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Michael Kühnen

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Michael Aloysius Alfons Kühnen (geb. 21. Juni 1955 in Beuel; gest. 25. April 1991 in Kassel) war ein Anführer der deutschen Neonazibewegung.

Leben

Beginn seiner politischen Karriere

Kühnen kam aus bürgerlichen Verhältnissen und wurde katholisch erzogen. Seine politische Karriere begann bereits mit 14 Jahren in der Jugendorganisation der NPD. Während seiner Schulzeit war Kühnen Schülersprecher am Collegium Josephinum Bonn. 1974 legte er dort das Abitur ab. Von der NPD gelangte er zur Aktion Widerstand, worauf ein nur wenige Wochen dauerndes Zwischenspiel in der Jungen Union folgte. Kühnens Eltern sollen die politischen Aktivitäten ihres Sohnes missbilligt haben.[1][2]

Von 1974 bis 1977 diente er als Zeitsoldat bei der Bundeswehr und studierte an der Universität der Bundeswehr Hamburg. Er erreichte den Offizierdienstgrad eines Leutnants. Im Jahr 1977 wurde Kühnen wegen seiner politischen Betätigung aus der Bundeswehr entlassen.

Am 8. Mai 1977 gründete er gemeinsam mit zwei weiteren Rechtsextremisten eine Unterorganisation der von Gary Lauck gegründeten neonazistischen NSDAP-Aufbauorganisation namens „SA-Sturm Hamburg“. Aus dieser Unterorganisation entstand am 26. November 1977 die Organisation Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS). Kühnen wurde schnell zum führenden Kopf der militanten deutschen Neonazi-Szene. Er ließ sich, wie einst Ernst Röhm, „der Chef“ nennen. Zu seinen damaligen Anhängern gehörten u. a. Thomas Brehl (Wehrsportgruppe Fulda), Christian Worch, Gottfried Küssel (der ihn während seiner Haftaufenthalte als Anführer der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) vertrat), Steffen Hupka und Arndt Heinz Marx. Während seiner zweiten Haft wurde nach einem verbandsinternen Appell zur Ausrottung der „Homosexuellen, Perversen und Verräter“ am 26. Mai 1981 das ehemalige ANS-Mitglied Johannes Bügner (* 1955) aufgrund „erwiesener Homosexualität“ von fünf ANS-Leuten in der Feldmark bei Stemwarde erstochen. Kühnen stritt eine indirekte Täterschaft ab, distanzierte sich von der Tat und widmete Bügner seine 1986 fertiggestellte 67-seitige Broschüre Nationalsozialismus und Homosexualität.[3]

Deutsche Kulturrevolution

Als Gegenbewegung zur „Kulturrevolution“ seitens der 68er-Bewegung propagierte Michael Kühnen eine „völkische” und „Deutsche Kulturrevolution”, die sich antisemitisch gegen Materialismus und „Amerikanismus” richtete. Die USA wurden dabei als Marionette Israels und des Judentums dargestellt, und die „völkische Kulturrevolution” als Allheilmittel gegen den Amerikanismus bezeichnet: „Der Amerikanismus ist die extremste Ausprägung bürgerlich-materialistischer Lebenshaltung [...] und damit die Hauptkraft der heutigen Dekadenz.” Materialismus sei dabei das „Werkzeug” für die „Endziele des Zionismus bei seinem Kampf um die Weltherrschaft”.

Verurteilungen und Verbote

Im Jahr 1978 wurde er wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen zu sechs Monaten Haft verurteilt. Dem folgte 1979 eine Verurteilung zu einer vierjährigen Haftstrafe wegen Volksverhetzung und Verbreitung von neofaschistischen Propagandamaterialien im sogenannten Bückeburger Prozess. Während der Haft schrieb er an einer weit gefassten Propagandaschrift Die zweite Revolution. Nach der Haftentlassung 1982 übernahm er abermals die Leitung der ANS. Diese wurde am 7. Dezember 1983 verboten. 1985 im Januar wurde er zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt.[3] Im Gefängnis erhielt Kühnen einen fünfstündigen Besuch vom österreichischen Dichter Erich Fried.[4]

Reaktion auf die Verbote

Auf das Verbot der ANS am 7. Dezember 1983 reagierte Kühnen, unterstützt von Thomas Brehl und Christian Worch, indem er zunächst die ANS/NA-Kameradschaften in „Leserkreise“ umwandelte. Diese wurden, zusammen mit anderen Organisationen, dann 1984 in der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) vereint. Weitere Nachfolgeorganisationen waren die ebenfalls rechtsextremistische Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) u. a. Kühnen gründete außerdem die Wehrsportgruppe Werwolf. 1990 verfasste er den Arbeitsplan Ost, in dem er den Aufbau militanter rechtsextremer Strukturen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR beschrieb. Der „Widerstandsgruß“, ursprünglich von der Aktion Widerstand benutzt, wurde von ihm übernommen und später mediengerecht eingesetzt und als Kühnengruß bezeichnet. Dieser sollte bewusst provozieren, ohne dabei strafrechtliche Konsequenzen nach sich zu ziehen, wie es mit dem ähnlichen Hitlergruß der Fall gewesen wäre. Er verstand es, die Massenmedien zu benutzen, um immer wieder Öffentlichkeit für seine Politik zu bekommen. Kühnen gelang es, sowohl eine getreue Gefolgschaft als auch Kontakte zu fast allen neonazistischen Gruppierungen und Parteien im In- und Ausland aufzubauen.

Eine Reihe seiner Aktivitäten lehnte sich an das Vorbild der nationalsozialistischen SA an.

Im Februar 1989 nach dem Wahlerfolg der Republikaner im Januar, erschien im Monatsmagazin Tempo ein umfangreiches Interview mit Michael Kühnen. [5]

1991 kündigte Michael Kühnen an, eine internationale Einheit aus Freiwilligen aufstellen zu wollen, die im Zweiten Golfkrieg auf der Seite des Irak kämpfen sollte.[6]

Auflösung der GdNF

Während seiner Haft ab 1985 brach innerhalb der GdNF ein harter Richtungsstreit aus. Kühnens interner Rivale Jürgen Mosler rief zur Ausmerzung aller „Schweine, Kranken und Perversen“ auf. Jeder Schwule sei ein „Verräter am Volk“ und mitverantwortlich für die Ausbreitung von AIDS. Angegriffen und ausgeschlossen wurde auch das französische „Ehrenmitglied“ Michel Caignet, Herausgeber von Gaie France. Kühnen bekannte sich daraufhin zu seinen homosexuellen Neigungen und erklärte am 1. September 1986 zusammen mit seinen Freunden den Austritt aus der GdNF, was zur Spaltung der Organisation führte.[3] In Broschüren und Rundschreiben entfaltete er seine an Hans Blüher und Ernst Röhm orientierte Theorie der Männerbünde: „Die Kultur- und Staatswerdung beruhe auf ordensähnlichen, männerbündischen Prinzipien; die sexuelle Betätigung der ‚Volksgenossen‘ entspringe der liebevollen Hingabefähigkeit an die Gemeinschaft des nationalen Volkes und stehe nicht im Widerspruch zum neuen Nationalsozialismus.“[7] Seiner Ansicht nach hätten Männer kulturell lernen müssen, ihre „‘überschüssige’ Sexualität so zu gebrauchen, daß sie nicht zum Schaden, sondern nach Möglichkeit sogar zum Nutzen der kulturellen Gemeinschaften sich auswirkt“, denn es entspreche für den Mann ganz offensichtlich „nicht seiner biologischen Bestimmung, seine Sexualität ausschließlich zur Fortpflanzung zu benutzen“.[8] Eine Möglichkeit der nutzbringenden Sexualität sah Kühnen in „sexuelle[n] Beziehung[en] zu anderen Männern oder geschlechtsreifen Knaben“.[9] Der Austritt konnte jedoch seinen Einfluss auf das Neonazimilieu nicht merklich schmälern. Im Januar 1989 ließ sich Kühnen erneut zum „Führer“ der FAP ausrufen. Schon körperlich gezeichnet nahm Kühnen als „Führer der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ 1990 an den „Gedenkfeiern“ für Rudolf Heß und am „Gauleitertreffen“ in Fulda teil.[3]

Tod und Auswirkungen

Nachdem Kühnen 1991 an den Folgen seiner Aids-Erkrankung im Krankenhaus starb, löste sich die Organisation, die er aufgebaut hatte, weitgehend auf. Die Mitglieder engagierten sich jedoch in verschiedenen anderen rechtsextremen Gruppierungen weiter.

Kühnen wurde eingeäschert und auf dem Kasseler Westfriedhof beigesetzt. Seine Beerdigung gestaltete sich problematisch: Kühnen hatte vor seinem Tod testamentarisch verfügt, in Langen (Hessen) beerdigt zu werden, und seiner Familie verboten, sich um seine Beerdigung zu kümmern.[2] Stattdessen verpflichtete er seine Verlobte und Christian Worch schriftlich dazu, seine Asche nach Langen zu bringen.[2] Lange Zeit waren jedoch weder Langen noch andere dafür infrage kommende Städte bereit, Kühnen bei sich beerdigen zu lassen.[2]

Schriften

  • Die zweite Revolution (nicht im Handel erhältlich)
  • Nationalsozialismus und Homosexualität
  • Führertum zwischen Volksgemeinschaft und Elitedenken
  • Einführung in die NS-Lebensanschauung
  • Das 25 Punkte Programm der NSDAP neukommentiert
  • Lexikon der Neuen Front
  • Politisches Soldatentum: Tradition und Geist der SA

Literatur

  • Tilman von Brand: Erich Fried will für den Neonazi Michael Kühnen vor Gericht aussagen. Tilman von Brand: Öffentliche Kontroversen um Erich Fried. Wissenschaftlicher Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-936846-20-0, S. 157–219 (Zugleich: Berlin, TU, Diss., 2003).
  • Ingo Hasselbach, Winfried Bonengel: Die Abrechnung. Ein Neonazi steigt aus. 4. Auflage. Aufbau-Verlag, Berlin 1994, ISBN 3-351-02413-4.
  • Anton Maegerle, Rainer Fromm: Michael Kühnen. Biographie eines Neonazis. In: Der rechte Rand. Nr. 13 August/September 1991, S. 21f.
  • Rosa von Praunheims Filmdokumentation Männer, Helden, schwule Nazis.
  • Michael Schmidt: Heute gehört uns die Straße ... Der Inside-Report aus der Neonazi-Szene (= Econ 26165 ECON-Sachbuch). Erweiterte und aktualisierte Auflage. Econ-Taschenbuch-Verlag, Düsseldorf u. a. 1994, ISBN 3-612-26165-7.
  • Alfred Schobert: „Kulturrevolution” im Neonazismus der 80er Jahre. Antiamerikanismus, Antisemitismus und die Mär von der arabischen Welt als natürlichem Alliierten der Deutschen. In: Archiv-Notizen. 1, 2003, ZDB-ID 2410793-1, S. 4–9.

Einzelnachweise

  1. Der neue Neonazi: Michael Kühnen, in: Die Zeit, 1978
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Staub zu Puderzucker, in: Der Spiegel, 25. November 1991
  3. 3,0 3,1 3,2 3,3 Bernd-Ulrich Hergemöller: Mann für Mann - Ein biographisches Lexikon, Suhrkamp Taschenbuch, Hamburg 2001, ISBN 3-518-39766-4
  4. Henryk M. Broder: Der Nazi, der Jude und das Prinzip Eitelkeit, in: Der Spiegel online, 4. November 2007
  5. Absatz zum Kühnen Interview im Buch Tempo (1986–1996) – Eine Dekade aus der Perspektive eines populären Zeitgeistmagazins von Andreas Hentsche
  6. Fabian Virchow: Gegen den Zivilismus: Internationale Beziehungen und Militär in den politischen Konzeptionen der extremen Rechten. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2006, ISBN 9783531150079 (Volltext in der Google Buchsuche).
  7. Zitat: Hergemöller 2001, Grundlage: Klaus Woischner: Michael Kühnen: In Männerbünden sexuell betätigen, TAZ 13. Oktober 1986, S. 9
  8. Kühnen 198: Nationalsozialismus und Homosexualität, Eigendruck, Paris 1986, S.26f
  9. Kühnen 198: Nationalsozialismus und Homosexualität, Eigendruck, Paris 1986, S.27

Weblinks

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