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Störerhaftung
Als Störerhaftung bezeichnet man im deutschen Recht die Verantwortlichkeit eines Störers als Handlungsstörer, Zustandsstörer oder Mitstörer. Die Störerhaftung ist durch allgemeine Vorschriften im Bereich des Sachenrechts (§ 1004 BGB) sowie des Verwaltungsrechts geregelt. Nach der Störerhaftung kann derjenige, der – ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt, als Störer für eine Schutzrechtsverletzung auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Die Störerhaftung gibt es nur in Deutschland und sie ist Basis des Geschäftsmodells von Kanzleien, die sich auf Abmahnungen spezialisiert haben. Die große Koalition (Union und SPD) will sie bald abschaffen.[1][2]
Internetrecht
Bedeutung kommt der Störerhaftung unter anderem im Internetrecht zu. Die Störerhaftung ist weiter gefasst als die Verbreiterhaftung. Störer ist dabei jemand, der auf beliebige Weise mit der Verbreitung rechtlich zu beanstandender Inhalte zu tun hat. Ob ein bloßer Verweis auf anonym veröffentlichte Daten eine Störerhaftung rechtfertigt, ist umstritten. Nach weitgehend übereinstimmender Rechtsprechung lehnen deutsche Gerichte eine pauschale Haftung für Hyperlinks ab; im Einzelfall kommt jedoch eine Haftung als Störer in Betracht.
Der Umfang der Prüfpflichten ist grundsätzlich eingeschränkt, erstreckt sich nicht unbedingt auf externe Webseiten und muss immer in Güterabwägung mit den Regelungen der Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG gesehen werden. Schärfere Prüfpflichten greifen jedoch, sobald der potenzielle Störer durch eine Abmahnung adressiert wurde.
Der Bundesgerichtshof (BGH) lehnte 2004 im „Schöner-Wetten-Urteil“[3] eine pauschale Störerhaftung für das Anbringen von Hyperlinks ab.
In Bezug auf das Internet-Auktionshaus Ricardo.de (Ricardo-Urteil) entschied der BGH 2004 über die Störerhaftung für gefälschte Markenuhren (der Marke Rolex und verwandter Marken).[4][5] Die Möglichkeit einer Haftung für ein Internet-Auktionshaus auch bei Fremdversteigerungen für Markenverletzung bejahte der u. a. für Markenrecht zuständige [[I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes. Zwar sei es einem Internet-Auktionshaus nicht zuzumuten, jedes Angebot, das vom Anbieter selbständig ins Internet gestellt wird, sofort zu überprüfen. Dies „würde das gesamte Geschäftsmodell in Frage stellen.“[4] Sofern aber ein konkreter Fall einer (Marken-)Rechtsverletzung bekannt werde, müsse das beklagte Auktionshaus nicht nur das jeweilige Angebot selbst sperren, sondern auch „technisch mögliche und zumutbare Maßnahmen ergreifen, um Vorsorge dafür zu treffen, dass es nicht zu weiteren entsprechenden Markenverletzungen“[4] komme. Darüber, wie solche „vorgezogenen Filterverfahren“[4] aussehen könnten und müssten, konnte der BGH wegen fehlender Tatsachenfeststellungen in diesem Revisionsurteil nicht entscheiden. Die Sache wurde daher an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Es ist umstritten, ob Telekommunikationsdiensteanbieter durch das sogenannte Providerprivileg weitgehend von der Störerhaftung befreit sind. Der BGH vertritt hierzu die Auffassung, dass das Providerprivileg nur für Schadensersatzansprüche gilt, während Unterlassungsansprüche wie die Störerhaftung davon nicht erfasst sind.[4] Lange nicht gerichtlich geklärt war, ob Vereine oder Privatpersonen, die unentgeltlich den Zugang ins Internet bereitstellen (Freifunk), oder Privatpersonen, die irrtümlich ihr WLAN nicht ausreichend absichern (verschlüsseln), oder anderen bereitstellen und hierdurch Urheberrechtsverletzungen ermöglicht wurden, sich ebenfalls auf das Providerprivileg berufen können.[6] Mittlerweile hat der BGH diese Frage hinsichtlich des ob entschieden. In seiner Entscheidung [7] „Sommer unseres Lebens“ vom 12. Mai 2010, AZ: 1 ZR 121/08, hat der BGH klargestellt, dass ein un- oder ein schlechtgesichertes WLAN bei dessen Betreiber zur Störerhaftung führt; geschuldet werden dann Abmahnkosten, nicht jedoch Schadensersatz.
Am Europäischen Gerichtshof (EuGH) ist etwa seit April 2016 ein Verfahren anhängig, das klären soll, ob eine Haftung privater Anbieter von W-LAN-Hotspots für eventuelle Rechtsverstöße ihrer User mit europäischem Recht vereinbar ist. Grundlage des Verfahrens ist eine Anrufung des Landgerichts München I. Ein Mitglied der Piratenpartei hatte sich gegen Forderungen von Sony Entertainment wegen eines illegalen Downloads über sein offenes WLAN zur Wehr gesetzt. Am 16. März 2016 erklärte Generalanwalt Maciej Szpunar vor dem EuGH, dass der Betreiber eines Geschäfts, einer Bar oder eines Hotels, der der Öffentlichkeit ein WLAN-Netz kostenlos zur Verfügung stellt, für Urheberrechtsverletzungen eines Nutzers nicht verantwortlich ist.[8] Deutsche W-LAN-Experten, wie der Netzwerk-Kolumnist der Wirtschaftswoche Ralf Koenzen, gehen davon aus, dass dieses Statement des EU-Gerichts einen erheblichen Druck auf die Bundesregierung für eine europarechtskonforme Neuregelung der Störerhaftung ausüben wird.[9] Eine Liberalisierung der Rechtsgrundlagen zur Störerhaftung wird kaum vor 2017 erfolgen, doch scheinen die bisherigen Regelungen zu Vorschaltseiten und Haftung dem geltenden EU-Recht klar zu widersprechen.[10]
Literatur
- Johannes Gräbig: Aktuelle Entwicklungen bei Haftung für mittelbare Rechtsverletzungen – Vom Störer zum Täter: ein neues einheitliches Haftungskonzept? (PDF; 142 kB), MMR 2011, 504 ff.
- Alexander Hartmann: Unterlassungsansprüche im Internet – Störerhaftung für nutzergenerierte Inhalte, München 2009.
- Anna-Sophie Hollenders: Mittelbare Verantwortlichkeit von Intermediären im Netz, Baden-Baden 2012.
- Helmut Köhler: „Täter“ und „Störer“ im Wettbewerbs- und Markenrecht, GRUR 2008, 1 ff.
- Stefan Krüger, Simon Apel: Haftung von Plattformbetreibern für urheberrechtlich geschützte Inhalte – Wie weit geht die Haftung und wann droht Schadensersatz?, MMR 2012, 144 ff.
- Matthias Leistner: Störerhaftung und mittelbare Schutzrechtsverletzung, GRUR 2010 (Beilage zu Heft 1), 1 ff.
- Matthias Leistner: Von „Grundig-Reporter(n) zu Paperboy(s)“ – Entwicklungsperspektiven der Verantwortlichkeit im Urheberrecht, GRUR 2006, 801 ff.
- Reto Mantz: Rechtsfragen offener Netze – Rechtliche Gestaltung und Haftung des Access Providers in zugangsoffenen (Funk-)Netzen, Karlsruhe 2008, S. 242 ff. (CC-BY-NC-ND 2.0 DE).
- Stephan Neuhaus: Sekundäre Haftung im Lauterkeits- und Immaterialgüterrecht: Dogmatische Grundlagen und Leitlinien zur Ermittlung von Prüfungspflichten, Tübingen 2011.
- Leo Schapiro: Unterlassungsansprüche gegen die Betreiber von Internet-Auktionshäusern und Internet-Meinungsforen. Zugleich ein Beitrag zugunsten einer Aufgabe der Störerhaftung im Urheber-, Marken- und Wettbewerbsrecht, Mohr Siebeck GeuWR Tübingen 2011
- Maximilian Wolf: Die Störerhaftung im Wettbewerbs-, Marken- und Urheberrecht, GreifRecht 2014, 1 ff.
Einzelnachweise
- ↑ Fabian Reinbold: Offene WLAN-Hotspots: Union und SPD schaffen Störerhaftung ab. Spiegel Online 11. Mai 2016
- ↑ zeit.de: Die schönste Beerdigung des Jahres (Kommentar)
- ↑ BGH, Urteil vom 1. April 2004 (PDF), Az. I ZR 317/01, Volltext.
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 BGH, Urteil vom 11. März 2004, Az. I ZR 304/01, Volltext – Internet-Versteigerung.
- ↑ BGH, Pressemitteilung, Nr. 31/2004.
- ↑ Spenden gegen WLAN-Abmahnungen. Heise Online, abgerufen am 4. Januar 2012.
- ↑ BGH: Sommer unseres Lebens. Telemedicus, abgerufen am 17. Januar 2014.
- ↑ PRESSEMITTEILUNG Nr. 28/16 des Gerichtshofs der EU. Gerichtshof der Europäischen Union, abgerufen am 17. April 2016.
- ↑ Abschaffung der WLAN Störerhaftung: EuGH Generalanwalt sorgt für neue Hoffnung. Ralf Koenzen, abgerufen am 17. April 2016.
- ↑ Regierung gibt offenbar Widerstand gegen freie Wlan-Netze auf. Süddeutsche Zeitung, abgerufen am 17. April 2016.
Siehe auch
Weblinks
- Juristische Dissertation „Unterlassungsansprüche im Internet – Störerhaftung für nutzergenerierte Inhalte“ (kostenlos im Volltext als PDF abrufbar)
- Störerhaftung für Rechtsverletzungen im Internet (PDF: 173 kB), S. 9 ff.
- Störerhaftung bei offenen WLAN
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