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Jüdisches Leben in der NS-Zeit in Freudental

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Das jüdische Leben in der NS-Zeit in Freudental war geprägt durch die Verfolgung der zahlreichen Jüdinnen und Juden bis ins Jahr 1942. Anschließend galt das Dorf als „judenrein“.

Akzeptanz des staatlichen Antisemitismus nach Hitlers Machtergreifung

Jüdische Gedenktafel in Freudental

Die Gemeinde Freudental hatte im Januar 1933 laut Aufzeichnung 560 Einwohner, darunter 70 jüdischen Glaubens. Es ist bekannt, dass Freudental sechs Parteigenossen aus der NSDAP hatte. In ihrem Stammlokal Hirsch waren Juden unerwünscht. Von den Vorgängen am 30. Januar 1933 in Berlin nahmen die Freudentaler wenig Notiz. Unruhe entstand erst durch die Vorbereitungen auf die Reichstagswahl am 5. März 1933, den Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 und die Notverordnung des Reichspräsidenten am 28. Februar 1933. Die jüdische Gemeinde sah die Gefahr der hitlerischen Regierung.

Deutlich wurde die Machtübernahme Hitlers in der Gemeinderatssitzung am 28. März 1933. Im Protokoll heißt es: „Der gesamte Gemeinderat ist sich einig in dem Gedanken der Treue zur Regierung, der restlosen und opferbereiten Pflichterfüllung zum Segen unseres Vaterlandes.“[1] Danach folgen Umbenennungen von Straßennamen. So wurde beispielsweise die „Judengasse“[1] in die heutige „Strombergstraße“[1] umbenannt.

Nach dem Gleichschaltungsgesetz wurde am 5. März 1933 der bisherige Gemeinderat aufgelöst und das neue Gremium bestand mit allen sechs Sitzen aus der NSDAP. Im darauffolgenden Sommer mussten alle Gemeindebediensteten im Rahmen des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums ihre „arische Abstammung“[1] nachweisen. Die endgültige Beseitigung der demokratischen Staatsordnung bildet die neue Vereidigungsformel, die Adolf Hitler als oberstes Staatsorgan bestimmt. Darauf schwor der Freudentaler Gemeinderat am 11. Oktober 1934: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“[1]

Blickt man heute auf die jüdische Bevölkerung insbesondere während der NS-Zeit, so erweckt es oftmals den Eindruck, sie seien Opfer gewesen. Doch trotz aller Bedrängnisse lässt sich beobachten, dass die deutschen Juden Kraft und Stärke bewiesen und sich entsprechend gegen das nationalsozialistische Regime behaupteten. Einige von ihnen schlossen sich sogar linken Widerstandsgruppen an. Am 17. September des Jahres 1933 wurde die „Reichsvertretung der Deutschen Juden[2], eine gemeinsame jüdische Organisation auf Reichsebene gegründet.

Unter dem Zwang des nationalsozialistischen Staates wurde diese Organisation im Juli 1939 per Gesetz zur „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland[2] umgewandelt. Unter der Leitung der Reichsvereinigung und der Kontrolle der Gestapo wurde der bisherige freiwillige Zusammenschluss nun zu einer Zwangsvereinigung, der sich alle jüdischen Organisationen und Gemeinden anzuschließen hatten.[2]

Diskriminierung aus der Öffentlichkeit

Arbeitsleben am Beispiel von Moritz Herrmann

Laut der Familiensaga wurde Moritz Herrmann Landwirt, da sein Vater Abraham Herrmann sich seinem Studienwunsch verschlossen hatte. Moritz Herrmann etablierte sich daraufhin in Freudental als Landwirt. Im Jahre 1899 hatte er, im örtlichen Grundbuch noch als lediger „Handelsmann“[3] aufgeführt, seine ersten beiden Äcker gekauft, 1902 waren dort drei weitere hinzugekommen. Moritz Herrmanns berufliches Fortkommen scheint dies so wenig beeinträchtigt zu haben wie der Erste Weltkrieg und die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen danach: 1919 konnte er seinen Betrieb durch den Kauf mehrerer Äcker und Obstwiesen in Kleinsachsenheim beträchtlich vergrößern. Sein Fleiß und seine Sparsamkeit waren in Freudental Orts bekannt, er betonte Anna Deppert, „ein sehr fleißiger Mann“ gewesen und sehr sparsam, fast zu sparsam - typisch „schwäbische“ Tugenden, auf die sich auch Moritz Herrmann selbst noch 1942, unmittelbar vor der Deportation, in verzweifelten Schilderungen seiner Lagebereif. Der Arbeitstag begann noch vor dem Morgengrauen mit einem Glas Milch, bevor es dann mit dem Ochsengespann auf die Felder ging.

Allerdings: Schon Abraham Herrmann, geboren am 2. Mai 1846, musste neben dem Viehhandel zumindest eine klare Landwirtschaft betrieben haben, denn in der Heiratskunde seiner Tochter Rahel wird er noch 1920, neun Jahre nach seinem Tod als Landwirt bezeichnet. Besonders stolz dürfte Moritz Herrmann und seine sechs jüngeren Geschwister aber auf ihren Großvater Israel gewesen sein, der nicht nur ein halbes Jahrhundert lang als Rechner und Stiftungspfleger der jüdischen-Religionsgemeinde amitierte, sondern auch über Jahrzehnte im bürgerlichen Gemeinderat saß, lange Zeit als stellvertretender Bürgermeister.[3]

Diskriminierung in der Gesellschaft

Hitlers Machtergreifung im Jahre 1933 und die jahrhundertealte antijüdische Tradition sorgten letztlich dafür, dass der Antisemitismus in der Gesellschaft immer mehr akzeptiert und auch praktiziert wurde. So führten die Erfolge der NS-Außen und Wirtschaftspolitik nicht nur zu einem allgemeinen Aufwärtstrend der Weltwirtschaft und damit verbundenen positiven Ergebnissen auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch zu einer wachsenden Übereinstimmung im Hinblick auf das jüdische Feindbild und die judenfeindlichen Maßnahmen des Regimes in der Bevölkerung.[2]

Diese Maßnahmen betrafen nahezu alle Bereiche des öffentlichen Lebens. So wurden jüdische Richter am März 1933 beurlaubt, jüdische Beamte wurden am April aus dem Staatsdienst entlassen, aus sämtlichen Vereinen ausgeschlossen (25. April 1933). Darüber hinaus war es ihnen nicht mehr erlaubt, den Beruf des Musikers auszuüben (31. März 1935) und schriftstellerischen Tätigkeiten nachzugehen (März 1935). Ab dem 17. August 1938 waren Juden gezwungen, den Namen „Israel“ und Jüdinnen den Namen „Sara“ als zusätzlichen Vornamen zu tragen.

Jüdische Mitbürger wurden systematisch aus dem öffentlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben durch fortwährende Hetze in Rundfunk und Presse und stetig neue Gesetze ausgegrenzt. Ziel war, die Gemeinschaft zwischen der christlichen und jüdischen Bevölkerung in Freudental bewusst zu zerstören. Wichtige Positionen, wie Ortsbauernführer und Ortsgruppenleiter wurden von Nazis schnell übernommen. Lehrer vermittelten die neue Ideologie und wurden größtenteils zu nationalsozialistischen Funktionären. In Freudental gab es wie in anderen Judenorten keinen Widerstand gegen die Methoden der Nazis. Das Einkaufen von Lebensmitteln war sehr schwierig und gelang meist nur außerhalb Freudentals, wo man nicht erkannt wurde. Die Nazis versuchten, jeglichen Handel zu unterbinden.[1]

Reichspogromnacht

Reichspogromnacht 1938

Das nationalsozialistische Regime ging in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in einer organisierten Gewaltmaßnahme gegen die Jüdinnen und Juden im Deutschen Reich vor, was zunächst als Reichskristallnacht und später als Reichspogromnacht bezeichnet wird. Wie in vielen ländlichen Gegenden fand die Schändung auch in Freudental erst am Vormittag des 10. Novembers statt, da sich die SA zunächst auf die Städte konzentrierten.[4] Ungefähr zwanzig Autos von Richtung Ludwigsburg fuhren durch Freudental, bevor sich die Insassen dieser vor dem Freudentaler Rathaus aus den Autos begaben. Von dort aus marschierten sie gemeinsam mit dem damaligen Bürgermeister Schwartz sowie einem Polizeidiener zur Synagoge und zur jüdischen Schule.[5] Charakteristisch für die von langer Hand geplante Maßnahme der NSDAP war die Tatsache, dass man in Freudental davon absah, die Synagoge in Brand zu setzen. Hiervon ist man lediglich abgekommen, um die angrenzenden Häuser nicht zu gefährden. Ehemalige Anwohner beschreiben die damalige Situation wie folgt: „Die konnten sie nicht anzünden, weil ringsum doch die alten Gebäude standen“[6] und „[…] das haben die ja selber eingesehen, dass da ja das ganze Eck abbrennt“[6]. Die eingetroffenen SA-Männer plünderten die Synagoge sowie die jüdische Schule. Kultgegenstände mussten von den dort lebenden Juden selbst auf einen Anhänger geladen werden und wurden zum Sportplatz gefahren.[7] Die Anwohnerin Karoline Z. erinnert sich: „Als die Synagoge zerstört wurde, war ich auf dem Feld und dachte 'Was ist denn in Freudental los? Ein Geschrei […]. Da ist alles zerstreut gewesen, die Schulbücher […], das Gestühl und die Sache, die in der Synagoge waren, wurden alle herausgetragen und auf einen Wagen geworfen. Das musste die Juden machen, die da waren. […] Und da war ein Judenbub dabei, er ist 16 Jahre als gewesen, so ein schmaler Bub und der konnte nicht so schnell arbeiten, wie die Kerle da verlangt haben und dann haben sie ihm so ins Gesicht geschlagen, dass ihm das Blut gelaufen ist“[8]. Am Rande eines Feldstückes am Ende des Ortes Freudental wurden alle Kultgegenstände aus der Synagoge angezündet, während die jüdischen Anwohner um die Flammen herum knien und „An allem sind wir Juden schuld“[9] rufen mussten.

Einzelreferenzen

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 Theobald Nebel: Die Geschichte der Freudentaler Juden. Historischer Verein für Stadt und Kreis Ludwigsburg e.V., Ludwigsburg, S. 89 f..
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Arno Herzig: 1933-1945: Verdrängung und Vernichtung. 5. August 2010, abgerufen am 23. März 2023.
  3. 3,0 3,1 Steffen Pross: Später erhielt ich noch zwei Karten aus Theresienstadt. Freudentaler Adressbuch 1933.. In: Freudentaler Blätter. 1, Pädagogisch-Kulturelles Centrum/ Ehemalige Synagoge Freudental, Freudental September 2011, ISBN 978-3-9809962-5-9.
  4. Die Synagoge. Gemeinde Freudental, abgerufen am 23. März 2023.
  5. Steffen Pross: Freudental ’38. Eine Ermittlung.. Pädagogisch-Kulturelles Centrum Ehemalige Synagoge Freudental, Freudental 2009, ISBN 978-3-9809962-3-5, S. 38.
  6. 6,0 6,1 Steffen Pross: Freudental ’38. Eine Ermittlung.. Pädagogisch-Kulturelles Centrum Ehemalige Synagoge Freudental, Freudental 2009, ISBN 978-3-9809962-3-5, S. 36.
  7. Gemeinde Freudental: Die Synagoge. In: Freudental. Abgerufen am 22. März 2023.
  8. Steffen Pross: Freudental ’38. Eine Ermittlung.. Pädagogisch-Kulturelles Centrum Ehemalige Synagoge Freudental, Freudental 2009, ISBN 978-3-9809962-3-5, S. 38 f..
  9. Steffen Pross: Freudental ’38. Eine Ermittlung.. Pädagogisch-Kulturelles Centrum Ehemalige Synagoge Freudental, Freudental 2009, ISBN 978-3-9809962-3-5, S. 40.
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