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Werner Hülle (Historiker)
Werner Matthias Hülle (geb. 7. November 1903 in Reutlingen; gest. 3. August 1974 in Stuttgart) war ein deutscher Vor- und Frühgeschichtsforscher.
Leben
Werner Hülle[1] besuchte in Reutlingen die Oberrealschule, studierte ab 1922 in Tübingen und München und promovierte im Jahr 1926 an der Universität Heidelberg bei Ernst Wahle. Er war danach Assistent an der Universität Tübingen bei Robert Rudolf Schmidt. 1928 heirateten er und Else Peters, sie hatten zwei Kinder.[2] Zwischen 1929 und 1935 arbeitete er bei Hans Hahne am Landesmuseum Halle und ging 1935 als Hochschulassistent an die Universität Berlin, wo er 1936 habilitiert wurde. Zwischen 1932 und 1937 war Hülle Grabungsleiter der Ilsenhöhle unter Burg Ranis in Thüringen. Hülle gehörte schon seit 1932 der Fachgruppe für deutsche Vorgeschichte im Kampfbund für deutsche Kultur an und galt als einer der treuesten Vasallen Hans Reinerths.[3] Hülle trat am 1. Mai 1933 der NSDAP bei,[4] seit dem 2. Mai 1933 war er auch Mitglied der SA.[5] 1936 wurde Hülle Schriftführer des Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte unter Reinerth, der ihn als Berichterstatter zu zahlreichen Tagungen schickte. Hülle entwickelte hieraus eine breit angelegte Publikationstätigkeit. Hülle habilitierte 1938 in Berlin und wechselte dann als Angestellter der Reichsleitung der NSDAP ins Amt Rosenberg, wo er die Funktion eines Hauptstellenleiters im Amt für Vorgeschichte erhielt,[4] er blieb aber auch weiterhin mit Reinerth in dessen Reichsamt für Vor- und Frühgeschichte verbunden.
Hülle war auch in der Antichristlichen Bewegung aktiv und wirkte an ihrer im Juli 1933 beschlossenen Vereinigung zur Deutschen Glaubensbewegung als einer der Sprecher des Bundes der Köngener mit.[6] [7]
Nach der deutschen Eroberung Frankreichs war Hülle in der Normandie eingesetzt, woraus sich seine Publikationen zu den Steinen von Carnac ergaben. Hülle, der einen Lehrauftrag als Dozent an der Deutschen Hochschule für Politik hatte, war 1941 im Gespräch für die Besetzung der Vorgeschichtsprofessur an der Reichsuniversität Straßburg, auf die dann Joachim Werner berufen wurde [8]. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurde Hülle im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg bei der „Sicherstellung von Kulturgütern“ im Reichskommissariat Ukraine eingesetzt,[4] wo die Besatzer auch vor „Raubgrabungen“[9] in der Region Dnipropetrowsk nicht zurückschreckten. Ab 1944 war Hülle in Höchstadt, wo die 550.000 erbeuteten Objekte u.a. aus den Museen Kertsch und Simferopol im Schloss Höchstädt gesichtet und archiviert werden sollten.
Hülles Habilitationsschrift Westausbreitung und Wehranlagen der Slawen in Mitteldeutschland wurde 1940 zusammen mit einem Beitrag Werner Radigs über die sorbischen Burgen Westsachsens und Ostthüringens publiziert. Das Buch wurde aber 1941 beschlagnahmt, weil nach Ansicht von Johannes Papritz, Mitarbeiter der Publikationsstelle Dahlem (PuSte), größte politische Bedenken bestünden, eine beigelegte Karte zu veröffentlichen, da diese den Gegnern des Reiches Propagandamaterial an die Hand gebe, um die slawischen Ansprüche auf das Land bis zur Elbe und Saale zu beweisen. In der Folge wurde das Buch mit einer überdruckten Karte ausgeliefert, die nun in roter Farbe hervorgehoben die germanische Besiedlung an der Saale dokumentierte.
Auch Hülle übernahm die verbreitete Theorie des germanisch-slawischen Kulturgefälles[10], schrieb allerdings auch, dass die Slawen, da sie in ihrer Urheimat bereits von der gotischen Kultur beeinflusst worden seien und damit als kulturell aufgestiegen zu gelten hätten. Damit wich Hülle von der Linie Adolf Hitlers ab, der in Mein Kampf die Minderwertigkeit der nichtarischen Rassen betonte und die Bastardisierung der Germanen durch den Einfluss der Slawen befürchtete.[3]
Hülle habe in seiner rassistisch und progermanisch ausgelegten Forschung etwas weniger stark aufgetragen als seine Kollegen Werner Radig und Ernst Petersen[11] und auch Lücken in den archäologischen Quellen konzediert.[3] Gleichwohl konnte auch er andere überzeugte Nationalsozialisten kritisieren, wenn sie wie Karl Hermann Jacob-Friesen die „rassischen Bedingtheiten“ unterschätzten oder nicht anerkannten.[12]
Bei seiner Entnazifizierung machte er geltend, dass ihm das akademische Lehramt verwehrt worden sei. Hülle war in der Nachkriegszeit in verschiedenen Funktionen in Reutlingen tätig, so ab 1949 als Geschäftsführer des Schwäbischen Symphonie-Orchesters Reutlingen und Leiter des städtischen Konzertbüros. Die Stadt machte ihn 1953 zum Kustos des Reutlinger Heimatmuseums, und er wurde als Grabungsleiter der Hallstadtgräber in Ohmenhausen tätig. Außerdem war er Lehrer an der Wirtschaftsoberschule Reutlingen.[13] Ab 1959 war er dann in verschiedenen baden-württembergischen Erwachsenenbildungsinstitutionen tätig und erhielt 1967 an der Pädagogischen Hochschule Reutlingen noch einen Lehrauftrag für Vor- und Frühgeschichte.
Schriften (Auswahl)
- Westgermanen, Struckum/Nordfriesland : Verl. für Ganzheitl. Forschung u. Kultur, 1987
- Die Ilsenhöhle unter Burg Ranis, Thüringen, J. Hahn und H. Müller-Beck, Stuttgart, New York : Fischer, 1977 ISBN 3-437-30254-X (postum)
- Reutlingen, Reutlingen : Oertel und Spörer, 1972
- Steinmale der Bretagne, Ludwigsburg : Verl. Die Karawane, 1967
- Die Kirchen und kirchlichen Bauten in der Geschichte der freien Reichsstadt Reutlingen, Erolzheim/Württ. : Libertas, 1954
- Urmenschen auf der Höhlenbärenjagd, Bildmaterial, Kempen (Ndrrh.) : te Neues, 1953.
- Die Steine von Carnac, Leipzig : J. A. Barth, 1942
- Indogermanen und Germanen im Ostraum, München : Eher, 1942
- Gustaf Kossinna: Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragend nationale Wissenschaft, Leipzig : J. A. Barth, 1941, / Durchges. u. durch Anm. erg. v. Werner Hülle
- Westgermanen, Leipzig : Bibliogr. Inst., 1940.
- Werner Hülle; Hans Reinerth: Das deutsche Volk : sein Wesen - seine Stände. Leipzig : Bibliograph. Institut, Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte.; Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / Reichsamt für Vorgeschichte 1940
- Werner Hülle; Ernst Petersen; Hans Reinerth: Vorgeschichte der deutschen Stämme : germanische Tat und Kultur auf deutschem Boden, Leipzig : Bibliographisches Institut : Reichsbund für deutsche Vorgeschichte / Reichsamt für Vorgeschichte der NSDAP, 1940
- Westausbreitung und Wehranlagen der Slawen in Mitteldeutschland, Leipzig : Kabitzsch, 1939. Gekürzte Habilitationsschrift von 1936
- Die älteste Erzgewinnung im nordisch-germanischen Lebenskreis / Bd. 1. Die Ausbeutg d. mitteldeutschen Erzlagerstätten in d. frühen Metallzeit, 1938
- Grundzüge der vorrömischen Besiedelung Bayerns r. d. Rh. in ihrer Abhängigkeit von den natürlichen und kulturellen Verhältnissen der Vorzeit, Augsburg : Filser, 1932 Zugl.: Heidelberg, Univ., Diss., 1926
Literatur
- Hans Joachim Bodenbach: Dr. phil. habil. Werner (Matthias) Hülle - Prähistoriker, in: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte, Band 92, Halle (Saale), 2008 (2011), S. 447–504
- Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Fischer, Frankfurt/M. 2009, ISBN 978-3-596-17153-8
- Uta Halle: Westausbreitung und Wehranlagen der Slawen in Mitteldeutschland“ – Anmerkungen zu einer Publikation im Nationalsozialismus, in: Felix Biermann, Ulrich Müller und Thomas Terberger (Hrsg.): „Die Dinge beobachten ...“. Archäologische und historische Forschungen zur frühen Geschichte Mittel- und Nordeuropas. Festschrift für Günter Mangelsdorf zum 60. Geburtstag. Archäologie und Geschichte im Ostseeraum. Archaeology and history of the Baltic, Rahden, Westf., Leidorf, 2008 ISBN 978-3-89646-462-0 , S. 36–47
Weblinks
- Literatur von und über Werner Hülle im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werner Hülle bei WorldCat (Mischbestand mit Werner Hülle (Richter))
Einzelnachweise
- ↑ Den zweiten Vornamen hat Hülle nur selten verwendet. Vita bei Hans Joachim Bodenbach: Dr. phil. habil. Werner (Matthias) Hülle - Prähistoriker, passim
- ↑ Dieter Hülle (* 1934) war Leiter des Kulturamtes in Sindelfingen
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Uta Halle: Westausbreitung und Wehranlagen der Slawen in Mitteldeutschland“ – Anmerkungen zu einer Publikation im Nationalsozialismus, S. 37-47
- ↑ 4,0 4,1 4,2 Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, S. 272
- ↑ Hans Joachim Bodenbach: Dr. phil. habil. Werner (Matthias) Hülle - Prähistoriker, S. 456
- ↑ Horst Junginger: Die Deutsche Glaubensbewegung als ideologisches Zentrum, in: Uwe Puschner; Clemens Vollnhals (Hrsg.): Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus : eine Beziehungs- und Konfliktgeschichte, Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht , 2012, S. 65-102, hier S. 81
- ↑ Ingo Haar (Hrsg.): Handbuch der völkischen Wissenschaften : Personen - Institutionen - Forschungsprogramme - Stiftungen, München : Saur, 2008, S. 231 ISBN 978-3-598-11778-7
- ↑ Hubert Fehr: Hans Zeiss, Joachim Werner und die archäologischen Forschungen zur Merwingerzeit. In: Heiko Steuer (Hrsg.): Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 29. Berlin 2001. S. 348 ISBN 3-11-017184-8
- ↑ Hans Joachim Bodenbach: Dr. phil. habil. Werner (Matthias) Hülle - Prähistoriker, S. 465; S. 497
- ↑ Sebastian Brather: Wilhelm Unverzagt und das Bild der Slawen, In: Heiko Steuer (Herausgeber): Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995, de Gruyter, Berlin-New York 2001 (Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Band 29), S. 490 ISBN 3-11-017184-8
- ↑ Ernst Petersen (1905-1944), siehe Andreas Kieseler: Ernst Petersen [1905-1944] – Ein Beitrag zur Erforschung der ur- und frühgeschichtlichen Archäologie in der Zeit des Nationalsozialismus. in: Felix Biermann, Ulrich Müller und Thomas Terberger (Hrsg.): „Die Dinge beobachten ...“. Archäologische und historische Forschungen zur frühen Geschichte Mittel- und Nordeuropas. Festschrift für Günter Mangelsdorf zum 60. Geburtstag. Archäologie und Geschichte im Ostseeraum. Archaeology and history of the Baltic, Rahden, Westf., Leidorf, 2008 ISBN 978-3-89646-462-0, S. 49-64
- ↑ Gustaf Kossinna: Die deutsche Vorgeschichte, eine hervorragend nationale Wissenschaft, 1941. Anmerkung von Hülle im Anhang, S. 272
- ↑ Hans Joachim Bodenbach: Dr. phil. habil. Werner (Matthias) Hülle - Prähistoriker, S. 461
Personendaten | |
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NAME | Hülle, Werner |
ALTERNATIVNAMEN | Hülle, Werner Matthias |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Vor- und Frühgeschichtsforscher |
GEBURTSDATUM | 7. November 1903 |
GEBURTSORT | Reutlingen |
STERBEDATUM | 3. August 1974 |
STERBEORT | Stuttgart-Bad Cannstatt |
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- Prähistoriker
- Sachbuchautor
- Mitglied des Reichsbundes für Deutsche Vorgeschichte
- Mitarbeiter im Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg
- Person (Deutsche Besetzung der Ukraine 1941–1944)
- Person (Deutsche Besetzung Frankreichs 1940–1945)
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- SA-Mitglied
- Person (Reutlingen)
- Deutscher
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- Mann