Die Stadt bekam so einen multikulturellen Charakter, nachdem sie seit der Hussitenzeit fast rein tschechisch gewesen war.

Dreißigjähriger Krieg

Prager Fenstersturz von 1618, der den Dreißigjährigen Krieg auslöste

Auslöser des Dreißigjährigen Krieges war der zweite Prager Fenstersturz.

In der Schlacht auf dem Weißen Berg 1620 wurden die protestantischen Stände von den katholischen Habsburgern besiegt. Die siegreiche Partei bestimmte fortan die kulturelle Entwicklung (Prager Barock). Damit einher ging ein schleichender Niedergang der tschechischen Sprache und des tschechischen Nationalbewusstseins. In der tschechischen Historiographie werden die rund 200 Jahre nach dem „Weißen Berg“ temno genannt, zu Deutsch: Finsternis. Systematisch gefördert wurde die deutsche Sprache in den böhmischen Ländern jedoch nur in der relativ kurze Zeitspanne von ca. 1740 bis 1780 im Zuge der Bestrebungen des aufgeklärten Absolutismus, eine möglichst effiziente und einheitliche Verwaltung zu schaffen.

Im Prager Frieden am 30. Juni 1635 trat der Kaiser die Lausitz an Kursachsen ab.

18. Jahrhundert

Prag zu Beginn des 18. Jahrhunderts (Radierung Krištot Haffner in Augsburg)

Im August 1744 beginnt der zweite Schlesische Krieg mit dem Einmarsch der Preußen in Böhmen. Nach einer Belagerungszeit von zwei Wochen musste Prag am 16. September kapitulieren.

Die Schlacht von Prag im Siebenjährigen Krieg am 6. Mai 1757 schrieb ebenfalls Geschichte. Auf preußischer Seite führten König Friedrich der Große und Generalfeldmarschall Kurt Christoph Graf von Schwerin, auf österreichischer Prinz Karl von Lothringen und Feldmarschall Maximilian Ulysses Browne.

1784 schlossen sich die vier bisher selbständigen Prager Städte Hradschin (Hradčany), Kleinseite (Malá Strana), Altstadt (Staré Město) und Neue Stadt (Nové město) zusammen. Bis 1848 war dann die Zeit der Wiedergeburt der tschechischen Nation.

19. Jahrhundert

Die Überschwemmung vom 26. Juni 1824
Prager Burg mit Karlsbrücke (um 1840)
zeitgenössische Bilderreihe mit Szenen des Prager Pfingstaufstandes (12. Juni bis 17. Juni 1848)
Franz Joseph I. bei der Neueröffnung der Kaiser-Franz I.-Brücke (1901)[1]

Wie auch andere europäische Städte expandierte Prag im 19. Jahrhundert im Zuge der Industriellen Revolution stark. Vor dem Píseker Tor wurde 1830 die Pferdebahn nach Kladno angelegt. Im Jahre 1834 entstand die Königliche Ständische Technische Lehranstalt als erste technische Hochschule Europas. 1818 wurde das Nationalmuseum gegründet und später durch den Politiker und Historiker František Palacký in ein aktives Zentrum der Bestrebungen um Erneuerung der tschechischen Nationalkultur verwandelt. Im Jahr 1834 erklang die Melodie des Liedes Kde domov můj? (Wo ist meine Heimat?). Im Revolutionsjahr 1848 trat zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahrhunderten das tschechische Nationalbewusstsein wieder als selbstständiger politischer Faktor auf. Auf dem Slawenkongress des Jahres 1848 wurde die radikale Entfernung aller Deutschen östlich der Linie Stettin-Triest gefordert. Die Mehrheit der tschechischen Politiker (Alttschechen) verfolgte jedoch moderatere Ziele. Die nationalen Bestrebungen der Tschechen wurden in diesem Jahr jedoch ebenso erstickt wie die freiheitlichen Forderungen der Deutschen. Die Niederschlagung des Prager Pfingstaufstands am 16. Juni 1848 durch österreichische Truppen war der erste militärische Erfolg der Gegenrevolution in den Staaten des Deutschen Bundes.

Durch starken Zuzug aus dem tschechischsprachigen Umland verlor Prag um das Jahr 1855 seine seit dem Mittelalter bestehende deutschsprachige Mehrheit. Absolut gesehen wuchs die Zahl der Prager Deutschen aber noch, sie lag in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bei 40.000 bis 50.000. Wirtschaftlich wurde die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Phase des stürmischen Aufschwungs. Die Errichtung des (tschechischen) Nationaltheaters inspiriert eine ganze Generation von Komponisten und gestaltenden Künstlern. Es entstanden die Opern von Bedřich Smetana und Antonín Dvořák.

Juden in Prag[2]
Jahr Ges.-Bev. Juden Anteil
1857 72.000 7.706 10,7 %
1869 159.200 13.056 8,2 %
1880 162.300 16.754 10,3 %
1890 184.000 17.635 9,6 %
1900 201.600 18.986 9,4 %
1910 223.000 18.041 8,1 %

Um 1900 glich Prag einem Treibhaus für Künstler und nachwachsende Literaten. Allein drei Dichterkreise wetteiferten miteinander: Den engeren Prager Kreis bildeten Max Brod und seine Freunde Franz Kafka, Felix Weltsch und Oskar Baum. Der Verein „Wefa“ umfasste viele Autoren, die heute kaum noch bekannt sind, wie Friedrich Adler. Einem anderen Verein, der neuromantische Kreis Jung-Prag gehörten zum Beispiel Rilke, Gustav Meyrink, der beruflich in Prag zu tun hatte, und der junge Franz Werfel an. In dieser Zeit war Prag im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn durch einen regen Austausch zwischen den Nationalitäten geprägt.

Für die Tschechen war Prag der kulturelle Mittelpunkt, während die deutschsprachigen Künstler Prags (zum Beispiel Franz Kafka, Egon Erwin Kisch und Franz Werfel) oft einen Teil ihres Lebens in den übrigen deutschen Kulturzentren (unter anderem Berlin, Dresden, München oder Wien) verbrachten.

Die Aufteilung der Prager Karls-Universität in eine deutsche und eine tschechische Universität war ein Symbol für die ethnischen Konflikte, die Prag am Ende des 19. Jahrhunderts erschütterten.

20. Jahrhundert

Stadtplan von Prag aus dem Jahre 1903

Mit dem Ersten Weltkrieg brach über das Volk sowohl materielle Entbehrung als auch politische und nationale Unterdrückung herein. Dagegen und unmittelbar gegen die Monarchie loderte der Widerstand gleich zu Beginn auf. In der österreichischen Armee brach immer wieder Aufruhr aus und sowohl Hungerdemonstrationen als auch Kundgebungen nahmen im Frühsommer 1918 zu.

Am 28. Oktober 1918 rief das Nationalkomitee die Selbstständigkeit der Tschechoslowakischen Republik (ČSR) aus, für die sich am 30. Oktober auch das in Turčiansky Martin tagende Slowakische Nationalkomitee aussprach. Prag wurde Hauptstadt des neuen Staates. 1920 wurde Prag durch Eingemeindung vieler Vororte vergrößert.

Am 15. März 1939 marschierten deutsche Truppen, zur vollständigen Besetzung der ČSR ein. Prag wurde die Hauptstadt des Protektorats Böhmen und Mähren. Emil Hácha, der 1938 nach dem Rücktritt von Edvard Beneš Präsident der tschechoslowakischen Republik wurde, blieb bis 1945 Präsident des Protektorats unter deutscher Aufsicht. Deutsche Truppen hielten Prag bis 1945 besetzt. Im Zweiten Weltkrieg wurde Prag kaum zerstört, da die Stadt lange Zeit außerhalb der Reichweite der alliierten Luftwaffe lag und wegen ihrer zu über 90 Prozent tschechischen Bevölkerung geschont werden sollte. Anders als Pilsen besaß Prag auch keine kriegswichtige Industrie. (siehe auch: Luftangriff auf Prag)

Am 5. Mai 1945 wurden die Prager über das Radio zum Aufstand aufgerufen. Neben Barrikadenkämpfen begannen sofort blutige Übergriffe gegen deutsche Zivilisten und verwundete Soldaten in den zahlreichen Lazaretten der Stadt. Am selben Tag schloss das nationaltschechische Militärkommando Groß-Prag ein Abkommen mit der 1. Division der an sich mit dem Deutschen Reich verbündeten Wlassow-Armee (ROA). Diese Division marschierte am 6. Mai von Westen gegen das aufständische Prag, griff dort am 7. Mai die deutschen Stellungen von Westen her an und besetzte bis zum Abend weite Teile der Stadt. Auch der kommunistisch beeinflusste Tschechische Nationalrat (ČNR) hatte das Vorgehen der Wlassow-Leute in einer Punktation vom 7. Mai gebilligt, sich aber wenig später schon wieder distanziert. Als sich abends abzeichnete, dass die Amerikaner nicht nach Prag marschieren würden, sondern die Stadt von der Roten Armee besetzt werden würde, zogen sich die Wlassow-Truppen noch in der Nacht auf den 8. Mai gegen Pilsen zurück, um der Rache Stalins zu entgehen.

Die Position der deutschen Truppen in der Stadt, vor allem Teile der Waffen-SS-Division „Wallenstein“, verbesserte sich dadurch aber nur unwesentlich. Ihr Ziel war eine Kapitulation gegenüber den Amerikanern, und ihr befehlshabender General Rudolf Toussaint unterzeichnete am 8. Mai um 16.00 Uhr gegenüber dem ČNR eine Kapitulationsurkunde, die den Soldaten freien Abzug gewährte. Letzterer wurde noch vor Ende der Nacht vollzogen. Nur ein kleiner Teil der rund 42.000 Prager Deutschen und weiterer deutscher Zivilisten konnte die Stadt zusammen mit den Truppen verlassen. Als die sowjetischen Truppen der 1. Ukrainischen Front Konews die Stadt am Morgen des 9. Mai 1945 im Zuge der Prager Operation erreichten, ging der bis dahin auch militärische Aufstand der Tschechen in eine Gewaltorgie gegen die verbliebene deutsche Minderheit über, der nach tschechischen Angaben in zwölf Tagen etwa 27.000 deutsche Zivilisten zum Opfer fielen. Die überlebenden Deutschen wurden in Kinos, Schulen und im Stadion von Strahov interniert, in die Landwirtschaft verbracht oder in das KZ Theresienstadt deportiert. Tausende von vermeintlichen Kollaborateuren wurden in wilden Gewaltexzessen ohne Gerichtsverfahren ermordet. Die Befreiung der Tschechen mündete bald in eine erneute Besetzung. Der SMERSCH ließ mehrere hundert verwundete Wlassow-Soldaten ermorden, der Vorsitzende des ČNR, Pražák, verlor seine Professur, und weitere Mitglieder des ČNR wurden verhaftet oder hingerichtet.

Mit dem Putsch vom 25. Februar 1948 errang die bereits seit 1946 latent dominierende Kommunistische Partei (KSČ) die politische Macht. Es folgte eine Zeit massiver Unterdrückung, die in den frühen sechziger Jahren etwas gelockert wurde. Einen symbolischen Ausdruck fand dies in der Sprengung des Stalin-Denkmals 1962.

Im August 1968 wurde ein friedlicher Umsturzversuch (Prager Frühling) durch eine Intervention von fünf Staaten des Warschauer Paktes gewaltsam niedergeschlagen. Weltweit bekannt wurde der Protest gegen die sowjetische Besatzung durch die symbolträchtige Selbstverbrennung Jan Palachs auf dem Wenzelsplatz am 16. Januar 1969.

Die so genannte Samtene Revolution (Sametová revoluce) führte im November 1989 zum Sturz des sozialistischen Regimes. Václav Havel wurde zum Präsidenten gewählt. Zudem haben die Ereignisse in der bundesdeutschen Prager Botschaft, als Zufluchtsort von Flüchtlingen aus der DDR, gesamtdeutsche Geschichte geschrieben.

Am 1. Januar 1993 wurde Prag Hauptstadt der unabhängigen Tschechischen Republik.

Beginn des 21. Jahrhunderts

Im August 2002 litt Prag, wie auch andere Teile Mitteleuropas, unter schweren Überschwemmungen. Teile der Stadt mussten evakuiert werden und Kulturgut wurde zerstört oder beschädigt.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Nach einem Zeitungsartikel mit der Bildbeschreibung „Procházka na mostě“ (Spaziergang auf der Brücke) wurde er von den Tschechen auch „der alte Prochazka“ genannt.
  2. Ergebnisse der Volkszählungen der K. K. Statistischen Central-Kommission u. a. In: Anson Rabinbach: The Migration of Galician Jews to Vienna. Austrian History Yearbook, Volume XI, Berghahn Books/Rice University Press, Houston 1975, S. 46/47 (Table III).

Literatur

Allgemein

  • Detlev Arens: Prag. Kultur und Geschichte der „Goldenen Stadt“. DuMont-Kunst-Reiseführer. 3. aktualisierte Auflage. DuMont, Ostfildern 2005, ISBN 3-7701-4303-5.
  • Peter Demetz: Prag in schwarz und gold. Sieben Momente im Leben einer europäischen Stadt. Übersetzt von Joachim Kalka. Piper, München/Zürich 1998, ISBN 3-492-03542-6. Ungekürzte Taschenbuchausgabe: ebenda 2000. (= Serie Piper. Band 3044.) ISBN 3-492-23044-X. (gut lesbare, breit angelegte Stadtgeschichte auf wissenschaftlichem Fundament)
  • Nové Město pražské. 1348–1784. Praha 1998, ISBN 8085394197.
  • Hugo Rokyta: Die böhmischen Länder. Handbuch der Denkmäler und Gedenkstätten europäischer Kulturbeziehungen in den böhmischen Ländern. Band 1: Prag. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage. Vitalis, Prag 1995, ISBN 80-901621-7-7.
  • Umělecké památky Prahy. 1 ff. Praha 1998 ff. ISBN 8020006273.
  • Otto Muneles: Bibliografický přehled židovské Prahy. Prag 1952.
  • Zeitschrift beziehungsweise Schriftenreihe: Documenta Pragensia. Sborník materiálií z Archivu Hlavního Města Prahy. Praha 1980–, ISSN 0231-7443.
  • Zeitschrift: Staletá Praha. Sborník Pražského Ústavu Památkové Péce. Panorama Praha. Praha 1965–.

Zur Ur- und Frühgeschichte

  • Marie Fridrichová, Jan Fridrich, Josef Havel, Jan Kovářík: Praha v pravěku. Archaeologica Pragensia Supplementum 2. Praha 1995, ISBN 8085394111. (Aktuelle und gut bebilderte Übersicht zur Ur- und Frühgeschichte auf dem Gebiet der Hauptstadt Prag, leider nur in tschechisch mit sehr kurzer englischer Zusammenfassung)
  • Zeitschrift: Archaeologica Pragensia. Archeologický sborník Muzea Hlavního Města Prahy. Praha 1980–, ISSN 0139-5998. (Fachwissenschaftliche Aufsätze zu Ausgrabungen und Funden im Gebiet von Groß-Prag, meist in tschechisch mit Zusammenfassungen auf Deutsch oder Englisch)

Zum Mittelalter

  • I. Boháčová, J. Frolík, Z. Smetánka, B. Nechvatál, L. Hrdlička: Prague Castle, Vyšehrad Castle and the Prague agglomeration. In: J. Fridrich (Hrsg.): 25 years of archaeological research in Bohemia. On the occasion of the 75th anniversary of the Institute of Archaeology, Prague. Památky Archeologicke Suppl. 1. Prague 1994, S. 153–184. (hier: L. Hrdlička: The Archaeological Study of the Historical Centre of Prague: 1969–1993. ebenda S. 174–180).
  • Jarmila Čihákova: Prag um das Jahr 1000: Infrastruktur, Verkehrswesen. In Alfried Wieczorek, Hans-Martin Hinz (Hrsg.): Europas Mitte um 1000. Band 1. Theiss, Stuttgart 2000, S. 175–178.
  • Ladislav Hrdlička: Prag. In: Alfried Wieczorek, Hans-Martin Hinz (Hrsg.): Europas Mitte um 1000. Band 1. Theiss, Stuttgart 2000, S. 373–375.
  • Václav Huml, Zdeněk Dragoun, Rostislav Nový: Der archäologische Beitrag zur Problematik der Entwicklung Prags in der Zeit vom 9. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts und die Erfassung der Ergebnisse der historisch-archäologischen Erforschung Prags. Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 18/19 (1990/91), S. 33–69.
  • Ferdinand Seibt (Hrsg.): Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen. Begleitband Ausstellungen Nürnberg und Köln 1978/79. Prestel, München 1978, ISBN 3-7913-0435-6.
  • Dušan Třeštík: Die Gründung Prags. In: Hansjürgen Brachmann (Hrsg.): Burg - Burgstadt - Stadt. Zur Genese mittelalterlicher nichtagrarischer Zentren in Ostmitteleuropa (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa. Band 4). Berlin 1995, S. 229–240.
  • J. Zavřel: Iron Making in the Centre of Prague Basin and Possible Origin of the Name of the Town of Praha (Prague). (Železářství v centru pražské kotliny a možny původ jména města Praha.) In: J. Kubková, J. Klápště, M. Ježek, P. Meduna u. a. (Hrsg.): Život v archeologii středověku. (Das Leben in der Archäologie des Mittelalters). Festschrift M. Richter und Z. Smetánka. Praha 1997, S. 667–671.

Zur Okkupationszeit 1939 bis 1945

  • Peter Demetz: Mein Prag. Erinnerungen 1939 bis 1945. Übersetzt von Barbara Schaden. Zsolnay, Wien 2007, ISBN 978-3-552-05407-3. (Mischung aus persönlichen Erinnerungen an die Besatzungszeit und deren allgemeiner historischer Darstellung) Rezensionen

Weblinks

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