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Selbstversorgung

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Selbstversorgung bezeichnet eine autonome, von anderen Personen, Gemeinschaften, Institutionen oder Staaten unabhängige Lebensführung bzw. Wirtschaftsweise. Ein auf Selbstversorgung beruhendes Wirtschaftssystem nennt man Subsistenzwirtschaft.

Geschichtlicher Ursprung der Selbstversorgung

In vorzeitlichen Kulturen lebten sowohl Jäger und Sammler als auch Ackerbauern und Nomaden bis zum Ende des Neolithikums oder darüber hinaus in Subsistenzwirtschaft. Der marginale Tauschhandel betraf vermutlich eher Prestigegüter als den Lebensunterhalt. Während der weiteren Entwicklung der Agrarwirtschaft blieb die Selbstversorgung bis zur Industriellen Revolution immer ein bedeutender ökonomischer Aspekt neben der Marktproduktion und Erwerbsarbeit.

In der Alltagspraxis spricht man von Selbstversorgung, wenn sich Menschen materielle Grundlagen des täglichen Lebens (Nahrung, Kleidung, Wohnung etc.) zu einem großen Teil selbst erschaffen und nicht nur auf die im Markt angebotenen Produkte zurückgreifen. Dies betrifft insbesondere den Eigenanbau und die Herstellung von Nahrungsmitteln und deren Konservierung sowie die Produktion von Gebrauchsgegenständen aller Art.

Gedanke der Selbstversorgung

War die zumindest teilweise Selbstversorgung auf dem Land, in Dörfern und Landstädten für breite Bevölkerungsschichten selbstverständlich, so änderte sich deren Lage in den Städten und vor allem während der Industrialisierung. Da im Europa des 19. Jahrhundert die Vergütung der Erwerbsarbeit in der Industrie am Rande und unterhalb des Existenzminimums lag, wurden ergänzende Formen der Versorgung in Städten notwendig. Um die Armut und den Hunger in den Städten zu mindern, wurden von sozialreformerisch eingestellten Industriellen und Politikern nach Möglichkeiten gesucht, wie die lohnabhängigen Schichten ihre notwendigen Lebensmittel selbst produzieren könnten. Eine paternalistische Lösung wurde in der Gartenstadt und im Werkssiedlungsbau, eine andere im Kleingarten gesehen, die zur Ergänzung der Erwerbsarbeit dienen sollten.

Aber auch von Seiten der Lebensreformbewegung und von sozialrevolutionären Bewegungen (z. B. der Anarchist Gustav Landauer) in Anknüpfung an Ideen von Leo Tolstoi und Peter Kropotkin (später auch Mahatma Gandhi) wurde die Verfügung über Land und Boden zur selbstbestimmten Produktion von Lebensmitteln gefordert und teilweise in Landkommunen auch umgesetzt (z. B. Eden Gemeinnützige Obstbau-Siedlung).[1]

Der Gartengestalter und Siedlungsplaner Leberecht Migge entwickelte während und nach dem Ersten Weltkrieg das Konzept der Selbstversorgung für jedermann. Dieses Konzept verlangt, dass jeder über ausreichend Gartenland verfügen können müsse, um die für die eigene Ernährung notwendigen Lebensmittel anbauen zu können.[2] Zudem entwickelte er Konzepte zur Kreislaufwirtschaft und zu Anbaumethoden, um die Bodenfruchtbarkeit nachhaltig zu verbessern.[3]

In den 1920er Jahren sind zudem von Siedlungsgenossenschaften und durch staatliche Wohnungsbauförderprogramme der Weimarer Republik sogenannte Selbstversorgersiedlungen mit straßenorientierten Siedlerhäusern auf großen, langgestreckten Gartenparzellen errichtet worden.[4] Diese Siedlungsform knüpft an den Siedlungsgrundriss der Moorkolonien an, entwickelt ihn aber im Sinne einer städtischen Rastererschließung weiter. Ziel dieser Siedlungen war die eigenständige Produktion von Lebensmitteln auf der eigenen Parzelle innerhalb einer (klein)städtischen Siedlungsform.

Gegen Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg erlangte die Bezeichnung ‚Selbstversorger‘ in Deutschland eine spezifische Bedeutung in der Lebensmittelbewirtschaftung: Selbstversorger waren in der Regel die Landwirte, die keinen Anspruch auf Lebensmittelkarten hatten. Daneben gab es Teil-Selbstversorger, zum Beispiel Personen, die durch eine Landwirtschaft im Nebenerwerb Zuteilungen nur für solche Waren bekamen, die sie nicht selbst erzeugen konnten. Um die Teil-Selbstversorgung zu fördern, wurden viele Wohnsiedlungen in den 1940er und 1950er Jahren mit großen Nutzgärten angelegt, die heute zum Teil als Baulandreserve für die Nachverdichtung genutzt, teilweise aber auch als Kleingärten erhalten werden sollen, was in einigen Fällen zu Konflikten führt.

In der jüngeren Vergangenheit ist der Gedanke der Selbstversorgung durch die Öko-Anarchisten Murray Bookchin und Colin Ward sowie innerhalb der Debatte um die Subsistenzwirtschaft durch Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen aufgegriffen worden. Ein bekannter Selbstversorger der 1970er Jahre war der Engländer John Seymour, der mit seinen Büchern in den 1970er Jahren eine weltweite Selbstversorgungsbewegung in den entwickelten Ländern ausgelöst hat und noch heute vielen Menschen als Vorbild für eine unabhängige Lebensführung dient.

Im Zusammenhang mit aktuellen Ressourcenengpässen, Versorgungskrisen, Nahrungsmittelkonkurrenz und Lebensmittelpreisen erlangt die Idee der Selbstversorgung in der Stadt wieder erhöhte Aufmerksamkeit (z. B.Transition Towns). In gleiche Richtung wirkt die Staatsschuldenkrise im Euroraum mit sinkenden Löhnen und steigender Arbeitslosenquote, die Selbstversorgung wieder als ökonomische Alternative oder Ergänzung erscheinen lassen. Niko Paech fordert im Rahmen der Nachhaltigkeitsdebatte eine teilweise Rückkehr zur Selbstversorgung mittels Gemeinschaftsgärten oder Urbaner Landwirtschaft als Maßnahme zur Lösung sozialer und ökologischer Probleme.[5]

Literatur

  • Leberecht Migge: Jedermann Selbstversorger. Jena 1919.
  • Leberecht Migge: Deutsche Binnenkolonisation. Berlin-Friedenau 1926.
  • Elke von Radziewsky: Der Selbstversorger Garten BLV, ISBN 978-3-8354-0754-1.
  • John Seymour: Das große Buch vom Leben auf dem Lande. Urania, Berlin 1999, ISBN 3332010603
  • John Seymour: Selbstversorgung aus dem Garten. Urania, Berlin 1999, ISBN 333201059X
  • Shankara & Parvatee: Handbuch für Selbstversorger, Lichtheimat Ashram, Der Grüne Zweig 66, ISBN 978-3-922708-66-7
  • Vgl. Karin Gabbert u.a. (Hrsg.): Über Lebensmittel - Analysen und Berichte (Lateinamerika). Westfälisches Dampfboot, Münster 2009.

Weblinks

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Ulrich Linse: Ökopax und Anarchie. Eine Geschichte der ökologischen Bewegungen in Deutschland. München 1986.
  2. Inge Meta Hülbusch: ‚Jedermann Selbstversorger‘. Das koloniale Grün Leberecht Migges. In: Nachlese Freiraumplanung. Kassel 1991: S. 1-16. Ulrich Linse: Ökopax und Anarchie. München 1986: S. 85 ff.
  3. Leberecht Migge: Jedermann Selbstversorger. Jena 1919. Ders.: Deutsche Binnenkolonisation. Berlin-Friedenau 1926.
  4. Tilman Harlander, Kathrin Hater, Franz Meiers: Siedeln in der Not. Stadt Planung Geschichte, Bd. 10, Christians, Hamburg 1987.
  5. Niko Paech: Die Legende vom nachhaltigen Wachstum. In: Le Monde diplomatique. Abgerufen am 18. Oktober 2011.
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