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Sakralkönigtum

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Das Sakralkönigtum bezeichnet eine These, wonach der König in einem besonderen Nahverhältnis zu Gott bzw. dem Göttlichen stehe. Dies manifestierte sich in vormoderner Zeit unter anderem in Vorstellungen, dass der Herrscher über Wunderkräfte verfüge. Die Erforschung dieser religiösen Vorstellung geht auf die sozialgeschichtlich orientierte Mediävistik der Annales-Schule zurück. Die These wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert, insbesondere auf der Basis antiker und frühmittelalterlicher Kulturen Europas wie denen der Kelten und Germanen. Darüber hinaus findet der Begriff auf weitere Kulturen des Altertums Anwendung und reicht in Form eines sakral legitimierten Königtums bis in die Frühe Neuzeit hinein. Als Gegenkonstrukt zum sakral fundierten Königsheil gilt in der historischen Forschung das Heerkönigtum.

Ideengeschichte

Sozialgeschichte statt Herrschaftslegitimation

Hauptartikel: Thaumaturgie

Mit dem Werk „Die wundertätigen Könige“ brach Marc Bloch 1924 mit der bis dahin vorherrschenden Nationalgeschichte der Vorkriegszeit, die die Wissenschaft in den Dienst der patriotischen Erbauung gestellt hatte. In seiner Darstellung wurden aus den politischen Herrschern des Mittelalters Medizinmänner: Zu ihren Aufgaben zählte es, stundenlang an den angereisten Kranken vorbeizugehen und sie zu berühren, um sie zu heilen.[1] Zuvor waren mittelalterliche Religionsvorstellungen vorwiegend nationalgeschichtlich dargestellt worden.

Germanisches Sakralkönigtum

In der Forschung wird seit längerer Zeit diskutiert, ob man von einem Sakralkönigtums bei den Germanen ausgehen kann,[2] ohne dass bislang ein allgemeiner Konsens erzielt werden konnte.[3] Erschwert wird eine Bewertung unter anderem durch die Quellenlage und methodische Probleme, darunter heute bedenklich erscheinende Vorstellungen der älteren Forschung (die oft stark national-konservativ geprägt war und vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus methodisch nicht vertretbare Ansätze verfolgte) und die Schwierigkeit der Übertragbarkeit ethnologischer Modelle.

Otto Höfler hat die Existenz eines germanischen Sakralkönigtums nachdrücklich betont, was recht wirkmächtig war. Höfler ging von einem sakral fundierten germanischen Königtum aus; das Königsheil sei ein Ausdruck der angeblich göttlichen Abstammung der germanischen Könige gewesen, wobei der König nicht Gott sei, aber ein Teil des Göttlichen in ihm vorhanden sei.[4] Allerdings wird sein Forschungsansatz inzwischen sehr kritisch betrachtet, da er später entstandene skandinavische Quellen heranzog und die daraus gewonnenen Erkenntnisse auf die frühere Zeit der Germanenstämme projizierte, was methodisch kaum haltbar ist.[5]

In der neueren Forschung hat wurde denn auch teils scharfe Kritik an den älteren Erklärungsmodellen geübt.[6] Andererseits haben sakrale Elemente bei der Legitimation von Herrschaft stets eine Rolle gespielt. In diesem Sinne wird in der neueren Forschung betont, dass zwischen dem älteren Forschungskonstrukt eines angeblichen Sakralkönigtums und sakralen Elementen von Herrschaft zu unterscheiden ist.[7] In diesem Zusammenhang können unterschiedliche Erklärungsansätze aus ethnologischer[8] und archäologischer (z. B. hinsichtlich der Interpretation von Grabfunden)[9] Perspektive berücksichtigt werden.

Inzwischen sind somit viele Annahmen der älteren Forschung nicht mehr haltbar, doch können durchaus sakrale Elemente des Königtums (Einsetzung des Königs durch den göttlichen Willen/in heidnischer Zeit göttlicher Abstammung, der König als irdischer Stellvertreter Gottes und kultische Aufgaben) festgestellt werden.[10] In diesem Sinne wird zwischen dem überholten Konstrukt eines Sakralkönigtum und einem sakralen Königtum unterschieden, wobei letzteres noch in christlicher Zeit nachwirkte.

Königsheil

Ein besonderer Ausdruck sakral legitimierter Herrschaft ist das Königsheil, dessen Beziehung zum Sakralkönigtum allerdings problematisch ist.[11] Unter diesem Begriff ist die Vorstellung zusammengefasst, wonach die Existenz des Herrschers das Wohlergehen des eigenen Volkes beeinflusst und beispielsweise Kriegsglück, Wohlstand und den Bestand der Gemeinschaft bewirkt bzw. maßgeblich beeinflusst. Bleibt eine diesbezügliche günstige Entwicklung aus (beispielsweise militärische Niederlagen oder schlechte Ernten), kann dies zur Entmachtung des Herrschers führen.[12]

Fortwirkung

Die bis 1714 in England und bis 1825 (Karl X.) in Frankreich praktizierte „Skrofelheilung“ durch Handauflegen des Königs wurde als Beleg für den fortdauernden Glauben ans Königsheil herangezogen. Tatsächlich sind zahlreiche sakrale Elemente in christlich legitimierten Königswürden feststellbar. Der französische König galt seit dem Hochmittelalter als „allerchristlichster König“ (rex christianissimus), wobei ihm auch besagte „Wunderkräfte“ zugeschrieben wurden.[13] Noch in den frühneuzeitlichen Monarchien waren sakrale Vorstellungen integraler Bestandteil des herrschaftlichen Selbstverständnisses, wenngleich dies in historisch-methodischer Perspektive durchaus nicht unproblematisch ist.[14]

Literatur

  • Hans H. Anton, Heinrich Beck, Alexander P. Bronisch, Max. Maximilian Diesenberger, Franz-Reiner Erkens, Andreas Goltz, Ulrich Köhler, Ludger Körntgen, Lutz E. von Padberg, Alexandra Pesch, Walter Pohl, Heiko Steuer, Olof Sundqvist: Sakralkönigtum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 26: Saal–Schenkung. Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer. 2., völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage. de Gruyter, Berlin/New York 2004, ISBN 3-11-017734-X, S. 179ff.
  • Ronald G. Asch: Sacral Kingship Between Disenchantment and Re-enchantment. The French and English Monarchies 1587–1688 (= Studies in British and Imperial History. Bd. 2). Berghahn, New York 2014, ISBN 978-1-78238-356-7.
  • Marc Bloch: Die wundertätigen Könige. Vorwort von Jacques Le Goff. Beck, München 1998, ISBN 3-406-44053-3.
  • Lennart Ejerfeldt: Germanische Religion. In: Jes Peter Asmussen, Jorgen Laessoe (Hrsg.): Handbuch der Religionsgeschichte. Band 1. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1971, ISBN 3-525-50158-7, S. 277–342.
  • Otto Höfler: Der Sakralcharakter des germanischen Königtums. In: Konstanzer Arbeitskreis für mittelalterliche Geschichte (Hrsg.): Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen. Mainauvorträge 1954 (= Institut für Geschichtliche Landesforschung des Bodenseegebietes in Konstanz. Vorträge und Forschungen. Bd. 3, ISSN 0452-490X). Thorbecke, Lindau u. a. 1956, S. 75–104.
  • Otto Höfler: Germanisches Sakralkönigtum. Band 1: Der Runenstein von Rök und die germanische Individualweihe. Niemeyer u. a., Tübingen u. a. 1952.
  • Walther Kienast: Germanische Treue und „Königsheil“. In: Historische Zeitschrift. Bd. 227, 1978, S. 265–324.
  • Eve Picard: Germanisches Sakralkönigtum? Quellenkritische Studien zur Germania des Tacitus und zur altnordischen Überlieferung (= Skandinavistische Arbeiten. Bd. 12). Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg 1991, ISBN 3-533-04418-1 (Zugleich: Frankfurt am Main, Univ., Diss., 1989/90).
  • Walter Schlesinger: Das Heerkönigtum. In: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen. Mainauvorträge 1954 (= Institut für Geschichtliche Landesforschung des Bodenseegebietes in Konstanz. Vorträge und Forschungen. Bd. 3). Thorbecke, Lindau u. a. 1956, S. 105–142.
  • Klaus von See: Kontinuitätstheorie und Sakraltheorie in der Germanenforschung. Antwort an Otto Höfler. Athenäum-Verlag, Frankfurt am Main 1972, ISBN 3-7610-7171-X.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Besprechung von Marc Bloch Die wundertätigen Könige.
  2. Zur Forschungsgeschichte siehe Artikel Sakralkönigtum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 26. Berlin/New York 2004, S. 207ff.
  3. Grundlegender Überblick mit erschöpfenden Literaturangaben im Artikel Sakralkönigtum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 26. Berlin/New York 2004, S. 179ff. Vgl. des Weiteren Matthias Becher: „Herrschaft“ im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter. Von Rom zu den Franken. In: Theo Kölzer, Rudolf Schieffer (Hrsg.): Von der Spätantike zum frühen Mittelalter. Kontinuitäten und Brüche, Konzeptionen und Befunde. Ostfildern 2009, S. 163–188; Stefanie Dick: Der Mythos vom „germanischen“ Königtum. Studien zur Herrschaftsorganisation bei den germanischen Barbaren bis zum Beginn der Völkerwanderungszeit. Berlin 2008; Herwig Wolfram: Frühes Königtum. In: Franz-Reiner Erkens (Hrsg.): Das frühmittelalterliche Königtum. Ideelle und religiöse Grundlagen. Berlin 2005, S. 42–64.
  4. Vgl. vor allem Otto Höfler: Der Sakralcharakter des germanischen Königtums. In: Theodor Mayer (Hrsg.): Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen. Lindau u. a. 1956, S. 75–104, hier S. 82f.
  5. Eve Picard: Germanisches Sakralkönigtum? Quellenkritische Studien zur Germania des Tacitus und zur altnordischen Überlieferung. Heidelberg 1991; vgl. auch Stefanie Dick: Der Mythos vom „germanischen“ Königtum. Studien zur Herrschaftsorganisation bei den germanischen Barbaren bis zum Beginn der Völkerwanderungszeit. Berlin 2008, S. 29ff.
  6. Zusammenfassend Artikel Sakralkönigtum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 26. Berlin/New York 2004, S. 216–219. Vgl. auch Stefanie Dick: Der Mythos vom „germanischen“ Königtum. Studien zur Herrschaftsorganisation bei den germanischen Barbaren bis zum Beginn der Völkerwanderungszeit. Berlin 2008, S. 27ff.
  7. Artikel Sakralkönigtum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 26. Berlin/New York 2004, S. 179f.
  8. Artikel Sakralkönigtum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 26. Berlin/New York 2004, S. 181–183.
  9. Artikel Sakralkönigtum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 26. Berlin/New York 2004, S. 183–207.
  10. Artikel Sakralkönigtum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 26. Berlin/New York 2004, S. 304f.
  11. Artikel Sakralkönigtum. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Band 26. Berlin/New York 2004, S. 225ff.
  12. Franz-Reiner Erkens: Königsheil. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. 2. Aufl. Bd. 3 (2016), Sp. 50f.
  13. Marc Bloch: Die wundertätigen Könige. München 1998.
  14. Franz-Reiner Erkens: Sakral legitimierte Herrschaft im Wechsel der Zeiten und Räume. Versuch eines Überblicks. In: Franz-Reiner Erkens (Hrsg.): Die Sakralität von Herrschaft. Herrschaftslegitimierung im Wechsel der Zeiten und Räume. Berlin 2002, S. 7–32.
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