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Vorgezogene Neuwahl
Vorgezogene Neuwahlen sind Wahlen nach der Auflösung eines Parlaments und der vorzeitigen Beendigung der Legislaturperiode.
Deutschland
Rechtliche Grundlagen
Das Grundgesetz sieht zwei Möglichkeiten vor, die zu vorgezogenen Neuwahlen führen können. Nach Art. 68 Abs. 1 kann der Bundespräsident den Bundestag auf Vorschlag des Bundeskanzlers innerhalb von 21 Tagen auflösen, sofern dieser bei einer Vertrauensfrage keine Mehrheit im Parlament gefunden hat. Im Falle eines erfolgreichen konstruktiven Misstrauensvotums erlischt das Recht zur Auflösung des Bundestages. Wird ein Bundeskanzler gemäß Art. 63 Abs. 4 mit relativer, aber nicht mit absoluter Mehrheit der Mitglieder des Bundestages gewählt, so kann der Bundespräsident den Bundestag ebenfalls auflösen. Ein Selbstauflösungsrecht des Bundestages gibt es nicht, wird aber diskutiert. Löst der Bundespräsident den Bundestag auf, so müssen nach Art. 39 Abs. 1 Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen stattfinden.
Auf Landesebene ist, anders als auf Bundesebene, die Möglichkeit der Selbstauflösung des Parlaments verbreitet. So löste sich der Hessische Landtag am 19. November 2008 auf und ermöglichte somit die Neuwahl am 18. Januar 2009. Für vorgezogene Neuwahlen wird ein Beschluss des Landtages, des Landtagspräsidenten oder des Ministerpräsidenten auf Auflösung des Landtages und vorzeitige Beendigung der Wahlperiode benötigt. Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein am 6. Mai 2012 wurde nach Abbruch der Legislaturperiode durch das Landesverfassungsgericht vom 30. August 2010 nötig.
Geschichte
Die erste vorgezogene Bundestagswahl in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war die Bundestagswahl 1972. Vorausgegangen war ein konstruktives Misstrauensvotum gegen Willy Brandt im April 1972, bei dem Rainer Barzel (CDU) zum Bundeskanzler gewählt werden sollte. Es scheiterte an zwei fehlenden Stimmen. Dabei war mindestens die Stimme gegen Barzel von Julius Steiner (CDU) durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) gekauft worden (Steiner-Wienand-Affäre). Trotz der erfolgreichen Abstimmung besaß die Koalition keine handlungsfähige Mehrheit mehr, sodass Bundespräsident Gustav Heinemann nach einer negativ beantworteten Vertrauensfrage Brandts den Bundestag auflöste.
1982 löste sich mitten in der Legislaturperiode die FDP aus der sozialliberalen Koalition, um eine Regierung mit der CDU zu bilden. Helmut Kohl wurde zum Bundeskanzler gewählt. Eine Neuwahl des Bundestages sollte die neue Koalition legitimieren. Die Koalition wählte die gescheiterte Vertrauensfrage zur Herbeiführung der Neuwahlen. Über die Vertrauensfrage stimmte das Parlament am 17. Dezember 1982 ab. Obwohl erst am Tag zuvor der gemeinsame Bundeshaushalt für 1983 beschlossen worden war, sprach das Parlament dem Kanzler das Vertrauen nicht aus. Nach heftigen Diskussionen über die Verfassungsmäßigkeit dieses Vorganges entschied sich der Bundespräsident Karl Carstens dafür, die Auflösung des Bundestages anzuordnen und Neuwahlen für den 6. März 1983 auszuschreiben. Die Bundestagswahl vom 6. März 1983 konnte die CDU/CSU klar für sich entscheiden, die FDP blieb trotz innerparteilicher Auseinandersetzungen und schwerer Verluste Koalitionspartner.
Unmittelbar nach der Wahlniederlage der SPD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2005 kündigte der Bundes- und Fraktionsvorsitzende Franz Müntefering eine Neuwahl an. Er begründete dies damit, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die rot-grüne Bundesregierung nicht mehr erkennbar sei. Bundeskanzler Gerhard Schröder richtete die Vertrauensfrage an das Parlament, das ihm mit dem Votum vom 1. Juli 2005 das Vertrauen vorenthielt. Anschließend schlug der Kanzler Bundespräsident Horst Köhler die Auflösung des Bundestags vor. Dieser löste am 21. Juli 2005 den 15. Deutschen Bundestag auf und ordnete die Neuwahl an. Die Verfassungsmäßigkeit dieses Verfahrens wurde wie 1982 in Frage gestellt, wurde aber vom Bundesverfassungsgericht als verfassungskonform bestätigt. Bei der Bundestagswahl 2005 am 18. September 2005 verlor die rot-grüne Koalition ihre Mehrheit.
Beispiele für vorgezogene Neuwahlen auf Landesebene sind die Bürgerschaftswahlen in Hamburg im Dezember 1982, 1987, 1993, 2004 und 2011, die Wahl zur Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin 1948, die Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 1950, 1981, 1990 und 2001 sowie die Landtagswahl in Hessen 2009. Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2012 war die zweite vorgezogene Neuwahl in Folge, nachdem bereits für die Landtagswahl 2009 aufgrund einer Vertrauensfrage des Ministerpräsidenten der Landtag vor dem regulären Ablauf der Legislaturperiode aufgelöst wurde. Auch die Landtagswahl 1988 war eine vorgezogene Neuwahl, welche auf Grund der Barschel-Affäre notwendig wurde.
Vorgezogene Neuwahlen in anderen Ländern
In vielen Ländern gibt es ein Selbstauflösungsrecht des Parlaments.
Im Vereinigten Königreich hat der Premierminister das Recht, den Monarchen jederzeit um eine vorzeitige Auflösung des Parlamentes zu bitten. In der britischen Tradition hat die Regierung damit die Möglichkeit, die Wahl zu dem Zeitpunkt anzusetzen, der ihr am erfolgversprechendsten erscheint. Das „hung parliament“ bei den britischen Unterhauswahlen im Februar 1974 führte zu Neuwahlen.
2011 kam es zu vorgezogenen Neuwahlen in Portugal und Lettland, im Februar 2012 in Griechenland. Im Zuge der Affäre um den Geheimdienst SREL hat Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker am 10. Juli 2013 angekündigt, er werde am [veraltet] 11. Juli Großherzog Henri vorgezogene Neuwahlen vorschlagen um ein Misstrauensvotum des Parlaments, das die Auflösung der Regierung zur Folge gehabt hätte, zu verhindern.
Weblinks
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Vorgezogene Neuwahl aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |