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Jüdische Gemeinde Kolín
Die Jüdische Gemeinde in Kolín (deutsch Kolin, älter auch Köln an der Elbe), einer Stadt im Bezirk Okres Kolín in Tschechien, besteht seit Anfang des 14. Jahrhunderts. Sie gehörte lange Zeit zu den größten und bedeutendsten jüdischen Gemeinden in Böhmen bzw. ab 1918 der Tschechoslowakei.
Geschichte
Die Anfänge der jüdischen Gemeinde in Kolín, die zu den ältesten und bedeutendsten jüdischen Gemeinden gezählt wird, reichen bis in das 14. Jahrhundert. Am Anfang des Jahrhunderts können die ersten jüdischen Siedlungen in der Stadt nachgewiesen werden, die jüdische Gemeinde bildete sich einige Jahrzehnte später, ein jüdisches Ghetto existierte seit dem Ende des Jahrhunderts. Der spätere Rabbiner von Kolín, Feder, erwähnt in einer Abhandlung, dass die städtischen Bücher der Stadt bereits ab 1376 jüdische Einwohner namentlich anführen, die offenbar auch eine Gebetstätte (vielleicht um 1402) hatten.[1][2] 1541 entschied der König Ferdinand I., die böhmischen Städte „judenfrei“ zu machen; die Juden aus Kolín sollen nach Polen ausgewandert sein. Nachdem sein Nachfolger Maximilian II. 1564 die Ansiedlung jüdischer Bevölkerung wieder erlaubte, wurde die Gemeinde wiederbelebt: 1574 lebten in der Stadt 33 jüdische Familien, und um 1620 war die Gemeinde die zweitgrößte in Böhmen und zählte auch in der Folgezeit zu den wichtigsten des Landes. Ab 1917 arbeitete hier als Rabbiner Richard Feder, der dieses Amt bis 1953 (mit einer Unterbrechung 1942–1945) innehatte.[1][3]
Shoa
Nach der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren wurde die jüdische Bevölkerung Kolíns in drei großen Transporten großflächig in Konzentrationslager deportiert, in den Meisten Fällen über KZ Theresienstadt in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, der erste Deportationstransport nach Theresienstadt fand am 13. Juni 1942 statt (Transport AAb mit 744 Personen), der nächste am 9. Juni 1942 (Transport AAc mit 724 Personen), der letzte am 13. Juni 1942 (Transport AAd mit 734 Personen) mit insgesamt 2232 Personen.[3][4][Anm 1] Die meisten von ihnen wurden in Auschwitz-Birkenau ermordet. Diese Zahl beinhaltet deportierte Juden aus dem ganzen damaligen Bereich des Oberlandrats von Kolín (mit mehreren politischen Bezirken), in dem der Gemeinde in Kolín eine zentrale Rolle für die Umsetzung der Anweisungen der Behörden des Protektorats zugeteilt wurde. Von diesen Deportierten überlebten knapp 140 Personen.[5][6] Aus Kolín selbst wurden um 500 Personen deportiert, von denen nur wenige überlebten: auf dem neuen jüdischen Friedhof in Kolín wurde 1950 auf Betreiben des Rabbiners Feder ein Denkmal mit acht Gedenktafeln eingeweiht, auf den die Namen von 487 Opfern des Holocaust eingraviert sind[7], eine andere Quelle führt namentlich 480 Opfer an[8]. Die Bemühungen des Rabbiners Feder, um 1939 eine größere Auswanderung von etwa 500 Juden in Kolín zu organisieren, scheiterte zum Teil am Unwillen ausländischer Behörden.[9][10] Insgesamt geht man davon aus, dass etwa 96 Prozent der aus Kolín und Umgebung deportierten Juden ermordet wurden.[5]
Nach 1945
Nach Kriegsende gründete sich in Kolin wieder eine kleine jüdische Gemeinde. Einen großen Anteil daran trug der Rabbiner Richard Feder, der als einziger seiner Familie den Holocaust überlebt hatte. Er kehrte nach Kolín zurück, um die frühere Jüdische Gemeinde zu beleben. Nachdem er jedoch 1953 aus Kolín nach Brünn abgerufen worden war, löste die Gemeinde sich in den 1950er Jahren auf.[11]
Nach 2008 wurden in Kolín mehrere Stolpersteine verlegt, teilweise war hier auch eine Schulinitiative beteiligt.[12]
Gemeindeentwicklung
Die Einwohnerzahl der jüdischen Gemeinde in Kolín entwickelte sich wie folgt[3]:
Jahr
|
Anzahl
|
Anmerkung
|
---|---|---|
um 1390 | ca. 15 Familien | |
um 1575 | ca. 35 Familien | |
1718 | 138 Familien | |
1793 | 215 Familien | alternativ: 251 Familien gleich 1169 Personen[1][Anm 2] |
1854 | ca. 1700 Juden | ca. 23 Prozent der Bevölkerung |
1872 | 247 Familien | |
1881 | 1148 Juden | |
1890 | 1075 Juden | ca. 7 Prozent der Bevölkerung |
1900 | 806 Juden | |
1910 | 634 Juden | |
1921 | 482 Juden | |
1930 | 430 Juden | ca. 2 Prozent der Bevölkerung |
1938 sind nach Kolín zahlreiche jüdische Familien aus dem Sudetenland geflüchtet.[3]
Persönlichkeiten
Der jüdischen Gemeinde in Kolín gehörten unter anderem folgende Persönlichkeiten an:
- Bernard Illovy (1812–1871), später orthodoxer US-amerikanischer Rabbiner
- Jacob Illowy (bis 1781), Rabbiner in Kolín 1746 bis 1781
- Bernhard Schlesinger (1773–1836), Dichter, Schriftsteller und Lehrer
- Josef Popper-Lynkeus (1838–1921), Sozialphilosoph, Erfinder und Schriftsteller
- Max Winder (1845–1920), Dichter
- Camill Hoffmann (1878–1944), Schriftsteller und Diplomat
- Robert Saudek (1880–1935), Schriftsteller und Graphologe
- Rudolf Saudek (1880–1965), Bildhauer und Graphiker
- Otokar Fischer (1883–1938), Übersetzer, Literaturwissenschaftler und Dramaturg
Anmerkungen
- ↑ Eine andere Quelle gibt als den letzten Transport das Datum 22. März 1944 und beziffert die Zahl der Deportierten mit insgesamt 2254 - vgl. Ausrottung einer böhmischen Gemeinde, online auf hagalil.com/.... Die Quelle Kehilat Israel gibt die Zahl der deporierten Personen mit 2202 an, führt jedoch noch weitere Deportationen außer den drei Hauptransporten an, vgl. kehillatisrael.net/...
- ↑ Bei einer der beiden Quellen handelt es sich eindeutig um einen Tippfehler.
Siehe auch
- Jüdisches Viertel Kolín
- Synagoge (Kolín)
- Alter Jüdischer Friedhof (Kolín)
- Neuer jüdischer Friedhof (Kolín)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Jiří Fiedler: Kolín, Bericht über die Jüdische Gemeinde in Kolín, online auf: holocaust.cz/...
- ↑ Dějiny Židů v Kolíně, in: Hugo Gold (Hrsg.), Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart, Jüdischer Buch- und Kunstverlag, Brünn-Prag 1934, Seite 277ff., Online auf: digi.landesbibliothek.at/...
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 Klaus-Dieter Alicke: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, 3 Bände, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2008, ISBN 978-3-579-08035-2, hier Abschnitt Kolin (Böhmen), in: Online-Version Aus der Geschichte jüdischer Gemeinden im deutschen Sprachraum, online auf: jüdische-gemeinden.de/...
- ↑ Liste aller Transporte nach Theresienstadt (sortiert nach Abfahrtsort), Datenbank der Institut Theresienstädter Initiative, online auf: katalog.terezinstudies.cz/...
- ↑ 5,0 5,1 A Brief History of the Jews of Kolin during the Occupation 1939–45, Bericht von Kehillat Israel, online auf: kehillatisrael.net/...
- ↑ Dějiny města, Bericht zur Geschichte Kolíns, Server von MĚSTSKÉ INFORMAČNÍ CENTRUM Kolín, online auf: infocentrum-kolin.cz/
- ↑ Kolínská židovská obec bývala po Praze druhou nejvýznamnější, dokládají to četné památky, in: Novinky.cz, Nachrichtenportal, online auf: novinky.cz/
- ↑ Ohne Titel [Names highlighted in blue have already been memorialized], eine Aufstellung des Manetto Hill Jewish Center über die deportierten und ermordeten Juden aus Kolín, online auf: manettohilljc.org/...
- ↑ Dopis rabína Richarda Federa Ministerstvu sociální a zdravotní správy ve věci vystěhování kolínských Židů (Brief des Rabbiner Richard feder an das Ministerium für Soziales und Gesundheit...), 26. April 1939, online auf: holocaust.cz/.../zidu
- ↑ Richard Feder: Židovská tragédie: dějství poslední (The Jewish Tragedy: The Final Act), 1947, Hier zitiert aus dem AusschnittMezi okupací a deportací, online auf: holocaust.cz/...deportaci
- ↑ PhDr. Richard Feder, Lebenslauf in der Internetová encyklopedie dějin města Brna (Online-Enzyklopädie der Stadt Brünn), online auf: encyklopedie.brna.cz/... https://encyklopedie.brna.cz/home-mmh/?acc=profil_osobnosti&load=2416
- ↑ Stolpersteine Kolín, Bericht über die Stolpersteine in Kolín auf den Seiten der Střední odborná škola stavební a Střední odborné učiliště stavební (Baufachmittelhochschule und Baufachausbildungsstätte), beide in Kolín, Initiatoren der Stolperteineverlegungen in Kolín, die auch die Realisierung ihres Projektes gewährleisten, online auf: stolpersteine.ss-stavebnikolin.cz/...
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