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André Neher

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André Neher (geb. 22. Oktober 1914 in Obernai, Elsass; gest. 23. Oktober 1988 in Jerusalem) war ein französisch-jüdischer Philosoph und Erforscher des Judentums, der neben Emmanuel Levinas maßgeblich zur Erneuerung des jüdischen Denkens in Frankreich nach der Shoah beitrug.

Leben und Werk

Neher wurde 1914 im Elsass (das 1918 wieder zu Frankreich kam) als Deutscher geboren. Bereits in Obernai besuchte er die Toraschule eines bedeutenden Rabbiners, Jérôme Lévy.[1] 1927 zog die Familie nach Straßburg, wo er Germanistik und Musik studierte. 1936 wurde er Deutschlehrer in Sarrebourg in Lothringen, parallel besuchte er die Talmudhochschule (Jeshiva) in Montreux. Seine ersten Veröffentlichungen (ab 1932) spiegeln seine damaligen Interessen. 1939 wurde er zum französischen Militär eingezogen, nach der Niederlage kehrte er zu seiner Familie zurück, die zunächst nach Mulhouse floh, dann in den Limousin. Er unterrichtete in Brive-la-Gaillarde, bis er seine Stelle Ende 1940 aufgrund der Judengesetze des Vichy-Regimes aufgeben musste. Neher arbeitete damals an einer Dissertation über Heinrich Heine, die er aber zerstörte, um sich mit seinem Vater und seinem Bruder Richard ganz dem Studium der kanonischen Texte des Judentums zu widmen. Die Familie unterhielt in dem Dorf Lanteuil eine Pension und Schule für jüdische Torastudenten. Bei einer Razzia der SS 1944 wurde sie überraschend verschont. Von 1941 bis 1944 schrieben und illustrierten der Vater und die Brüder jährlich eine Pessach-Haggada, deren Bilder die Atmosphäre der Zeit wiedergeben.[2] 1947 verfassten André und Richard Neher einen Text für die Liturgie eines vorgesehenen Gedenktags für die Opfer der Shoah, der 2000 veröffentlicht wurde.[3]

Nehers 1950 veröffentlichte Dissertation über den Propheten Amos verschaffte ihm große Beachtung, verband er darin doch eine avancierte wissenschaftliche Methode mit tiefgreifender Kenntnis der rabbinischen Diskussionen zum Thema und aktuellen philosophischen Fragestellungen. 1955 wurde für ihn ein Lehrstuhl für jüdische Literatur an der Universität Straßburg eingerichtet. Mit der grundlegenden Studie L'essence du prophétisme (1955), dem in mehreren Sprachen vielfach aufgelegten Buch über Moses (1956, dt. 1964 u. ö.) und dem über den Propheten Jeremias (1960, dt. 1961) folgten weitere Arbeiten zur jüdischen Prophetie und zum mosaischen Gesetz, die Neher stets in enger Verbundenheit sah. Er wandte sich gegen die im 19. Jahrhundert von Julius Wellhausen ausgegangene christliche Erforschung der hebräischen Bibel, der er vorwarf, eine auf eine universalistische Ethik zielende Prophetie – die damit auf das Christentum vorausweise – gegen einen partikularistischen – jüdischen – Gesetzesgehorsam auszuspielen.

1947 hatte Neher Renée Neher-Bernheim (1922-2005) geheiratet, die während des Krieges im französischen Widerstand für die Rettung jüdischer Kinder gearbeitet hatte. Beide veröffentlichten 1962 die Histoire biblique du peuple d'Israël, 1963 folgte von ihr alleine L'histoire juive de la Renaissance à nos jours. Von seiner Frau angeregt wandte Neher sich der Erforschung der jüdischen Mystik und ihrer Bedeutung für das neuzeitliche Denken zu. Er veröffentlichte Le Puits de l'exil, la théologie dialectique du Maharal de Prague über Rabbi Löw von Prag, der den legendären Golem geschaffen haben soll (1966), später eine Studie über dessen Schüler David Gans, einen Mitarbeiter Tycho Brahes und Johannes Keplers (1974), sowie Faust et le Maharal de Prague: le mythe et le réel (1987).

1965 wurde Neher zum Präsidenten der französischen Sektion des Jüdischen Weltkongresses ernannt. Nach dem Sechstagekrieg 1967 hielt er sich zunehmend in Israel auf, 1973 übersiedelte er mit seiner Frau endgültig dorthin. Er unterrichtete nun in Tel-Aviv wie in Straßburg. Deutschland hat er nach der Shoah nicht mehr betreten. – In dem vielfach als sein Hauptwerk betrachteten Buch L'Exil de la parole. Du silence biblique au silence d'Auschwitz (1970) handelt er vom Schweigen Gottes, das als Erfahrung schon den ersten biblischen Texten zugrunde liege und auch das Erleben der biblischen Propheten geprägt habe. Hier wie in zahlreichen weiteren Büchern und Aufsätzen konfrontiert er das Erleben der Gegenwart mit der reichen jüdischen Tradition.

Son oeuvre peut être considerée comme la reprise existentielle permanente et comme le commentaire approfondi en termes et en concepts contemporains des grandes thèmes de la tradition juive.“ („Sein Werk kann als fortwährende existenzielle Wiederaufnahme der und als vertiefter Kommentar zu den großen Themen der jüdischen Tradition in den Kategorien und Begriffen der Gegenwart betrachtet werden.“) – Encyclopaedia Universalis

Werke

Deutsche Ausgaben

  • Jeremias, Köln: Bachem 1961
  • Dein verkannter Bruder: Ein Jude sieht uns Christen (Lebendige Kirche 4), Freiburg: Lambertus 1961 (Übersetzung von Le Juif face au Chrétien, 1960, abgedr. in L'Existence juive)
  • Moses in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten (Rowohlts Monographien 94), Reinbeck: Rowohlt 1964, weitere Auflagen 1984, 1989, 1997
  • Die Haltung Israel gegenüber: Stadt, Land und Volk, in: Concilium. Internationale Zeitschrift für Theologie 10, 1974, 580-584
  • Jüdische Identität. Einführung in das Judentum, Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 1995

Originalveröffentlichungen der Bücher

  • (mit Richard Neher:) Transcendance et immanence, Lyon: Yechouroun 1946, Nachdruck in L'Existence juive
  • Amos. Contribution à l'étude du prophétisme, Paris: Vrin 1950
  • Notes sur Qohélet, l'Ecclésiaste, Paris: Minuit 1951
  • L'Essence du prophétisme, Paris: PUF 1955, seit 1995 unter dem Titel Prophètes et prophéties
  • Moïse et la vocation juive, Paris: Seuil 1956
  • Jérémie, Paris: Plon 1960
  • (mit Renée Neher:) Histoire biblique du peuple d'Israël, Paris: Adrien Maisonneuve 1962
  • L'Existence juive, solitude et affrontements, Paris: Seuil 1962
  • Le Puits de l'exil, la théologie dialectique du Maharal de Prague, Paris: Albin Michel 1966
  • De l'hébreu au français, Paris: Klincksieck 1969
  • (mit Abraham Epstein und Émile Sebban:) Étincelles. Textes rabbiniques traduits et commentés, Paris: Albin Michel 1970
  • L'Exil de la parole. Du silence biblique au silence d'Auschwitz, Paris: Seuil 1970
  • Dans tes portes Jérusalem, Paris: Albin-Michel 1972
  • David Gans, disciple du Maharal de Prague, assistant de Tycho Brahe et de Jean Kepler, Paris: Klincksieck 1974
  • (mit Robert Aron und Victor Malka:) Le Judaïsme, hier-demain, Paris: Buchet Chastel 1977
  • Clefs pour le judaïsme, Paris: Seghers 1977, seit 1989 unter dem Titel L'identité juive
  • Oubekhol Zot (Und dennoch; auf Hebräisch), Jerusalem: Rubin Mass 1977
  • Le dur bonheur d'être Juif (Victor Malka interroge André Neher), Paris: Le Centurion 1978
  • Ils ont refait leur âme, Paris: Stock 1979
  • Jérusalem, vécu juif et message, Monaco: Rocher 1984
  • Faust et le Maharal de Prague: le mythe et le réel, Paris: PUF 1987
  • Regards sur une tradition, Paris: Bibliophane 1989

Sekundärliteratur

  • Paul Ricoeur: Philosophie et prophétisme I (1952), in: Ders.: Lectures 3: Aux frontières de la philosophie, Paris: Seuil 1994, 153-172 (über Amos)
  • Ders.: Philosophie et prophétisme II (1955), a. a. O. 173-185 (über L'Essence du prophétisme)
  • Paul B. Fenton: André Neher's Reading of the Book of Amos, in: European Judaism 34, 2001, 33-39
  • David Banon (Hg.): Héritages d'André Neher, Paris: Éd. de l'éclat 2011, mit ausführlicher Bibliographie
  • Die Festschrift Mélanges André Neher, Paris: Adrien Maisonneuve 1975 enthält von Neher angeregte Beiträge von Freunden und Schülern und auf S. XIII-XXIX eine (336 Titel umfassende) Bibliographie seiner Veröffentlichungen bis 1974

Weblinks

Anmerkungen

  1. Y. R. Dufour: Les maîtres qui vont guider votre étude de la Torah et du Talmud – André Neher [1].
  2. R. Neher-Bernheim, Un témoignage sur André Neher et la Shoah [2], mit Links zu den Haggadot.
  3. R. Neher-Bernheim, Une „Qina“ écrite pour le 9 av [3], mit dem Text auf Französisch und Hebräisch.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel André Neher aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.