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Instinkt

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Dieser Artikel erläutert den Instinkt im Sinne der Verhaltensbiologie; für den gleichnamigen Film siehe Instinkt (Film).

Instinkt – wörtlich: Naturtrieb – bezeichnet meist die unbekannten, inneren Grundlagen („Antriebe“) des vom Beobachter wahrnehmbaren Verhaltens eines Tieres. Diese Bezeichnung wurde in der Verhaltensforschung und der Psychologie jedoch nie eindeutig definiert, sondern von unterschiedlichen Autoren jeweils unterschiedlich verwendet. Heute wird er zudem umgangssprachlich oft im übertragenen Sinne für „ein sicheres Gefühl für etwas“ verwendet und bezeichnet Verhaltensweisen des Menschen, die ohne reflektierte Kontrolle ablaufen.

Das Wort Instinkt wurde im 18. Jahrhundert abgeleitet aus dem lateinischen Begriff instinctae naturae, dem wiederum das Verb instinguere (‚anstacheln, antreiben, hineinstechen‘) zugrunde lag. Das Adjektiv instinktiv bedeutet „vom Instinkt geleitet, trieb-, gefühlsmäßig“. Es wurde im 19. Jahrhundert dem französischen Wort instinctif nachgebildet.

Die Untersuchung der Instinkte, also der mutmaßlichen inneren Ursachen für die wahrnehmbaren Verhaltensmuster der Tiere, sah die seit den 1930er-Jahren aus der Tierpsychologie hervorgegangene klassischen Ethologie als eines ihrer wesentlichen Forschungsziele an. Im Unterschied zu den Vertretern der klassischen Ethologie lehnten die Anhänger des Behaviorismus die Suche nach inneren Ursachen für Verhaltensweisen grundsätzlich ab.

Definitionen von „Instinkt“

Seit dem Mittelalter wurden die Bezeichnungen Instinkt, Trieb, Impuls und andere mehr zwar benutzt, jedoch nicht genauer definiert. Instinkte wurden zunächst als göttliche Gabe betrachtet, deren genaue Analyse dem menschlichen Geist versagt bleibe, wobei auch Gedankengänge von Philosophen des antiken Griechenlands aufgegriffen wurden. Erst im 19. Jahrhundert, nach Fortschritten auf den Gebieten der Anatomie und der Neurologie, wurde ein pragmatischerer Zugang zum Phänomen des angeborenen Verhaltens möglich. So schrieb William James 1887 über die Tiere:

„Gottes Wohltätigkeit stattet sie vor allem mit einem Nervensystem aus; wenn man diesem seine Aufmerksamkeit schenkt, dann erscheinen die Instinkte plötzlich weder als wunderbarer noch als weniger wunderbar als alle anderen Tatsachen des Lebens.“[1]

Hermann Samuel Reimarus

Hermann Samuel Reimarus schrieb 1760 in seiner Schrift Allgemeine Betrachtungen über die Triebe der Thiere, hauptsächlich über ihre Kunsttriebe. Zum Erkenntniss des Zusammenhanges der Welt, des Schöpfers und unser selbst den Tieren folgende „Triebe“ zu: „mechanische Triebe der Thiere“, die vom Bau ihres Körpers abhängig seien; „Vorstellungstriebe“, geprägt durch Gewohnheiten, Zu- und Abneigungen; „willkürliche Triebe“, die der Selbsterhaltung dienten; und schließlich „Kunsttriebe“, die „zur Erhaltung jedes Thieres und seiner Art“ dienten.[2]

Ernst Heinrich Weber

Gelegentlich wurde die Bezeichnung Instinkt auch in jüngerer Zeit auf geistige, nicht-bewusste Vorgänge des Menschen angewandt, so beispielsweise 1846 von Ernst Heinrich Weber:

„Wenn man den Begriff des Instinktes allgemeiner fassen will, als es gewöhnlich geschieht, wenn man die unbekannte Ursache von einer jeden angeborenen zweckmäßigen Tätigkeit, zu der sich die Seele nicht selbst bestimmt, Instinkt nennen will, mag sich nun diese Tätigkeit auf die Bildung von Vorstellungen oder auf die Hervorbringung von Bewegungen beziehen, so kann man jene Seelenanlage auch als einen intellektuellen Instinkt bezeichnen.“[3]

Charles Darwin

Charles Darwin verstand unter Instinktverhalten zum einen Verhaltensweisen, die vollkommen ohne Erfahrung schon beim erstmaligen Ausführen beherrscht werden, zum anderen aber auch solche, die durch Erfahrung erworben wurden. In seinem Werk Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren beschreibt Darwin 1872 beispielsweise, dass Tiere durch das Aufrichten ihrer Haare „ihren Feinden gegenüber größer und furchtbarer aussehen“, dabei eine drohende Stellung einnehmen und „dass ferner derartige Stellungen und Laute nach einer Zeit durch Gewohnheit instinktiv wurden.“[4][5]

William James

William James verfasste 1872 eine auch heute noch hilfreiche Formulierung, derzufolge der Instinkt die Fähigkeit sei,

„sich so zu verhalten, dass gewisse Ziele erreicht werden, ohne die Voraussicht dieser Ziele und ohne vorherige Erziehung oder Erfahrung“.[6]

Heinrich Ernst Ziegler

Der deutsche Zoologe Heinrich Ernst Ziegler (1858–1925) unterstützte 1904 die Reflexkettentheorie und schrieb, dass „Reflexe und die Instinkte auf ererbten (kleronomen) Bahnen des Nervensystems beruhen“ und dass sich die Instinkte aus Reflexen „durch größere Komplikationen“ gebildet haben.[7]

William McDougall

William McDougall (1871–1938) gab dem Instinkt 1908 drei Funktionen:

  • eine wahrnehmende: Der Instinkt bestimme, wie wir uns Dinge mittels der Sinne aneignen
  • eine emotionale: Der Instinkt bestimme, wie wir Dinge erlebten
  • eine motivationale: Der Instinkt bestimme, wie wir mit Dingen umgingen

Jedem Instinkt ordnete McDougall zudem noch eine entsprechende Emotion zu (z. B. Fluchtinstinkt ↔ Furcht)

Bis in die 1930er Jahre hielten die Vitalisten die Instinkte einer naturwissenschaftlichen Forschung weder zugänglich noch bedürftig.

Konrad Lorenz

Konrad Lorenz schrieb 1950: „Als einen Instinkt oder Trieb bezeichnen wir ein im ganzen spontan aktives System von Verhaltensweisen, das funktionell genügend einheitlich ist, um einen Namen zu verdienen.“ Der Instinkt wird also auf physiologische Prozesse, letztlich hypothetisch auf Verschaltungen von Nervenzellen im Gehirn zurückgeführt.

Nikolaas Tinbergen

Nikolaas Tinbergen (1956) definierte Instinkt als einen hierarchisch organisierten Mechanismus im Nervensystem, der auf bestimmte innere und äußere, vorwarnende, auslösende und richtende Impulse anspricht und sie mit koordinierten, lebens- und arterhaltenden Bewegungen beantwortet: also ein komplexes System aus Schlüsselreizen, hierdurch verursachten inneren Zustandsänderungen (vergl. Angeborener Auslösemechanismus) und nachfolgenden Aktivitäten.

Arnold Gehlen

Der Soziologe Arnold Gehlen (1904–1976) postulierte eine erbliche „Instinktreduktion“ beim Menschen, den er allgemein als „Mängelwesen“ sah.

Anwendung des Instinktbegriffs auf den Menschen

Otto Klineberg nannte drei Kriterien, die erfüllt sein müssen, um auch beim Menschen von Instinkt reden zu können:[8]

  1. Phylogenetische Kontinuität: Das Verhalten muss bei unterschiedlichen Gattungen zu beobachten sein, vor allem bei Menschenaffen - vereinfacht gesagt: bei Mensch und Tier.
  2. Biochemische und physiologische Grundlagen: Das Verhalten muss im menschlichen Organismus eine Prädisposition aufweisen, also dort verankert sein.
  3. Universalität des Verhaltens: Das Verhalten muss in allen Gesellschaften bzw. Kulturen vorzufinden sein - vereinfacht gesagt: bei allen Menschen.

In der Fachliteratur wird der Instinktbegriff heute allenfalls vorsichtig benutzt. Das hat vor allem drei Gründe:[9]

Zum einen haben neuere Ergebnisse der Sozialisationsforschung und der Verhaltensbiologie die „Naturhaftigkeit“ von Verhaltensweisen teilweise widerlegt.

Zum anderen werden Verhaltensweisen nur mit der Bezeichnung „Trieb“ oder „Instinkt“ belegt, ohne dass dies das Verhalten erklärt. Beispiel: Jemand flüchtet nach einem Unfall, also ist es der Fluchtinstinkt; oder er hilft, also ist es der Helferinstinkt. Wissenschaftstheoretisch spricht man hier von einer Problemdopplung: Es ist nicht mehr nur das Verhalten zu erklären, sondern auch die als Trieb bezeichnete hypothetische Ursache.

Zusätzlich ist der Trieb als evolutionstheoretische Erklärungsgröße kaum zu widerlegen. Manfred Hassebrauck beschreibt die Zunahme von evolutionären Erklärungen für soziales Verhalten und kognitive Prozesse. Kritisch bemerkt er, sie stellen „nun einmal einen Prototyp [...] ultimativer Erklärungen dar.“[10]

L. L. Bernard stellte 1926 einen Katalog der in der Literatur gefundenen Instinkte zusammen und fand 5684 verschiedene Instinkte.[11]

Heute vermeiden Psychologie und Verhaltensbiologie weitgehend die Bezeichnung Instinkt und ersetzen ihn zum Beispiel durch angeborenes Verhalten.

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary: Instinkt – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Wikiquote: Instinkt – Zitate

Einzelnachweise

  1. „God's beneficence endows them, first of all, with a nervous system; and, turning our attention to this, makes instinct immediately appear neither more nor less wonderful than all the other facts of life.“ William James: What is an Instinct? Scribner's Magazine, Band 1, 1887, S. 356, Volltext (auf Englisch)
  2. Zitiert aus: Ilse Jahn (Hrsg.): Geschichte der Biologie. Spektrum Akademischer Verlag, ³2000, S. 252
  3. Ernst Heinrich Weber: Der Tastsinn und das Gemeingefühl, in: Wagner: Handwörterbuch der Physiologie, Band 3.3, Vieweg, Braunschweig 1846, S. 481 ff., hier S. 487 (Digitalisate: Google Books, Echo)
  4. Charles Darwin: Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren. Frankfurt am Main: Eichborn, 2000 (Kritische Edition), S. 117; im Original: „such attitudes and utterances after a time becoming through habit instinctive.“ Charles Darwin: The expression of the emotions in man and animals. London: John Murray, 1st edition, 1872, S. 103 f., [1]
  5. Paul Lange: Die Lehre vom Instinkte bei Lotze und Darwin. 1896 (Digitalisat der ULB Düsseldorf)
  6. Zitiert aus: Lexikon der Biologie, Band 4, Freiburg 1985, S. 373
  7. Heinrich Ernst Ziegler: Der Begriff des Instinktes einst und jetzt. Eine Studie über die Geschichte und Grundlagen der Tierpsychologie. Jena 1904; hier zitiert aus: Ilse Jahn (Hrsg.): Geschichte der Biologie. Spektrum Akademischer Verlag, ³2000, S. 587
  8. Otto Klineberg: Social Psychology. New York 1954, S. 69
  9. Helmut E. Lück: Einführung in die Psychologie sozialer Prozesse. Kurseinheit 1-4. Hagen: Fernuniversität, 2000 (=Kurs 03251)
  10. M. Hassebrauck.: Editorial In: Zeitschrift für Sozialpsychologie, 35 (3), 2004. S. 105-106.
  11. , L. L. Bernard: Instinct. A study in social psychology. Henry Holt, New York 1926.
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