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Sara Atzmon

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Sara Atzmon
Sara als junges Mädchen
Sara Atzmon nach ihrem Eintritt ins israelische Militär

Sara Atzmon (geb. 1933 in Ungarn) ist eine in Israel lebende jüdische Zeitzeugin der Judenverfolgung und Malerin.

Biographische Skizze

1933

Hedvig Gottdiener, Sara, wird als vierzehntes unter sechzehn Kindern in Hajdunanas in Ungarn geboren.

1941

Im faschistischen Ungarn werden Juden systematisch verfolgt und getötet. Saras Vater und vier ihrer Brüder werden zur Zwangsarbeit eingezogen. Für Sara beginnt ein Leben in Angst und Demütigung.

Sara: „Auf einmal waren wir die verfluchten Juden, wurden geschlagen und verfolgt.“

1942

Eduard Israel Gottdiener, Saras Vater, wird von den Nazis in Hajdúnánás der Bart abrasiert. Eine furchtbare Erniedrigung für jüdische Männer.

Sara: „Mein Vater litt schwer unter der Demütigung, es war für ihn so, als müsste er nackt durch die Straßen laufen.“

1944

Familie Gottdiener kommt ins Ghetto nach Debrecen. Für Sara beginnt ein Leben in Angst und Demütigung. Die Juden müssen alle ihre Wertsachen bei der Gestapo abgeben und sie werden gezwungen, den Judenstern zu tragen. Dann ein Alptraum für das kleine Mädchen: Sara musste sich „gynäkologisch“ untersuchen lassen. Die Nazis haben Wertsachen gesucht, die die Eltern angeblich in den Mädchen versteckt hätten.

Sara „Das waren höllische Schmerzen und ich wusste als kleines Mädchen nicht, wie mir geschieht. Ich wusste gar nicht, was die da machen.“

Aus dem Ghetto in Debrecen werden alle Juden in eine Ziegelei außerhalb der Stadt gebracht. 40.000 Menschen stehen lediglich 4 Wasserhähne und 4 Toiletten zur Verfügung. Zu essen gibt es für die jüdischen Häftlinge Schweinefleisch. Von hier aus werden die Transporte nach Auschwitz zusammengestellt.

Am 25. Juni 1944, in einem Viehwagon mit 96 Häftlingen, ohne Wasser, ohne Essen und ohne Toilette, wird Sara nach Auschwitz deportiert. An der polnischen Grenze stoppt die Fahrt ins Todeslager. Der Zug von Sara ist nicht auf der Vernichtungsliste registriert und wird zurückgeschickt. Was für eine Perversion: Wer nicht auf der Liste steht, wird nicht vergast. So gelangt Sara mit ihrer Familie in das Lager Strasshof in Österreich. Dort befindet sich während der Zeit des Nationalsozialismus ein KZ. Dahin werden 21.000 ungarische Juden zur Zwangsarbeit deportiert. Sara muss sich nach ihrer Ankunft im Lager nackt ausziehen und „desinfizieren“ lassen.

Sara: „In Strasshof fallen die Frauen aus den aufgeheizten Wagons. Vielen läuft das Menstruationsblut die Beine runter. Den Schwangeren schert man die Köpfe kahl. Ich war 11 Jahre und hatte noch nie schwangere Frauen nackt gesehen. Die Schwangeren hat man dann ein zweites Mal nach Auschwitz geschickt. Diesmal hat man sie genommen und vernichtet.“

Sara Atzmon, ihre Geschwister und Eltern werden zur Zwangsarbeit ins niederösterreichische Heidenreichstein geschickt. Die 11jährige arbeitet von morgens bis abends. Es gibt eine Scheibe Brot pro Tag. Am 11. August 1944 bricht der Vater, von Zwangsarbeit und Hunger geschwächt, zusammen und stirbt. Sara steht daneben. Ein Erlebnis, das sie ihr ganzes Leben nicht mehr loslässt. Ihr Bruder Eliezer baut einen Sarg für den Vater.

Sara: „Damals war es das letzte Mal, dass ich weinte. Nach dem Tod meines Vaters konnte ich 60 Jahre lang nicht mehr weinen.“

Später arbeiten die Gottdieners in einer Fallschirmfabrik. Ende November wird die Familie per Vieh-Wagons nach Strasshof zurück transportiert. Dort verbringen sie drei Tage nackt im Desinfizierungs-Lager. Sara bekommt für den Winter einen roten Kinder- und einen schwarzen Damenschuh mit Absatz. Sie muss jetzt ein halbes Jahr mit diesen ungleichen Schuhen laufen und leidet dadurch furchtbare Qualen.

Wieder wird die Familie in Vieh-Wagons verladen. Diesmal geht der Transport nach Bergen-Belsen.

Sara: „In diesen Schuhen marschierte ich am 2. Dezember in das KZ Bergen-Belsen ein. Ich dachte, wir hätten bisher das schlimmste Leid erlebt. Aber jetzt waren wir in der Hölle gelandet.“

Das Lager Bergen-Belsen ist ein Schlachthaus. Tausende Menschen werden jeden Tag von der SS ermordet, die Leichen türmt man zu Bergen auf. Es herrschen schier unglaubliche Zustände. Es gibt kaum noch Nahrung und Wasser, in den dünnen Suppen wird Menschenfleisch gefunden. Die Menschen können sich nicht waschen oder die Kleider wechseln. Sie sind vollkommen verlaust. Tausende sterben an Typhus. Denen, die nicht an der Seuche zugrunde gehen, spritzen die SS-Leute kurz vor Kriegsende Typhus-Erreger in die dünnen Arme.

Sara steht Tage und Wochen bei klirrender Kälte stundenlang auf dem Appellplatz von Bergen-Belsen. Vor dem Fenster ihrer Baracke, „dem Ungarnhaus“, türmen sich Leichen zu hohen Bergen auf.

1945

Anfang April stellt die SS wieder Transporte zusammen. Eine Woche verbringen Tausende Häftlinge in Vieh-Wagons. Als die amerikanische Luftwaffe einen Zug in der Nähe von Bergen-Belsen bombardiert, können 4000 Häftlinge fliehen. Die Dorfbewohner der Umgebung erschlagen sie mit Stöcken und Harken. Sie töteten freiwillig. Keiner hatte es ihnen befohlen.

Wieder stellen die Nazis Transporte mit Juden zusammen. Man will angeblich Häftlinge gegen deutsche Kriegsgefangene austauschen. Am 6. April verlässt Sara mit einem solchen Transport das KZ Bergen-Belsen. Doch die SS-Wachmannschaften lassen die Wagons auf freier Strecke stehen und fliehen vor den anrückenden Truppen der Alliierten.

Am 13. April 1945 bei Farsleben, nördlich von Magdeburg, stoßen amerikanischen Truppen auf die verwaisten Züge. Sara wird mit 12 Jahren und einem Gewicht von 17 Kilo befreit. Von den 16 Geschwistern der Familie Gottdiener haben 13 und die Mutter überlebt. 60 Mitglieder ihrer Familie kamen unter den Nazis ums Leben.

Sara: “Wir haben nicht geglaubt, dass wir frei sind. Wir wussten gar nicht, was das ist.“

Sara kommt wieder in ein Lager. Diesmal in das befreite ehemalige KZ Buchenwald. Das Schweizer Rote Kreuz stellt Kindertransporte zusammen, nach Amerika, in die Schweiz und nach Palästina. Sara und ihre Familie entscheiden sich ohne zu zögern für Palästina. Über Paris und Marseille gelangt Sara mit ihren Geschwistern am 16. Juli 1945 mit dem ersten Einwanderungsschiff nach Haifa, Palästina.

Sara: „Als ich als 12jähriges Mädchen nach Palästina kam, da war ich so glücklich und aufgeregt und wollte nur noch ausrufen: 'Ich lebe, ich bin ein freies jüdisches Mädchen!' Ich bin im Alter von 12 Jahren noch einmal geboren worden.“

Sara erwartet das nächste Lager. Palästina steht zu jener Zeit noch unter britischer Mandatsherrschaft. Um den Zustrom von Juden aus Europa nach Palästina zu stoppen, sperren die Briten Tausende Ankömmlinge in illegale Gefangenenlager. Sara darf mit anderen Kindern legal einreisen, kommt aber trotzdem in das Gefangenenlager in Atlit, nahe dem Hafen Haifa. Wieder Stacheldraht, Desinfektion, Separation – und Saras Alptraum, - wieder Wagons.

1949

Nach dem Unabhängigkeitskrieg darf Sara das machen, was sie nie durfte - zur Schule gehen. Zusammen mit 200 Waisenkindern kommt sie in das Internat „Mossad Alia“. Dort bleibt sie 3½ Jahre. Sie arbeitet später in Jugendgruppen, engagiert sich für den jungen Staat Israel.

Sara: „Unserer Familie Gottdiener widerfuhr ein Wunder. Trotz Todesängsten und Qualen, die wir durchstanden, trotz der Verbrennung und Ermordung von 60 Mitgliedern unserer Familie, hat fast ein ganzer Stamm überlebt, und dieser Stamm hat bei der Gründung des Staates Israel mitgewirkt.“

1951

Sara tritt in die israelische Armee ein.

1954

Hochzeit mit dem in Israel geborenen Uri Atzmon. Sie bekommen 6 Kinder. Über ihre Vergangenheit wird zu Hause nicht gesprochen. Bis sie fast 20 Jahre später anfängt, in Schulen Vorträge zu halten. Sara: „Nachfolgende Generationen sollen sehen und verstehen, wohin Hass und Aufwiegelung führen können.“

1964

Die Familie holt die sterblichen Überreste des Vaters Eduard Israel Gottdiener von einem christlichen Friedhof in Österreich nach Israel und beerdigt sie auf einem jüdischen Friedhof.

1987

Ende der 80er Jahre beginnt Sara Atzmon mit der Malerei, verarbeitet die Erlebnisse in der NS-Zeit, organisiert Ausstellungen, reist um die Welt. Immer wieder setzt sie sich für ein besseres Verhältnis zwischen Juden und Arabern ein. Sara stellt ihre Bilder in der ganzen Welt aus, in Jerusalem (Yad Vashem), in den USA, in Deutschland.

2007

In Bergen-Belsen wird eine neue Gedenkstätte eröffnet. Sara Atzmon hält eine bewegende Eröffnungsrede. Sara: „Ich höre die Gebete der weißen, nackten Skelette. Es rufen die weitgeöffneten Münder – und ich, ein kleines Mädchen, das sie mit Furcht anblickt und mit der Hoffnung, denn vielleicht erwachen sie wieder zum Leben. Aber sie erwachten nicht.“

Seit 2008

Sara Atzmon reist in die USA, nach Indien, Burma, und immer wieder nach Deutschland und zeigt ihre aufrüttelnden Bilder. Sie nennt es „ihren Kampf gegen das Vergessen.“ Sara: “Sie haben mir in Bergen Belsen meine Kindheit genommen. Wir kannten keine Freude, keine Kindergeburtstage und gespielt haben wir neben Bergen von Leichen.“

2012

Mit Unterstützung jüdischer und christlicher Organisationen wird vom Israelwerk "Feigenbaum e.V." der bewegende und aktuelle Dokumentarfilm "Holocaust light - gibt es nicht!" über das Leben und Engagement Sara Atzmons produziert. Dieser Film erzählt nicht nur ihre unglaubliche Überlebensgeschichte, sondern adressiert auch das zunehmende Unwissen und die Ignoranz beim Thema Holocaust in Deutschland.

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