Das Kurven-, Linien-, Weg- oder Konturintegral erweitert den gewöhnlichen Integralbegriff für die Integration in der komplexen Ebene (Funktionentheorie) oder im mehrdimensionalen Raum (Vektoranalysis).
Wegintegrale über geschlossene Kurven werden auch als Ringintegral, Umlaufintegral[1] oder Zirkulation bezeichnet und mit dem Symbol
geschrieben.
Den Weg, die Linie oder die Kurve, über die integriert wird, nennt man den Integrationsweg.
Reelle Wegintegrale
Kurvenintegral erster Art
Illustration eines Kurvenintegrals erster Art über ein Skalarfeld
Das Wegintegral einer stetigen Funktion
![{\displaystyle f\colon \mathbb {R} ^{n}\rightarrow \mathbb {R} }](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/59609c9aabb59e1c45c3ca8cc97fadef7a95b83c)
entlang eines stückweise stetig differenzierbaren Weges
![{\displaystyle \gamma \colon [a,b]\to \mathbb {R} ^{n}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/3949e127cdd1af020b06369df1a0b89d588f0fdf)
ist definiert als
![{\displaystyle \int \limits _{\gamma }f\,\mathrm {d} s:=\int \limits _{a}^{b}f(\gamma (t))\;\|{\dot {\gamma }}(t)\|_{2}\;\,\mathrm {d} t.}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/3a6f058244118c33240a2c96aa22adae8e11d50a)
Dabei bezeichnet
die Ableitung von
nach
und
die euklidische Norm des Vektors
.
Ein Spezialfall ist die Länge der durch
parametrisierten Kurve
:
![{\displaystyle \mathrm {L{\ddot {a}}nge\ von\ } {\mathcal {C}}=\int \limits _{\mathcal {C}}\mathrm {d} s=\int \limits _{a}^{b}\|{\dot {\gamma }}(t)\|_{2}\,\mathrm {d} t.}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/365ed4767f7939a5d326b715607e3cb219f358c5)
Kurvenintegral zweiter Art
Illustration eines Kurvenintegrals zweiter Art über ein Vektorfeld
Das Wegintegral über ein stetiges Vektorfeld
![{\displaystyle \mathbf {f} \colon \mathbb {R} ^{n}\rightarrow \mathbb {R} ^{n}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/f42776417e37ad32c26ca8ea4a61e209a354adca)
mit einer ebenfalls so parametrisierten Kurve ist definiert als das Integral über das Skalarprodukt aus
und
:
![{\displaystyle \int \limits _{\gamma }\mathbf {f} (\mathbf {x} )\cdot \mathrm {d} \mathbf {x} :=\int \limits _{a}^{b}\mathbf {f} (\gamma (t))\cdot {\dot {\gamma }}(t)\,\mathrm {d} t}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/5930eaaa2ce04420b23627431cb521d2836620ad)
Einfluss der Parametrisierung
Sind
und
einfache (d. h.
und
sind injektiv) Wege mit
und
und demselben Bild, parametrisieren sie also dieselbe Kurve in derselben Richtung und durchlaufen sie die Kurve genau einmal, so stimmen die Integrale entlang
und
überein. Dies rechtfertigt den Namen Kurvenintegral; ist die Integrationsrichtung aus dem Kontext ersichtlich oder irrelevant, wird daher der Weg in der Notation unterdrückt.
Wegelement und Längenelement
Der in den Kurvenintegralen erster Art auftretende Ausdruck
![{\displaystyle \mathrm {d} s=|{\dot {\gamma }}(t)|\,\mathrm {d} t}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/ea99c187d7e261bffa9beba1acd42edcacec3c5a)
heißt skalares Wegelement oder Längenelement.
Der in den Kurvenintegralen zweiter Art auftretende Ausdruck
![{\displaystyle \mathrm {d} \mathbf {x} ={\dot {\gamma }}(t)\,\mathrm {d} t}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/4dc194dfb5a67eefde21507aae7a404fd85fa29c)
heißt vektorielles Wegelement.
Rechenregeln
Seien
,
Kurvenintegrale gleicher Art (d. h. entweder beide erster oder beide zweiter Art), sei das Urbild der beiden Funktionen
und
von gleicher Dimension und sei
. Dann gelten für
,
und
die folgenden Rechenregeln:
![{\displaystyle \alpha \int \limits _{\gamma }\mathbf {f} (\mathbf {x} )+\beta \int \limits _{\gamma }\mathbf {g} (\mathbf {x} )=\int \limits _{\gamma }(\alpha \mathbf {f} (\mathbf {x} )+\beta \mathbf {g} (\mathbf {x} ))}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/249e51b80fb2ef0131c690a7241d768a11fd3da8)
![{\displaystyle \int \limits _{\gamma }\mathbf {f} (\mathbf {x} )=\int \limits _{\gamma |_{[a,c]}}\mathbf {f} (\mathbf {x} )+\int \limits _{\gamma |_{[c,b]}}\mathbf {f} (\mathbf {x} )}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/740d3fb15ff4ed350b3669107d382f361128be1d)
Notation für Kurvenintegrale von geschlossenen Kurven
Ist
eine geschlossene Kurve, so schreibt man
- statt
auch
.
Mit dem Kreis im Integral möchte man deutlich machen, dass
geschlossen ist. Der einzige Unterschied liegt hierbei in der Notation.
Beispiele
- Ist
der Graph einer Funktion
, so wird der Graph durch
![{\displaystyle \gamma \colon [a,b]\to \mathbb {R} ^{2},\quad t\mapsto (t,f(t))}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/8b591f93bbad3236668167ecb696b84bcde376e3)
- parametrisiert. Wegen
![{\displaystyle \|{\dot {\gamma }}(t)\|_{2}={\sqrt {1+f'(t)^{2}}}}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/a76c4333ccd3a327f32eef1c2f52d7d78a034b00)
- ist die Länge des Graphen gleich
![{\displaystyle \int \limits _{C}\mathrm {d} s=\int \limits _{a}^{b}{\sqrt {1+f'(t)^{2}}}\,\mathrm {d} t.}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/e637109dc127b6e4e2bd240dfb220df43a00873b)
- Eine Ellipse mit großer Halbachse
und kleiner Halbachse
wird durch
für
parametrisiert. Ihr Umfang ist also
![{\displaystyle \int \limits _{0}^{2\pi }{\sqrt {a^{2}\sin ^{2}t+b^{2}\cos ^{2}t}}\,\mathrm {d} t=a\int \limits _{0}^{2\pi }{\sqrt {1-\varepsilon ^{2}\cos ^{2}t}}\,\mathrm {d} t;}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/833a0b7d0a88e1f4a5cfc975729765ad97d61495)
- dabei bezeichnet
die numerische Exzentrizität
der Ellipse. (Das Integral auf der rechten Seite wird aufgrund dieses Zusammenhanges als elliptisches Integral bezeichnet.)
Wegunabhängigkeit
Ist ein Vektorfeld
ein Gradientenfeld, d. h.
ist der Gradient eines skalaren Feldes
, mit
![{\displaystyle \mathbf {\nabla } V=\mathbf {F} ,}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/fc4030f15062b26da018c39a1c26af408bcc6146)
so gilt für die Ableitung der Verkettung von
und
![{\displaystyle {\frac {\mathrm {d} }{\mathrm {d} t}}V(\mathbf {r} (t))=\mathbf {\nabla } V(\mathbf {r} (t))\cdot {\dot {\mathbf {r} }}(t)=\mathbf {F} (\mathbf {r} (t))\cdot {\dot {\mathbf {r} }}(t)}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/8e37f415eaacfb67e641a21f825ec5b2a34f8126)
was gerade dem Integranden des Wegintegrals über
auf
entspricht. Daraus folgt für einen gegebenen Weg
![{\displaystyle \int \limits _{\mathcal {S}}\mathbf {F} (\mathbf {x} )\cdot \,\mathrm {d} \mathbf {x} =\int \limits _{a}^{b}\mathbf {F} (\mathbf {r} (t))\cdot {\dot {\mathbf {r} }}(t)\,\mathrm {d} t=\int \limits _{a}^{b}{\frac {\mathrm {d} }{\mathrm {d} t}}V(\mathbf {r} (t))\,\mathrm {d} t=V(\mathbf {r} (b))-V(\mathbf {r} (a)).}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/a0a836602bfe4cda47d28fa4604eb8d8974da3b9)
Zwei beliebige Wege in einem Gradientenfeld
Dies bedeutet, dass das Integral von
über
ausschließlich von den Punkten
und
abhängt und der Weg dazwischen irrelevant für das Ergebnis ist. Aus diesem Grund wird das Integral eines Gradientenfeldes als "wegunabhängig" bezeichnet.
Insbesondere gilt für das Ringintegral über die geschlossene Kurve
, mit zwei beliebigen Wegen
und
![{\displaystyle \oint \limits _{\mathcal {S}}\mathbf {F} (\mathbf {x} )\,\mathrm {d} \mathbf {x} =\int \limits _{1,{\mathcal {S}}_{1}}^{2}\mathbf {F} (\mathbf {x} )\,\mathrm {d} \mathbf {x} +\int \limits _{2,{\mathcal {S}}_{2}}^{1}\mathbf {F} (\mathbf {x} )\,\mathrm {d} \mathbf {x} =0}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/8c953db41586ae566516a18b6f1141cd1bec657a)
Dies ist insbesondere in der Physik von großer Bedeutung, da beispielsweise die Gravitation diese Eigenschaften besitzt. Da die Energie in diesen Kraftfeldern stets eine Erhaltungsgröße ist, werden sie in der Physik als konservative Kraftfelder bezeichnet. Das skalare Feld
ist dabei das Potential beziehungsweise die Potentielle Energie; diese ist gemäß der letzten Beziehung über einen geschlossenen Weg gleich Null.
Wegunabhängigkeit lässt sich auch mit Hilfe der Integrabilitätsbedingung zeigen.
Komplexe Wegintegrale
Ist
eine komplexwertige Funktion, dann nennt man
integrierbar, wenn
und
integrierbar sind. Man definiert
.
Das Integral ist damit
-linear. Ist
stetig und
eine Stammfunktion von
, so gilt wie im Reellen
.
Der Integralbegriff wird nun auf die komplexe Ebene wie folgt erweitert: Ist
eine komplexwertige Funktion auf einem Gebiet
, und ist
ein stückweise stetig differenzierbarer Weg in
, so ist das Wegintegral von
entlang des Weges
definiert als
![{\displaystyle \int \limits _{\gamma }f:=\int \limits _{\gamma }f(z)\,\mathrm {d} z:=\int \limits _{0}^{1}f(\gamma (t))\cdot {\dot {\gamma }}(t)\,\mathrm {d} t.}](https://wikimedia.org/api/rest_v1/media/math/render/svg/8876988e4d66900337a5f836052225d2ea678649)
Der Malpunkt bezeichnet hier komplexe Multiplikation.
Die zentrale Aussage über Wegintegrale komplexer Funktionen ist der Cauchysche Integralsatz: Für eine holomorphe Funktion
hängt das Wegintegral nur von der Homotopieklasse von
ab. Ist
einfach zusammenhängend, so hängt das Integral also überhaupt nicht von
, sondern nur von Anfangs- und Endpunkt ab.
Analog zum reellen Fall definiert man die Länge des Weges
durch
.
Für theoretische Zwecke ist folgende Ungleichung, die sogenannte Standardabschätzung, von besonderem Interesse:
, wenn
für alle
gilt.
Wie im reellen Fall ist das Wegintegral unabhängig von der Parametrisierung des Weges
, d. h. es ist nicht zwingend notwendig,
als Parameterbereich zu wählen, wie sich durch Substitution zeigen lässt.
Siehe dagegen
Literatur
- Harro Heuser: Lehrbuch der Analysis - Teil 2. 1981; 5. Auflage, Teubner 1990, ISBN 3-519-42222-0, S. 369 Satz 180.1, S. 391 Satz 184.1, S. 393 Satz 185.1
Weblinks
Einzelnachweise