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Stanislau Stankewitsch

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Stanislau Stankewitsch (weißrussisch Станіслаў Станкевіч, Stanislaŭ Stankevič, englisch Stanislaw Stankievich; * 23. Februar 1907 bei Aschmjany, Gouvernement Wilna, Russisches Kaiserreich[1][2][3] (heute Weißrussland); † 3. November 1980 in New York) war ein weißrussischer Politiker, Nazikollaborateur und Antikommunist. Unter deutscher Besatzung war er Bürgermeister der Stadt Baryssau und mitverantwortlich an der Ermordung von sechs-[4] bis achttausend Juden.[5]

Leben

Stankewitsch war studierter Slawist[6] und wurde 1936 an der Universität Wilna zum Doktor der Geisteswissenschaften promoviert. Er unterrichtete belarussische Sprache und Literatur am Gymnasium in Dsisna.

Zweiter Weltkrieg

Zum Zeitpunkt des deutschen Einmarschs in die Sowjetunion lehrte er im damals zur Sowjetunion gehörenden weißrussischen Ort Nawahrudak.[2] Unmittelbar nach dem Einmarsch wurde er unter SS-Standartenführer Franz Six als „Vertrauensmann“ für das Vorkommando der deutschen Einsatzgruppe B tätig.[7] Als Belohnung für seine Hilfe gegenüber den deutschen Besatzern konnte er mehrere Regierungsposten übernehmen.[8] Die Besatzungsmacht setzte ihn im Sommer 1941 als Bürgermeister der Stadt Baryssau ein. Stankewitsch siedelte die rund 8000 dort lebenden Juden in den ärmsten Teil des Ortes um und ließ eine Mauer um das Ghetto errichten. Auf Auftrag der SS führte er eine Steuer für die Juden ein, deren Erträge zunächst gering waren, aber mit der Zeit wucherisch wurden. Es folgten Beschlagnahmungen von Kleidung, Möbel, medizinische Utensilien, Ausrüstung, Papier und Nahrungsmittel.[9]

Am 20. Oktober 1941[10] ermordeten Einheiten der weißrussischen Hilfspolizei zusammen mit SS-Offizieren und Soldaten, von denen einige aus Lettland stammten,[11] im Auftrag Stankewitschs 7000 der 8000 in der Stadt lebenden Juden. In der Nacht zuvor hatte der Bürgermeister noch ein „wildes Fest“ für die Polizisten abgehalten. Bei dem Massenmord mussten die noch lebenden Opfer die vor ihnen erschossenen möglichst platzsparend platzieren und mit einer dünnen Schicht Sand bedecken, bevor sie selbst erschossen wurden.[12] Zudem wies Stankewitsch seine Truppen an, jeweils mit einem Schuss durch zwei Personen durchzuschießen, um Munition zu sparen. Das Rote Kreuz konnte bei der Autopsie der Opfer keine Wunden an den Leichen der Kleinkinder finden, was darauf hindeutet, dass diese lebendig begraben wurden.[5] Stankewitsch war aber nach eigenen Angaben während des Massakers nicht anwesend, sondern hatte sich auf das Land zurückgezogen.[13]

Anschließend wurde er zum Verantwortlichen des Weißruthenischen Zentralrats für den gesamten Rajon Baranawitschy befördert.[14] Wie zuvor in Baryssau internierte Stankewitsch, unmittelbar nachdem er im Frühjahr 1942 die Verwaltung von Baranawitschy übernommen hatte, die 15.000 Juden der Stadt in einem Ghetto, um ihre Vernichtung vorzubereiten.[15]

Als die Rote Armee nach Weißrussland vorrückte, ging Stankewitsch nach Deutschland, wo er ab August 1944 die belarussisch-nationalistische und antikommunistische Wochenzeitung Raniza („Der Morgen“) herausgab, die sich an in Deutschland lebende Weißrussen richtete und für die Waffen-SS zu rekrutieren versuchte.[16]

Nachkriegszeit

Vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal sagte ein deutscher Soldat über die Taten Stankewitschs aus. Stankewitsch war der einzige Nicht-Deutsche, dessen Verbrechen vollständig im US Congressional Record verzeichnet wurden.[5]

Nach dem Krieg war Stankewitsch ab Mai 1945 im Lager für Displaced Persons (DP) Amberg in der Amerikanischen Besatzungszone untergebracht.[17] Das U.S. Army Counter-Inteligence Corps verhaftete ihn und brachte ihn in ein Gefängnis, wo er schriftlich seine Tätigkeiten für die deutsche Besatzungsmacht gestand. Einige Stunden später wurde er auf Anweisung eines Beamten des US-Außenministeriums wieder freigelassen, mit der Begründung er sei ein wichtiger antikommunistischer Organisator für den britischen Geheimdienst. Dabei wurde das Ziel verfolgt, ehemalige osteuropäische Nazikollaborateure im Kampf gegen die Sowjetunion zu nutzen.[17] Dann arbeitete er als Lehrer in den DP-Lagern Regensburg und Michelsdorf. Von Ende 1946 bis Mai 1950 leitete er dann das DP-Lager in Osterhofen, wobei er sich autoritärer Mittel bediente. Parallel begann er, die Zeitung Bazkauschtschyna („Vaterland“) herauszugeben. Beschwerden von in Osterhofen untergebrachten Flüchtlingen über Stankewitschs Führung wurden von den amerikanischen Behörden ignoriert.[18] Auch eine am 31. Oktober 1947 von den Vereinten Nationen auf Antrag der Weißrussischen SSR angenommene Resolution, die Stankewitsch als Kriegsverbrecher bezeichnete, dem die USA unrechtmäßig Unterschlupf gewährten, blieb folgenlos.[19]

Nach 1950 wurde er Vorgesetzter für den Sprachunterricht bei der Internationalen Flüchtlingsorganisation (IRO) in München. Ein Antrag auf Auswanderung in die USA nach dem Displaced Persons Act wurde von dem zuständigen Ausschuss mit der Begründung abgelehnt, dass Stankewitsch während des Krieges eine prodeutsche Propagandazeitung herausgegeben habe und ein „Opportunist durch und durch“ sei, der seine politische Einstellung und Loyalität wechsle und nur auf den eigenen Vorteil bedacht sei. Somit sei er ein Sicherheitsrisiko.[20] Stankewitsch lebte daraufhin weiter im DP-Lager in Rosenheim und verdiente als Herausgeber seiner Zeitung 600 DM pro Monat.[1] Im Juni 1950 reiste er als Vertreter des Weißruthenischen Zentralrats zur Versammlung des Anti-Bolshevik Bloc of Nations in Edinburgh und wurde ins Zentralkomitee dieser insgeheim vom CIA finanzierten Organisation gewählt.[21]

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er Vorsitzender des ebenfalls von der CIA finanzierten „Institut zur Erforschung der UdSSR“ in München. Zudem arbeitete er für den Sender Radio Free Europe.[22] Er wurde Vizepräsident des von Mikola Abramtschyk geführten Rada der Weißruthenischen Volksrepublik, einer nationalistisch eingestellten weißrussischen Exilregierung. Nachdem Stankewitsch sich anderen weißrussischen Emigranten gegenüber seiner Rolle im Massaker von Baryssau gerühmt hatte, wurde der Kontaktmann beim Office of Policy Coordination gefragt, ob die Zusammenarbeit mit einem berüchtigten Kriegsverbrecher klug sei. Dem wurde aber entgegengehalten, dass Stankewitsch eine zu wichtige Quelle sei.[23]

1959 erhielt Stankewitsch vom Amerikanischen Komitee für die Befreiung der Völker Russlands ein Visum, das es ihm ermöglichte, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Er ließ sich in New York City nieder.[24] Die CIA-Einheit von Frank G. Wisner setzte sich beim Immigration and Naturalization Service dafür ein, dass Stankewitsch eine Wiedereinreiseerlaubnis erhielt, die ihm wiederholte Reisen nach Deutschland und zurück ermöglichte. Kaum ein anderer bekannter Nazikollaborateur, der seine Morde noch dazu gestanden hatte, verfügte über so eine große Reisefreiheit. Im März 1969 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft.[25][26] Er war innerhalb der weißrussischen Exilgemeinde in South River (New Jersey) aktiv. Das Office of Special Investigations (OSI) leitete 1980 ein Verfahren gegen Stankewitsch ein, das zu seiner Ausbürgerung und Ausweisung aus den USA hätte führen können.[27] Bevor er vor dem Bundesgericht angehört werden konnte, starb er jedoch am 3. November 1980.[28]

Literatur

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 CIA-Dokument zu Stanislau Stankewitsch (englisch)
  2. 2,0 2,1 Mark Alexander: Nazi Collaborators, American Intelligence, and the Cold War. The Case of the Byelorussian Central Council. University of Vermont Graduate College Dissertations and Theses, Nr. 424, 2015, S. 4.
  3. Enzykljapedyja Elektronnaja. Eintrag Станкевіч Станіслаў (Stankevič Stanislaŭ), bearbeitet von Sjarg Jorsch.
  4. CIA-Dokument (englisch)
  5. 5,0 5,1 5,2 John Loftus: America's Nazi Secret. TrineDay LCC 2010, ISBN 978-1936296040, S. 58
  6. Mark Alexander: Nazi Collaborators, American Intelligence, and the Cold War. The Case of the Byelorussian Central Council. University of Vermont Graduate College Dissertations and Theses, Nr. 424, 2015, S. 4.
  7. Leonid Rein: The Kings And The Pawns. Collaboration in Byelorussia during World War II. S. 97–98.
  8. John Loftus: America's Nazi Secret. TrineDay LCC 2010, S. 57
  9. John Loftus: America's Nazi Secret. TrineDay LCC 2010, S. 98
  10. John Loftus: America's Nazi Secret. TrineDay LCC 2010, S. 99
  11. Borisov, in: Guy Miron (Hrsg.): The Yad Vashem encyclopedia of the ghettos during the Holocaust. Band 1. Jerusalem : Yad Vashem, 2009, S. 68
  12. Morris Riley: Philby. The Hidden Years. Janus Publishing Company, London 1999, S. 37.
  13. Mark Alexander: Nazi Collaborators, American Intelligence, and the Cold War. 2015, S. 41.
  14. John Loftus: America's Nazi Secret. TrineDay LCC 2010, S. 307
  15. Mark Alexander: Nazi Collaborators, American Intelligence, and the Cold War. 2015, S. 42.
  16. Mark Alexander: Nazi Collaborators, American Intelligence, and the Cold War. 2015, S. 74.
  17. 17,0 17,1 John Loftus: America's Nazi Secret. TrineDay LCC 2010, S. 59
  18. John Loftus: America's Nazi Secret. TrineDay LCC 2010, S. 141
  19. Mark Alexander: Nazi Collaborators, American Intelligence, and the Cold War. 2015, S. 80.
  20. Mark Alexander: Nazi Collaborators, American Intelligence, and the Cold War. 2015, S. 80–81.
  21. Mark Alexander: Nazi Collaborators, American Intelligence, and the Cold War. 2015, S. 86.
  22. Paul Kohl: "Ich wundere mich, dass ich noch lebe": sowjetische Augenzeugen berichten. Gütersloher Verlagshaus G. Mohn. 1990, S. 268
  23. Morris Riley: Philby. The Hidden Years. Janus Publishing Company, London 1999, S. 42.
  24. John Loftus: America's Nazi Secret. TrineDay LCC 2010, S. 215
  25. Morris Riley: Philby. The Hidden Years. Janus Publishing Company, London 1999, S. 43.
  26. John Loftus: The Belarus Secret. Knopf, New York 1982, S. 122.
  27. Brian Murphy: Lawyer-Turned-Crusader Pays Price for Probe of Nazis in U.S. In: Los Angeles Times, 23. Oktober 1988.
  28. John Loftus: America's Nazi Secret. TrineDay LCC 2010, S. 257
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