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Mikrogeschichte
Mikrogeschichte ist eine geschichtswissenschaftliche Forschungsrichtung, die ihre Erkenntnis durch sehr detaillierte Analysen von relativ kleinen bzw. überschaubaren Forschungseinheiten erzielt. Im Zentrum der mikrohistorischen Perspektive steht aber nicht das historische Detail an sich, sondern dieses wird benutzt, um aufgrund der genaueren Betrachtung der kleineren Einheit reichhaltigere und besser begründete Aussagen über Geschichte in größeren Zusammenhängen treffen zu können. Dennoch geht es der Mikrogeschichte nicht darum, den kleineren und strukturell oder quantitativ begrenzten Forschungen (Lokalgeschichte, Einzelbiographien u. a.) ihre Bedeutung abzusprechen, sondern vielmehr sie in einen neuen, größeren Bedeutungszusammenhang zu stellen.
Ebenso wenig ist die Mikrogeschichte eine Alternative zur Makrogeschichte. Dieser teilweise zu einem forschungsstrategischen Gegensatz zugespitzte Unterschied der Forschungsperspektive ist weitgehend konstruiert, da sich erstere ja gerade darin von der Lokalgeschichte unterscheidet, dass ihr Blick nicht auf die kleine Untersuchungseinheit begrenzt bleibt, sondern immer wieder auf allgemeinere Forschungsfragen bzw. auf größere Forschungseinheiten Bezug nimmt. In der Folge bedeutet das, dass Mikro- und Makrogeschichte nicht komplementäre Teile einer „Gesamtgeschichte“ sind, sondern Forschungsansätze, die sich in Teilen durchaus auch überschneiden können und auch sollen.
Die Mikrogeschichte entstand in Italien als Reaktion auf die vorherrschenden Trends in der französischen Annales-Schule. Beide Denkweisen teilten die Absicht, dass die einfachen bzw. vergessenen Menschen Europas, in die Geschichte einbezogen werden müssen. Dabei waren sie sich nicht einig, welcher methodische Weg der Beste ist, um dies zu erreichen. Die Mikrohistorikern/innen wollten sich nicht der Populärkultur anhand der quantitativen Methoden und historischen Demographien annähern, stattdessen konzentrierten sie sich auf die Untersuchungen kleiner Einheiten wie Einzelpersonen, Familien, kleine Gemeinschaften oder einzelnen Ereignissen. Schlussendlich hat die Vielfalt und die differenzierten konzeptionellen Rahmenbedingungen wesentlich zur Entwicklung der Mikrogeschichte beigetragen, wie sie heute in den Geistes- und Sozialwissenschaften bekannt ist.[1]
Methodologisch werden in mikrohistorische Studien unterschiedliche Wege beschritten, die als gemeinsamen Nenner nur die detaillierte Betrachtung eines überschaubaren Objektes haben. Aufgrund der vielfach praktizierten Konzentration von mikroanalytischen Untersuchungen auf Einzelindividuen („Akteure“) und kleinere soziale Netzwerke und des weitgehenden Aussparens historischer Strukturen (Strukturfunktionalismus) bestehen große Überschneidungen mit der Alltagsgeschichte und der historischen Anthropologie.
Klassische mikrohistorische Studien
- Carlo Ginzburg: Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600. Syndikat, Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-8108-0118-6.
- Emmanuel Le Roy Ladurie: Montaillou. Ein Dorf vor dem Inquisitor 1294 bis 1324. Propyläen-Verlag, Frankfurt am Main u. a. 1980, ISBN 3-549-07390-9.
- Natalie Zemon Davis: Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre. Piper, München u. a. 1989, ISBN 3-492-02858-6.
Literatur
- Carlo Ginzburg: Mikro-Historie. Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß. In: Historische Anthropologie. Band 1, 1993, ISSN 0942-8704, S. 169–192.
- Giovanni Levi: On Microhistory. In: Peter Burke (Hrsg.): New Perspectives on Historical Writing. Polity, Oxford 1991, ISBN 0-7456-0501-X, S. 93–113.
- Hans Medick: Mikro-Historie. In: Winfried Schulze (Hrsg.): Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Eine Diskussion (= Kleine Vandenhoeck-Reihe 1569). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1994, ISBN 3-525-33593-8, S. 40–53.
- Alf Lüdtke: Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, historische Anthropologie. In: Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.): Geschichte. Ein Grundkurs (= Rororo. Rowohlts Enzyklopädie 55576). Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1998, ISBN 3-499-55576-X, S. 565–567.
- Jürgen Schlumbohm (Hrsg.): Mikrogeschichte – Makrogeschichte. Komplementär oder inkommensurabel? (= Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft. Band 7). 2. Auflage. Wallstein-Verlag, Göttingen 2000 (Erstausgabe 1998), ISBN 3-89244-321-1.
- Jakob Tanner: Historische Anthropologie zur Einführung. Junius, Hamburg 2004, ISBN 3-88506-601-7.
- Otto Ulbricht: Mikrogeschichte: Menschen und Konflikte in der Frühen Neuzeit. Campus, Frankfurt am Main u. a. 2009, ISBN 978-3-593-38909-7.
- Ewald Hiebl, Ernst Langthaler (Hrsg.): Im Kleinen das Große suchen: Mikrogeschichte in Theorie und Praxis. Hans Haas zum 70. Geburtstag (= Jahrbuch für Geschichte des ländlichen Raumes). Studienverlag, Innsbruck / Wien / Bozen 2012, ISBN 3-7065-5216-7.
- Peter Fassl, Wilhelm Liebhart, Wolfgang Wüst (Hrsg.): Groß im Kleinen – Klein im Großen. Beiträge zur Mikro- und Landesgeschichte. Gedenkschrift für Pankraz Fried. UVK Verlagsgesellschaft Konstanz, Konstanz 2013, ISBN 978-3-86764-365-8.
- Frank Konersmann, Joachim P. Heinz: Landes-, Regional- und Mikrogeschichte: Perspektive für die Pfalz und ihre Nachbargebiete (= Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer; Band 112), Verlag der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissens in Speyer 2014, ISBN 978-3-932155-37-6 (Verlag der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissens in Speyer) / ISBN 978-3-89735-086-1 (Verlag Regionalkultur ab 12/2014).
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Dr. Sigurður Gylfi Magnússon: Biography and projects In: Akademia. 2006.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Mikrogeschichte aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |