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Geschichte der Juden in Wiener Neustadt

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Kalksteinrelief der Wiener Neustädter Judensau (Judenspott) aus dem 15. Jahrhundert. Dargestellt sind Juden die aus den Zitzen einer Sau trinken, ein verhöhnendes judenfeindliches Motiv.

Die Geschichte der Juden in Wiener Neustadt beginnt mit ihrer ersten urkundlichen Erwähnung im Jahre 1239. Schon am Beginn des 13. Jahrhunderts bestand in der „Neustadt“ eine Gemeinde, sie war neben Wien einer der ältesten und ein Zentrum jüdischer Bedeutsamkeit in Österreich. Nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung im Jahre 1496 auf Befehl von Maximilian I. und den darauf folgenden Aufenthaltsverboten, kam es erst im 19. Jahrhundert zu einer erlaubten Ansiedlung im Stadtgebiet und schließlich 1871 zur Gründung der „Israelitischen Kultusgemeinde Wiener Neustadt“, kurz IKG Wiener Neustadt. Vor 1938 waren in der IKG mehr als 1000 Jüdinnen und Juden. Nach dem Anschluss wurde die IKG aufgelöst und die jüdische Bevölkerung vertrieben oder deportiert.

Geschichte

Anfänge im Mittelalter

Herzog Friedrich II. erteilte 1239 den Bürgern der Stadt Privilegien und schloss dabei alle Juden aus Öffentlichen Ämtern aus. Dies war die erste Quelle, in der jüdisches Dasein fassbar war. Im selben Jahr stellte der Rabbiner der Stadt, Chaim bar Mosche, mit dem von Wien, Itzak ben Mosche Or Sarua, ein Rechtsgutachten aus. Zudem hatte die Gemeinde seit der Mitte des 13. Jahrhunderts eine Synagoge und einen Friedhof, der sich, nach jüdischem Gesetz, außerhalb der Stadtmauern im Süden befand. Der älteste Fund eines jüdischen Grabsteins in Wiener Neustadt ist auf das Jahr 1252 datiert. Eine Synagoge, ein Rabinner und ein Friedhof sind starke Beweise für eine gut funktionierenden Gemeinde, sie ist wohl die zweitälteste Gemeinde in Österreich, nach Wien. Der gefundene Grabstein ist der des am 21. Jänner 1252 verstorbenen Simcha ben Baruch, der Sohn des Baruch.

Die Gemeinde

Die 1383 erstmals urkundlich erwähnte Synagoge stand am Allerheiligenplatz 1 (einst „Judenschulgasse", da Synagogen damals als Schulen bezeichnet wurden, das jiddische Wort für Synagoge ist noch immer Schil oder Schul) ihr gegenüber das 1464 erstmals erwähnte jüdische Spital (Allerheiligenplatz 3 bzw. 4). Des Weiteren gab es einen eigenen Gebetsraum im Gotteshaus für jüdische Frauen, „Frauenschul" genannt, da nach orthodoxem jüdischem Gesetz Frauen und Männer beim Gebet getrennt werden (Negiah), und eine Fleischerei, die sich wohl westlich des Spitals befand. Eine Mikwe oder rituelles Tauchbad befand sich vermutlich gegenüber der Synagoge. Höchstwahrscheinlich lebten Juden und Christen in den Anfangsjahren der Gemeinde zusammen, also lebten die Juden nicht in einem Ghetto. Dennoch wird angenommen, dass in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein Judenviertel mit eigenen Zugänge existierte.

Die habsburgische Herrschaftsverteilung im Jahre 1379, ließ Wiener Neustadt in das Herrschaftsgebiet des Herzogtums Steiermark eingliedern, nichtsdestotrotz zahlten die Juden ihre Schutzsteuern an den Herzog Österreichs. 1397 und 1401 wurden Privilegien für die Gemeinde in Neunkirchen und in Wiener Neustadt verliehen, sie wurden von Albrecht IV. und der Herzog der Steiermark Wilhelm ausgestellt und schon im 14. Jahrhundert beherbergte die Wiener Neustadt eine Talmudschule, geführt von Rabbi Schalom. Rabbi Schalom ben Isaak war eine zentrale Persönlichkeit des jüdischen Lebens vor der Wiener Gesera.[1][2]

Die jüdische Bevölkerung lebte im Mittelalter im Spannungsfeld zwischen Formen der Privilegierung und des Schutzes (falls dem Herrscher Schutzsteuern gezahlt wurden) sowie Folgen der Ausgrenzung und Diskriminierung durch die Kirche und die Adeligen. Die judenfeidliche Gesinnung zeigt sich in einem Fresko in der mittelalterlichen Pfarrkirche (dem Liebfrauendom), das Ende des 13. Jahrhunderts entstand. Auf diesem finden sich Juden im „Weltgericht", in die Hölle getrieben, abgebildet.[3] Aber im Gegensatz zu anderen Gebieten in Österreich kam es in Wiener Neustadt nie zu Judenverfolgungen. So betraf die Austreibung der Juden im Zuge der Wiener Gesera, die jüdischen Belvökerung der Stadt nicht. Auch die Pestporgome von 1348/49 oder die Ausschreitungen von 1338 traf die Gemeinde nicht. Jedoch wurde sie nicht von Verboten oder Ausgrenzungen verschont. Die Neustadt galt, infolge der Vetreibung der Wiener Gemeinde, nunmehr als die größte jüdische Gemeinde und nahm wieder eine Sonderrolle als geistiges jüdisches Zentrum im Gebiete des heutigen Österreich ein.

Blütezeit im 15. Jahrhundert

1420 wuchs die Gemeinde stark an und gegen Ende des Jahrhunderts umfasste sie 300 Personen. Das Judenviertel wies die vergleichsweise höchste Bevölkerungsdichte in der Stadt auf, deswegen wurde es oft ausgebaut und um das Jahr 1450 erreichte es seine größte Ausdehnung. Das Judenviertel befand sich, nachdem man das Gebiet im Frauenviertel nach der Wiener Gesera aufgab, im Minderbrüderviertel und ist dank eines Grundbuchs ab Mitte des 15. Jahrhunderts dokumentiert worden.[4]

Kaiser Friedrich III. bekam wegen seiner judenfreundlicheren Haltung den inoffiziellen Beinamen „Rex Judaeorum (König der Juden)“. Die jüdische Bevölkerung in der Neustadt erlebte unter Kaiser Friedrich III., der die Stadt 1440 als Residenz gewählt hatte, eine Blütezeit.

Nach einer Zeit von inneren Unruhen in der Gemeinde, übernahm vor 1450 Rabbi Israel bar Petachja, auch Isserlein genannt (1390–1460), aus Marburg die Position eines Rabbiners, nicht aber des Gemeinderabbiners. Er wurde zum Begründer einer berühmten Talmudschule, und genoss daraufhin höchstes Ansehen innerhalb des Kreises jüdischer Gelehrter, denn er war überregional bekannt.

Die vielen jüdischen Geldleiher hatten eine bemerkenswerte Schuldnerschaft und somit auch eine gewisse wirtschaftliche Stärke. Zu ihren Schuldnern gehörten neben den Herzögen, eine Reihe von bekannten Adlesfamilien, Städte wie Ödenburg oder Preßburg und sogar geistliche Einrichtungen. Aber solche Wichtigkeit kam nicht ohne Nachteile, es folgten zahlreiche Wuchervorwürfe, die zum Geist der zunehmenden judenfeindlichen Gesinnung der Bevölkerung im 15. Jahrhundert passte.[5]

Anschwellen der Judenfeindlichkeit am Ende des 15. Jahrhunderts

Nach dem Tod Kaiser Friedrichs III. im Jahre 1493 verlor Wiener Neustadt die Position des Regierungsmittelpunktes. Der Adel und der Hof folgten dem neuen Herrscher Maximilian I. nach Innsbruck. Zudem zerstörte 1494 ein Großbrand die Stadt. Das Verhältnis zwischen Juden und Christen verschlechterte sich in Folge der Zerstörung der Stadt, weil aufgrund von Darlehensgeschäften Schulden bei Juden ausstanden, welche die Christen nicht mehr bezahlen konnten. Auch hatten die Juden in der Neustadt, aus der Sicht der Landstände, zu viele Rechte.

Der „Judenspott", ein Steinrelief, das an der Front eines Hauses am Hauptplatz 16 eingelassen war und ein Schwein zeigt (das Schwein gilt bei Juden als „unreines Tier"), an dessen Zitzen jüdische Männer saugen, verbildlicht die bestehende und wachsende Ablehnung gegenüber Juden im 15. Jahrhundert.

Ausweisung der Juden aus dem Herzogtum Steir

(Siehe→ Geschichte der Juden in der Steiermark)

Wirtschaftliche Interessen des verschuldeten Adels und machtpolitische Bestrebungen der Stände gegenüber dem Landesfürsten, die auf der Ebene der Bewilligung von außerordentlichen Steuern ausgetragen wurden, trugen das Ihre dazu bei, sodass schließlich Maximilian I. 1496 die Vertreibung der Juden aus der Neustadt befahl. Er begründete dies mit den üblichen antijüdischen Vorurteilen, wie Hostienfrevel oder Ritualmordlegenden, und ließ die Juden vertreiben:

„Damit fortan solch Übel nicht mehr geschehe, [haben Wir] unsere Jüdischkeit aus unserem Lande Steyr in ewige Zeit beurlaubt.“

Die wahren Gründe dahinter waren wohl die Osmanischen Invasionen: Der Herzog brauchte dringend Geld für seine Armeen und bekam dies auch von den Landständen, falls er die Juden auswies.

Die Vertreibung verlief nicht in Form eines Pogroms, sondern es handelte sich um eine organisierte Ausweisung, mit der die Verkäufe von Häusern und alle Veränderungen der bestehenden Besitzverhältnisse, sich über mehrere Jahre hinzog. Zudem mussten sämtliche Geldangelegenheiten und Streitigkeiten zwischen Juden und Christen beigelegt sein. Die Juden durften auch ihr mobiles Hab und Gut mitnehmen. Den jüdischen Bürgern war vorgeschrieben worden, die Neustadt zu verlassen und nach Marchegg oder Eisenstadt zu ziehen. Die letzten Hausverkäufe und Schuldzahlungen erfolgten erst 1500, sodass die letzten Juden die Stadt wohl um 1500 verließen.

Die Synagoge wurde 1496 der Stadt geschenkt und wegen der treibenden Kraft der Stadt schon 1497 in eine Kirche umgewandelt.

Es folgte eine Judensperre die konsequent bis zum 19. Jahrhundert andauerte.

Einzelnachweise

  1. Pollak, Max: Die Juden in Wiener-Neustadt. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Oesterreich. Jüdischer Verlag, Wien, S. 71-79.
  2. Spitzer, Shlomo: Die österreichischen Juden im Mittelalter. Eine Sozial- und Kulturgeschichte. 1977 S. 222.
  3. Werner SULZGRUBER: Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Wiener Neustadt. Abgerufen am 27. April 2020.
  4. Eveline Brugger: Von der Ansiedlung bis zur Vertreibung, in: Geschichte der Juden in Österreich. ISBN 3-8000-7159-2, S. 175-177.
  5. Werner Sulzgruber: Geschichte der jüdischen Gemeinde Wiener Neustad. Abgerufen am 28. April 2020.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Geschichte der Juden in Wiener Neustadt aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.