Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzyklopädie zum Judentum.
Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ... Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten) |
How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida |
KZ Warschau
Das Konzentrationslager Warschau wurde im Sommer 1943 auf den Ruinen des Warschauer Ghettos errichtet. Das Konzentrationslager wurde ab Ende April 1944 als Außenlager des KZ Majdanek geführt, war aber zu diesem Zeitpunkt schon in Auflösung begriffen. Am 28. Juli 1944 wurde das Konzentrationslager „evakuiert“.
Behauptungen, es habe sich beim Konzentrationslager Warschau um ein Vernichtungslager mit Gaskammer und ca. 200.000 Todesopfern gehandelt, werden von Historikern bestritten.
Hintergrund und Vorgeschichte
Seit März 1942 löste die SS die Ghettos im Generalgouvernement schrittweise auf und verschleppte die Juden in Vernichtungslager der Aktion Reinhardt oder erschoss sie an Ort und Stelle. Am 22. Juli 1942 begann die von der SS so genannte Auflösung des Warschauer Ghettos. Die Rüstungsinspektion und der Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) Friedrich-Wilhelm Krüger vereinbarten, jüdische Arbeiter und ihre Familien aus kriegswichtigen Betrieben von Deportationen zunächst auszunehmen. Diese Absprache wurde oft unterlaufen, Beschwerden häuften sich.
Heinrich Himmler forderte im Oktober 1942, alle Betriebe des Warschauer Ghettos zusammenzufassen und unter Kontrolle des SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes (WVHA) zu stellen. Möglichst bald sollten die Betriebe mitsamt der Zwangsarbeiter als „geschlossene Konzentrationslagerbetriebe“ in den Distrikt von Lublin verlegt werden, um dort als SS-eigene Wirtschaftsunternehmen der Ostindustrie GmbH (OSTI) Wehrmachtsaufträge auszuführen.[1]
Entgegen den Anweisungen Himmlers arbeiteten die Ghettobetriebe wie gewohnt weiter. Himmler forderte am 9. Januar 1943 erbost die sofortige Ausschaltung privater Firmen, ordnete die Verlagerung der Betriebe binnen sechs Wochen an und befahl, diejenigen Juden ins Vernichtungslager Treblinka zu deportieren, die nicht in kriegswichtigen Betrieben benötigt würden. Am 16. Februar 1943 verlangte Himmler, im Warschauer Ghetto ein Konzentrationslager einzurichten.[2] Die Häftlinge sollten nach Verlagerung der Betriebe die Gebäude im Wohnviertel abreißen und die Baumaterialien zur weiteren Nutzung sicherstellen.
Die Wiederaufnahme der Deportationen traf am 18. Januar 1943 auf bewaffneten Widerstand. Ein Großeinsatz zur gewaltsamen Räumung löste am 19. April den Aufstand im Warschauer Ghetto aus, der am 16. Mai 1943 mit der völligen Zerstörung des Ghettos endete.
KZ Warschau
Der SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Jürgen Stroop schlug anschließend vor, das Dzielna-Gefängnis (polnisch: Pawiak) als Konzentrationslager zu nutzen und durch Häftlinge verwendbare Backsteine, Eisenträger und andere Materialien bergen zu lassen.[3] Tatsächlich wurde jedoch das Gebäude des ehemaligen Militärgefängnisses an der ulica Gęsia (dt. Gänsestraße; heute ul. Anielewicza) für das KZ Warschau genutzt; später war die Kommandantur darin untergebracht.
Abriss des Ghettos
Die Fläche des Ghettos betrug 320 Hektar; ein Teil davon wurde der Zivilverwaltung abgetreten. 180 Hektar mit 2,64 Millionen Kubikmeter Mauerwerk sollten abgetragen werden. Das Vorhaben erforderte den Einsatz von schwerem Gerät, Schienen und Loren sowie qualifiziertes Personal und überstieg die Möglichkeiten der lokalen Dienststellen. Albert Speer stufte diese Gewinnung von Baumaterial als bevorzugtes Projekt ein.[4]
Vorgesehen war ursprünglich der Einsatz von 10.000 Häftlingen. Tatsächlich waren im Februar 1944 jedoch neben 2.000 Zivilarbeitern nur 2.040 Häftlinge dort eingesetzt. Zeitweilig blieben die Zwangsarbeiter wegen einer Typhusepidemie in Quarantäne, so dass ausschließlich Zivilarbeiter tätig waren.
Die Arbeiten waren Anfang Juni 1944 zu mehr als 80 % abgeschlossen und sollten planmäßig zum August 1944 auslaufen.
Aufbau des Konzentrationslagers
Die Kommandantur des neuen Konzentrationslagers nutzte ein Gebäude an der Ulica Gęsia. Für das Konzentrationslager, das ursprünglich für 10.000 Häftlinge geplant war, wurden aus den geborgenen Baustoffen einige Baracken an einer Mauer des alten Zentralghettos errichtet. Am 23. Juli 1943 trafen dort 300 nichtjüdische Häftlinge aus Buchenwald ein.[5] Bis Ende November wurden rund 3.700 jüdische Zwangsarbeiter aus Auschwitz eingeliefert, darunter 2.500 ungarische Juden. Im Februar 1944 reduzierte man die geplante Kapazität auf 5.000 Häftlinge, doch erst am 10. Juni meldete die Bauleitung, das Konzentrationslager sei „bezugsfertig“ und könne in Kürze voll belegt werden.[6]
Die Lager-SS
Der erste Lagerkommandant des Lagers war Wilhelm Göcke, ehemaliger Lagerleiter des KZ Mauthausen. Nachfolger Göckes wurde nach wenigen Wochen SS-Hauptsturmführer Nikolaus Herbet mit dem Obersturmführer Wilhem Haertel als Schutzhaftlagerführer. Nachdem das KZ Warschau am 24. April 1944 dem KZ Majdanek als Außenlager unterstellt wurde, folgte Obersturmführer Friedrich Wilhelm Ruppert als Lagerkommandant und Unterscharführer Heinz Villain als Schutzhaftlagerführer.[7]
Nicht alle Abteilungen, die in anderen Konzentrationslagern üblich waren, wurden hier eingerichtet. Funktionsstellen blieben unbesetzt, so gab es zeitweilig keinen Lagerarzt.
Die Wachtruppe bestand aus knapp 150 „Volksdeutschen“ und osteuropäischen Trawniki-Männern.[8]
Lebensbedingungen
Schwere körperliche Arbeit an sechs Tagen der Woche bei unzureichender Ernährung und mangelhafte Unterbringung bestimmten den Alltag der Häftlinge. Mit dem Einsatz schwerer Maschinen überwog leichtere Arbeit beim Säubern und Stapeln von Ziegelsteinen. Durch angeeignete Wertgegenstände, die sich in den Ruinen anfanden, konnten über Zivilarbeiter Schwarzmarktgeschäfte angebahnt werden. Ehemalige Häftlinge beurteilen die Lebens- und Arbeitsbedingungen sehr unterschiedlich .[9]
Auflösung des Lagers
Das Lager wurde Ende April 1944 als Außenlager des KZ Majdanek geführt, war aber zu diesem Zeitpunkt bereits in Auflösung begriffen. Ausgelöst wurde die organisatorische Neuordnung, die mit umfassenden personellen Veränderungen einherging, durch umfangreiche Korruptionsaffären. Neuer Lagerleiter wurde SS-Obersturmführer Friedrich Wilhelm Ruppert.
Am 28. Juli 1944 wurde das Lager von der SS „evakuiert“. Zuvor wurden 200 nicht marschfähige Häftlinge erschossen. 380 Zwangsarbeiter verblieben im Lager, um Material abzubauen und Geräte abzutransportieren. Rund 4.000 Häftlinge mussten zu Fuß unter vielen Todesopfern nach Kutno marschieren, von wo aus sie in Güterwagen in das KZ Dachau transportiert wurden.
Am 5. August 1944 erreichte eine Einheit der Armia Krajowa das Außenlager und konnte 348 Häftlinge befreien, bevor sie sich zurückziehen musste. Mit dem Einmarsch der Roten Armee am 17. Januar 1945 war das Lager endgültig befreit. Es existierte bis 1956 in Teilen weiter in verschiedenen Funktionen als Internierungslager, Kriegsgefangenenlager und Gefängnis für politische Gegner.
Historiografie
Die polnischen Staatsanwältin Maria Trzcińska veröffentlichte Informationen über das KZ Warschau und bezeichnete es als „Vernichtungslager im Zentrum Warschaus“.[10] Sie behauptete, das Konzentrationslager habe sich über fünf Lagerkomplexe in der gesamten Stadt erstreckt. Es seien in einem unterirdischen Tunnel zwischen Oktober 1942 bis August 1944 Vergasungen mittels Zyklon B durchgeführt worden. Insgesamt seien 200.000 Polen im KZ Warschau ermordet worden.
Diese Thesen stießen auf Widerspruch.[11] So gibt es keinerlei Aussagen von Häftlingen, die auf Vergasungen hinweisen.[5] Andreas Mix urteilt in einer 2008 veröffentlichten Arbeit, die Thesen Maria Trzcińskas seien „wissenschaftlich nicht seriös und werden von Historikern kritisiert“.[12] Gleichwohl finden die Behauptungen im polnischen „nationalkatholischen Milieu“ Widerhall.
Die Behauptung, dass im Straßentunnel im Stadtteil Wola eine Gaskammer funktionierte, in der 200 000 Warschauer vergast wurden, wurde offiziell vom Institut des Nationalen Gedenkens (Instytut Pamięci Narodowej, IPN) verneint. Trotzdem verlangen die nationalkatholischen Aktivisten vom Rat der Stadt Warschau den Bau auf Staatskosten eines Denkmals neben dem Tunnel. Alle Zweifelnden werden als Volksverräter gebrandmarkt.[13]
Literatur
- Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 8: Riga-Kaiserwald, Warschau, Vaivara, Kauen (Kaunas), Płaszów, Kulmhof/Chełmno, Bełżec, Sobibór, Treblinka. München 2008, ISBN 978-3-406-57237-1
- Maria Trzcińska: Obóz zagłady w centrum Warszawy, Polskie Wydawnictwo Encyklopedyczne, Radom, 2002. ISBN 83-88822-16-0 (poln.)
Weblinks
- http://www.deathcamps.org/occupation/kzwarsaw_de.html KZ Warschau
- Detailvergrößerung aus obigem Luftbild von Warschau, ca. 1943 (Entlang der Gęsia-Straße drei Lagerabschnitte)
Einzelnachweise
- ↑ Andreas Mix: Warschau-Stammlager. In: Wolfgang Benz, Barbara Distel: Der Ort des Terrors. München 2008, ISBN 978-3-406-57237-1, Band 8, S. 93.
- ↑ Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 94
- ↑ “Stroop-Bericht“, Dokument 1061-PS, IMT: Der Nürnberger Prozess. Nachdruck München 1989, ISBN 3-7735-2521-4, Band 26 (=Dokumentband 2), S. 642.
- ↑ Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 98 mit Anm. 34 auf Nbg. Dok. NO-2503.
- ↑ 5,0 5,1 Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 103
- ↑ Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 102.
- ↑ Andreas Mix: Außenlager Warschau, in: Wolfgang Benz, Barbara Distel: Der Ort des Terrors - Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, München 2008, Band 7, S. 101f.
- ↑ Benz, Distel - 2008, Bd. 7, S. 102, sprechen von über 250 Mann Wachmannschaft.
- ↑ Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 109.
- ↑ Maria Trzcińska: Obóz zagłady w centrum Warszawy, Polskie Wydawnictwo Encyklopedyczne, Radom, 2002. ISBN 83-88822-16-0 (poln.)
- ↑ Rezension des Buches
- ↑ Andreas Mix: Warschau-Stammlager. S. 117.
- ↑ Iwona Szpala: Wykrzyczą pomnik?, Gazeta Wyborcza Stołeczna, 8. Oktober 2009, S. 4.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel KZ Warschau aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |