Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Integrale Theorie

Aus Jewiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die integrale Theorie, auch integrales Denken oder integrale Weltsicht genannt, ist keine einheitliche oder präzise Theorie in engeren Sinne, wohl aber eine philosophische Schule bzw. ein Typ von Weltanschauung, deren Vertretern es darum geht, eine umfassende Sicht des Menschen und der Welt, oft auch des Geistigen und Göttlichen ganz allgemein, zu entwickeln, eine Sicht, die natur-, human- und geisteswissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien, prämoderne, moderne und postmoderne, östliche und westliche Weltsichten, sowie wissenschaftliches Denken und spirituelle Einsichten vereint. In einem weiten Sinn als integrale Denker bezeichnet werden können auch bedeutende Philosophen wie Hermann Lotze, Max Scheler und Nicolai Hartmann und Soziologen wie Pitirim Sorokin, die ihre Lehren nicht "integral" nennen und die auch nicht zu der unten genauer erklärten kosmisch-geistig-evolutionären Schule gehören, die aber einen im obigen Sinn vereinenden, integrierenden Ansatz vertreten. In einem engeren Sinn integral sind erstens diejenigen Philosophen und spirituellen Schriftsteller, die sich selbst "integral" nennen - im 20. Jahrhundert insbesondere Aurobindo Ghose, Jean Gebser, Joannes Heinrichs[1] und Ken Wilber und deren Schüler - zweitens diejenigen, die deren Denken von der Aufklärung bis ca. 1940 vorbereitet haben, wie Lessing, Hegel oder Teilhard de Chardin - sowie drittens eng verwandte Theorien wie Spiral Dynamics. Vertreter der integralen Theorie ist nach eigener, umstrittener Auffassung auch Rudolf Bahro.

Überblick

Die integrale Theorie ist ein systematisches Modell für eine holistische, kosmisch-evolutionäre Welterklärung ohne materialistische Reduktion, sondern unter Einbeziehung der Eigenart und Wirksamkeit des Geistigen im Kosmos. Sie geht davon aus, dass die in der modernen Wissenschaft stark ausdifferenzierten Wirklichkeitsbereiche von Natur, Mensch, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur in der Realität vielfältig verflochten sind. Für eine zukunftsfähige oder nachhaltige Entwicklung braucht es daher neben den Einzel- oder Fachwissenschaften auch die Welt als Ganzes auf neue, moderne integrierende Denkansätze, Forschungen und Theorien.

Einer der wichtigsten gegenwärtigen Vertreter der integralen Theorie, Ken Wilber, vertritt die Auffassung, dass auch mystische und spirituelle Erfahrungen Wissen über die Natur vermitteln können und deshalb in einem umfassenden Weltmodell ebenso wie wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden müssen. Mittels geeigneter Übungsmethoden wie der Meditation sei es sogar möglich, diese intersubjektiv zu überprüfen. Dies wird auch mit der Verbreitung dieser spirituellen Erfahrungen quer durch viele Kulturen und Epochen sowie ihrer prinzipiellen Zugänglichkeit durch meditative Praxis begründet. Nach Ken Wilber bestünde die Aufgabe eines integralen Theoretikers nicht darin, alle existierenden Theorien zu betrachten und zu entscheiden, welche davon „richtig“ sei. Vielmehr müsse er erklären, in welchem Kontext die Gesamtheit dieser Ideen „richtig“ sein könne. Denn all diese Theorien in Wissenschaft, Kunst und Spiritualität würden ja tatsächlich praktiziert und man müsse daher nach der Struktur des Kosmos fragen, der ein Aufkommen so vieler grundverschiedener Disziplinen gestatte. Es sei also die Frage nach der Architektur des Universums selbst zu stellen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt integraler Theorie besteht darin, zwischen den verschiedenen Ansätzen zur menschlichen Subjektivität zu vermitteln. So wird einerseits davon ausgegangen, dass das individuelle Ich oder Ego nicht die höchste Qualität menschlicher Handlungsfähigkeit darstellt, sondern in einem komplexeren transpersonalen Selbst aufgehen kann, das auch die anderen Wesen im eigenen Denken, Fühlen und Handeln berücksichtigt. Andererseits wird jedoch die Bedeutung des Ich als zentrale Instanz individueller Handlungsfähigkeit betont und sich damit von spirituellen Ansätzen abgegrenzt, welche das Ich in universeller Einheit auflösen möchten.

Integrales Denken

Integrale Denker

Rezeption

Rationalisten bemängeln an der integralen Theorie die Einbeziehung nicht-rationaler Elemente. Esoteriker kritisieren hingegen an dem Ansatz, dass Rationalität und Empirie einen zu hohen Stellenwert haben. Integrale Theoretiker weisen jedoch gerade darauf hin, dass sie die Trennung von rationalen, emotionalen und intuitiven Erkenntnisweisen sowie die Zersplitterung der verschiedenen Wissensdisziplinen überwinden wollen und insoweit Philosophie in einem umfassenden Sinne betrieben. Die wissenschaftliche Rezeption dieses Ansatzes, die Zersplitterung der Disziplinen zu überwinden und sie stattdessen zusammenzuführen, ist in den letzten Jahren gewachsen, so liegen inzwischen Anwendungen u. a. aus dem Bereich des Management[5], der Organisationstheorie[6], der Psychotherapie[7] und der Ökologie[8] vor.

Neben Ken Wilber gelten Don Beck, Jean Gebser, Ervin László und Michael Murphy als neuere Vertreter einer derartigen Weltsicht. Auch der kultur- und sozialökologische Denkansatz von Maik Hosang wird als integral bezeichnet. In seinem Science-Roman „Eves Welt. Liebe in Zeiten des Klimawandels“ entwickelt Hosang die Vision einer überwundenen Spaltung zwischen Rationalität und Gefühl, welche die moderne Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft kennzeichnet, in einer Welt bewusst entwickelter und gelebter Liebe als komplexe Sinn- und Glückserfüllung.[9]

Anwendungen

Unter dem Namen Integrale Politik Schweiz besteht in der Schweiz seit 2011 eine kleine politische Partei, die ein Welt- und Menschenbild gemäß der integralen Theorie vertritt.[10]

Der Verein für Integrale Architektur und Lebensraumgestaltung (VIAL) [11], ebenfalls in der Schweiz, vertritt eine Integrale Architektur, die sich unter anderem bei der Durchführung von Bauvorhaben auf die Integrale Theorie nach Wilber stützt, und als übergeordnetes Ziel formuliert, "durch die gleichberechtigte Integration und Verbindung objektiver, subjektiver, kultureller und systemischer Aspekte bei der Planung und Errichtung von Bauwerken, menschliche Bedürfnisse und Interessen mit der natürlichen Umwelt in Einklang zu bringen."[12]

Im deutschen Sprachraum hat das Integrale Forum e.V. [13] das Bestreben, die Integrale Theorie insbesondere nach dem Ansatz von Ken Wilber bekannter zu machen. Der Verein ist gleichzeitig übergeordneter Verbund verschiedener Integraler Salons (in der Tradition der literarischen Salons) in Deutschland, Österreich und Luxemburg. [14] In der Schweiz vertritt das Integrale Forum Schweiz ähnliche Ziele. [15]

Siehe auch

Literatur

  • Ken Wilber: Integrale Spiritualität. Kösel, 2007, ISBN 978-3-466-34509-0.
  • Ken Wilber: Ganzheitlich handeln – eine integrale Vision für Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Spiritualität. Arbor Verlag, Freiamt 2001, ISBN 3-924195-79-X.
  • Don Edward Beck, Christopher C. Cowan: Spiral Dynamics. Leadership, Werte und Wandel. Eine Landkarte fürs Business und Gesellschaft im 21. Jahrhundert. 2 Auflage. Kamphausen, 2008, ISBN 978-3-89901-107-4.
  • Steve McIntosh: Integrales Bewusstsein und die Zukunft der Evolution: Wie die integrale Weltanschauung Politik, Kultur und Spiritualität transformiert. Phänomen Verlag, 2009, ISBN 978-3-933321-75-6.
  • Maik Hosang: Der integrale Mensch. Hinder + Deelmann Verlag, Gladenbach 2000, ISBN 3-87348-168-5.
  • Maik Hosang et al: Die emotionale Matrix. Grundlagen für gesellschaftlichen Wandel und nachhaltige Innovation. oekom Verlag, München 2005, ISBN 978-3-86581-007-6.
  • Jean Gebser: Ursprung und Gegenwart. 3 Bände. DTV Verlag, München 1988, ISBN 3-423-05921-4.
  • Sri Aurobindo: Der integrale Yoga. (= Rowohlts Klassiker. 24). 1957.
  • Inga Fitzner: Integrales Bewusstsein - eine Spurensuche. LIT Verlag, Berlin/ Münster 2012, ISBN 978-3-643-11696-3.
  • Wolfgang Aurose: Die Seele der Nationen. Evolution und Heilung. Europa Verlag Berlin, 2014, ISBN 978-3-944305-42-4.
  • Johannes Heinrichs: Integrale Philosophie: Wie das Leben denken lernt: gelebte und ausdrückliche Reflexion. Academia-Verlag, Sankt Augustin, 2014. ISBN 978-3-89665-641-4.
  • Johannes Heinrichs: Öko-Logik: Geistige Wege aus der Klima- und Umweltkatastrophe. Steno-Verlag, 2007. ISBN 978-954-449-308-0.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Johannes Heinrichs. Abgerufen am 23. Januar 2018.
  2. Beck/ Cowan: Spiral Dynamics, 2008 (siehe Literatur)
  3. http://www.cook-greuter.com/
  4. Susanne R. Cook-Greuter: Selbst-Entwicklung. Neun Stufen zunehmenden Erfassens. In: Integral Informiert Nr. 14, Sep./Okt. 2008
  5. Andreas Mascha: Das Integrale Management. Verlag Andreas Mascha, München 2009, ISBN 978-3-924404-50-5, S. 30.
  6. Frederic Laloux: Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen, Leipzig 2015, ISBN 978-3-8006-4913-6, S. 356.
  7. Wulf Mirko Weinreich: Integrale Psychotherapie. Ein umfassendes Therapiemodell auf der Grundlage der Integralen Philosophie nach Ken Wilber. Arak-Verlag, Leipzig 2005, ISBN 3-936149-53-4, S. 402.
  8. Sean Esbjörn-Hargens: Integrale Ökologie. Die Vereinigung verschiedener Perspektiven auf die natürliche Welt.. Phänomen-Verlag, 2012, ISBN 978-3-943194-55-5, S. 542.
  9. Maik Hosang: Eves Welt. Liebe in Zeiten des Klimawandels. Phänomen Verlag, Hamburg 2008, ISBN 978-3-933321-72-5, S. 330.
  10. sda/olsm: Neues Mitglied in der Schweizer Parteienlandschaft. In: Tagesschau. Abgerufen am 7. Oktober 2012.
  11. https://integrale-architektur.org/verein/
  12. Andrea Hoffnung: Positionspapier Integrale Architektur. (PDF) VIAL, 11. Oktober 2015, abgerufen am 6. Oktober 2017.
  13. integralesleben.org. Abgerufen am 18. Oktober 2017.
  14. integralesleben.org. Abgerufen am 18. Oktober 2017.
  15. ifschweiz.ch. Abgerufen am 18. Oktober 2017.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Integrale Theorie aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.