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Villa Tugendhat

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Villa Tugendhat, Frontansicht
Blick von der Straße auf die linke Seite der Villa
Villa Tugendhat, Straßenseite

Die Villa Tugendhat ist ein von 1929 bis 1930 in Brünn (Tschechien) nach Plänen des Architekten Ludwig Mies van der Rohe errichtetes Wohnhaus für das Unternehmer-Ehepaar Fritz und Grete Tugendhat, den Eltern des deutschen Philosophen Ernst Tugendhat. Das Bauwerk gilt als das berühmteste Bauwerk der Moderne von Brünn und entstand gleichzeitig mit Mies' Barcelona-Pavillon. Die Villa wird zu den bedeutendsten Bauten Mies van der Rohes in Europa gezählt und als ein Meilenstein der modernen Architektur. Es reiht sich in seiner Bedeutung neben „Kronjuwelen“ der Moderne wie Le Corbusiers Villa Savoye, Frank Lloyd Wrights Haus Robie und dem Haus Schminke von Hans Scharoun ein.

Topographie

Die Villa liegt quer zu einem Hang auf dem Schwarzfeld (Černá pole) im Norden von Brünn (Adresse: Černopolní Nr. 45). Zur Straße hin zeigt sich das Haus als unspektakulärer, eingeschossiger Pavillon, während es sich zur steil abfallenden Gartenseite mit einer riesigen Fensterfront präsentiert. Zwei Elemente dieser Front lassen sich voll versenken. Das 2.000 m² umfassende Grundstück bietet durch die Hanglage und die talwärtige Ausrichtung des Gebäudes nach Süden einen panoramahaften Ausblick auf die Brünner Altstadt. Durch das Anlegen von seitlichen Hofflächen, die aus dem Hang geschnitten wurden, gelang es Mies, das Haus zu rahmen und fest am Berg zu verankern. Die Terrassenlandschaften dramatisieren dabei den natürlichen Abhang architektonisch.

Die weiten Terrassen im oberen Geschoss, die Auskragungen des Daches und die vorgezogene Treppe zum Garten scheinen das langgestreckte Haus förmlich in die Landschaft hineinstoßen zu lassen. Im Wohnbereich des Untergeschosses öffnet sich der Raum über großflächige, über die Ecke verglaste Außenwände nach Süden und Osten. Der erhöhte Standpunkt bedingt dabei eine rahmende Fokussierung des Blickfeldes, verstärkt durch die Rahmenelemente der raumhohen Glasscheiben und die jeweils flankierenden Stützen, wodurch eine Distanzierung des Gebäudes vom Landschaftsbild erreicht wird. Das vor den Fensterflächen verlaufende Geländer war im ursprünglichen Plan nicht vorgesehen, wurde aber noch in den 30er Jahren hinzugefügt. Die indirekte Anbindung an den Garten erfolgt sukzessive über eine dem Essbereich vorgelagerte Terrasse mit Garten-Treppenanlage.

Komposition, Grundriss und Funktion

Eingang zur Ersten Etage links (Familienräume). Rechts führt eine Treppe hinunter zum Erdgeschoss.

Der Hangbau wurde als dreigeschossige Stahlskelettkonstruktion (ein damaliges Novum im Wohnungsbau) geplant. Durch die Raumkomposition von unverbundenen, rechtwinkligen Mauerscheiben und einem davon freigelösten Tragsystem konnte der Bauherr seine Raumbezüge und Funktionen (zumindest im Rahmen der vorgegebenen Stützenstellung) selbst festlegen. Der offene Grundriss ermöglichte dabei einen freien Raumfluss und ähnelt dabei dem im gleichen Jahr entworfenen Barcelona-Pavillon. Konstruktion und Wand wurden dabei strikt voneinander getrennt und sollten einen „frei“ einteilbaren Grundriss ermöglichen, wenngleich das Raumprogramm mit dem Wartefoyer für Besucher, der Abgrenzung der Wirtschaftsräume wie auch dem Trakt für die Bediensteten formal einen Zustand der großbürgerlichen Ideale und Umgangsformen des 19. Jahrhunderts darstellt.

Der Baukörper trennt private und eher öffentliche Wohnbereiche durch unterschiedliche Raumausbildungen wie auch durch die geschossweise Anordnung in Etagen. Die Schlafräume sowie die Bäder ordnen sich im oberen Eingangs-Geschoss an. Mit einer zellenartigen, geschlossenen Struktur sind diese Räume Rückzugsorte für die Hausbewohner und schließen sich zum Eingangsbereich, der durch die starke Hanglage ebenfalls im Obergeschoss liegt, ab. Über eine Wendeltreppe auf der Zugangsebene gelangt man in den Hauptraum, einen großen, offenen Wohnbereich (zusammen mit Wintergarten eine Fläche von rund 280 Quadratmetern), der sich zu zwei Seiten durch raumhohe Glasscheiben komplett zum Außenraum hin öffnet, etwa zwei Drittel des Untergeschosses ausfüllt und nur durch eine Glastür gegen Zugluft und Geräusche von oben abgeschirmt wird. Der Wohnraum, dessen Dimensionen von keiner Stelle des Raumes vollständig erfassbar sind, ist als großes, offenes, frei fließendes Areal angelegt, das auf drei Seiten bis zur Decke von Glas eingefasst und in vier oder fünf verschiedene, kleinere Raumflächen durch Andeutung eines Wandschirmes, Vorhänge oder ein freistehendes Schrankelement (dem heutigen Raumteiler) unterteilt ist. Der Essbereich, der Arbeitsbereich, die Sitznischen und der Wohnbereich definieren sich lediglich durch die frei im Raum stehenden Elemente (Raum-im-Raum-Effekt).

Die großzügige Verglasung integriert dabei den Außenraum mit seinen Bäumen und Rasenflächen zu einer Art landschaftlichen Tapete, die hier als visuelle Begrenzung des Innenraumes wahrgenommen wird. Beim Versenken der fast fünf Meter langen Glaselemente kommt es dann zu einer vollständigen Verschmelzung von Innen- und Außenbereich. Aus diesem Grunde verwendete Mies im Innenbereich nur blasse und gedämpfte Farbtöne (Marmor, Holz, Seide, Leder) bzw. Weiß und Schwarz mit ihren verschiedenen Nuancen, um den sich ständig wandelnden Farben der Natur entgegenzuarbeiten.

Materialien, Details und Möblierung

Die Villa bekommt ihren besonderen Ausdruck durch hochwertige Materialien und kleine Details im Inneren, durch das Zusammenspiel der verschieden, edlen Materialien mit den kostbaren Holzfurnieren. Mies verwendete (wie beim Barcelona-Pavillon) kreuzförmige, in weiten Abständen angeordnete Chromstahlstützen, die das konstruktive System bilden, und freistehende Wände aus kostbarem goldenen und weißen Onyxmarmor. Das gestalterische Herzstück des Hauses ist die Onyx-Wand im offenen Wohnbereich. Hierbei handelt es sich um den so genannten unechten Onyx, ein aragonitisches Sediment, das für die Tugendhats in Steinbrüchen Marokkos abgebaut wurde. Die Farbigkeit geht von milchig-weiß geädert über orange bis orange-rot. Diese Art von Marmor ist durchscheinend und schillert beim Auftreffen der Sonnenstrahlen in unterschiedlichen Farbnuancen. Palisander, ein seltenes, dunkles, rötliches tropisches Hartholz, wurde für die raumhohen Türen im Eingangsbereich des Obergeschosses verwendet. Das Furnier der halbrunden Schirm-Verkleidung des Essbereiches wurde aus Makassar, auch Ebenholz genannt, gefertigt. Dieses harte, schwere Tropenholz weist mit der hellbraunen, leicht rötlichen Farbe und der schwarzen Äderung eine sehr ungewöhnliche Struktur auf. Das am meisten verwendete Material in der Villa ist der Travertin, den Mies van der Rohe für Fußböden, Treppen und Fensterbänke eingesetzt hat. Die Vorhänge sind aus schwarzer und beigefarbener Schantungseide. Die Fußböden waren neben Travertin zum Teil mit elfenbeinweißem Linoleum ausgelegt, dessen Farbton van der Rohe speziell für den Bau entworfen hatte [1]. Das Wohnzimmer wurde zudem durch einen quadratischen Teppich aus Naturwolle gegliedert. Eine gezielt auf einem viereckigen Sockel platzierte Büste von Wilhelm Lehmbruck dient dabei als inszenierter Blickpunkt. In die eleganten Räume stellte van der Rohe behutsam einige seiner Barcelona-Sessel und Hocker sowie weitere neu entworfene Sessel: mit echtem Schweinsleder oder weißem Velin überzogene und neu bepolsterte MR-Stühle, die sogenannten „Tugendhat-Sessel“. Ein weiterer Klassiker: der Glastisch mit verchromter Kreuzstütze aus Stahlstangen. Eine wertvolle Trennwand aus Makassar-Holz, die seit 1940 als verschwunden galt, wurde im Jahr 2011 in der Mensa der Universität Brünn wiedergefunden.[2]

Geschichte

Das Haus wurde von dem Brünner Textilindustriellen Fritz Tugendhat und seiner Frau Grete (1903–1970) bei Ludwig Mies van der Rohe in Auftrag gegeben. Grete Tugendhat, geschiedene Weiss, geborene Löw-Beer, hatte das große Grundstück anlässlich ihrer Hochzeit 1928 von ihren Eltern, der alteingesessenen Industriellenfamilie Löw-Beer, geschenkt erhalten. Ende Dezember 1928 legte Mies dem Ehepaar die ersten Entwürfe vor.

„Ich habe mir immer ein geräumiges, modernes Haus mit klaren einfachen Formen gewünscht. Und mein Mann war geradezu entsetzt von Zimmern, die bis an die Decke mit Figürchen und Zierdecken vollgestopft waren.“, begründete Grete Tugendhat später die Architektenwahl. Allerdings hätte ihr ein viel kleineres Haus ausgereicht.

„Es war der seltene Fall einer völligen Übereinstimmung zwischen Bauherrn und dem Architekten.“, so die Tochter des Bauherrn, die in Wien lebende Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat. Die Kosten des mit 1.250 Quadratmetern Nutzfläche riesigen Hauses waren enorm. Allein für den Preis der Onyx-Wand hätte man damals ein ganzes Einfamilienhaus errichten können.

Im Jahre 1938 wurde das Sudetenland vom Deutschen Reich annektiert und daher traf die jüdische Familie Tugendhat im gleichen Jahr die für ihr Überleben wichtige Entscheidung, die Tschechoslowakei zu verlassen, da der Aufenthalt dort für sie gefährlich wurde. 1939 wurde Brünn vom NS-Regime besetzt und gehörte bis 1945 zum Reichsprotektorat Böhmen und Mähren. Am 4. Oktober 1939 wurde das Haus für den Bedarf der Gestapo formell beschlagnahmt und 1942 als Besitz des Großdeutschen Reiches eingetragen. Es wurde zeitweise von Flugzeugkonstrukteur Willy Messerschmitt bewohnt und mit Einbau massiver Zwischenwände als Konstruktionsbüro genutzt. Nach dem Einmarsch der Roten Armee sollen russische Soldaten Ochsen am offenen Feuer vor der berühmten Onyx-Wand gebraten haben und die Räume als Pferdestall genutzt haben. Tschechische Behörden verwandelten das leerstehende und leicht beschädigte Haus später in die orthopädische Abteilung des benachbarten Kinderkrankenhauses. Das legendäre Wohnzimmer mit dem Panoramablick in den Garten und über die ganze Stadt wurde eine Turnhalle, es wurden Turngeräte entlang der Wände montiert.

In den 1960er Jahren begann sich ein Teil der Brünner Kulturszene für eine würdigere Nutzung dieses außergewöhnlichen Baudenkmales einzusetzen, insbesondere für seine Öffnung für Besucher. Auf dasselbe Ziel richtete sich auch eine nachdrückliche Initiative des Architekten František Kalivoda, der Ende der 1960er Jahre eine denkmalpflegerische Wiederherstellung der Villa durchzusetzen versuchte. Seine Bemühungen wurden erst in der ersten Hälfte der 1980er Jahre teilweise erfüllt, als das Bauwerk wieder als Repräsentationsraum in Betrieb genommen wurde. Nach der damals erfolgten Rekonstruktion waren allerdings viele Originalteile verloren: Fast alle Holzeinbauten wurden erneuert und sämtliche Möbel ersetzt; die Bäder sind fast gänzlich nicht im Originalzustand. Obwohl viele Persönlichkeiten der Brünner Kultur eine Nutzungsänderung der Villa gleich nach dem November 1989 forderten, gelang dies teilweise erst 1994.

1992 fand in der Villa Tugendhat das Gipfeltreffen statt, bei dem der Vertrag über die Teilung der Tschechoslowakei unterzeichnet wurde. Durch einen Beschluss des Brünner Stadtrates wurde die Villa dem Museum der Stadt Brünn zur Nutzung übergeben und seit dem 1. Juli 1994 als Denkmal der modernen Architektur in Brünn der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wegen seines außerordentlichen künstlerischen Wertes wurde das Haus Tugendhat im August 1995 zu einem Nationalen Kulturdenkmal erklärt. Anstrengungen, das Haus den rechtmäßigen Eigentümern zurückzuerstatten, wurden nicht unternommen.

Die Villa Tugendhat wurde 2001 in die UNESCO-Welterbeliste als Denkmal moderner Architektur aufgenommen. Sie steht heute wieder Besuchern offen. Die Erben haben 2007 – nach eigenem Bekunden aus Sorge um den schlechten baulichen Zustand der Villa – die Wiederherstellung des Gebäudes beantragt[3]. Im Juni 2010 wurde bekanntgegeben, dass die Villa sachgerecht restauriert werden soll, wofür die Stadt Brünn 6 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird.[4]

Literatur

  • Lorenzino Cremonini, Marino Moretti, Vittoro Pannocchia: Casa Tugendhat, Mies van der Rohe. Alinea, Firenze 1997, ISBN 88-8125-149-3 (italienisch und englisch).
  • Daniela Hammer-Tugendhat; Wolf Tegethoff (Hrsg.): Ludwig Mies van der Rohe – das Haus Tugendhat. Springer, Wien / New York NY 1998, ISBN 3-211-83096-0.
  • Rüdiger Kramm, Alex Dill: Vila Tugendhat Brno. Anlässlich der Ausstellung "Vila Tugendhat Brno"; Universität Karlsruhe, Fakultät für Architektur, Institut für Baugestaltung II. 1. Auflage. Wasmuth, Tübingen 2007 (übersetzt von Sabine Piatscheck), ISBN 978-3-8030-0679-0 (deutsch und englisch).
  • Zdeněk Kudělka, Libor Teplý: Villa Tugendhat. Monografie, Fotografické publikace. Fotep, Muzeum města Brna, Brno 2001 (übersetzt von Sonja Schürmannova), ISBN 80-902921-0-0 (tschechisch).
  • Simon Mawer: The Glass Room. Little, Brown Book Group, 2009, ISBN 978-1408700778.
  • Bruno Reichlin, Adolph Stiller (Redaktion); Wiener Städtische Allgemeine Versicherung Aktiengesellschaft (Hrsg.): Das Haus Tugendhat. Ludwig Mies van der Rohe, Brünn 1930 [anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Ausstellungszentrum der Vienna Insurance Group in Wien, vom 26. Mai bis 16. Juli 1999]. Pustet, Salzburg 1999, ISBN 3-7025-0386-2.

Ausstellungen

Das Haus Tugendhat war Gegenstand folgender Ausstellungen:

Weblinks

 Commons: Villa Tugendhat – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Julia Franke: Linoleum zum historischen Design des Bodenbelags um 1900 In: Gerhard Kaldewei (Hrsg.): Linoleum - Geschichte, Design, Architektur 1882 - 2000, 2000, S. 137, ISBN 3-7757-0962-2
  2. Nach 70 Jahren: Wertvolle Trennwand aus Villa Tugendhat wieder gefunden auf Radio Praha vom 10. Mai 2011 abgerufen am 25. Mai 2011
  3. Erstes Deutsches Fernsehen, 22. April 2007, 23:00 ttt - titel thesen temperamente
  4. http://orf.at/ticker/371301.html
  5. Sonderausstellung "Villa Tugendhat". In: wien.gv.at Webservice der Stadt Wien → Veranstaltungen und Ausstellungen. Magistrat der Stadt Wien, 2005, abgerufen am 17. September 2009.
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