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Heidentum
Heidentum oder Paganismus (von lat. paganus ‚heidnisch‘; lat. pagus ‚Ort‘) beschreibt als religionswissenschaftliche Kategorie, innerhalb christlich geprägter Kulturen, unterschiedliche Formen des Glaubens an mehrere Götter, teilweise auch der Naturreligionen.
Hintergrund
Zu Zeiten des frühen Christentums, das sich aus einer innerjüdischen Sekte, dem Judenchristentum, in das Heidenchristentum differenzierte, galten die Abweichler und Anhänger der paulinische Theologie und Mission, vergleichbar selbst als eine Art Heiden. Später, innerhalb des frühmittelalterlichen Christentums diente der Begriff dann zunächst als einfaches Unterscheidungsmerkmal der aus dem Judentum bekehrten Judenchristen von den nicht-jüdischen Heidenchristen. Seit dem europäischen Mittelalter wurde er vornehmlich aus der Sicht monotheistischer, missionierender Religionen, Christentum und Islam, häufig abwertend für religiöse Gegner außerhalb der eigenen Tradition gebraucht.[1]
In der konkreten christlich-missionarischen Auseinandersetzung und Gewalt ist der Begriff vor allem in den nordischen Kulturen bereits sehr früh als abgrenzende Selbstbezeichnung, als zur eigenen heimischen Kultgemeinde gehörend, nachweisbar.
Heidentum kann als Selbst- und Fremdbezeichnung auch die Wiederbelebung alter Religionen in der Gegenwart bedeuten. In diesem Fall wird der Begriff synonym zum präziseren Neopaganismus (Neuheidentum) verwendet.
Die jüdische Tradition hat vergleichbar den abgrenzenden, nicht abwertenden hebräischen Begriff ger (‚aus den Völkern‘), was etwa Nichtjude bzw. Ausländer bedeutet. Die islamische Tradition hat vergleichbar den abgrenzenden arabisch-islamischen Rechtsbegriff Kāfir, der Ungläubige oder „Gottesleugner“ bezeichnet.
Etymologie
Es gibt verschiedene Theorien über die Etymologie des Wortes Heide. Die Bildungen heiþna, haiþina werden als sehr alte Bildungen eingestuft.[2] Früher wurde das Wort als Lehnübersetzung zu paganus betrachtet. Dieses Wort ist aber erst in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts aufgekommen, als das Suffix -ina nicht mehr verwendet wurde. Zur angenommenen Zeit der Entstehung des Wortes Heiðinn als „Heide“ wurde im Lateinischen aber das Wort gentiles für „Heiden“ verwendet. Der Indogermanist Wilhelm Schulze knüpfte an das armenische Wort hethanos (Lehnwort aus dem Griechischen:[3] ἔθνος (éthnos)) an, das über komplizierte Veränderungen im Gotischen ans Germanische weitergegeben worden sei.[4] Jost Trier hat die „Heide“ als Allmende identifiziert und etymologisch mit heimr ‚Welt, Heimat‘ verbunden. So kommt er zur Bedeutung von „heiðinn“ als „zur eigenen heimischen Kultgemeinde gehörend“.[5]
Zunächst war „heiðinn“ eine durchaus von Christen übernommene, aber nicht pejorative Bezeichnung nordgermanischer Nichtchristen.[6] Der Skalde Eyvindr Skáldaspillir (um 920–990) dichtete (zur Aussprache siehe Isländische Aussprache):
Deyr fé, |
Das Vieh stirbt, |
Erst die vordringende christliche Missionierung, auch Zwangsmissionierung, führte zu einer gewissen Abwertung im Sinne von „primitiv“, die bis heute vorsticht.[8]
Begriff
In der christlich-europäischen Tradition dient der Begriff Heide als Sammelbezeichnung für die jeweils anderen, also diejenigen, die außerhalb der eigenen christlich-trinitären Traditionen stehen. Der Begriff diente ursprünglich als polemische Kategorie zur Abwertung des anderen, dem die Zugehörigkeit zu einer Religion abgesprochen wird. Eng verknüpft ist damit die Vorstellung der falschen Religion. Je nach Kontext kann deshalb Heide und Heidentum unterschiedliche Bedeutung annehmen. Zeitweise wurden als Heiden alle anderen außerhalb des Christentums benannt, im Zuge der Reformation und der Konfessionalisierung auch die jeweils andere Konfession als heidnisch bezeichnet. Der semantische Gehalt des germanischen Wortes Heide überlappt sich dabei mit der Bedeutung des lateinischen paganus, des Landbewohners, der im begrifflichen Gegensatz zum Stadtbewohner steht.[1]
Religionen außerhalb der großen Weltreligionen, die früher in christlichem Verständnis und Hochschultradition unter Heidentum gefasst wurden, nennt man heute indigene Religionen (siehe auch Animismus).
In der historischen Forschung werden die Begriffe Heiden/Heidentum sowie Pagane/pagane Kulte bezogen auf die Antike wertneutral benutzt, um damit Anhänger der alten Götterkulte von Christen, Juden, Manichäer etc. zu unterscheiden, ohne dass damit eine Abwertung vorgenommen wird.
Geschichte
In jüdischen Schriften wird einerseits zwischen dem Volk Israel und den Gojim (Einzahl Goj), was zum Beispiel in der Septuaginta mit ΕΘΝΟΣ (ethnos = ‚Volk‘) übersetzt wurde, unterschieden, andererseits aber beide Ausdrücke auch häufig (z. B. Genesis 35,11) als Selbstbezeichnung verwendet. Diese Ambivalenz in der Verwendung findet sich auch noch im Neuen Testament, mehrheitlich sind aber die Anhänger des griechischen und römischen Polytheismus gemeint, in einigen Fällen auch die zum Christentum bekehrten Nichtjuden. Es wird unterschieden zwischen Judenchristen (zum Christentum bekehrten Juden) und Heidenchristen (zum Christentum bekehrten Anhängern anderer Religionen). Paulus bezeichnete sich selbst als Apostel der Heiden (Nationen), weil er sich beauftragt sah, Nichtisraeliten zu lehren und zu verkündigen.
Traditionell wurden die Paganen (Heiden) von den Anhängern monotheistischer Religionen pauschal als Ungläubige betrachtet und behandelt.[9]
Die jüdische, christliche und islamische Ablehnung des Heidentums richtete sich zunächst vor allem gegen den griechischen und römischen Polytheismus, im Zuge der Mission unter anderem auch gegen das germanische, keltische, slawische, baltische und indianische Heidentum.
Als Ende des klassischen Heidentums kann daher jeweils die Entwicklung beziehungsweise die Einführung des Christentums oder des Islam als Volks- oder Staatsreligion angesehen werden, unbeschadet der in den regionalen Übergangszeiten entstandenen Formen des Synkretismus, also der Mischung von religiös-kultischer Tradition und akkommodierten christlichen Inhalten, Riten und Kulten.
Später wurde im Christentum das Heidentum außerhalb der eigenen Kultur lokalisiert, häufig als Aberglaube abgetan oder als Aufgabe zur Missionierung gesehen. Obwohl das Christentum im späten 4. Jahrhundert mit der Konstantinischen Wende zur Staatsreligion des Römischen Reiches wurde und in der Folgezeit versucht wurde, viele heidnische Bräuche zu christianisieren, lassen sich noch die ganze Spätantike hindurch heidnische oder zumindest synkretistische Überzeugungen und Praktiken finden.
Auch der Islam unterschied von Beginn an zwischen den Religionen des Buchs (Christentum und Judentum), denen ein „eingeschränktes Wissen“ und eine untergeordnete Toleranz zugestanden wird, und den Ungläubigen, die missioniert werden sollten. Anhänger polytheistischer Religionen besitzen nach der Scharia bis heute keinen Rechtsstatus und genießen keinen Schutz.
Dagegen konzentrierte sich innerhalb des Christentums der Begriff Heide während der Kreuzzüge fast ausschließlich auf die muslimischen Sarazenen. Erst im Zuge der Mission auf den wieder bzw. neu entdeckten Kontinenten Afrika, Amerika und Asien wurde er im Sinne der Neuland-, Pionier- bzw. Heidenmission wieder breiter gefasst. Heute wird der Begriff im Kontext der Evangelisierung und Inkulturation der meisten christlichen Konfessionen kaum mehr verwendet; vielmehr bezeichnen sich heute die Angehörigen der neu aufkeimenden polytheistischen Strömungen selbst als Heiden, ohne darin eine Form der Geringschätzung zu sehen.
Literatur
- Elisabeth Begemann: Altes oder neues Heidentum? Die Rückwirkungen des Christentums auf die Theologie und Religionspolitik Iulianus Apostatas. Darmstadt 2006 (Zugleich: Darmstadt, Techn. Univ., Mag.-Arb., 2006).
- Alan Cameron: The Last Pagans of Rome. Oxford University Press, New York u. a. 2011, ISBN 978-0-19-974727-6.
- Robin Lane Fox: Pagans and Christians: In the Mediterranean World from the Second Century AD to the Conversion of Constantine. Viking Penguin Books u. a., Harmondsworth 1987, ISBN 0-670-80848-2 (Penguin, London u. a. 2006, ISBN 0-14-102295-7).
- Reinhard Feldmeier, Ulrich Heckel, Martin Hengel: Die Heiden. Juden, Christen und das Problem des Fremden. J. C. B. Mohr, Tübingen 1994, ISBN 3-16-146147-9 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 70).
- Hans-Werner Gensichen: Heidentum 1. In: Theologische Realenzyklopädie. Band 14. de Gruyter, Berlin 1985, ISBN 3-11-008583-6, S. 590–601.
- Prudence Jones, Nigel Pennick: A History of Pagan Europe. Routledge, London 1995, ISBN 0-415-09136-5.
- Ludwig Hödl: Heiden, -tum. In: Lexikon des Mittelalters. Band 4. Artemis, München u. a. 1989, Sp. 1011–1013.
- Anders Hultgård: Övergångstidens eskatologiska förestillingar. In: Gro Steinsland (Red.): Nordisk Hedendom. Et Symposium. Odense Universitetsforlag, Odense 1991, ISBN 87-7492-773-6, S. 161–168 (Die eschatologischen Vorstellungen der Übergangszeit).
- Prudence Jones, Nigel Pennick: A History of Pagan Europe. Routledge, London 1995
- Hubert Mohr: Paganismus I: Religionswissenschaftlich / II: Antiker und neuzeitlicher Paganismus. In: Hans Dieter Betz (Hrsg.): Religion in Geschichte und Gegenwart. Band 6: N–Q. Mohr Siebeck, Tübingen 2003, ISBN 3-16-146946-1, S. 793–798.
- Christine Mühlenkamp: „Nicht wie die Heiden“. Studien zur Grenze zwischen christlicher Gemeinde und paganer Gesellschaft in vorkonstantinischer Zeit. Aschendorff, Münster/Westfalen 2008, ISBN 978-3-402-10911-3.
- Meinolf Schumacher: Toleranz, Kaufmannsgeist und Heiligkeit im Kulturkontakt mit den „Heiden“. Die mittelhochdeutsche Erzählung „Der guote Gêrhart“ von Rudolf von Ems. In: Zeitschrift für interkulturelle Germanistik. H. 1, 2010, ISSN 1869-3660, S. 49–58.
- Elmar Seebold, Knut Schäferdiek: Heide. In: Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer (Hrsg.): Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 14. de Gruyter, Berlin u. a. 1999, ISBN 3-11-016423-X, S. 142ff.
- Josef Sievers: Heidentum 2. In: Theologische Realenzyklopädie. Band 14. de Gruyter, Berlin 1985. ISBN 3-11-008583-6, S. 601–605
- Kocku von Stuckrad: Heidentum. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Band 5: Gymnasium – Japanhandel.. Metzler, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-476-01995-0, Sp. 295–298.
- Udo Tworuschka (Hrsg.): Die Weltreligionen und wie sie sich gegenseitig sehen. Primus-Verlag, Darmstadt 2008, ISBN 978-3-89678-290-8.
Siehe auch die diversen Aufsätze in Aufstieg und Niedergang der römischen Welt oder der Cambridge Ancient History und der New Cambridge Medieval History.
Siehe auch
Weblinks
- James J. O’Donnell: The Demise of Paganism. In: Traditio 35, 1979, S. 45–88
- Informationsseite über das germanische Heidentum
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Kocku von Stuckrad: Heidentum. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 5. Stuttgart 2007, Sp. 296.
- ↑ Jan de Vries: heiðinn. In: Altnordisches Etymologisches Wörterbuch. Leiden 1977.
- ↑ August Fick, Hjalmar Falk: Wörterbuch der Indogermanischen Sprachen Dritter Teil: Wortschatz der Germanischen Spracheinheit (1909) S. 41.
- ↑ Wilhelm Schulze: Kleine Schriften. Göttingen 1966. S. 519–526.
- ↑ Jost Trier im Archiv für Literatur un Volksdichtung I (1949) S. 100–103.
- ↑ Hultgård S. 161.
- ↑ Hákonarmál Strophe 21
- ↑ Hultgård S. 162.
- ↑ Catholic Encyclopaedia (1917 edition) on paganism
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