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Heilpädagogik

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Heilpädagogik ist nach Werner Eitle eine wissenschaftliche Disziplin der Pädagogik (Eitle 2003, S. 8). Der Begriff, der in Deutschland oftmals synonym mit dem der Sonderpädagogik verwandt wird (vgl. Eitle 2003, S. 8), geht zurück auf Jan-Daniel Georgens (1823–1886) und Heinrich Marianus Deinhardt (1821–1880). Sie veröffentlichten 1861 und 1863 ihr zweibändiges Werk Die Heilpädagogik mit besonderer Berücksichtigung der Idiotie und der Idiotenanstalten. Durch die Verbindung der Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung, Koedukation und eine Betonung auf dem pädagogischen Zugang, seien die Autoren nach der Deutung des Wiener Sonder- und Heilpädagogen Gottfried Biewer dem Denken der damaligen Zeit weit voraus gewesen und der Begriff sei erst später mit einer stärkeren Fokussierung auf den medizinischen Zugang verbunden worden. In den 1960er Jahren sei Heilpädagogik in schulischen Kontexten in Deutschland von dem Begriff der Sonderpädagogik abgelöst und überwiegend für außerschulische Handlungsfelder verwendet worden. In Österreich und der Schweiz habe er sich bis heute als Begriff zur Bezeichnung einer Pädagogik bei erschwerten Entwicklungsprozessen gehalten[1].

Zielsetzung

Der wichtige Grundgedanke der Heilpädagogik, die „Ganzheitlichkeit“, bedeutet: Nicht allein Behinderung oder erschwerte Bedingungen und deren Behebung dürfen Gegenstand der Heilpädagogik sein. Aus dem heilpädagogischen Blickwinkel ist der ganze Mensch (mit seinen Fähigkeiten, Problemen und Ressourcen, sowie seinem sozialen Umfeld) bei der Bearbeitung und Lösung von Problemstellungen zu betrachten und einzubeziehen.

„Die Aufgabe der Heilpädagogik ist es, Menschen mit Verhaltensauffälligkeiten bzw. Verhaltensstörungen oder mit geistigen, körperlichen und sprachlichen Beeinträchtigungen sowie deren Umfeld durch den Einsatz entsprechender pädagogisch-therapeutischer Angebote zu helfen. Die betreuten Personen sollen dadurch lernen, Beziehungen aufzunehmen und verantwortlich zu handeln, Aufgaben zu übernehmen und dabei Sinn und Wert erfahren. Dazu diagnostizieren Heilpädagogen vorliegende Probleme und Störungen, aber auch vorhandene Ressourcen und Fähigkeiten der zu betreuenden Personen, und erstellen individuelle Behandlungspläne. Durch geeignete pädagogische Maßnahmen fördern sie die Persönlichkeit, die Eigenständigkeit, die Gemeinschaftsfähigkeit, den Entwicklungs- und Bildungsstand sowie die persönlichen Kompetenzen der zu betreuenden Menschen. Darüber hinaus beraten und betreuen sie Angehörige oder andere Erziehungsbeteiligte, zum Beispiel in Problem- und Konfliktsituationen.“ (Quelle: Bundesagentur für Arbeit: Heilpädagoge/Heilpädagogin)

Ausbildung zum Heilpädagogen

Fachschulen für Heilpädagogik

Die Ausbildung zum staatlich anerkannten Heilpädagogen findet an einer Fachschule für Heilpädagogik statt und dauert in Vollzeitform je nach Bundesland eineinhalb bis zwei Jahre. Hierbei sind 1860 bis 2440 Stunden (Bayern) zu absolvieren. In der berufsbegleitenden Form dauert die Ausbildung zweieinhalb bis vier Jahre. Mit der staatlichen Anerkennung wird die Berechtigung erworben, nach einem dreisemestrigen Aufbaustudium an einer entsprechenden Fachhochschule den Grad des Diplom-Heilpädagogen (FH) zu erwerben. Dies ist dort auch im Rahmen eines grundständigen Fachhochschulstudiums möglich. Darüber hinaus ist ein Universitätsstudium über den Diplom-Studiengang Heilpädagogik mit unterschiedlichen Schwerpunkten (z. B. an der Universität zu Köln – SS 07 auslaufend) möglich.

An der Fachschule für Heilpädagogik am Diakoniekolleg Hannover (Stephansstift) wird die Heilpädagogenausbildung in Kombination mit der Ausbildung zum staatl. anerk. Motopäden angeboten, was die Arbeitsbereiche der Heilpädagogik und der Motopädie im Sinne eines ergänzenden Konzeptes auf der Ausbildungsebene miteinander verknüpft (Interdisziplinärer Ausbildungsansatz). Die Motopädie wird hier als eine spezielle Methode der Heilpädagogik verstanden.

Aufnahmevoraussetzungen:

In die Fachschule Heilpädagogik kann aufgenommen werden, wer staatlich anerkannter Erzieher ist oder eine gleichwertige berufliche Qualifikation erworben hat, z. B. Dipl.- Sozialpädagoge, Sozialarbeiter, Religionspädagoge, Diakon, Heilerziehungspfleger, Altenpfleger. Weiter erforderlich ist nach der vorausgesetzten Erstqualifikation eine mindestens zweijährige hauptberufliche praktische einschlägige Tätigkeit in heil- und sozialpädagogischen Einrichtungen, die auch während der Ausbildung zum Heilpädagogen abgeleistet werden kann.

Ziel der Ausbildung:[2]

  • befähigen, Menschen mit Beeinträchtigungen oder Behinderungen heilpädagogisch zu fördern und sie in ihrer sozialen und personalen Integration zu unterstützen,
  • erforderliche Fachkompetenzen für die Einsatzbereiche vermitteln (s. u.),
  • befähigen, Verwaltungsaufgaben zu übernehmen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Tätigkeiten im Berufsfeld stehen

Der Bildungsgang ist durch fünf landesweit einheitlich vorgegebene Lernfelder strukturiert, in denen anhand von generierten Lernsituationen aus der Praxis der Teilnehmer Schlüsselkompetenzen (Fach-, Sozial und Methodenkompetenz) erworben werden. Die jeweiligen Lernsituationen müssen von den Studierenden in Form von Praxisaufgaben in ihren Praxisfeldern bearbeitet werden und sind erkenntnisleitend für die einzelnen Unterrichtsfächer.

Lernfelder:

  • Menschen mit Beeinträchtigung in ihrer Lebenswelt erkennen und verstehen
  • Menschen mit Beeinträchtigung im Alltag begleiten, unterstützen und erziehen
  • Menschen mit Beeinträchtigung in gezielten Maßnahmen unter Berücksichtigung besonderer Methoden fördern, bilden und beraten
  • Arbeiten in Teams, mit Angehörigen und Fachdiensten
  • Die heilpädagogische Arbeit dokumentieren und evaluieren.

Fächer im fachrichtungsübergreifenden Bereich:

Fächer im fachrichtungsbezogenen Lernbereich:

  • Theoretische Grundlagen der Heilpädagogik und ihre Didaktik/Methodik
  • Theologisch-anthropologisch/ethische Grundlagen
  • Methoden in der Heilpädagogik aus den Bereichen: musisch-kreative Verfahren/Spiel, bewegungsorientierte Verfahren, körperorientierte Verfahren, Beratungsverfahren, psychotherapeutisch orientierte Verfahren
  • Heilpädagogische Praxis mit schulischer Begleitung
  • Projektarbeit

Abschlussprüfung:

Fachhochschulen

Zugangsvoraussetzung für ein Studium der Heilpädagogik an Fachhochschulen ist die Fachhochschulreife. Eine abgeschlossene Ausbildung in einem pädagogischen oder therapeutischen Beruf, aber auch Langzeit-Praktika und lange ehrenamtliche Tätigkeit in einem (heil-)pädagogischen Arbeitsfeld begünstigen eine Zulassung, sind aber keine zwingenden Voraussetzungen.

Inhalte des Studiums sind:

  • Allgemeine und Spezielle Heilpädagogik
  • Pädagogik
  • Sozialmedizin
  • Kinder- und Jugendhilferecht, Sozialhilfe- und Familienrecht
  • Grundlagen der Verwaltungswissenschaften
  • Allgemeine und Klinische Psychologie sowie Entwicklungs- und Sozialpsychologie
  • Theologie/Philosophie
  • Ethische Grundlagen der Heilpädagogik
  • Soziologie
  • Kulturpädagogik und ästhetische Erziehung

Das Studium wird begleitet von Praktika unterschiedlicher Dauer in verschiedenen Praxisfeldern heilpädagogischer Arbeit und schließt ab mit einer Bachelorthesis.

Im Zuge des Bologna-Prozesses wird Heilpädagogik an Fachhochschulen nur noch als Master- bzw. Bachelor-Studiengang angeboten. Zulassungsvoraussetzung des Masters muss kein Heilpädagogik-Studium sein, auch mit einem abgeschlossenen Studium der Psychologie, Pädagogik, der Sozialen Arbeit und verwandter Berufsgruppen ist eine Zulassung möglich.

Einsatzbereiche

  • heilpädagogische, sozialpädagogische und sozialpflegerische Einrichtungen[2]
  • Schulen mit integrativen oder sonderpädagogischen Schwerpunkten[2]
  • Werkstätten für Menschen mit Behinderungen[2]
  • Integrationsbetriebe[2]
  • unterstützte Beschäftigung[2]
  • andere Einrichtungen der Integration und Rehabilitation[2]
  • Bereich des Wohnens[2]
  • Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe
  • Berufsbildende Einrichtungen und Werkstätten
  • Integrative Kindertagesstätten
  • Heilpädagogische Heime und Pflegestellen
  • Beratungsstellen zur Früherkennung und Frühförderung
  • Rehabilitationseinrichtungen (Rehabilitationspädagogik)
  • Tagesbildungsstätten und Regelkindergärten
  • Heil- und sonderpädagogische Tagesstätten
  • Sonderschulen für Menschen mit Behinderung
  • Wohnheime und Wohntrainingsgruppen
  • Psychiatrische Einrichtungen und Krankenhäuser der sozialpädagogischen Familienhilfe/Erwachsenenbildung
  • Eigene Praxis oder freiberuflich im ärztlichen Praxenverbund

In den genannten Einrichtungen arbeiten die Heilpädagogen zum Teil auch in Leitungsfunktionen (Gruppenleiter, Teamleiter, Erziehungsleiter, Heimleiter u. Ä.).

Situation in der Schweiz

In der Schweiz wird aufgrund historischer Entwicklungen – im Gegensatz zu Deutschland – mit Heilpädagogik das auf den ausserschulischen und schulischen Bereich ausgerichtete Tätigkeitsfeld bezeichnet. Sie befasst sich mit der Erziehung, Schulung, Bildung und Förderung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen und Behinderungen. Die praktische heilpädagogische Arbeit (z. B. in Einrichtungen der Behindertenhilfe, Frühförderstellen oder in heilpädagogischen Schulheimen bzw. anderen Einrichtungen der Jugendhilfe) ist interdisziplinär geprägt, d. h., dass von der Medizin über Psychologie sowie Ergotherapie, Krankengymnastik oder Soziale Arbeit viele relevante Erkenntnisse anderer Fachwissenschaften einfließen.

Ursprünglich bezog sich Heilpädagogik auf ‚Heilung’ durch Erziehung und Therapie. Dieser Heilungs-Gedanke ist in der neueren wissenschaftlichen Diskussion jedoch nicht mehr vertreten. Aus dem modernen heilpädagogischen Blickwinkel ist der ganze Mensch (mit seinen Fähigkeiten, Problemen und Ressourcen sowie seinem Umfeld) bei der Bearbeitung und Lösung von Problemstellungen zu betrachten und mit einzubeziehen. Aus diesem Grundgedanken leitet sich auch die Bezeichnung ‚Heilpädagogik’ ab. Heil, Heilung bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht auf Heilen im medizinischen Sinne, also der Wiederherstellung eines gesunden, beeinträchtigungsfreien Zustandes, sondern auf Heilung im Sinne der Verganzheitlichung und Integration.

Das ‚Heil’ leitet sich ursprünglich aus der Idee des umfassenden (physischen und seelischen) christlichen Heils ab. Bedeutendster Vertreter einer Heilpädagogik als Heilspädagogik war der katholische Theologe Linus Bopp, der 1930 sein epochales Werk Allgemeine Heilpädagogik in systematischer Grundlegung und mit erziehungspraktischer Einstellung veröffentlichte. Genannter stütze sich bezüglich seiner heil(s)pädagogischen Lehre auf die Wertephilosophie/-hierarchie von Franz Xaver Eggersdorfer. Demzufolge sind Linus Bopps zentrale heil(s)pädagogische Begriffe die der Wertsinnminderung und Wertsinnhemmung. Der Theologe hatte diejenigen Kinder/Jugendlichen, welche in seiner wertphilosophischen Wortwahl zum 'Objekt' der Heil(s)pädagogik wurden, wie folgt umschrieben:

Es zeigt sich, dass bei vielen Objekten der Heilerziehung der Wertsinn und der Wertwille darum ausfällt oder ernstlich gehemmt ist, weil die betreffenden Individuen mangels der notwendigen seelisch-geistigen Fähigkeiten dazu gar nicht oder nur erschwert fähig sind (Bopp 1930, S. 64).

Der Ansatz von Linus Bopp wurde von dem Schweizer Heilpädagogen Eduard Montalta in wesentlichen Punkten aufgegriffen und vertieft. Er spricht von verminderter Wertfähigkeit und herabgesetzter Wertwilligkeit (vgl. Montalta 1967, S.3 ff.). Heute wird diese theologische/wertphilosophische Interpretation stark kritisiert.

Bedeutende Heilpädagoginnen und Heilpädagogen

Literatur

  • Manfred Berger: Ausgewählte Wegbereiter der Heilpädagogik. In: Unsere Jugend. Heft 9, 2000, S. 365–376.
  • Gottfried Biewer: Grundlagen der Heilpädagogik und Inklusiven Pädagogik. Klinkhardt (UTB), Bad Heilbrunn 2010, 2. Auflage. (ISBN 978-3-8252-2985-6)
  • Linus Bopp: Allgemeine Heilpädagogik in systematischer Grundlegung und mit erziehungspraktischer Einstellung. Herder, Freiburg/Breisgau 1930.
  • Maximilian Buchka, Rüdiger Grimm, Ferdinand Klein (Hrsg.): Lebensbilder bedeutender Heilpädagoginnen und Heilpädagogen im 20. Jahrhundert. E. Reinhardt, München 2000, ISBN 3-497-01540-7.
  • Konrad Bundschuh, Ulrich Heimlich, Rudi Krawitz (Hrsg.): Wörterbuch Heilpädagogik. Ein Nachschlagewerk für Studium und pädagogische Praxis. Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1999, ISBN 3-7815-0999-0.
  • Werner Eitle: Basiswissen Heilpädagogik. Bildungsverlag Eins, Troisdorf 2003, ISBN 3-427-08133-8.
  • Heidi Fischer, Michael Renner: Heilpädagogik – Heilpädagogische Handlungskonzepte in der Praxis. Lambertus, Freiburg 2010, ISBN 978-3-7841-1979-3.
  • Urs Haeberlin: Heilpädagogik als wertgeleitete Wissenschaft. Ein propädeutisches Einführungsbuch in Grundfragen einer Pädagogik für Benachteiligte und Ausgegrenzte. Haupt, Bern u. a. 1996, ISBN 3-258-05302-2 (Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete Beiheft 20).
  • Daniel Kasper: Heilpädagogik. In: Luzia Truniger (Hrsg.): Wörter. Begriffe. Bedeutungen. Ein Glossar zur Sozialen Arbeit der Fachhochschule Aargau Nordwestschweiz. Fachhochschule Aargau Nordwestschweiz, Brugg 2005.
  • Eduard Montalta: Grundlagen und systematische Ansätze zu einer Theorie der Heilserziehung (Heilpädagogik). In: Heribert Jussen (Hrsg.): Handbuch der Heilpädagogik in Schule und Jugendhilfe. Kösel, München 1967, S. 3–43.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gottfried Biewer: Grundlagen der Heilpädagogik und Inklusiven Pädagogik (2. Aufl.). Klinkhardt (UTB), Bad Heilbrunn 2010, S. 19–32, (ISBN 978-3-8252-2985-6)
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 2,7 zum Beispiel § 2 HeilpädVO des Landes Berlin vom 2. Februar 2015 GVBl. S. 12 (PDF; 1 MB)
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