Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzyklopädie zum Judentum.
Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ... Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten) |
How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida |
Sonderlager des MWD
Die insgesamt zwölf Sonderlager des MWD (Innenministerium der UdSSR, ehemals NKWD), die in der Sowjetunion ab Februar 1948 errichtet wurden, waren eine besondere Einrichtung des Gulag-Lagerkomplexes für politische Gefangene. Die Bezeichnung Sonderlager lautet russisch особый лагерь, kurz особлаг (Ossoblag). Es existierten insgesamt zwölf solche Sonderlager. Nach Stalins Tod 1953 wurden sie nach und nach wieder aufgelöst beziehungsweise umstrukturiert.
Bezeichnung
In den Gesetzestexten, die zur Errichtung der Sonderlager führten[1], wie auch in den Arbeiten, welche die Auswertung der Geschichte der Lager aufgrund von Dokumenten der NKWD, MWD und anderen mit den Lagern befassten Behörden der damaligen Sowjetunion vorgenommen haben[2][3][4], wird so gut wie ausschließlich der Begriff „Sonderlager“ (russisch особый лагерь) verwendet. Daneben findet man in der Sekundärliteratur, wie beispielsweise bei Ralf Stettner[5] oder Jacques Rossi[6], die Bezeichnung „Speziallager“ (zurückgehend auf das russische специальный лагерь); Siegfried Jenkner spricht in einer seiner Arbeiten von „besonderen Lagern mit verschärftem Regime, kurz Regimelager genannt“ und verwendet den Begriff „Regimelager“ auf die 1948 errichteten Lager für politische Häftlinge, spricht jedoch an einer anderen Stelle von insgesamt siebzehn Lagern[7]. Inwieweit es sich bei diesen unterschiedlichen Begriffen um eine andere Übersetzung handelt, eine Ausdehnung des Begriffes „Sonderlager“ auf andere Gulaglager usw., kann und soll hier nicht geklärt werden.
Zweck der Sonderlager
Die Sonderlager waren ein besonderer Teil der Einrichtungen des allgemeinen sowjetischen Strafvollzugs der Jahre 1948 bis etwa Anfang der 1960er Jahre, die auf Häftlingsarbeit ausgerichtet waren und verschiedenen, häufig wechselnden Hauptverwaltungen unterlagen.[3] Sie sollten der Entlastung der allgemeinen Gulag-Lager und der Isolierung von Personen dienen. Sie wurden in erster Linie für Häftlinge, die wegen Spionage, Zersetzung und Sabotage, Terrorismus, ferner für Trotzkisten, Menschewiki, Sozialrevolutionäre, „rechte Elemente“, Anarchisten, Nationalisten, Weißgardisten und andere errichtet – ob die Verurteilung auf Tatsachen basierte oder nicht. Die Behörden sprachen in dieser Beziehung von „Kontingenten“.[2][4][Anm 1]
Geschichte
Die Einrichtung der Sonderlager in der Sowjetunion geht auf das Dekret Nr. 00219 des Innenministeriums MWD vom 21. Februar 1948 zurück; hier wurde auch die Finanzierung beschlossen (Staatshaushalt der UdSSR) und die Orte festgelegt, in denen die ersten Lager errichtet werden sollten; ebenfalls wurde die Verwaltungsstruktur beschlossen.[1] Im Februar 1948 entstanden die ersten fünf Sonderlager (Sonderlager Nr. 1 bis 5), im August 1948 das Sonderlager Nr. 6 und im Dezember 1948 Sonderlager Nr. 7; von 1949 bis 1952 kamen noch fünf andere hinzu.[4]
Zur gleichen Zeit wurde über die Errichtung von Sondergefängnissen (Особые тюрьмы) entschieden. Sie wurden in Wladimir (Russland) (Gefangenenlager Wladimirowka), Alexandrowskoje und Werchneuralsk errichtet.[4]
Die Lager entstanden häufig in nächster Nachbarschaft bereits bestehender Gulag-Lager (Besserungs- und Arbeitslager) oder gar auf deren Gelände, wurden jedoch streng von diesen getrennt und isoliert und durch spezielle Wachmannschaften bewacht. Das Arbeitsregime war außerordentlich rücksichtslos, in den Unterkünften rechnete man 1 Quadratmeter pro Person, etwa die Hälfte wie in den übrigen Lagern. Vergitterte Fenster, Verbot, die Unterkunft zu verlassen und andere Maßnahmen hatten den Charakter eines strengen Gefängnisses.[2] Die Verwaltung und Aufsicht oblag dem Innenministerium MWD (und dessen verschiedenen Abteilungen), dies auch nach 1953, als die meisten übrigen Gulag-Lager z. B. dem Justizministerium übergeben wurden. Die Insassen der Sonderlager wurden für die schwerste Arbeit im Kohle- und Erzbergbau, beim Straßen- und Eisenbahnbau, im Holzeinschlag und für andere grobe Arbeiten eingesetzt. Im Zeitraum 1953/1954 kam es in den Sonderlagern zu drei größeren Revolten: in GorLag (→Aufstand von Norilsk), RetschLag (→Aufstand von Workuta) und in StepLag (→Kengir-Aufstand).[4]
Ab Sommer 1954, nach Stalins Tod und nach den Aufständen in einigen Lagern, wurden die Sonderlager nach und nach zurückgefahren: sie wurden aufgelöst oder als die sonstigen Besserungs- und Arbeitslager eingestuft und geführt.[4]
Liste der Sonderlager
Nach Februar 1948 wurden folgende Sonderlager errichtet:
- MinLag, Sonderlager Nr. 1 (1948)
- GorLag, Sonderlager Nr. 2 (1948)
- DubrawLag, Sonderlager Nr. 3 (1948)
- StepLag, Sonderlager Nr. 4 (1948)
- BerLag, Sonderlager Nr. 5 (1948)
- RetschLag, Sonderlager Nr. 6 (1948)
- OserLag, Sonderlager Nr. 7 (1948)
- PestschanLag, Sonderlager Nr. 8 (1949)
- LugLag, Sonderlager Nr. 9 (1949)
- KamyschLag, Sonderlager Nr. 10 (1951)
- DalLag, Sonderlager Nr. 11 (1952)
- WodorasdelLag, Sonderlager Nr. 12 (1952)
Die Lager besaßen ursprünglich keine Namen und wurden lediglich chronologisch nach dem Datum ihrer Gründung durchnummeriert. Erst später erhielten sie verschiedene Namen, die jedoch nur selten einen Bezug zur Realität hatten (so gibt es in der Umgebung vom Lager Nr. 7 – OserLag, dessen Name von „See“, „Seelandschaft“ abgeleitet ist, keine Seen). Man nimmt an, dass in vielen Fällen einfach die den Lagern zugeteilten Telegraphencodes übernommen wurden. Diese Telegraphencodes wurden ab 1949, häufig als Tarnung, zugeteilt.[2][8] Beim Sonderlager Nr. 17, das vereinzelt in der Literatur vorkommt, handelt es sich offenbar um das Sonderlager Nr. 7 (OserLag).[2]
Insassenzahlen
Ursprünglich wurde die maximale Zahl der in Sonderlagern gehaltenen Häftlinge durch einen Beschluss der Gulagverwaltung auf 145.000 limitiert. Wie eine Kommission des Innenministeriums jedoch feststellte, gab es bereits 1948 in den allgemeinen Besserungs- und Arbeitslagern etwa 175.000 Häftlinge, die in die neuen Sonderlager überführt werden sollten; darüber hinaus rechnete man mit neuen „Kontingenten“. Das Limit wurde daher angehoben.[4]
Während es 1949 in den Sonderlagern 106.573 Häftlinge gab (andere Quellen geben 197.000 Personen an[2]), waren es im Januar 1950 bereits 185.000, im Januar 1951 215.000 und im Januar 1952 schließlich 257.000[4]; im Februar 1953 sank die Zahl bereits auf 234.000 Häftlinge.[4][2] In dem folgenden Jahre sank die Zahl im Zuge der Auflösung beziehungsweise Umstrukturierung der Sonderlager weiter kontinuierlich.
Der russische Historiker Smykalin macht aufgrund von vielen Dokumenten folgende Angaben über die Nationalitätenstruktur der Häftlinge in den sowjetischen Sonderlagern im Jahre 1954[9]:
Land | Anzahl | Land | Anzahl | |
Deutschland | 10.542 | Lettland, Litauen und Estland | 49 | |
USA | 2.836 | Österreich | 40 | |
Japan | 1.171 | Bulgarien, Jugoslawien | 36 | |
Großbritannien a) | 1.164 | Italien | 27 | |
China | 988 | Dänemark, Schweden, Norwegen | 18 | |
Rumänien | 554 | Griechenland | 8 | |
Ungarn und Tschechoslowakei | 303 | Holland, Belgien, Luxemburg | 7 | |
Finnland | 326 | Vatikan | 6 | |
Frankreich | 276 | Iran, Syrien, Ägypten, Transjordanien b) | 5 | |
Polen | 202 | Spanien | 4 | |
Iran b) | 182 | Lateinamerikanische Länder c) | 3 | |
Afghanistan | 92 | |||
Türkei | 87 | andere | 61 | |
Anmerkungen: a) einschl. britischer Dominions
b) Einmal muss es Irak statt Iran heißen
c) Brasilien, Mexiko, Chile, Argentinien u. a.
|
In der gleichen Veröffentlichung ist noch eine Übersicht über die Aufteilung der Häftlinge nach der Urteilsbegründung (ohne dass diese näher definiert wird – sie entspringt dem damaligen Parteivokabular der KPdSU)[9]:
Art des Vergehens
Terroristen
Saboteure
Trotzkisten
rechtsgerichtete Elemente
Sozialrevolutionäre
Menschewiki
Anarchisten
Anzahl
9.595
3.714
1.505
455
197
153
65
Abkürzungen der Verwaltungen
Die Verwaltung der Lager oblag verschiedenen Verwaltungen. Die wichtigsten waren[10]:
- GGWDS - Hauptverwaltung der Lager für den Bau des Wolga-Don-Kanals
- GlawLesLag - Hauptverwaltung Lager in der Forstwirtschaft
- GTU - Hauptverwaltung der Gefängnisse
- GUITK - Hauptverwaltung der Besserungsarbeitskolonien
- GULAG - Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und –kolonien
- GULGMP - Hauptverwaltung der Lager in der Bergbau- und metallurgischen Industrie
- GULGTS - Hauptverwaltung der Lager für Wasserbau
- GULLP - Hauptverwaltung Lager in der Forstwirtschaft
- GULPS - Hauptverwaltung der Lager für Industriebau
- GULSchDS - Hauptverwaltung der Lager für Eisenbahnbau
- GUMS - Hauptverwaltung der Haftanstalten
- GUPR - Hauptverwaltung für Zwangsarbeit
- OITK - Abteilung für Besserungsarbeitskolonien
- UITK - Verwaltung der Besserungsarbeitskolonien
- UITL - Verwaltung der (des) Besserungsarbeitslager(s)
- UITLK - Verwaltung der Besserungsarbeitslager und -kolonien
Außerdem kommen in diesem Zusammenhang folgende Abkürzungen vor:
- ITK - Besserungsarbeitskolonie
- ITL - Besserungsarbeitslager
- KGB - Komitee für Staatssicherheit
- MJu - Ministerium der Justiz
- MWD - Ministerium des Innern
- NKWD - Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten
Anmerkungen
- ↑ Zur Verwendung des Begirffs „Kontingent“ kann folgendes festgestellt werden: Im Sprachgebrauch des NKWD/MWD bedeutete „Sonderkontingent“ Häftlinge der Sonderlager, d. h. politische Häftlinge, die unter einem verschärftem (besonderem) Regime gehalten wurden; „allgemeines Kontingent“ waren dann die übrigen Häftlinge des „allgemeinen Regimes“ der sonstigen Gulaglager.
Literatur
- Michail Borisovič Smirnow (Hrsg.): Das System der Besserungsarbeitslager in der Sowjetunion 1923–1960. Ein Handbuch. Übers. aus dem Russ. und Bearb. Reinhold Schletzer, Reinhold Schletzer Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-921539-72-2.
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 Приказ МВД СССР № 00219 «Об организации особых лагерей МВД» (Verordnung Nr. 00219 über die Organisierung der Sonderlager des MWD). Online auf: alexanderyakovlev.org/…
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 Vladimír Bystrov: Únosy československých občanů do Sovětského Svazu v letech 1945–1955 (Entführungen tschechoslowakischer Bürger in die Sowjedtunion 1945–1955). Edition Svědectví, hrsg. vom Úřad dokumentace a vyšetřování zločinů komunismu ÚDV, eine Einrichtung des Innenministeriums der Tschechischen Republik, Prag 2003, 343 Seiten, ISBN 80-7312-027-5, online auf: szcpv.org/…, Abschnitt Osoblag, S. 263.
- ↑ 3,0 3,1 Struktur und Aufbau der Lagereinträge. Allgemeine Struktur. Portal MEMORIAL Deutschland e. V. (Memorial.de), online auf: gulag.memorial.de/…
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 4,6 4,7 4,8 M. B. Smirnow, S. P. Sigatschew, D. W. Schkalow: Система мест заключения в СССР 1929–1960 (Das Gefängnissystem in der UdSSR 1929–1960). In: M. B. Smirnow (Hrsg.): Система исправительно-трудовых лагерей в СССР (Das System der Besserungsarbeitslager in der UdSSR 1923–1960). Zwenja, 1998. Online auf Portal Мемориал (Memorial.ru) memo.ru/…
- ↑ Ralf Stettner: Die Lagerorganisation des GULag. In: „Archipel GULag“. Stalins Zwangslager – Terrorinstrument und Wirtschaftsgigant. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 1996, ISBN 3-506-78754-3, S. 197
- ↑ Jacques Rossi: Справочник по ГУЛАГу. Online auf dem Portal Memorial.krsk, memorial.krsk.ru/
- ↑ Siegfried Jenkner: "Der Bazillus der Freiheit wandert über den Archipel GULAG" – Streiks und Aufstände in sowjetischen Zwangsarbeitslagern. Dokumente des Portals Memorial.de, online auf: gulag.memorial.de/...
- ↑ Bemerkungen der Redaktion Memorial.ru, Abschnitt 4.7. Телеграфный код, online auf: www.memo.ru/
- ↑ 9,0 9,1 A.S. Smykalin: Kolonii i tjurmy v Sovetskoj Rossii. Jekaterinburg 1997, S. 184 (Strafkolonien und Gefängnisse in Sowjetrussland). Zitiert nach: Vladimír Bystrov: Únosy československých občanů do Sovětského Svazu v letech 1945–1955. Edition Svědectví, hrsg. vom Úřad dokumentace a vyšetřování zločinů komunismu ÚDV, eine Einrichtung des Innenministeriums der Tschechischen Republik, Prag 2003, 343 Seiten, ISBN 80-7312-027-5, online auf: szcpv.org/…, S. 264f.
- ↑ Список сокращений. In: M. B. Smirnow (Hrsg.): Система исправительно-трудовых лагерей в СССР (Das System der Besserungsarbeitslager in der UdSSR 1923–1960). Zwenja, 1998. Online auf Portal Мемориал (Memorial.ru) memo.ru/...; deutsche Fassung auf Portal MEMORIAL Deutschland e. V.: [Abkürzungen]. Online auf: gulag.memorial.de/...
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Sonderlager des MWD aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |