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Juden im Elsass

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Der Legende nach kamen Juden mit den römischen Legionen ins Rheintal nach ihrer Vertreibung im Jüdischen Krieg aus Judäa.[1] Nachweisbar sind jüdische Bewohner ab dem 11. Jahrhundert, zuerst in Straßburg, sie wurden als Aschkenasim bezeichnet.[2]

Heiliges Römisches Reich

Hauptartikel: Heiliges Römisches Reich

Im Fränkischen Reich sind Juden nachgewiesen, so war ein Jude namens Isaac unter der Delegation, die Karl der Große nach Bagdad sandte, Ludwig der Fromme stellte für drei Juden Schutzbriefe aus, Karl der Kahle hatte einen jüdischen Leibarzt.[3]

Jude mit Judenhut – Codex Manesse

Die ersten Belege für Juden in Straßburg stammen aus dem Jahr 1146, als sie während des Zweiten Kreuzzugs misshandelt wurden. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts ist eine Spende von 5 Goldflorin dokumentiert, die für den Bau eines jüdischen Gotteshauses bestimmt war. Im Jahr 1182 wuchs die jüdische Gemeinde an, da König Philip II. die Juden aus Frankreich auswies. Die Gemeinde besaß eine Synagoge, eine Mikwe und einen Friedhof, den sie von der St. Peter Gemeinde gepachtet hatte für 1 Pfund (Livre) pro Jahr. Im Jahr 1325 kaufte sie das Grundstück für 136 Pfund. Ab 1236 wurden die Juden Kammerknechte genannt und standen unter der Protektion von Kaiser Friedrich II. Dafür mussten sie eine jährlich Abgabe von 200 Mark entrichten. Obwohl die Kammerknechte keine Leibeigenen waren, verfügte der Kaiser über sie nach Belieben. Neben den Abgaben an den Kaiser mussten die Juden auch Abgaben an den Bischof von Straßburg bezahlen. Wenig später verlangte auch die Stadt Straßburg Abgaben von ihnen. Da dies die Leistungsfähigkeit der Juden überstieg, stritten sich Bischof und Stadt, wer wie viel von den Juden erhalten sollte. Auch aus diesem Grund kam es zur Schlacht von Hausbergen am 8. März 1262, die mit einer Niederlage des Bischofs endete. Schließlich mussten die Juden 1000 Pfund an die Stadt und 12 Mark an den Bischof bezahlen. Im Jahr 1338 kam es zu einer Revolte armer Menschen unter Führung von Hans Zimberlin, ein ehemaliger Gastwirt, genannt Armleder, in der die Juden angegriffen wurden. 1340 erhielten die Juden einen neuen Schutzbrief des Bischofs. All dies war hinfällig mit dem Ausbruch der Pest im Jahr 1349. Die Juden wurden als Brunnenvergifter denunziert und man verlangte ihre Ausweisung oder Ausrottung. Am 14. Februar 1349 wurden 2000 Juden in einem Autodafé verbrannt. Die Überlebenden wurden für 2 Jahrhunderte aus der Stadt verbannt. Ab 1369 durften sie sich vereinzelt wieder in Straßburg niederlassen.[4]

Straßburger Münster: die Synagoge symbolisiert das Judentum, genauer gesagt seine geistliche „Blindheit“, da das jüdische Volk aus christlicher Sicht die Göttlichkeit Jesu Christi nicht zu erkennen wusste.

Auch in den kleineren Städten des Elsass verlief die Geschichte der Juden wie in Straßburg, zum Beispiel in Mülhausen. Hier findet man erste Belege für die jüdische Gemeinde im 13. Jahrhundert, die Gemeinde wuchs, konnte eine Synagoge bauen und wurde immer wieder angegriffen und schließlich 1477 vertrieben.[5]

Eine herausragende Figur der Juden im Elsass war Josel von Rosheim (1476–1554), ein Rabbiner, der enormen Einfluss auf die Deutschen Kaiser Maximilian I., Karl V. und Ferdinand I. hatte. Es gelang ihm, die zunehmende Judenfeindlichkeit zumindest abzumildern. Er diskutierte auch mit Martin Luther, ohne ihn von seiner Judenfeindlichkeit abbringen zu können.[6]

Die Repression der Juden hielt an, solange das Elsass zum Deutschen Reich gehörte. Sie durften nicht in den Städten wohnen, keinen Grund und Boden besitzen, viele Berufen waren ihnen verwehrt, sie mussten spezielle Abgaben bezahlen. Am Ende des 16. Jahrhunderts lebten nur noch 120 jüdische Familien im Elsass.[7]

Im Unterschied zum Deutschen Reich waren die Juden im Elsass nie gezwungen, in einem Ghetto zu leben. In den Judengassen, die man heute noch in vielen Orten findet, lebte eine Gemeinschaft, die sich freiwillig zusammengeschlossen hatte.[8]

Frankreich

Mit dem Westfälischen Frieden 1648 kam das Elsass zu Frankreich, zuletzt Straßburg 1681. Die Situation der Juden in Frankreich hatte sich verschlimmert, nachdem Karl VI 1394 ihren Aufenthalt untersagt hatte. Als 1481 die Provence zum Königreich Frankreich kam, wurden auch hier die Juden ausgewiesen. Zunächst beließ Ludwig XIV. die Herrschaft und die Regeln im Elsass wie vorher. Erst 1651 beauftragte er den Gouverneur von Breisach, die Juden auszuweisen. Die Adligen des Elsass intervenierten dagegen, hauptsächlich, weil sie von den Juden hohe Abgaben erhielten und weil die Juden eine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben als Viehhändler und Geldverleiher einnahmen. Tatsächlich stellte der König 1657 die Juden unter seinen Schutz durch einen Lettre Patente (Gesetzgebungsakt des Souveräns). 1681 wurde Aaron Wormser als Rabbiner des Elsass ernannt. 1689 lebten im Elsass 525 jüdische Familien, das waren ca. 2.600 Personen.[9] 1721 wurde das Elsass aufgeteilt: 3 Rabbiner für das Oberelsass und 4 für das Unterelsass. Diese Aufteilung blieb bis zur Französischen Revolution erhalten.[10] Bis zur Französischen Revolution besserte sich die Situation der Juden, so schaffte Ludwig XVI.1784 den Leibzoll ab und verabschiedete Erlasse, die die Sicherheit der Juden verbesserten. Cerf Beer, ein reicher und einflussreicher Jude, drang beim König auf diese Verbesserungen.

Cerf Berr

Im Elsass lebten ca. 25.000 Juden, von insgesamt 40.000 Juden in ganz Frankreich.[11] Der Zuwachs beruhte hauptsächlich auf Zuwanderung aus dem Osten, besonders der Krieg in Polen vertrieb viele Juden.[12]

Die Französische Revolution wurde von den Juden in Frankreich freudig begrüßt, versprach doch die Losung „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ ihre Gleichberechtigung. Das Dekret von 1791 gewährte den Juden die volle Emanzipation. Im Elsass gab es Vorbehalte. Einerseits waren die Vertreter des Elsass in der Nationalversammlung, Broglie und Reubell, gegen die Gleichberechtigung der Juden, mit dem Argument, dies würde zu Unruhen unter der Bevölkerung führen. Andererseits wollten die Juden ihre Selbstverwaltung, besonders in religiösen Fragen, die sie mühsam erstritten hatten, behalten. Dies führte zu Protesten. Als Napoléon 1806 bei seiner Rückreise aus Austerlitz durch Straßburg kam, bemerkte er diese Widerstände und verurteilte sie scharf. Er drang darauf, dass sich die Elsässer einigen. Der jüdische Widerstand wurde durch den Rabbiner David Sinzheim besänftigt. Durch eine gewagte Interpretation der talmudischen Vorschrift „dina de malkhouta“ (das Gesetz des Königreichs ist das Gesetz) konnte er die Gemeinde mit den neuen Regeln zu versöhnen. 1807 und 1808 wurden schließlich von Napoléon die Gesetze zur Gleichstellung beschlossen. Die Juden des Elsass waren empört über das Gesetz gegen den Wucher, das sie besonders betraf, es wurde als „Berüchtigtes Dekret“ (décret infâme) bezeichnet. Erst unter der Restauration 1818 wurde es aufgehoben.[13] Ebenfalls 1807 wurde durch Napoléon das Namensrecht reformiert, traditionelle Namen wie Judt Leibele waren nicht mehr zulässig, ebenso hebräische Namen wie Nephtali, letztere änderten ihren Namen in Hirsch, Cerf oder Zivy.[14] 1830 unter Louis-Philippe wurde ein Gesetz zur Finanzierung der religiösen Kulte beschlossen. Erstmals war der jüdische Glaube mit dem christlichen gleichberechtigt. Der Staat bezahlte Rabbiner und Vorbeter. Dies und der zunehmende Wohlstand der Juden führte dazu, dass im 19. Jahrhundert 176 Synagogen gebaut oder renoviert wurden. Nachdem die Juden sich auch in den großen Städten niederlassen konnten, zogen viele von ihnen vom Land in die Stadt. Dies und die Gewerbefreiheit führte dazu, dass die Juden wohlhabender wurden, die Ausbildung der Kinder besser: die Juden stiegen aus prekären Verhältnissen in das Bürgertum auf, z. B Albert Kahn. Auch in der Architektur der Synagogen machte sich dies bemerkbar. Die frühere Schlichtheit wurde durch aufwändige Bauten ersetzt, in Anlehnung an die Pracht der katholischen Kirchen.[15][16]

Synagoge Fénétrange (18. Jahrhundert)
Synagoge Soultz-sous-Forêts (1897)

Die Juden bezeichneten sich jetzt selbst oft als Israeliten, da der Begriff Jude antisemitisch besetzt war. Während der Februarrevolution 1848 kam es erneut zu antijüdischen Übergriffen auf dem Land.[17]

Reichsland Elsaß-Lothringen

Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 annektierte das Deutsche Reich Elsass und Lothringen und machte es zum Reichsland Elsaß-Lothringen, welches direkt von der deutschen Regierung in Berlin regiert wurde. Theoretisch waren die Juden im Deutschen Reich seit 1871 gleichberechtigt, praktisch blieben ihnen viele Positionen vesperrt: die Offizierslaufbahn oder höhere Beamtenstellen. Dies und ihr französischer Patriotismus führte zur Abwanderung vieler Juden, entweder in die Départemens in der Nähe: Belfort, Vosges, Meurthe-et-Moselle, oder nach Paris. Ungefähr 12.000 der 40.000 Juden verließen Elsass-Lothringen bis 1914.[18] Die Dreyfus-Affäre (ab 1894) verletzte viele Juden durch ihren antisemitischen Charakter. Viele sahen in Deutschland ein Land der Toleranz und freundeten sich mit der Annexion an.[19]

Zunächst beließen die deutschen Behörden im Elsass die bestehenden Gesetze in Kraft, insbesondere auch die Napoléonischen über die Gleichberechtigung der Juden. 1882 gründete das Kaiserliche Ministerium für Elsaß-Lothringen den Religionsverein Etz 'Hayim und 1888 die Israelische Religionsgemeinschaft Straßburg, um die Juden zu organisieren. Die Regierung investierte auch in jüdische Schulen. Da immer mehr Juden in die großen Städte zogen, mussten viele dieser „Zwergschulen“ später wieder schließen. Durch die deutsche Annexion traten im Elsass die französischen Gesetze zur Laizität von 1882 und 1888 nicht in Kraft, die Schulen blieben religiös orientiert. Bis heute gibt es im Elsass nicht die strenge Trennung von Staat und Kirche wie in Frankreich. Ab 1885 wurden Raiffeisenkassen im Elsass gegründet. Einerseits verloren dadurch viele jüdische Geldverleiher ihre Arbeit, andererseits hörte der Zorn auf den „Wucher“ der jüdischen Geldhändler auf. Aus dem Deutschen Reich wanderten Juden ein, von denen manche wirtschaftlich erfolgreich waren. Zwei bekannte Beispiel sind die Unternehmen von Adler & Oppenheimer und Wolf Netter & Jacobi. In der paternalistischen Tradition sorgten sie gut für ihre Arbeiter und waren hoch angesehen. Jüdische Bürger beteiligten sich auch vermehrt am politischen Leben. En Beispiel ist Daniel Blumenthal, 1860 in Thann geboren. Er wurde Rechtsanwalt in Mühlhausen und gründete die Elsaß-Lothringische Volkspartei. Er fordert das Ende der direkten Regierung des Elsass durch Berlin. 1899 wurde er in den Stadtrat von Colmar gewählt, 1903 in den Landesschuss, einen Vorläufer des Landtags und wurde schließlich in den Reichstag nach Berlin delegiert. Die Reichslande hatten zu dieser Zeit noch keine eigenen, direkt gewählten Abgeordneten im Reichstag. 1911 erließ Wilhelm II. das Gesetz über die Verfassung Elsaß-Lothringen. Damit wird das Reichsland ein Land es Deutschen Reiches, mit Landtag und lokaler Regierung. In der Ersten Kammer, eine Art Senat, waren die großen Religionen mit Vertretern repräsentiert, darunter auch der Großrabbiner Adolphe Ury.[20]

Zwischenkriegszeit und Zweiter Weltkrieg

Nach der deutschen Niederlage im 1. Weltkrieg wurde Elsass-Lothringen 1918 wieder französisch. Viele aus Deutschland eingewanderte Bewohner, sogenannte Altdeutsche, wurden ausgewiesen. Ein besonders tragische Schicksal betraf Harry Bresslau, ein Berliner Jude, der 1890 einen Lehrstuhl für Geschichte an der Kaiser-Wilhelms-Universität bekommen hatte. Zwei seiner Kinder waren mit Elsässern verheiratet, darunter Albert Schweitzer, und er hatte seit 28 Jahren im Elsass gelebt. Trotzdem musste er am 1. November 1918 mit einer Frist von 24 Stunden das Elsass verlassen. Auch die oben erwähnten Eigentümer der Firmen Adler & Oppenheimer und Wolf Netter & Jacobi wurden ausgewiesen. Es gab Proteste dagegen, trotzdem mussten Adler & Oppenheimer 1919 das Elsass verlassen. Wolf Netter & Jacobi wurden zwar enteignet, durften aber weiter im Elsass bleiben und waren bei ihrer Fabrik angestellt.[21] Besonders betroffen durch diese Ausweisungen waren auch mittellose Juden, die aus Osteuropa eingewandert waren, um an den elsässischen, deutschsprachigen Universitäten zu studieren.[22]

Ein weiteres Problem war die Trennung von Kirche und Staat in Frankreich. Ab 1924 versuchte die Regierung, diese Trennung auch im Elsass durchzusetzen. Der Widerstand war so stark, dass sie darauf verzichtete. In dieser Diskussion haben sich viele jüdische Intellektuelle im Namen des Fortschritts auf die Seite der Regierung geschlagen. Bei ihren katholischen Nachbarn fanden sie damit kein Verständnis. Besonders der gebürtige Straßburger Jude Georges Weill, sozialistische Politiker und Berater der Regierung in Paris, tat sich hervor. Dies schürte den latenten Antisemitismus im Elsass.[23]

In den 1930er Jahren nahm der Antisemitismus, wie in vielen Ländern Europas, zu. Besonders die Landespartei und der Bauernbund hetzten gegen die Juden. Sprüche wie „Christen kauft bei Christen“ (auf Deutsch) und „A bas les Juifs“ (Nieder mit den Juden) waren offensichtlich von der NSDAP inspiriert.[24] Auch die Regierung der Front populaire ab 1936 trug zum Antisemitismus bei. Das Elsass, als eher konservatives Land, misstraute der Koalition von Sozialisten und Kommunisten, als dann noch Léon Blum Ministerpräsident wurde, glaubten viele, dass jetzt die Juden die Macht übernähmen.[25] Der zunehmende Druck auf die Juden in Deutschland und Osteuropa führte zu vermehrter Einwanderung nach Frankreich, insbesondere ins Elsass und nach Lothringen. Die Zuwanderer waren nicht sehr willkommen, da sie den Kampf um Arbeitsplätze in der Wirtschaftskrise verschärften. Gleichzeitig nahm die Unterstützung für den Zionismus zu. Viele der Zuwanderer wollten nach Palästina auswandern, im Elsass wurden sie unterstützt durch sogenannte fermes-écoles (Bauernhof-Schulen), in denen sie Landwirtschaft, Handwerke, Hebräisch und jüdische Geschichte lernten.[26]

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 lebten 17.783 Juden im Elsass von denen zwei Drittel nach Innerfrankreich evakuiert wurden.[27] Die erneute Annexion des Elsass durch Deutschland 1940 leitete ein besonders tragisches Kapitel der Juden im Elsass ein. Auch im „Freien Frankreich“, der nicht von Deutschland besetzte Teil, herrschte das Vichy-Regime, das sich als willfähriger Helfer Nazi-Deutschlands erwies. Einer der Flüchtlinge war Claude Vigée, Professor für Literatur und Dichter, „Jude und Elsässer“, der den Holocaust überlebte. Im Elsass wurde 1941 das KZ Natzweiler-Struthof eröffnet. 22.000 Menschen wurden hier bis 1944 ermordet. Juden aus dem Elsass wurden meist in Auschwitz ermordet, in Natzweiler-Struthof wurden vor allem Juden aus Osteuropa ermordet.[28] Elsässer wurden in die Reichswehr eingezogen, allerdings keine Juden.

In der Nacht vom 30. September 1940 wurde die große Synagoge in Straßburg niedergebrannt von Hitlerjugend aus Baden und völkischen Elsässern.[29] Dies war der Beginn einer Welle von Synagogenzerstörungen. Das Ziel des Gauleiters des Elsass, Robert Wagner, war es das Elsass „judenrein“ zu machen.[30] Er wies viele Juden nach Frankreich aus. Man schätzt, dass ca. 20.000 Juden das Elsass verlassen mussten.[31] Ab 1942 wurde die Juden in Frankreich verhaftet und in die Konzentrationslager gebracht, wo sie ermordet wurden. Insgesamt wurden von den 300.000 französischen Juden 76.000 ermordet.[32]

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach Kriegsende wurde das Elsass wieder französisch. Wie überall in Europa haben nur wenige Juden den Holocaust überlebt. In den letzten Wochen des Kriegs wurde die letzte Offensive des Deutschen Reichs, das Unternehmen Nordwind zurückgeschlagen, unter heftigen Zerstörungen im Nord-Elsass. Nach dem Krieg sind ungefähr 15.000 Juden, die im Frankreich überlebt haben, ins Elsas und nach Lothringen zurückgewandert.[33] 1948 gründete der Rabbiner Abraham Deutsch in Straßburg eine jüdische Schule, die 1954 in ein neues Gebäude, welches die Stadt zur Verfügung stellte, umzog.[34] Von 1954 bis 1958 wurde die Friedenssynagoge in Straßburg im Parc du Contades gebaut, eine der größten in Europa.[35] In den 1950er und 1960er Jahren kamen Juden aus dem Maghreb ins Elsass, die durch die Entkolonisierung vertrieben wurden. Einerseits stärken sie die jüdischen Gemeinden, andererseits hatten sie Schwierigkeiten, sich in der neuen Umgebung einzuleben. Es entstanden Viertel in der Peripherie der großen Städte, in denen hauptsächlich nordafrikanische Juden lebten.[36] In Straßburg versuchen die Vertreter der drei großen Religionen Christentum, Islam und Judentum das Zusammenleben harmonisch zu gestalten. Dazu dient unter anderem die Fraternité d'Abraham (Bruderschaft von Abraham).[37] Ein Beispiel für die erfolgreiche Integration der eingewanderten Juden ist Joseph Klifa, 1931 in Muaskar in Algerien geboren, der ab 1954 in Mülhausen lebte, sich gewerkschaftlich engagierte, 1973 in den Gemeinderat gewählt wurde und schließlich von 1981 bis 1989 Bürgermeister wurde. Bekannt war er als „Couscous Seppi“.[38]

Friedhöfe, Synagogen und Museen

Jüdischer Friedhof in Neuwiller-lès-Saverne

Während der mehr als 800-jährigen Geschichte der Juden sind viele Friedhöfe angelegt worden und da jüdische Friedhöfe für „alle Ewigkeit“ bewahrt werden sollen, die Gräber werden nicht wiederverwendet, sind viele erhalten. Auch im Holocaust unter der deutschen Besatzung (1940–1944) wurden nur wenige Friedhöfe zerstört. Seit den 2000er Jahren kommt es verstärkt zu Schändungen. Einerseits durch Rechtsradikale, die traditionell antisemitisch sind und meist Hackenkreuze hinterlassen, andererseits aber auch durch radikale Islamisten, die den Israelisch-Palästinensischen Konflikt zum Vorwand nehmen und Israel beschimpfen.[39] Nach der Besetzung des Elsass durch deutsche Truppen 1940 wurden viele Synagogen zerstört. Erhalten blieben Gebäude, die zu diesem Zeitpunkt anderen Zwecken dienten, z. B. die Synagoge in Neuwiller-lès-Saverne. Nach dem Krieg wurden viele der zerstörten Synagogen wieder aufgebaut, ihr Weiterbetrieb scheiterte aber oft daran, dass die jüdische Gemeinde im Holocaust ausgelöscht worden war, wie z. B. in Wissembourg. Nach den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris wurde die Bewachung der Synagogen und Schulen verstärkt, in Straßburg z. B. patrouillierten monatelang schwer bewaffnete Militärs um die Gebäude.

Ehemalige Synagoge in Niederbronn-les-Bains, heute katholisches Pfarrhaus

Die jüdische Geschichte wird auch in Museen dokumentiert:

Bevölkerungsentwicklung 15. bis 20. Jahrhundert

Angaben zur jüdischen Bevölkerung des Elsass sind unzuverlässig und wenig verfügbar. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit hat man, wenn überhaupt, Familien gezählt. Daraus kann man die Anzahl der Personen ungefähr ableiten. Durch Vertreibung und Einwanderung änderte sich die Zahl der Juden häufig. Erst ab 1784 war es Pflicht, ein Einwohnerregister (registre d'état civil) zu führen.

Die Frage, wie viele Juden heute (2022) im Elsass leben, kann man nicht beantworten. In Frankreich ist die Erhebung von persönlichen Daten bezüglich Rasse, Religion und ähnlichen Attributen verboten. Bekannt ist, dass ca. 1 % der französischen Bevölkerung sich zum Judentum bekennt. Weiter bekannt ist, dass der Anteil der Juden im Elsass höher ist als in Frankreich gesamt. Bei ca. 1,9 Mio. Elsässern (2020) kann man schätzen, dass zwischen 19.000 und 32.000 Juden im Elsass leben.

Dieser Abschnitt fasst Aussagen der obigen Kapitel zusammen. Weitere Informationen stammen aus[43]. Dort sind die Zahlen z. T. bis auf Gemeindeebene heruntergebrochen.

Datum Personen Familien Anmerkung
Ende 15. Jahrhundert 35
Beginn 16. Jahrhundert 110
1689 2.600 525
1716 6.800 1.300
1732 10.000 1.675
1784 20.000 4.000
1806 1.234 in Straßburg
1784 16.000 im Département Bas-Rhin
1831 100.000 in ganz Frankreich
1866 36.000
1900 32.000 in Elsass-Lothringen
1910 1,7 % der Bevölkerung des Elsass ist jüdisch
2020 19.000 bis 32.000 siehe Anmerkung oben

Rabbiner

Die Webseite Judaismus im Elsass und in Lothringen listet ca. 140 Rabbiner auf, hier eine Auswahl von bedeutenden Rabbinern[44]

Moïse Ginsburger (1865–1949)
Einführung des Großrabbiners Harold Avraham Weill in Straßburg 10. September 2017
  • David Sinzheim (1745–1812)
  • Seligmann Goudchaux (1770–1849)
  • Arnauld Aron (1807–1890)
  • Adolf Ury (1849–1915)
  • Moïse Ginsburger (1865–1949), Historiker und Gründer der Société d'Histoire du Judaïsme d'Alsace et de Lorraine[45]
  • René Hirschler (1905–1945)
  • Max Warschawski (1925–2006)
  • Claude Heymann (1952–), Präsident der Association Morasha pour le Patrimoine du judaïsme alsacien
    Claude Heymann par Claude Truong-Ngoc février 2015
  • Harold Weill (1983–)

Literatur

  • Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace (Geschichte der Juden im Elsass). Yoran Verlag, Fouesnant 2021, ISBN 978-2-36747-084-9.
  • Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine (Die Juden im Elsass und Lothringen). Albin Michel, Paris 2018, ISBN 978-2-226-43918-5

Einzelnachweise

  1. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace, S. 33 f.
  2. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace, S. 53 f.
  3. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace. S. 40ff.
  4. Michel Krempper: Histoire des Juifs d’Alsace, S. 63 ff.
  5. Michel Krempper: Histoire des Juifs d’Alsace, S. 71 ff.
  6. Michel Krempper: Histoire des Juifs d’Alsace, S. 87 ff.
  7. Michel Krempper: Histoire des Juifs d’Alsace, S. 98 f.
  8. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine, S. 14 f.
  9. Michael Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace. S. 113.
  10. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace. S. 99ff.
  11. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 22.
  12. Michael Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace. S. 113.
  13. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 23ff.
  14. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace. S. 157f.
  15. Michael Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace. S. 166.
  16. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 30.
  17. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace. S. 191.
  18. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 71.
  19. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 80f.
  20. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace, S. 203 ff.
  21. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 86f.
  22. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace, S. 236f
  23. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace, S. 238ff
  24. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace, S. 246ff
  25. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine, S. 113f
  26. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 150ff.
  27. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace. S. 261.
  28. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace. S. 273.
  29. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 161.
  30. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 164.
  31. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 167.
  32. Unter der NS-Herrschaft ermordete Juden nach Land. Bundeszentrale für politische Bildung, 2014, abgerufen am 30. März 2022.
  33. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 206.
  34. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 210.
  35. Michel Krempper: Histoire des Juifs d'Alsace. S. 324f.
  36. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 217ff.
  37. Freddy Raphael: Les Juifs d'Alsace et de la Lorraine. S. 226.
  38. Michel Krempper: Les Juifs d'Alsace. S. 324f.
  39. Bärbel Nückles: Im Elsass nimmt der Hass auf Juden zu. In: Badische Zeitung. 1. März 2019, abgerufen am 23. März 2022.
  40. Musée Judéo-Alsacienne de Bouxwiller. Bouxwiller, 2022, abgerufen am 3. April 2022 (français).
  41. Musée de Marmoutier. Marmoutier, 2022, abgerufen am 3. April 2022 (français).
  42. L’Alsace, terre de diversité religieuse et de concordat. In: Museée Alsacien Strasbourg. 2022, abgerufen am 10. April 2022 (français).
  43. Georges Weill: Recherches sur la démographie des Juifs d'Alsace du XVIe au XVIIIe siècle. In: Revue des études juives, tome 130, n°1, janvier-mars 1971. Perseé, 1971, abgerufen am 22. März 2022 (français).
  44. Rabbins d'Alsace et de Lorraine. In: Judaisme d'Alsace et de Lorraine. 2022, abgerufen am 4. April 2022 (français).
  45. Moïse GINSBURGER. In: Judaïsme de L'Alsace et de la Lorraine. 2022, abgerufen am 9. April 2022 (français).
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