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Heinar Kipphardt

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Dramaturg Heinar Kipphardt (Mitte) bei der Besprechung eines Bühnenbild-Entwurfs für das Deutsche Theater 1953 zwischen Intendant Wolfgang Langhoff (unten) und Bühnenbildner Heinrich Kilger (rechts)

Heinrich „Heinar“ Mauritius Kipphardt (* 8. März 1922 in Heidersdorf/ Schlesien; † 18. November 1982 in München) war ein deutscher Schriftsteller und bedeutender Vertreter des Dokumentartheaters. Die größte Bekanntheit erlangten seine zeitkritischen Schauspiele In der Sache J. Robert Oppenheimer und Bruder Eichmann.

Leben

Kindheit und Jugend in Schlesien und im Rheinland

Heinar Kipphardt wird im südschlesischen Heidersdorf in der Heimat seiner Mutter Elfriede Kipphardt geboren. Sein Vater Heinrich Kipphardt ist Dentist ohne Hochschulstudium nach einer damals dafür möglichen praktisch handwerklichen Ausbildung. Nach Heinars Geburt zieht die Familie nach Gnadenfrei. Er besucht dort von 1928–1932 die Dorfschule und danach verschiedene Gymnasien. In der Familie ist Heinar einziges Kind mit enger Beziehung zur Mutter und spannungsreicher zum Vater. Heinar wird als „unbändig“ und „rauflustig“ beschrieben.[1] In der Nacht des 27. Februar 1933 (Reichstagsbrand) wird der Vater als „außerhalb der deutschen Volksgemeinschaft stehend“ – er galt als überzeugter Marxist – von den Nationalsozialisten verhaftet und zunächst im provisorischen KZ Breslau-Dürrgoy und später im KZ Buchenwald interniert. 1937 kommt er frei mit der Auflage, Schlesien zu verlassen. Die Familie zieht in das Rheinland, wo der Vater Verwandte hat und in Krefeld eine Praxis eröffnet. 1943 wird er erneut von der Gestapo in Schutzhaft genommen und als 47-Jähriger an die Front geschickt. Heinar Kipphardt besucht ab 1937 das Gymnasium am Moltkeplatz in Krefeld und schließt mit dem Abitur (1940) ab. 1939 lernt er seine spätere Frau Lore Hannen kennen, die an der Kunstgewerbeschule Krefeld studiert.

Medizinstudium und Kriegsdienst

Nach Pflichteinsatz im nationalsozialistischen Arbeitsdienst beginnt er 1940 ein Medizinstudium an der Universität Bonn mit dem späteren Schwerpunkt Psychiatrie. „Mit 18 Jahren kann noch niemand sagen: Ich werde ein Schriftsteller. Also wurde etwas studiert, und das nächste war mir die Medizin. Ich hielt es für unsinnig, gerade in der Nazi-Zeit Geisteswissenschaften zu studieren.“[2] 1942 wird er als Soldat an die Ostfront geschickt. Während eines Heimaturlaubs heiratet er 1942 Lore Hannen. Aus der Ehe gehen die Kinder Linde (1943) und Jan (1950) hervor. Lore Kipphardt, geb. Hannen, eine bekannte naive Malerin, lebt heute in Bayern. Im Winter 1943 erlebt Kipphardt den Winterrückzug der Wehrmacht nach der Schlacht von Stalingrad und hat das Glück, Anfang 1944 zu einer Studentenkompanie eines Sanitätsregimentes nach Königsberg abkommandiert zu werden. Sie wechselt im selben Jahr an die Universität Breslau und später nach Würzburg. Als Kipphardt Anfang 1945 erneut zur Front abkommandiert wird, setzt er sich von der Truppe ab und begibt sich ins Siegerland, wohin seine Frau und seine Mutter evakuiert worden sind. In Dahlbruch, wohin auch sein Vater desertiert ist, wartet er in einem Versteck das Ende des Nationalsozialismus ab, um anschließend nach Krefeld zurückzukehren.[3]

Ab Herbst 1945 setzt Kipphardt das Studium an der Medizinischen Akademie in Düsseldorf fort. Er wohnt mit seiner Familie in Krefeld. Als Assistenzarzt wechselt er von den Städtischen Krankenanstalten in Krefeld (Innere Abteilung) zur psychiatrischen Klinik Düsseldorf-Grafenberg und promoviert 1950 mit einer Dissertation zur Prognose der Intelligenzentwicklung beim Kinde.[4]

Literarische Anfänge und Deutsches Theater

Schon in den Kriegsjahren interessiert sich Kipphardt mehr und mehr für Geschichte, Literatur und Philosophie in der Auseinandersetzung mit dem grauenvollen Zeitgeschehen. Dieses Interesse behält er bei. Es folgen erste literarische Versuche; er beginnt Gedichte zu schreiben. Mit der Nachkriegsentwicklung ist Kipphardt unzufrieden: „Der Faschismus schien erledigt. Seltsam, es gab keine Nazis mehr, niemand hatte das mindeste gewusst. Ich schämte mich der Landsleute, die ohrenbetäubend lamentierten, dass es ihnen dreckig ging.“[5]

1950 verlässt er Krefeld und nimmt eine Stelle am Ost-Berliner Krankenhaus Charité an. In diesem Jahr erscheint auch seine erste literarische Veröffentlichung Mitten in diesem Jahrhundert im Aufbau: Kulturpolitische Monatsschrift. 1950 bekommt Kipphardt unter dem Intendanten Wolfgang Langhoff einen Vertrag am Deutschen Theater Berlin – seit 1949 Staatstheater der DDR – zunächst als Redakteur, dann als Dramaturg und später als Chefdramaturg. 1953 wird Kipphardt Mitglied der SED. Für das Schauspiel Shakespeare dringend gesucht, das in einer Zeit der Selbstkritik der SED nach dem 17. Juni 1953 inszeniert wird, erhält er den Nationalpreis der DDR III. Klasse. Die frühen fünfziger Jahre sind für Kipphardt eine erfolgreiche Zeit der freundschaftlichen Zusammenarbeit mit Wolfgang Langhoff, Freundschaft mit Ernst Busch, fruchtbaren Auseinandersetzung mit Erwin Piscator und des Einsatzes für Peter Hacks.[6]

Übersiedlung in die Bundesrepublik

Seit dem ungarischen Volksaufstand 1956 verschärfte sich der SED-Kurs gegen kritische Intellektuelle. Auch der Spielplan von Langhoff und Kipphardt wird angegriffen.[7] 1958 kündigt Kipphardt seinen Vertrag am Deutschen Theater. Er bekommt eine Direktorenstelle am Deutschen Hygiene-Museum in Dresden angeboten, reist jedoch 1959 nach Düsseldorf. Mit Karl-Heinz Stroux, Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses, hat er einen Arbeitsaufenthalt verabredet, der mit einem Autorenvertrag verbunden ist. Von Düsseldorf aus versucht Kipphardt vergeblich, seine Übersiedlung aus der DDR zu legalisieren. Er gilt nun als republikflüchtig . Seine Frau und die Kinder sind aber bereits bei ihm. Kipphardt wird aus der SED ausgeschlossen.

Durch die Einnahmen aus dem Autorenvertrag hat Kipphardt Zeit, das Stück Der Hund des Generals zu schreiben und sich darum zu kümmern, im westdeutschen Kulturbetrieb Fuß zu fassen. Er findet einen Buchverlag für seine Veröffentlichungen und schließt einen Lektorenvertrag mit Bertelsmann für die Einrichtung von Theaterstücken für das Fernsehen. 1961 zieht die Familie nach München. Kipphardt lernt 1962 Pia-Maria Pavel kennen; auch sie hat Familie und zwei Kinder. Beide lösen sich aus ihren Bindungen, heiraten 1971 und leben bis zu Kipphardts Tod zusammen. Die gemeinsamen Kinder Franz und Moritz kommen 1966 und 1969 zur Welt; Franz Kipphardt arbeitet als Drehbuchautor in Berlin. Pia Pavel nimmt tätigen Anteil an Kipphardts Arbeit. Sie recherchiert, redigiert und übernimmt Lektoratsaufgaben. „Ich identifizierte mich mit seiner Arbeit … Ich wusste, er will eine Veränderung der Welt, und die wollte ich auch.“[8]

Literarischer Durchbruch

Mit dem Schauspiel In der Sache J. Robert Oppenheimer, 1964 in West-Berlin von Erwin Piscator und in München Paul Verhoeven uraufgeführt, erzielt Kipphardt in beiden Teilen Deutschlands erheblichen Erfolg. Er wird in demselben Jahr mit dem Gerhart-Hauptmann-Preis, dem Adolf-Grimme-Preis und dem Fernsehpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste ausgezeichnet.

1966 stößt Kipphardt in einer Veröffentlichung des Psychiaters Leo Navratil, auf Gedichte von Ernst Herbeck, die dort unter dem Pseudonym "Alexander" veröffentlicht wurden[9]. Daraus entwickelt Kipphardt seine Figur des "Alexander März", die ihn jahrelang beschäftigt[10]. Eine zunächst freundliche Korrespondenz mit Navratil endet mit Plagiatsvorwürfen des Letzteren[11].

1969 wird Kipphardt die Funktion des Chefdramaturgen an den Münchner Kammerspielen angeboten. Er tritt die Stelle am 1. Januar 1970 an, verliert dieses Amt jedoch schon 1971 wieder im Zusammenhang eines Skandals um das Programmheft zum Stück Der Dra-Dra von Wolf Biermann. Prominente Wortführer wie Günter Grass, Arnulf Baring und Hans-Jochen Vogel werfen Kipphardt vor, politische Gegner zu Feinden zu verteufeln und auf Abschusslisten zu setzen. Dabei wird Bezug genommen auf Passagen des geplanten Programmheftes, die in der Dramaturgie diskutiert, aber dann nicht aufgenommen werden.[12]

Nach ihrer Hochzeit 1971 verlegen Heinar und Pia Kipphardt ihren Wohnsitz in die ehemalige Strommühle Angelsbruck in Fraunberg.[13] In seinen letzten Lebensjahren erreicht Kipphardt einen neuen Schaffenshöhepunkt. Er wird 1977 mit dem Literaturpreis der Stadt Bremen ausgezeichnet. Er engagiert sich 1981 in der „Berliner Begegnung zur Friedensförderung“. Er stirbt 1982, sein Grab ist auf dem Friedhof Reichenkirchen in Fraunberg.[14]

Ein Jahr nach seinem Tod wird posthum das Schauspiel Bruder Eichmann uraufgeführt. Es verwendet zahlreiche Zitate aus Hannah Arendts Buch Eichmann in Jerusalem.

Internationale Heinar Kipphardt-Gesellschaft

In Krefeld wurde 2008 die Internationale Heinar Kipphardt-Gesellschaft e. V. gegründet. Zu ihren Aufgaben gehört, die Erinnerung an Heinar Kipphardt durch Veranstaltungen (Lesungen, Aufführungen, Tagungen etc.) wachzuhalten. Durch die Vermittlung von Einblicken in Kipphardts Werk soll zur Auseinandersetzung mit seinem Lebensthema der Verantwortung des Einzelnen in seiner gesellschaftlichen Umgebung und dem Problem der Abweichung von unter Umständen verhängnisvoller Normalität angeregt werden.

Werke

Stücke

Lyrik

  • 1949 Es ist noch nicht zu Ende
  • 1977 Angelsbrucker Notizen
  • 1953 Auschwitz 1953

Erzählungen und Romane

Weitere Texte

Herausgeberschriften

  • Georg Kaiser: Der Zentaur. Mit einer Einführung von Heinar Kipphardt. In: Neue Deutsche Literatur, 1955, H.6, S. 109-113, ISBN 3-936298-05-X
  • Aus Liebe zu Deutschland. Satiren auf Franz Josef Strauß: Hrsg. von Heinar Kipphardt, Mitarbeit Ewald Dede. München 1980 (Autoren Edition), ISBN 3-359-01606-8
  • Vom Deutschen Herbst zum bleichen deutschen Winter. Ein Lesebuch zum Modell Deutschland. Hrsg. von Heinar Kipphardt, Mitarbeit Roman Ritter. München 1981 (Autoren Edition), ISBN

Übersetzungen

  • Nazim Hikmet: Und im Licht mein Herz. Gedichte. Aus dem Türkischen. Nachdichtungen von Annemarie Bostroem, Stephan Hermlin, Heinar Kipphardt, Paul Wiens. Berlin 1971, ISBN

Briefwechsel

Werkausgabe

Rezeption im Rundfunk und auf Schallplatte

Fernsehfilme

Hörspiele

Schallplatten

  • In der Sache J. Robert Oppenheimer, 2 Sprechplatten und Textbeilage mit Abbildungen, Hamburg (Deutsche Grammophon-Gesellschaft, Literarisches Archiv) 1965
  • Wolf Biermann, Hälfte des Lebens, (CBS) 1979 (Biermann Vertonung von März-Gedichten)
  • Alois Bröder, Îsôt als blansche mains, (Melisma) 2000 (Vertonung von März-Gedichten)

Dokumentation

  • Der Schriftsteller Heinar Kipphardt. Die Fremde, in der ich zu Hause bin (Dokumentation von Viktoria v. Flemming, BRD 1980)

Literatur

  • Helge Drafz: Eine Jugend in Krefeld. Leben und frühes Schaffen Heinar Kipphardts 1937–1950. In: Die Heimat. Zeitschrift für niederrheinische Kultur- und Heimatpflege. Hrsg. Verein für Heimatkunde in Krefeld, Jahrgang 56, Dezember 1985, S. 182-186, ISSN 0342-5185
  • Anat Feinberg: Wiedergutmachung im Programm. Jüdisches Schicksal im deutschen Nachkriegsdrama. Köln: Prometh 1988, ISBN 3-922009-85-9
  • Ulrike Edschmid: Diesseits des Schreibtischs. Lebensgeschichten von Frauen schreibender Männer. Frankfurt am Main 1990, Luchterhand-Verlag, ISBN 3-630-61908-8.
  • Sven Hanuschek: „Ich nenne das Wahrheitsfindung“: Heinar Kipphardts Dramen und ein Konzept des Dokumentartheaters als Historiographie. München 1993 (= Dissertation Universität München), ISBN 3-925670-88-2
  • Sven Hanuschek: Heinar Kipphardts Bibliothek: ein Verzeichnis. Bielefeld 1997, ISBN 3-89528-172-7
  • Sven Hanuschek: Heinar Kipphardt. Hannover: Wehrhahn Verlag 2012 (Meteore, Band 10), ISBN 978-3-86525-257-9
  • Walter Karbach: Mit Vernunft zu rasen: Heinar Kipphardt. Studien zu seiner Ästhetik und zu seinem veröffentlichten und nachgelassenen Werk. Oberwesel am Rhein 1989 (= Dissertation Universität Marburg), ISBN 3-926888-99-7
  • Adolf Stock: Heinar Kipphardt. Reinbek bei Hamburg 1987 (Rowohlts Monographien), ISBN 3-499-50364-6
  • Kurzbiografie zu: Kipphardt, Heinar. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Ch. Links Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4, Band 1.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Adolf Stock: Heinar Kipphardt. Hamburg 1987 (Rowohlts Monographien), S. 18
  2. Heinar Kipphardt: Stücke I. Frankfurt/Main 1973 (Edition Suhrkamp 659), S. 337
  3. Adolf Stock, Heinar Kipphardt (Rowohlts Monographien), Reinbek 1987, S. 29 f.
  4. Helge Drafz: Eine Jugend in Krefeld. Leben und frühes Schaffen Heinar Kipphardts 1937–1950. In: Die Heimat. Zeitschrift für niederrheinische Kultur- und Heimatpflege. Hrsg. Verein für Heimatkunde in Krefeld, Jahrgang 56, Dezember 1985, S. 182 ff.
  5. Heinar Kipphardt: 300 Zeilen Leben. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Nr.40 v. 3.Oktober 1953 (Ausgabe Ost), S.843
  6. Adolf Stock: Heinar Kipphardt, a. a. O. S. 49
  7. Sven Hanuschek: Heinar Kipphardt. Berlin 1996 (Köpfe des 20. Jahrhunderts, Band 127). S. 25
  8. Pia Kipphardt: Wenn es einen Neubeginn gäbe, ich würde Dich finden, ohne zu suchen. In Ulrike Edschmid: Diesseits des Schreibtischs. Lebensgeschichten von Frauen schreibender Männer. Frankfurt/ Main 1990, S. 22
  9. Leo Navratil: Schizophrenie und Sprache. München 1966
  10. März-Roman, 1976; März-Film, 76; März-Hörspiel 1977; März-Schauspiel 1980; März-Gedichte, in: Angelsbrucker Notizen, 1985
  11. Heinar Kipphardt: März. Roman und Materialien. Hamburg: rororo 1984, S. 239-256.
  12. Adolf Stock: Heinar Kipphardt, a.a.O. S. 97 ff.
  13. Christian Krügel: Landpartie literarisch, S. 75
  14. Gerd Otto-Rieke: Gräber in Bayern. München 2000. S. 59
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