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Übertragung (Psychoanalyse)

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Der Begriff der Übertragung stammt aus der Tiefenpsychologie, insbesondere der Psychoanalyse. Er bezeichnet dort den Vorgang, dass ein Mensch alte – oftmals verdrängteGefühle, Affekte, Erwartungen (insbesondere Rollenerwartungen), Wünsche und Befürchtungen aus der Kindheit unbewusst auf neue soziale Beziehungen überträgt und reaktiviert. Ursprünglich können diese Gefühle auf die Eltern oder Geschwister bezogen gewesen sein, bleiben aber auch nach der Ablösung aus dem Elternhaus in der Psyche präsent und wirken dort weiter. Dieser Vorgang ist zunächst weitestgehend normal und weit verbreitet, kann aber, wenn die übertragenen Gefühle sich gegenüber tatsächlichen gegenwärtigen Beziehungen als nicht angemessen erweisen, zu erheblichen Problemen und Spannungen führen.

Begriff

Der Begriff der Übertragung stammt von Sigmund Freud und wurde später von zahlreichen seiner Schüler und unter anderem von Carl Gustav Jung, weiterentwickelt. Auch außerhalb der Psychoanalyse und der aus ihr hervorgegangenen Psychotherapierichtungen benutzt heute fast jede Psychotherapieschule den Begriff der Übertragung, ohne dabei immer das psychoanalytische Erklärungsmodell zu übernehmen. In der Psychoanalyse ist Übertragung als ein psychodynamischer Begriff zu verstehen, der ursprünglich eine psychoenergetische Übertragung innerhalb der topischen Strukturen zum Ausdruck bringen sollte. Allerdings kann er auch im soziologischen Kontext gebraucht werden, wie etwa bei der Stigmaforschung.[1]

Der Begriff ist eng verwandt mit dem Begriff der Projektion, bei der Eigenschaften, die die projizierende Person bei sich selbst nicht wahrhaben möchte, anderen Personen zugeschrieben werden. Im Gegensatz zur Übertragung kommt es hierbei jedoch nicht zur Verfolgung dieser Wunschvorstellungen oder Erwartungen.

Man unterscheidet generell zwischen positiver und negativer Übertragung. Bei der positiven Übertragung werden positive Anteile früherer Beziehungen (Liebe, Zuneigung, Vertrauen) übertragen, bei der negativen Übertragung negative Anteile (Hass, Abneigung, Wut, Misstrauen). Dabei ist zu beachten, dass meist beide Pole vorhanden sind, nur dass die eine Art der Übertragung im Vordergrund steht, der andere, unbewusste Gegenpart dagegen im Hintergrund. Dies tritt jeweils in kleinen Teilen hervor, etwa in sarkastischen oder ironischen Äußerungen, in Fehlleistungen, oder in negativen Äußerungen über eine (nicht anwesende dritte) Person, die man nicht mag.

Freud hat den Begriff auch in Zusammenhang mit der Traumanalyse benutzt. Hier sprach er von „Übertragungsgedanken“ und bezeichnete hiermit den Vorgang, dass unbewusste Wünsche in das Vorbewusste „übertragen“ werden, so dass durch eine Art von „Verschiebung“ der unbewusste Wunsch zum Ausdruck kommen kann.[2]

Konzept der Übertragungsneurosen

Freuds Konzept der Übertragungsneurose stellt eine andere Bezeichnung für sein Modell der Psychoneurose aus Gründen unterschiedlich anzuwendender therapeutischer Techniken dar. Übertragungsneurosen erweisen sich nach Freud der analytischen Technik zugänglich. Mit Übertragung ist die Projektion frühkindlicher Konflikte auf den Therapeuten bzw. auf den Analytiker als wesentliches und unumgängliches therapeutisches Mittel gemeint. Freud machte die Erfahrung, dass bei der Analyse die Gelegenheit dazu besteht, unverarbeitetes frühkindliches Erlebnismaterial neu zu aktivieren und dabei neu zu bearbeiten. Mit diesem therapeutischen Konzept grenzte Freud allerdings die der analytischen Methodik nicht zugänglichen narzisstischen Neurosen einerseits und die Aktualneurosen andererseits ab (siehe unten: Übertragung im therapeutischen Kontext).[3] Zu den Übertragungsneurosen zählte Freud die Phobie, die Konversionshysterie und die Zwangsneurose. Sie stellten für ihn die Grundtatsachen dar, auf denen er seine Modellvorstellung der Metapsychologie aufbaute und begründete.

Alfred Lorenzer hat die psychoanalytische Arzt-Patient-Beziehung als eine Sprachanalyse untersucht.[4] Dabei versteht er die Entschlüsselung des Sinnes spezifisch unverständlicher Verhaltensweisen des Analysanden als ein Verstehen von analogen Szenen im Vergleich zwischen aktueller und frühkindlicher Situation. Bei den Übertragungsneurosen handle es sich um die Auswirkungen eines deformierten Sprachspiels. Der Kranke ›agiere‹, indem er eine unverständliche frühkindliche Szene spiele. Das hermeneutische Verständnis des Therapeuten für solche analoge Szenen trage zur Heilung bei.[5]

Eine weitere in therapeutischer Hinsicht besondere Form der Neurosen stellen die Organneurosen dar.

Beispiele für Übertragungen

Ein Beispiel soll den Grundmechanismus der Übertragung verdeutlichen:

Eine Angestellte wird von ihrem Vorgesetzten immer wieder heftig und ungerecht abgewertet. Trotzdem bewundert sie ihn und versucht, ihm durch gute Leistungen und attraktives Auftreten zu gefallen. Auch in Beziehungen sucht sie immer wieder starke Partner, wobei sie hierbei viel Gewalt erfährt und sich trotzdem nicht trennt. Sie überträgt dabei jeweils Gefühle, die eigentlich ihrem gewalttätigen Vater gelten, auf ihren Chef oder Partner. Sie wünscht von diesen Bestätigung oder Zuwendung, nach der sie sich bei ihrem Vater gesehnt hat, ohne sie je zu bekommen.

Dieser Mechanismus lässt sich in vielen ähnlichen Situationen des sozialen Lebens wiederfinden:

  • Rachsucht und Rechthaberei im Erwachsenenalter gehen auf lieblose Erziehung zurück; Erziehung durch Liebesentzug
  • stark negative Reaktionen auf narzisstische Kränkungen gehen auf Bevorzugung anderer Geschwister und Lieblosigkeit zurück
  • Trennungsängste basieren entweder auf Trennungserfahrungen in der Kindheit oder auf einer sehr starken und gut ausgeprägten Bindung zu bestimmten Personen
  • spontane Sympathie/Antipathie gegenüber bestimmten Personen: Die Ursachen sind Parallelen zu Personen der Vergangenheit.

Übertragung im therapeutischen Kontext

Im Rahmen von Psychotherapien kommt es regelmäßig zu Übertragungen. Hier richtet der Klient bestimmte Gefühle, Erwartungen oder Wünsche auf seinen Therapeuten, die nicht so sehr dem Therapeuten als Person gelten, sondern als Gefühle eigentlich aus früheren Beziehungserfahrungen des Klienten herrühren. Umgekehrt kann auch der Therapeut Gefühle auf seinen Klienten übertragen; dieser Vorgang wird Gegenübertragung genannt. Derartige Vorgänge können ein Hemmnis der Therapie darstellen, das vom Therapeuten zu berücksichtigen ist. Als Hemmnis ist auch zu betrachten, wenn der Patient, aus Angst den Therapeuten zu verletzen, positive und negative Übertragungen aufspaltet und die negativen Übertragungen außerhalb der Therapie verlagert.[6] Dies erschwert dann den bewussten Umgang mit diesen Gefühlen in der Therapie.

Die Analyse und Bewusstmachung von Übertragungsvorgängen („Übertragungsanalyse“) wird in manchen psychotherapeutischen Schulen, insbesondere in der Psychoanalyse, als zentrales Element für den Erfolg der Therapie angesehen. Der Analysand soll in der Person des Psychoanalytikers einen Menschen sehen, mit dem er versucht, Konflikte aus der Vergangenheit in der Gegenwart zu lösen. Der Analytiker nimmt in der Wahrnehmung des Analysanden zum Beispiel (dem Analysanden zunächst unbewusst) die Rolle des Vaters ein. Der Konflikt (mit dem Vater), den der Analysand bearbeitet, wird durch das Quasi-Vorhandensein des Vaters bewusst und kommunizierbar gemacht und kann über die Auseinandersetzung mit dem Therapeuten gelöst werden. Frühere Gefühle und Wahrnehmungen werden dabei auf den Analytiker übertragen (beispielsweise ein Ausgeliefertsein) und es wird nach Möglichkeiten gesucht, auf adäquate Weise im Heute damit umzugehen (beispielsweise bei dem Vorwurf des empfundenen Schmerzes, der Wahrnehmung der eigenen Hilflosigkeit, dem Verstehen des Selbst, Verzeihen).

Beispiel: Eine depressive Patientin fühlt sich von ihrer Therapeutin gut verstanden und hegt freundschaftliche oder zärtliche Gefühle für sie. Sie überträgt diese Wünsche und meint, dass die Therapeutin ebenso denken und wünschen würde. Daher kauft sie ihr Geschenke und lädt sie zum Kaffee ein. Unbewusst sieht sie in der Therapeutin ihre erfolgreiche Schwester, die immer erfolgreicher war als sie und der sie immer nachgeeifert hat. In der Therapie werden diese Zusammenhänge behutsam von der Therapeutin zusammen mit der Patientin erarbeitet. Die Patientin lernt dabei, dass ihre Depression auch Folge von Misserfolgen ist, die sie nur dadurch erlebt hat, dass sie immer versucht hat, ihre Schwester zu kopieren, dabei aber hat sie vergessen, ihre eigene Persönlichkeit und ihre Stärken zu entwickeln.

Siehe auch

Literatur

  • Sigmund Freud: Zur Dynamik der Übertragung. In: Behandlungstechnische Schriften. Frankfurt a.M.: Fischer 2000 (3. Aufl.). ISBN 3-596-10445-9
  • Ute Wahner: Übertragungs- und Gegenübertragungsprozesse in Psychotherapien. Eine Spezialbibliographie deutschsprachiger psychologischer Literatur. Zentralstelle für Psychologische Information und Dokumentation. Reihe: Bibliographien zur Psychologie, Nr. 90/1993.

Einzelnachweise

  1. Klaus Dörner: Bürger und Irre. Zur Sozialgeschichte und Wissenschaftssoziologie der Psychiatrie. (1969) Fischer Taschenbuch, Bücher des Wissens, Frankfurt / M 1975, ISBN 3-436-02101-6; S. 11 f. zu Stw. „Psychoanalyse und Soziologie“.
  2. Freud, Sigmund: Die Traumdeutung. [1900] Gesammelte Werke, Band II/III, S. Fischer, Frankfurt / M, folgende Seitenangaben aus: Taschenbuch-Ausgabe der Fischer-Bücherei, Aug. 1966; zu Stw. „Übertragung“: S. 458 f.
  3. Peters, Uwe Henrik: Wörterbuch der Psychiatrie und medizinischen Psychologie. Urban & Schwarzenberg, München 31984; Stw. „Übertragungsneurose“: Seite 583
  4. Lorenzer, Alfred: Sprachzerstörung und Rekonstruktion. Vorarbeiten zu einer Metatheorie der Psychoanalyse. Ffm. 1970, Neuausgabe 1973.
  5. Habermas, Jürgen: Der Universalitätsanspruch der Hermeneutik. (1970) In: Zur Logik der Sozialwissenschaften, Suhrkamp Taschenbuch, Wissenschaft 517, Frankfurt 51982, Seite 345 f.
  6. Greenson, Ralph R.: Technik und Praxis der Psychoanalyse. Klett-Cotta, Stuttgart 1986 (engl. Orig. 1967), 9. Aufl. 2007.
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