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Werner Sellhorn
Werner „Josh“ Sellhorn (* 16. November 1930 in Hamburg; † 17. Mai 2009 in Berlin) war ein deutscher Lektor und Musikwissenschaftler. Seinen Spitznamen bekam er wegen seiner Begeisterung für den US-amerikanischen Bluessänger Josh White.
Leben
Sellhorn war in den 1950er Jahren der erste DDR-Bürger, der öffentliche Vorträge über Jazz hielt, Jazz-Veranstaltungen organisierte, Jazz-Klubs mitbegründete und den Jazz als Musik der unterdrückten Klasse verteidigte – gegen die offizielle Ansicht der Partei, diese Musik sei amerikanische Unkultur und stehe im Kontrast zu sozialistischer Unterhaltung. Das brachte ihm viel Misstrauen ein. Nach seinem Studium der Geschichte und Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin, musste er sich 1958 „in der Produktion bewähren“ – eine übliche Strafmaßnahme in der DDR –, da er wegen fehlender Parteidisziplin und seiner (kultur-)politisch abweichenden Ansichten aus der SED ausgeschlossen worden war. In dieser Zeit wurde er vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als „Gesellschaftlicher Informant“ (GI) angeworben und sollte vor allem Bühnen-Auftritte verschiedener Künstler sowie Jazzkonzerte beispielsweise in West-Berlin beurteilen, was er auch schriftlich tat. Aufgrund seiner Unzuverlässigkeit, gerade in politischen Bewertungen, kamen beide Seiten überein, den Kontakt 1963 wieder abzubrechen. Ein in Aussicht gestellter Wiedereintritt in die SED fand nie statt. Als Jazz wenige Jahre später wieder im Rundfunk gespielt werden durfte, bekam er dort keine Anstellung.
So arbeitete er nach der Bewährungszeit freiberuflich als Dozent und später als Lektor beim Eulenspiegel Verlag. Dann bekam er eine Stelle als Werbeleiter im Verlag Volk und Welt. 1963 rief er im Auftrag dieses Verlages die Verlagswerbeveranstaltungen Jazz und Lyrik sowie später Lyrik – Jazz – Prosa ins Leben, die schon im ersten Jahr nahezu hundertmal in vielen Städten der DDR aufgeführt wurden und eine große Publikumsresonanz fanden. Die musikalische Seite wurde vertreten durch die Berliner Amateurband Jazz Optimisten Berlin mit Dixielandjazz und dem Gesang des Schauspielers und Jazzsängers Manfred Krug. Anknüpfend an die damals große Begeisterung vieler für Lyrik wurden Gedichte – hauptsächlich heiterer und satirischer Art – aus den Büchern des Verlages ausgewählt, die auch von Krug vorgetragen wurden. Allmählich kamen auch immer mehr Prosatexte hinzu. Neben der Stammbesetzung traten weitere Solisten auf wie die Jazzsängerin Ruth Hohmann, die Schauspielerinnen und Schauspieler Eberhard Esche, Gerry Wolff, Angelica Domröse, Annekathrin Bürger, der Kabarettist Gerd E. Schäfer, der Liedermacher Wolf Biermann und andere.
Die teilnehmenden Künstler streikten 1965 in der Kongresshalle am Ost-Berliner Alexanderplatz, indem sie die Veranstaltung nicht begannen, um der gerade erfolgten Verhaftung Wolf Biermanns entgegenzuwirken. Tatsächlich konnte Biermann so freigepresst werden, Sellhorn als Verantwortlicher wurde jedoch entlassen und mit einem Berufsverbot in belletristischen Verlagen der DDR bis zu deren Ende belegt. Freiberuflich war er dennoch als Lektor, Herausgeber und Nachwortautor tätig – etwa der Erzählungen von B. Traven (Volk & Welt) und dem Humor-Sammelband Das Tier lacht nicht (Eulenspiegel). Auch schrieb er häufig die Artikel der Schallplattenrückseiten für die DDR-Lizenzausgaben namhafter, meist US-amerikanischer Jazz-Interpreten.
Er arbeitete in den letzten 25 Jahren der DDR als Manager und Ansager von Jazzgruppen und Solokünstlern wie der Klaus Lenz Band, Manfred Krug, Etta Cameron, Modern Soul Band, der Gruppe „Uschi Brüning & Co“ und des Günther Fischer Quintetts. Außerdem reiste er mit Schallplattenvorträgen über Jazz und Rock durch die DDR-Bezirke. 1972 kam das MfS noch einmal auf ihn zu und er willigte ein, kulturpolitische Probleme zu besprechen. Diesmal sollten keine persönlichen Berichte angefertigt werden. Es existieren zwei Gesprächszusammenfassungen, die zeigen, dass Sellhorn versuchte, die Künstler zu schützen, indem er sie als linientreu beschrieb. Nun war er „Inoffizieller Mitarbeiter“ (IM), und zwar bis Ende 1976. Wieder wurde der Kontakt abgebrochen, diesmal wegen Sellhorns Unterschrift unter den „Offenen Brief der Schriftsteller und Künstler“ gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns.[1] Mit dem gemeinsamen Programm Kurt Tucholsky & Songs von heute schuf er eine Möglichkeit für Bettina Wegner, deren Auftritte Ende der 1970er Jahre ständig verboten wurden, auf Tournee zu gehen. Bis zum Ende der 1980er stellte er auch neben den Schallplattenvorträgen und den Jazz-Veranstaltungen literarische Folksong- und Liedermacher-Programme zusammen – etwa mit Peter Bause, Mike Friedman sowie seinem Sohn Karsten Troyke. Nach dem Fall der Mauer ergaben sich wieder gemeinsame Arbeiten mit Künstlern, die schon länger im Westen waren: Lese- und Konzertabende mit Bettina Wegner, CD-Kompilationen für Manfred Krug, ein neues Projekt mit Hermann Anders (Yiddish Anders mit Karsten Troyke) und andere. Von 1992 bis 1994 war er Chefredakteur der Zeitschrift Horch und Guck, die sich der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit widmet, wurde jedoch vom damaligen Vorsitzenden des Trägervereines Bürgerkomitee 15. Januar, Hans Schwenke, entlassen. Schwenke hatte damals von Wolf Biermann erfahren, dass Sellhorn als IM „Zirkel“ geführt worden war.
Josh Sellhorn gab bis zu seinem Tod immer wieder CDs heraus, Editionen und anderes für Buschfunk, Eulenspiegel und Amiga, schrieb Rezensionen und stellte Diskografien zusammen. Unter dem Titel Jazz-Lyrik-Prosa wurde im Frühjahr 1997 die Idee der 1960er Jahre wieder aufgegriffen und neue Programme entstanden, teilweise mit früheren Mitwirkenden wie Ruth Hohmann. Der Jazz-Begriff wurde erweitert. So stehen Ulrich Gumpert, Günter Sommer oder Ernst-Ludwig Petrowsky (zusammen mit Uschi Brüning) für modernere Formen, Trio Scho oder Pascal von Wroblewsky für Fusion. Die literarische Seite vertreten wieder namhafte Schauspieler(innen) wie Walfriede Schmitt, Günter Junghans und Ursula Karusseit. Satiriker wie Wiglaf Droste und Ernst Röhl bringen (Aktuell-)Politisches. Sellhorn stellte die Programme zusammen und moderierte die Veranstaltungen. Er schrieb außerdem an einer Autobiografie.
Das Grab, in dessen Stein sein Antlitz gegossen ist, befindet sich auf dem Georgen-Parochial-Friedhof in der Greifswalder Straße, Berlin, Prenzlauer Berg. Er ist unter anderem Vater von Karsten Troyke und Großvater von Tino Mewes.
Werke
Bücher
- Jazz – DDR – Fakten. Interpreten, Diskographien, Fotos, CD. Neunplus 1 Edition Kunst, Berlin 2005, ISBN 3-936033-19-6.
- Jazz Lyrik Prosa – Zur Geschichte von drei Kultserien. Neunplus 1 Edition Selbstherausgabe, Berlin 2008, Fotos: Renée Yvel.
- Jazz Lyrik Prosa – Zur Geschichte von drei Kultserien. Ch. Links Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-86153-581-2.
Aufsätze
- Warum können Jazzer nicht vom Jazz leben? In: Ernst Günther, Heinz P. Hofmann, Walter Rösler (Hrsg.): Kassette. Ein Almanach für Bühne, Podium und Manege, Nr. 2, Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1978, S. 97–104.
Tonträger
- 1995: CD JAZZ – LYRIK – PROSA, Amiga/Hansa Musik/BMG
- 1998: CD JAZZ – LYRIK – PROSA II, Buschfunk
- 1999: CD LACHEN UND LACHEN LASSEN – Eulenspiegeleien 1, Eulenspiegel Verlag
- 2000: CD Mit Josh um halb acht, Raumer Records
- 2004: CD JAZZ – LYRIK – PROSA III, Buschfunk
Literatur
- Kurzbiografie zu: Werner Sellhorn. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Ch. Links Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4, Band 2.
Weblinks
- Literatur von und über Werner Sellhorn im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Interview auf erinnerungsort.de
Einzelnachweise
- ↑ Siehe Meine Kontakte zur Stasi Heft 13 / Seite 50 und Dokumententeil zum GI/IM »Zirkel« Heft 13 / Seite 53 der Zeitschrift Horch und Guck
Personendaten | |
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NAME | Sellhorn, Werner |
ALTERNATIVNAMEN | Sellhorn, Josh (Spitzname) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Lektor und Musikwissenschaftler |
GEBURTSDATUM | 16. November 1930 |
GEBURTSORT | Hamburg |
STERBEDATUM | 17. Mai 2009 |
STERBEORT | Berlin |
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Werner Sellhorn aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |