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Karl X. (Frankreich)
Karl X. Philipp (frz. Charles X Philippe; * 9. Oktober 1757 in Versailles; † 6. November 1836 in Görz, Österreich) aus dem Haus Bourbon war der letzte Herrscher Frankreichs, der den Titel „König von Frankreich und Navarra“ führte. Er folgte 1824 seinem älteren Bruder Ludwig XVIII. auf den Thron. Karl X. wurde 1830 durch die Julirevolution gestürzt; sein Nachfolger Ludwig Philipp führte daraufhin den Titel „König der Franzosen“.
Familie und höfisches Leben
Karl war ein Sohn des Dauphins Ludwig Ferdinand (1729–1765) und dessen Gemahlin Maria Josepha von Sachsen sowie ein Enkel Ludwigs XV. Vor seiner Thronbesteigung trug er den Titel eines Grafen von Artois. Im Alter von sechzehn Jahren heiratete er Maria Theresia von Sardinien, die, genauso wie die Frau seines Bruders Ludwig XVIII., eine Tochter des Königs Viktor Amadeus III. von Sardinien-Piemont war. Seine Jugend verbrachte Karl mit Ausschweifungen, die von vielen als skandalös empfunden wurden und ihm und seiner Clique den Abscheu der Pariser Bevölkerung einbrachten. Obwohl es dem Prinzen an militärischer Neigung fehlte, schloss er sich zur Ablenkung 1772 bei der Belagerung Gibraltars der französischen Armee an. Innerhalb weniger Jahre hatte er Schulden von 56 Millionen Francs angehäuft, eine Belastung, die der finanziell ohnehin ausgelaugte französische Staat übernahm.
Revolution und Exil
Vor der Revolution von 1789 spielte Karl in der Politik nur eine geringe Rolle. Nach dem Sturm auf die Bastille aber wurde er zusammen mit der Königin Marie Antoinette zum Anführer des reaktionären Flügels am Hof. Im Juli 1789 verließ er Frankreich. Als ranghöchster Prinz von Geblüt im Ausland wurde er zum Führer der antirevolutionären Emigranten. Er besuchte verschiedene europäische Höfe, um für die royalistischen Interessen zu werben. Im August 1791 war er der Initiator der Deklaration von Pillnitz, die vom König von Preußen und vom Kaiser unterzeichnet wurde. Sie spielte eine gewisse Rolle auf dem Weg zur Kriegserklärung Frankreichs an Österreich am 20. April 1792, mit der der Erste Koalitionskrieg begann.
Nach der Hinrichtung seines ältesten Bruders Ludwigs XVI. im Januar 1793 verlieh ihm sein nächst älterer Bruder, der mittlerweile ebenfalls emigrierte Graf der Provence, den Titel eines Generalleutnants des Königreichs. Nach dem Tod des Dauphins, der von den Monarchisten als Ludwig XVII. gezählt wurde, beanspruchte der Graf der Provence als Ludwig XVIII. den Königstitel. Karl wurde von den Royalisten nun als Monsieur bezeichnet, ein Titel, der traditionell dem ältesten Bruder des Königs von Frankreich und präsumtiven Thronerben zustand. 1795 versuchte Karl, den Royalistenaufstand in der Vendée zu unterstützen. Er wohnte als Graf von Artois als Verbannter, nachdem ihm das Bleiberecht in der neutralen Reichsstadt Bremen verweigert worden war, auf dem Gut Grolland, in einem zweistöckigen Herrenhaus in der Umgebung von Bremen. Hier veranstaltete er mit Gegnern der Französischen Revolution militärische Übungen. Er weigerte sich aber, die Sache voranzutreiben und sich selbst an die Spitze dieser Aufständischen zu stellen, obwohl er von ihnen anerkannt wurde. Stattdessen ging er nach England und blieb dort bis 1813. Erst im Februar 1814 kehrte er im Gefolge der alliierten Truppen nach Frankreich zurück und zog im April in Paris ein.
Restauration und Thronbesteigung
Während der nun folgenden Regierungszeit seines Bruders Ludwig XVIII. war Karl der Führer der Ultraroyalisten, der Partei der extremen Reaktionäre. Als er nach Ludwigs Tod im September 1824 selbst den Thron bestieg, gewann er durch die Würde seiner Ansprache und seine umgängliche Herablassung eine flüchtige Popularität. Seine Krönung in der Kathedrale von Reims, mit dem prunkvollen Zeremoniell des alten Regimes, verdeutlichte jedoch, dass er sich als König von Gottes Gnaden betrachtete und nicht als konstitutionellen Monarchen wie sein Bruder. Seine ersten Amtshandlungen beruhigten noch die schlimmen Befürchtungen der Liberalen; bald aber wurde offenbar, dass Karl X. das Gewicht seiner Krone konsequent zu Gunsten der reaktionären Kräfte in die Waagschale werfen würde. Die Emigranten wurden für ihr konfisziertes Land entschädigt; Gallikaner und Liberale waren gleichermaßen erregt wegen der Maßnahmen, die den Jesuiten und Ultramontanen Macht zuspielten. Die königlichen Prinzessinnen wurden auf offener Straße beleidigt, und als Karl am 29. April 1825 die Nationalgarde inspizierte, sah er sich mit Rufen „Nieder mit den Ministern!“ konfrontiert. Als Erwiderung erließ er am nächsten Tag ein Dekret, das die Bürgerarmee auflöste.
Erst 1829, als das Ergebnis der Wahlen die Sinnlosigkeit von Villèles Repressionspolitik bewiesen hatte, stimmte Karl unwillig zu, eine Politik des Kompromisses zu versuchen. Inzwischen war es jedoch zu spät. Villèles Nachfolger war der Vicomte de Martignac, der sich Decazes zum Vorbild nahm. In seiner Thronrede verkündete Karl, dass das Glück Frankreichs von der aufrichtigen Union der königlichen Autorität mit den in der Verfassungsurkunde verankerten Freiheiten abhinge. Aber Karl hatte nicht die Geduld und den gesunden Menschenverstand, die es Ludwig XVIII. erlaubt hatten, mit Anstand die Rolle eines konstitutionellen Königs zu spielen. „Ich würde lieber Holz hacken“, rief er aus, „als ein König unter den Bedingungen des Königs von England zu sein!“.
Julirevolution und Abdankung
Als die liberale Opposition alle Maßnahmen blockierte, die von einem Ministerium vorgeschlagen wurden, das nicht von der Parlamentsmehrheit gewählt worden war, verlor er die Geduld. Martignac wurde entlassen, und Prinz Jules de Polignac, geradezu die Inkarnation von Klerikalismus und Reaktion, wurde ans Ruder des Staates berufen. Das unausweichliche Ergebnis war für die ganze Welt offenbar. „So etwas wie politische Erfahrung gibt es nicht“, schrieb Wellington, sicherlich kein Freund des Liberalismus.
Das warnende Beispiel von James II. vor Augen, stellte Karl X. eine Regierung aus Priestern, durch Priester, für Priester zusammen. Ein gewaltiger Aufruhr ging durch Frankreich, was den König nur noch starrsinniger machte. Bei der Eröffnung der Sitzungsperiode des Parlaments 1830 erklärte er, dass er die Stärke finden werde, die Hindernisse zu überwinden, die ihm in seinen Weg gestellt worden seien. Die Antwort der Kammern war ein Protest gegen das ungerechtfertigte Misstrauen gegenüber den Ansichten und dem Verstand Frankreichs; daraufhin wurden sie zunächst vertagt und am 16. Mai aufgelöst. Das Ergebnis der Neuwahlen war voraussehbar: eine große Zunahme der Opposition. Auf Anraten seiner Minister beschloss Karl eine praktische Suspendierung der Konstitution.
Am 25. Juli wurden die berühmten vier Juliordonnanzen ausgestellt, die der unmittelbare Auslöser der folgenden Revolution waren. Die Vorkehrungen, die Karl für den Fall von gewalttätigen Ausschreitungen getroffen hatte, waren völlig unzulänglich: Marschall Marmont, der die verstreuten Truppen in Paris kommandierte, hatte keine Befehle erhalten außer einer scherzhaften Anweisung des Herzogs von Angoulême, sie zu bewaffnen, für den Fall, dass ein paar Fenster zu Bruch gingen. Zu Beginn der Revolution hielt sich Karl in Saint-Cloud auf, von wo er sich bei Erhalt der Nachricht von den Aufständen erst nach Versailles, dann nach Rambouillet zurückzog.
Karl verstand so wenig von der Ernsthaftigkeit der Situation, dass er, als die lakonische Meldung „Alles ist vorbei!“ eintraf, glaubte, dass der Aufstand niedergeschlagen sei. Als er die Wahrheit erkannte, dankte er eilig zugunsten seines Enkels Henri d’Artois, des Herzogs von Bordeaux und Grafen von Chambord, ab und ernannte Louis-Philippe, Herzog von Orléans am 30. Juli zum Generalleutnant des Königreichs (Lieutenant-général du royaume). Als Louis-Philippe die Krone annahm, vermied Karl eine Eskalation des Konflikts und vollzog einen würdevollen Rückzug mit seinem Gefolge zur Seeküste, begleitet von Infanterie, Kavallerie und Artillerie. Abgesehen von der Beobachtung seiner Bewegungen tat die neue Regierung nichts, um seinen Abzug aufzuhalten. Bei Maintenon trennte sich Karl vom Großteil seiner Truppen und zog mit einer Eskorte von 1.200 Mann weiter nach Cherbourg, wo er sich am 16. August nach England einschiffte. Für eine Zeit lang kehrte er in den Holyrood Palace bei Edinburgh zurück, der zu seiner Verfügung stand. Später ging er nach Prag und Ende Oktober 1836 schließlich nach Görz (damals Österreich. heute geteilt zwischen Italien und Slowenien) als Gast des Grafen Johann Baptist Clemens Alexius Anton, Graf Coronini von Cronberg. Siebzehn Tage nach seiner Ankunft in Görz starb Karl X. am 6. November 1836 an der Cholera und wurde am 11. November 1836 im Kloster Kostanjevica (heute Nova Gorica in Slowenien) zur letzten Ruhe gebettet, wo er noch heute in der Bourbonengruft mit 5 weiteren Familienangehörigen und einem Getreuen ruht.
Titel
- Graf von Artois (1757)
- Herzog von Angoulême und Pair von Frankreich (1773)
- Graf von Limoges und Pair von Frankreich (1773–1776)
- Herzog der Auvergne und von Mercoeur und Pair von Frankreich (1773–1778)
- Marquis von Pompadour und Vizegraf von Turenne (1774–1776)
- Schlossherr von Cognac und Bagatelle (1775)
- Herzog von Berry, Châteauroux und La Meilleraye
- Graf von Argenton und Ponthieu und Herr von Henrichemont (1776)
- Marquis von Maisons (1777)
- Graf von Poitou (1778)
- Baron von Picquigny (1779)
- Graf von Saint-Valery und Roc-de-Cayeux (1780)
- Baron von Domart (1782)
- Colonel général des Cent-Suisses et Grisons (1771–1790)
- Colonel général de Garde nationale
Nachkommen
Karl hatte 1773 Maria Theresia von Sardinien geheiratet, mit der er folgende vier Kinder hatte:
- Louis-Antoine de Bourbon, duc d’Angoulême (* 6. August 1775; † 3. Juni 1844)
- ∞ 1799 Prinzessin Marie Thérèse Charlotte de Bourbon, Tochter von König Ludwig XVI.
- Sophie (* 5. August 1776; † 5. Dezember 1783)
- Charles Ferdinand de Bourbon (* 24. Januar 1778; † 14. Februar 1820)
- ∞ 1816 Prinzessin Maria Carolina von Bourbon-Sizilien
- Marie-Thérèse (* 6. Januar 1783; † 22. Juni 1783).
Literatur
- Scipion Marin: Le mémorial de Lulworth et d'Holyrood, ou Occupations, projets, correspondances et tentatives de Charles X dans son exil. Paris 1830
- Alexandre Boltz: Procès des derniers Ministres de Charles X; 2 Bände, Paris (au Bureau des Editeurs) 1830
- Jules Lacroix: Charles X; Paris: E. Renduel, 1831
- Alissan de Chazet: Charles X : esquisse historique; Paris: Ledentu, 1837
- marquis de Villeneuve: Charles X et Louis XIX en exil. Mémoires inédits du marquis de Villeneuve, publiés par son arrière-petit-fils; Paris: Plon, Nourrit et Ce., 1889
- Henry Manayre: Charles X (1757–1836); Paris: chez l’auteur, 1893
- Pierre de La Gorce: La Restauration, Band 2: Charles X; Paris: Plon, 1927
- Villebrumier (d. i. Jacques Vivent): Charles X : dernier roi de France et de Navarre; Paris: le Livre contemporain, 1958
- Jean-Paul Garnier: Charles X, le roi, le proscrit; Paris: Fayard, 1967
- José Cabanis: Charles X : roi ultra; Paris: Gallimard, 1972
- Éric Le Nabour: Charles X : Le dernier roi; Paris: Jean-Claude Lattès, 1980
- André Castelot: Charles X : la fin d’un monde; Paris: Perrin, 1988
- Georges Bordonove: Charles X : dernier roi de France et de Navarre; Paris: Pygmalion, 1990; ISBN 2-85704-322-8
- Landric Raillat: Charles X ou le sacre de la dernière chance; Paris: Payot, 1965
- Yves Griffon: Charles X : roi méconnu; Paris: Rémi Perrin, 1999; ISBN 2-913960-00-6
Weblinks
- Literatur über Karl X. im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Schneider, Lars: Karl X., in: historicum.net, URL: http://www.historicum.net/no_cache/persistent/artikel/527/
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
Ludwig XVIII. | König von Frankreich und Navarra 1824–1830 |
(nach Julirevolution) Ludwig Philipp als König der Franzosen |
Kofürst von Andorra 1824–1830 | ||
Oberhaupt des Hauses Bourbon 1824–1836 |
Louis-Antoine d’Angoulême |
Personendaten | |
---|---|
NAME | Karl X. |
ALTERNATIVNAMEN | Karl Philipp |
KURZBESCHREIBUNG | König von Frankreich |
GEBURTSDATUM | 9. Oktober 1757 |
GEBURTSORT | Versailles |
STERBEDATUM | 6. November 1836 |
STERBEORT | Görz, Österreich |
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Karl X. (Frankreich) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |