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Gerontophilie

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Als Gerontophilie (gr. γέρων géron „Greis“ und -philie) bezeichnet man das dauernde beziehungsweise überwiegende Interesse an älteren Menschen.[1] Sie ist dem Überbegriff der Chronophilien untergeordnet. Oft wird nur die sexuelle Fixierung eines jüngeren Menschen auf ältere Menschen als Gerontophilie bezeichnet.[2] Charakteristisch ist ein großer Altersunterschied zwischen den Partnern, da sonst jede Sexualität zwischen älteren Menschen gerontophil wäre.[3] Die begehrte Altersspanne ist nicht eindeutig zu bestimmen.[4] Magnus Hirschfeld definierte die Differenz bei etwa fünfzig Lebensjahren.

Als Synonyme werden manchmal im Englischen die Begriffe gerontalism oder gerophilia verwendet. Für rein sexuelle Beziehungen wird im Englischen auch der Begriff gerontosexuality („Gerontosexualität“) gebraucht.

Das Gegenteil ist die Vorliebe für weit jüngere Personen, für die je nach weiteren Ausprägungen die Begriffe Neoterophilie, Ephebophilie und Pädophilie herangezogen werden.

Auslegungen des Begriffes

Der Begriff wird − entgegen seiner neutralen Wortbedeutung − auch synonym für die Vergewaltigung oder den sexuellen Missbrauch alter Menschen gebraucht. Dann wird eine ältere Person auch als Sexualobjekt bezeichnet.[5] Letzteres beschreibt hier Übergrifflichkeit im Unterschied zur Bedeutung von „Objekt“ im psychoanalytischen Fachjargon. In Texas fallen Fälle von sexueller Nötigung gegen Menschen von 65 Jahren und älter automatisch in die Kategorie „Gerontophilie“.[6]

Wenn man – was selten geschieht – begrifflich nach Geschlechtern der begehrten Person trennt, wird Gerontophilie für Männer verwendet und Graophilie (griech. graus, Gen. graos = „Greisin“) für Frauen. Welchem Geschlecht die Partner angehören, ist für die heutige Verwendung des Begriffs nicht relevant. Magnus Hirschfeld beschrieb in seinem 1914 erschienenen Buch Die Homosexualität des Mannes und des Weibes unter Geschmackstypen der Homosexuellen ein System von altersabhängigen Begriffen. Darin bezeichnete Gerontophilie das Interesse an Greisen, und er prägte den Begriff Graophilie (griech. graus, Gen. graos = „Greisin“) für das Interesse an Greisinnen. Letzteres wird im Deutschen selten verwendet; das englische Pendant „graophilia“ ein klein wenig öfter.

Manchmal wird der Begriff auch in der allgemeinen Bedeutung „Liebe für ältere Menschen“ verwendet.[7] Das Antonym dazu ist dann die Gerontophobie, die soziale Abneigung gegenüber alten Menschen, welche Ausgrenzung verursachen kann. Manche beschreiben es als Zuneigung zu Personen im Alter der Eltern oder Großeltern.[8] (Für Kinder und Jugendliche kann auch der Begriff Teleiophilie passend sein.)

Merkmale

Wesentlich sind[4] neben der persönlichen Zuneigung altersbedingte Merkmale wie menschliche Reife, Weißhaarigkeit, faltige, hängende und schlaffe Haut, greisenhafte Magerheit, Hirnleistungsschwäche, aber auch klimakteriumsbedingte Veränderungen Auslöser für sexuelles Verlangen. Nach oben gibt es keine Altersgrenze; selbst das Siechtum bis zum Tode kann u.U. sexuell erregend erlebt werden. Da die Betroffenen wegen ihrer sozialen Kontakte zu alten Menschen sozial positiv bestätigt werden, fällt die Vorliebe gesellschaftlich oft nicht weiter auf.[4]

Gesellschaftlich akzeptierte Gerontophilie gibt es vor allem in traditionellen Kulturen, speziell jenen mit einer Gerontokratie. Nach Erdman B. Palmore kann sie eine extreme Form von „positive Agism“ darstellen.[9] Der Begriff „Agism“ muss im Gegensatz zum deutschen Begriff Altersdiskriminierung nicht bloß „Benachteilung aufgrund des Alters“ bedeuten, sondern kann auch die Stereotypisierung von älteren Personen meinen (welche mit positiven Assoziationen belegt sein kann).

Abgrenzung

Seit langer Zeit sind ältere Männer mit jüngeren Frauen sozial akzeptierter als umgekehrt, und in manchen Teilen der Welt und zu manchen Zeiten war dies durchaus üblich. Bekannte Beispiele sind heutzutage Anna Nicole Smith (26 bei der Heirat) und J. Howard Marshall (89) oder Simone Rethel (62 beim Tod ihres Ehemanns) und Johannes Heesters (108). Beziehungen von älteren Frauen zu jüngeren Männern fallen dagegen oft schon bei einem geringeren Altersunterschied auf. Ein berühmtes Beispiel war Betty Dodson (72) und Eric Wilkinson (25). Aber für alle gilt, dass Alterssexualität in der westlichen Gesellschaft oft abgelehnt oder lächerlich gemacht wird, ältere Männer als Lüstlinge bezeichnet werden, älteren Frauen mit unverhohlener Verachtung begegnet wird und den jüngeren Partnern vorschnell vorgehalten wird, sie litten unter „Neurosen“ oder eben „Gerontophilie“.[10] Auch finanzielles Interesse wird oft unterstellt.

Rechtliche Aspekte

Sexueller Kontakt ist im gerontophilen Kontext prinzipiell nicht strafbar. Einschränkungen sind für den jungen Partner das jeweilige Schutzalter und etwaige darüber hinausgehende Bestimmungen zum Schutz vor sexuellem Missbrauch von Jugendlichen und des sexuellen Missbrauches von Schutzbefohlenen oder Abhängigen. In Bezug auf den älteren Partner sind in Deutschland besonders der sexuelle Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, die geistig oder körperlich nicht zum Widerstand fähig sind, nach § 179 StGB, der Missbrauch von Gefangenen, Verwahrten oder Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen nach § 174a StGB und der Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses nach § 174c StGB relevant.

Sichtweisen

Zum Teil wird der Begriff in der psychiatrischen Literatur grundsätzlich wertneutral verwendet und nur im Hinblick auf die Partner problematisiert, die aufgrund ihrer geistigen oder körperlichen Verfassung in sexuelle Kontakte nicht verantwortlich einwilligen können beziehungsweise nicht in der Lage sind, dem an sie herangetragenen Ansinnen zu widersprechen.[11]

Der Begriff spielt in den Diagnoseschlüsseln ICD und DSM keine Rolle.[11]

Pathologische Betrachtung

Andere Autoren heben den devianten Charakter hervor. Meist setzen sich diese vor allem mit der Sexualität im engeren Sinne, dem Missbrauch und der Kriminologie auseinander. Oft wird es nur als Paraphilie beschrieben. Nach heutiger Ansicht ist für eine Paraphilie ausschlaggebend die Tragweite des Verhaltens, etwaiges Leiden des Betroffenen oder abhängiges Verhalten, ohne welches keine ausreichende Erregung aufgebaut und/oder kein Orgasmus erreicht werden kann. Weitere Kriterien sind, wenn es zu Straftaten führen könnte oder wiederholt zu anderweitigen Problemen im sozialen Umfeld führt. Es kann dann nach ICD-10 als F65.8 - sonstige Störungen der Sexualpräferenz oder nach DSM-IV als 302.9 - nicht näher bezeichnete Paraphilie diagnostiziert werden. Nach Bernhard Strauß (2004) ist Gerontophilie aufgrund ihrer Seltenheit nicht gesondert klassifiziert.[12]

Nach Beier (2002) liegt wie bei der Pädophilie meist eine Störung im Sozialverhalten vor, da die Täter die Kinder oder Senioren als Ersatzpersonen für einen altersadäquaten Partner / eine altersadäquate Partnerin ansehen.[13]

Nach Vetter (2007) liegt die Vermutung nahe, dass durch die Fixierung auf Altersmerkmale eine Komorbidität zum Fetischismus besteht und durch das Auslösen sexueller Erregung durch Altersschwäche eine Komorbidität zu sadomasochistischen Neigungen besteht.[4]

Peak (1996) zählt Gerontophilie (neben u. a. Pädophilie und Nekrophilie) zu den „gefährlichen Perversionen“, da ihnen - im Gegensatz zum Exhibitionismus und Voyeurismus - ein Verletzungspotential zu eigen sei.[14]

Enos und Beyer (1980) begrenzen den Begriff auf das sexuelle Angezogensein jüngerer Männer durch ältere Frauen. Sie heben ebenfalls das Verletzungspotential hervor, da es oft zu Hämatomen, Platzwunden und Knochenbrüchen komme.[15]

In der Psychoanalyse wird es als Symptom eines Großvater-Komplexes angesehen.[1]

Kriminologische Betrachtung

Im One Stop Crisis Center (OSCC) des Hospital Universiti Sains Malaysia (HUSM) in Kelantan betreffen 1,6 % aller zwischen 2000 und 2003 behandelter Fälle von sexuellem Missbrauch Frauen über 43 Jahren. Gegenüber den Frauen zwischen 37 und 43 Jahren berichteten sie nicht über sexuelle Belästigung, sondern nur über sexuelle Nötigung (27,3 %) und anale oder vaginale Vergewaltigung (36,4 %). Unbekannt ist, wo die restlichen 36,3 % auf 100 % eingeordnet werden.[16]

Nach Bopp (1987) betreffen 3 % aller Vergewaltigungen Frauen über 50. Wenn es passiert, ist ihr Leben stärker in Gefahr; die Tat endet oftmals mit der Ermordung des Opfers.[17] Und nach Pollak (1988) ist die Psychopathologie der Täter ausgeprägter als jener, die jüngere Frauen vergewaltigen.[18] Wenn junge Männer ältere Frauen sexuell nötigen, fällt dies nach Ellis und Arbabanel (1961) in die Kategorie der sadistischen Gerontosexualität.[19] Von Oules und Boscredon werden 1977 die Täter typischerweise wie folgt beschrieben: obsessive Persönlichkeit, Historie als Bettnässer bis zu einem Alter von etwa 25, Fehlen von Interesse an jüngeren Frauen, Unvermögen Impulse zu kontrollieren, Tendenz zu verletzender und aggressiver Sexualität.[20]

Rezeption

Gerontophilie ist ein Thema des Kultfilms Harold und Maude, in dem sich ein achtzehnjähriger junger Mann in eine achtzigjährige Frau verliebt. Auch der Song Omaboy der Ärzte und teilweise der Song Der Schöne und das Biest von K.I.Z. hat Gerontophilie zum Motiv. Die genannte sexuelle Neigung ist Thema des Buches Pyromalion von Hugo Hammerfest, in dem ein fünfundzwanzigjähriger Mann nur Beziehungen mit weitaus älteren männlichen Partnern haben kann.[21] Im Zeichentrickfilm Kleines Arschloch von Walter Moers ist der zwölfjährige Protagonist in die achtzigjährige Inge Koschmidder verliebt und versucht, ihr Herz zu erobern. In der ersten Staffel (2003) der Comedy-Serie Little Britain steht Jason auf die Großmutter seines Freundes Gary. Mit dem in Kanada produzierten Spielfilm Gerontophilia[22] legte der Regisseur Bruce laBruce 2013 eine Bearbeitung des Themas vor, eine Liebesgeschichte zwischen einem jungen Krankenpfleger und einem Altersheiminsassen.[23]

Siehe auch

Literatur

  • Brigitte Vetter: Sexualität: Störungen, Abweichungen, Transsexualität. Schattauer, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-7945-2463-1.

Weblinks

Wiktionary: Gerontophilie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Uwe Henrik Peters: Lexikon Psychiatrie, Psychotherapie, medizinische Psychologie. Elsevier, 2007, ISBN 978-3-437-15061-6, S. 213.
  2. Duden - Das große Fremdwörterbuch. Dudenverlag, Mannheim/ Leipzig/ Wien/ Zürich 2003.
  3. Anike Bäslack: Sexuelle Gewalt in der Pflege. Eine Literaturuntersuchung zu Erfahrungen sexueller und sexualisierter Gewalt von Patientinnen/bewohnerinnen sowie Pflegerinnen in Krankenhäusern und Seniorinnenheimen. GRIN Verlag, 2007, ISBN 978-3-638-74216-0, S. 34 f.
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 Brigitte Vetter: Sexualität: Störungen, Abweichungen, Transsexualität. Schattauer, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-7945-2463-1, S. 245.
  5. Stephen T. Holmes, Ronald M. Holmes: Sex Crimes: Patterns and Behavior. SAGE, 2007, ISBN 978-1-4129-5298-9, S. 87 f.
  6. Thomas Hofheinz, Liz Gold: Sex Offender Characteristics. Texas Commission on Law Enforcement, März 2000, S. 15.
  7. Raymond J. Corsini: The Dictionary of Psychology. Psychology Press, 1999, ISBN 1-58391-028-X, S. 413.
  8. Rudy Flora: How to Work with Sex Offenders: A Handbook for Criminal Justice, Human Service, and Mental Health Professionals. Haworth Press, 2001, ISBN 0-7890-1499-8, S. 91.
  9. Erdman Ballagh Palmore: Ageism: Negative and Positive. Springer Publishing Company, 1999, ISBN 0-8261-7002-1 , S. 45.
  10. E. J. Haeberle: Die Sexualität des Menschen - 12.2 Ältere Menschen, Handbuch und Atlas 2., erweiterte Auflage, Walter de Gruyter, Berlin 1985.
  11. 11,0 11,1 Thomas Görgen, Barbara Nägele: Ältere Menschen als Opfer sexualisierter Gewalt (PDF; 645 kB), in der Reihe KFN Forschungsberichte Nr. 89, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Hannover 2003, S. 9.
  12. Bernhard Strauß: 4.9 Sexuelle Deviationen - 4.9.1 Definitionen und Diagnostik. In: Wolf-Bernhard Schill, Reinhard G. Bretzel, Wolfgang Weidner (Hrsg.): Männermedizin: In der Allgemeinmedizinischen und internistischen Praxis. Elsevier, 2004, ISBN 3-437-23260-6, S. 140.
  13. K. M. Beier: Sexuelle Übergriffe: Die Täter. In: H. Ostendorf, G. Köhnken, G. Schütze (Hrsg.): Aggression und Gewalt. Peter Lang, Frankfurt/ Berlin/ Bern/ Bruxelles/ New York/ Oxford/ Wien 2002, S. 121–158.
  14. K. J. Peak: Things fearful to name: An overview of sex crimes and perversions. In: Journal of Contemporary of Criminal Justice. 12(2), 1996, S. 204–214.
  15. W. F. Enos, J. C. Beyer: Sex crimes in: W. U. Spitz, R. S. Fisher (Hrsg.): Medicolegal investigation of death: Guidelines for the application of pathology to crime investigation. Charles C. Thomas, Springfield, IL 1980, S. 511–526.
  16. Mohammed Nasimul Islam, Khoo Lay See, Lai Chin Ting, Jesmine Khan: PATTERN OF SEXUAL OFFENCES ATTENDED AT ACCIDENT AND EMERGENCY DEPARTMENT OF HUSM FROM YEAR 2000 TO 2003: A RETROSPECTIVE STUDY. In: Malaysian Journal of Medical Sciences. Vol. 13, No. 1, Januar 2006, S. 30–36.
  17. William J. Bopp, James J. Vardalis: Crimes Against Women. Charles C. Thomas Publishing, 1987, ISBN 0-398-05333-2.
  18. N. Pollack: Sexual assault of older women. Annals of Sex Research, 1, 1988, S. 523–532.
  19. A. Ellis, A. Abarbanel: The encyclopedia of sexual behavior. Hawthorne, New York 1961.
  20. J. Oules, J. Boscredon, J. Bataille: A case of gerontophilia. In: Evolution Psychiatrique. 42, 1977, S. 243–257.
  21. Asaro Verlag: Pyromalion
  22. viennale.at
  23. Gerontophilia (film)
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