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Maurice Papon

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Maurice Papon (* 3. September 1910 in Gretz-Armainvilliers, Seine-et-Marne; † 17. Februar 2007 in Pontault-Combault, Seine-et-Marne) war ein französischer Politiker, Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher. Während des Zweiten Weltkriegs war er ein hoher Beamter des Vichy-Regimes; in dieser Position kollaborierte er mit der deutschen Besatzung. Nach dem Krieg war er unter anderem Finanzminister und Polizeipräfekt von Paris zur Zeit des Massakers von Paris 1961. Er war Träger von drei Stufen des Ordens der Ehrenlegion, zuletzt seit 1978 Commandeur. 1998 wurde er wegen seiner Verbrechen in der Zeit des Nationalsozialismus zu einer zehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, von der er drei Jahre verbüßte.

Maurice Papon in der Präfektur von Bordeaux 27. April 1945

Kollaboration

In der Region Bordeaux, die zum deutsch besetzten Teil Frankreichs gehörte, war Maurice Papon Inspektor des Dienstes für jüdische Fragen (genaue Bezeichnung: Generalsekretär der Präfektur, zuständig für Polizei, Finanzen, Gesundheit und Jugend, Brücken- und Straßenbau, Wirtschaft, Transport und Versorgung). Unter den Begriff Transport fielen dabei auch die Judendeportationen in das Sammellager Drancy. Er sorgte ab 1942 unter anderem dafür, dass die Züge in das Lager immer möglichst voll waren, um die Transportkapazität auszunutzen. Sanatorien und Altersheime wurden zu diesem Zweck auf seine Anordnung hin durchkämmt.[1]

Nach dem Zweiten Weltkrieg

Am Ende des Zweiten Weltkriegs konnte Papon ein Schreiben vorlegen, das ihn als Mitglied der Widerstandsbewegung auswies, datiert vom 25. Oktober 1944 und unterzeichnet von „Colonel Ollivier“, dem Gründer des lokalen Résistancenetzwerks. Die Authentizität dieses Dokuments wurde jedoch immer wieder in Zweifel gezogen und ist bis heute umstritten.

Erfolgreich verbarg Papon seine Vergangenheit als Nazi-Kollaborateur, wurde von Charles de Gaulle im Amt bestätigt und machte rasch Karriere im öffentlichen Dienst, als Präfekt von Korsika (1947–1949), Präfekt der Provinz Constantine in Algerien (1949–1951), Generalsekretär der Polizeipräfektur Paris (1951–1954), Generalsekretär des Protektorats Marokko (1954–1956), erneut Präfekt der algerischen Provinz Constantine zur Zeit des Algerienkriegs (1956–1958), Chef der Pariser Polizei (1958–1967), Präsident der Firma Sud Aviation (1967–1968), Schatzmeister der gaullistischen Partei (Union pour la Défense de la République) (1968–1971), Abgeordneter (1968–1981), Bürgermeister von Saint-Amand-Montrond (1971–1983) und Finanzminister (1978–1981). Der enge Zusammenhalt der französischen Eliten bewirkte, dass Papon trotz seiner Verbrechen seine Musterkarriere als hoher Beamter fortsetzen konnte. Jacques Foccart gibt in seinem Tagebuch für den 11. Oktober 1968 folgendes Gespräch wieder:

  • Jacques Foccart: Poujade a l’intention de proposer Papon pour le remplacer, mais il veut connaître votre avis avant.
  • Charles de Gaulle: Oui, Papon, c’est tout à fait convenable, c’est sérieux. En effet, c’est une bonne idée.[2]

Übersetzung:

  • Jacques Foccart: Robert Poujade [Schatzmeister der gaullistischen Partei] hat die Absicht, Papon als Nachfolger vorzuschlagen, aber er will erst Ihre Meinung hören.
  • Charles de Gaulle: Ja, Papon, das ist völlig in Ordnung, das ist seriös. Tatsächlich, es ist eine gute Idee.

Polizeipräfekt von Paris

Im April 1958 wurde Papon von General de Gaulle zum Polizeipräfekten von Paris ernannt. Im Juli 1961 erhielt er von de Gaulle das Kreuz der Ehrenlegion.

In jenem Jahr befand sich Frankreich in der Schlussphase des Algerienkrieges. Am 17. Oktober 1961 organisierte die algerische Befreiungsbewegung FLN eine Demonstration, nachdem mehrere Polizisten durch FLN-Attentate ums Leben gekommen waren. Die tragischen Ereignisse um jene Demonstration sollten als Massaker von Paris 1961 in die Geschichte eingehen.

Im Vorfeld der Demonstration hatte Papon erklärt: „Jeden Schlag werden wir mit zehn Gegenschlägen beantworten“. Er bekam von der Regierung die Vollmacht, die Ruhe in den Straßen von Paris wiederherzustellen.[3] Die Polizei eröffnete das Feuer in die demonstrierende Menge. Die darauf folgenden Ereignisse wurden niemals bis ins Letzte aufgeklärt. Erst ab den 1980er Jahren kam es zu einer Aufarbeitung und öffentlichen Debatte. Während die Polizei seinerzeit nur drei Tote zugab, sprechen unabhängige Quellen von mindestens 40 Toten, beispielsweise Jean-Paul Brunet. Le Monde und Alain-Gérard Slama und auch Linda Amiri, die in den Archiven der Polizeipräfektur von Paris recherchierte, gehen von mindestens 100 Toten aus, und der Historiker Jean-Luc Einaudi schätzt die Zahl der Toten sogar auf 200 bis 300. 357 verletzte Algerier wurden in den Krankenhäusern von Paris versorgt.

Bei einer Demonstration gegen die OAS am 8. Februar 1962 führte das Vorgehen der Polizei erneut zu acht Todesfällen. Einige der Demonstranten wurden von Polizisten zu Tode geprügelt. Als die Menge sich in Panik vor den Polizisten in den Eingang der U-Bahn-Station Charonne flüchtete, wurden dort im Gedränge weitere Menschen erdrückt.

Als Polizeipräfekt war Papon für diese Toten verantwortlich, wie unter anderem Jean-Luc Einaudi herausstellte. Andere, unter ihnen Pierre Messmer im späteren Prozess gegen Papon (siehe unten) fügten hinzu, dass auch den damaligen Premierminister Michel Debré und General de Gaulle Schuld treffe, weil sie Papon freie Hand gelassen und ihm den Rücken gedeckt hätten.

Weitere Karriere

Im Januar 1967 quittierte Papon seinen Posten als Polizeipräfekt. Er wurde Präsident der Sud-Aviation, einer der Vorläuferfirmen der heutigen EADS.

1978 wurde Papon Haushaltsminister unter der liberal-konservativen Regierung Giscard d’Estaings und diente als Kontaktmann unter anderem zur argentinischen Militärdiktatur. Erst mit dem Antritt der Linksregierung 1981 endete Papons politische Karriere, und im selben Jahr wurde in Bordeaux ein erstes Verfahren gegen ihn eröffnet – wegen seiner Rolle bei den Judendeportationen von 1942 bis 1944. Es sollte jedoch noch weitere 16 Jahre dauern, bis Papon sich dafür vor Gericht zu verantworten hatte.

Prozess wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Nach und nach wurde Papons Mitverantwortung am Holocaust aufgedeckt. Sein Prozess begann am 8. Oktober 1997 nach langem juristischen Streit. Er wurde am 2. April 1998 der Mitwirkung an Verbrechen gegen die Menschheit für schuldig befunden und zu zehn Jahren Gefängnis sowie dem Verlust der Bürgerrechte verurteilt.

Der Prozess war der längste in der Geschichte Frankreichs. Für die Franzosen hatte er unterschiedliche Bedeutung: Für einige war es die letzte Gelegenheit, die Geschichte der Kollaboration vor Gericht aufzuarbeiten. Papons Arroganz, seine Verachtung für das Gericht und seine Weigerung, sich zu entschuldigen oder Reue zu zeigen, verabscheuten viele Menschen.

Papon wurde für schuldig befunden, in der Zeit von 1942 bis 1944 die Festnahme und Deportation von 1.560 Juden, darunter Kinder und alte Menschen, angeordnet zu haben. Die meisten dieser Menschen wurden nach Auschwitz deportiert.

Umstritten war die Frage nach der Verantwortung einer Person in einer Kette von Verantwortlichkeiten. Die Ankläger beantragten eine 20-jährige Haftstrafe.

1999 trat Papon die Gefängnisstrafe an. 2002 wurde sie wegen seines Gesundheitszustandes beendet, was heftige Kritik hervorrief. Die Freilassung wurde möglich durch das am 4. März 2002 verabschiedete Kouchner-Gesetz (Loi Kouchner [4]), benannt nach Bernard Kouchner. Danach können Gefängnisinsassen entlassen werden, wenn sie an lebensbedrohenden Krankheiten leiden oder ihre Gesundheit durch die Haft beeinträchtigt würde. Papon war der zweite Häftling, der von diesem Gesetz profitierte.

Er lebte vier weitere Jahre in seinem Geburtsort, dem Pariser Vorort Gretz-Armainvilliers. Am 8. Februar 2007 wurde er wegen Herzproblemen in eine Klinik östlich von Paris eingeliefert, wo er am 17. Februar im Alter von 96 Jahren starb.

Der Oberste Gerichtshof Frankreichs in Paris, Richter Jean-Claude Magendie, verfügte am 10. Februar 2006, dass der historische Informationssender www.histoire.fr wesentliche Teile der Video-Aufzeichnungen aus dem Papon-Prozess, insgesamt 40 Sendungen, ab dem 15. September 2006 ausstrahlen dürfe. Sie wurden auch im Internet - ebenfalls in französischer Sprache - publiziert.

Siehe auch

Literatur

  • Affaires Barbie / Bousquet / Touvier / Papon. In: Bernhard Schmidt u. a. (Hrsg.): Frankreich-Lexikon, 2. Aufl. Erich Schmidt, Berlin 2005, ISBN 3-503-06184-3, S. 39–45.
  • Catherine Erhel (Hrsg.): Le procès de Maurice Papon Stenographische Protokolle, zusammengefasst in 2 Bänden. Michel, Paris 1998 (frz.). Reihe: Les grands procès contemporains. (bei der DNB vorhanden, siehe Weblinks)
  • Richard J. Golsan: The Papon Affair. Memory and Justice in Trial, Routledge, New York 2000 (engl.) Vollständiger Lit.-Überblick bis 2000 (über 30 Titel)
  • Jean-Marc Dreyfus: Eine nie verheilende narzisstische Wunde? Die Kollaboration im französischen Gedächtnis. In: Fritz-Bauer-Institut (Hrsg.): Grenzenlose Vorurteile. Jahrbuch zur Geschichte und Wirkung des Holocaust. Campus, Frankfurt 2002, S. 167ff. darin: bei der DNB nicht gelistete frz. Lit. zum Papon-Prozess ISBN 3-593-37019-0
  • Jean-Noel Jeanneney: Le passé dans le prétoire: L’historien, le juge et le journaliste, Seuil, Paris 1998
  • Bernard Lambert: Dossiers d’accusation: Bousquet, Papon, Touvier, Fédération nationale des Déportés et Internés Résistants, Paris 1991
  • Claude Berger: Blanchir Vichy? En attendant Papon. Les oublis de M. Amouroux, Wern, Paris 1997 ISBN 2-912487-14-5 (franz.)
  • Le Monde (Hrsg.): Le Procès de Maurice Papon. La chronique de Jean-Michel Dumay, Fayard, 1998
  • Gérard Boulanger: Papon, un intrus dans la République, Seuil, coll. «L’épreuve des faits», 1997;
  • ders.: Plaidoyer pour quelques juifs obscurs victimes de monsieur Papon, Calmann-Lévy, 2005
  • Jean-Paul Brunet: Charonne. Lumières sur une tragédie, Flammarion, 2003
  • Alain Dewerpe: Charonne, 8 février 1962. Anthropologie historique d’un massacre d’État, Gallimard, Reihe: Folio-histoire, 2006
  • Denis Salas: Barbie, Touvier, Papon, Autrement, 2002
  • Jean de Maillard: À quoi sert le procès Papon?, Le Débat, n° 101, septembre-octobre 1998
  • Michel Slitinsky: Procès Papon. Le devoir de justice, L’aube, 1997
  • Édith Gorren et Jean-Marie Matisson: Le Procès Papon, les Enfants de Pitchipoï, Atlantica, 1998
Im Roman
  • Fever (Roman): Der Papon-Prozess hilft den jugendlichen Tätern, sich über ihre eigenen Motive bei einem Mord klar zu werden
  • Jim House, Neil Macmaster, Paris 1961: Algerians, State Terror, and Memory, Oxford UP, 2006

Weblinks

Einzelnachweise

  1. GESTORBEN: Maurice Papon. In: Der Spiegel. Nr. 9, 2007 (online).
  2. Jacques Foccart: Journal de l’Élysée. éd. Fayard/Jeune Afrique, tome 2, p. 383
  3. L’Express
  4. Loi du 4 mars 2002 relative aux droits des malades et à la qualité du système de santé, siehe auch [1] (französische Wikipedia)
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