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Zwischen Jerusalem und Rom

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Die formelle Übergabe der wortwörtlichen deutschen Fassung der Deklaration Between Jerusalem and Rome von Rabbinat und Präsidium der Israelitischen Kultusgemeinde Wien an Kardinal Christoph Schönborn am 26. Oktober 2017. Abgebildet (v.l.n.r.): Kardinal Schönborn, Rabbiner Schlomo Hofmeister, Oberrabbiner Folger, Gemeindepräsident Oskar Deutsch

Zwischen Jerusalem und Rom (Between Jerusalem and Rome) ist der Titel einer von der Europäischen Rabbinerkonferenz erarbeiteten und am 31. August 2017 Papst Franziskus übergebenen Erklärung zum Verhältnis zwischen Judentum und Christentum. Sie wurde parallel zur Erklärung Orthodox Rabbinic Statement on Christianity ausgearbeitet, ist zurückhaltender formuliert und verfügt über einen deutlich höheren Grad an Autorität.

Anlässlich des 50. Jubiläums von Nostra Aetate hatten sich die Konferenz Europäischer Rabbiner (CER), der Amerikanische Rabbinerverband (RCA) und das Oberrabbinat des Staates Israel entschieden, eine gemeinsame Erklärung zu unterschreiben, die von einer internationalen orthodoxen rabbinischen Kommission in zweijähriger Arbeit verfasst wurde. Mit dem Vorsitz dieser Kommission wurde der seinerzeitige Oberrabbiner Wiens Arie Folger beauftragt.

Dieses internationale Dokument soll auf nationaler und lokaler Ebenen eine Leitlinie für die christlich-­jüdische Arbeit werden.

Text (offizielle deutsche Fassung)

Präambel

In der biblischen Schöpfungsgeschichte formt Gott einen einzelnen Menschen als Vorfahr der gesamten Menschheit. Die unmissverständliche Botschaft der Bibel ist also, dass alle Menschen Mitglieder einer einzigen Familie sind. Nach der Sintflut wird diese Botschaft in der Erzählung von Noach bekräftigt, indem diese neue Phase der Geschichte wieder von einer einzelnen Familie eingeleitet wird. Am Anfang bezieht sich die göttliche Vorsehung auf die universelle, undifferenzierte Menschheit.

Als Gott Abraham, Isaak und Jakob auserwählte, vertraute Er ihnen einen doppelten Auftrag an: die Gründung des Volkes Israel, das im heiligen, gelobten Land Israel eine vorbildliche Gesellschaft erben und errichten sollte, während es gleichzeitig als eine Quelle des Lichtes für die gesamte Menschheit dienen sollte.

Seitdem, besonders nach der Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 christlicher Zeitrechnung, wurden wir Juden immer wieder mit Verbannung und Verfolgung konfrontiert. Und doch Lügt der Ewige Israels nicht (Samuel 15,29) und Sein ewiger Bund mit dem Volk Israel zeigte sich immer wieder: trotz größter Widrigkeiten hat unser Volk durchgehalten (Anm. 1). Nach den finstersten Stunden seit der Zerstörung unseres Heiligen Tempels in Jerusalem, als sechs Millionen unserer Brüder grausam ermordet wurden und die Glut ihrer Gebeine im Schatten der Krematorien der Nazis schwelte, zeigte sich Gottes ewiger Bund erneut, als die Überlebenden des Volkes Israel ihre Kräfte sammelten und auf wunderbare Weise das jüdische Bewusstsein wieder zum Leben erweckten. In der Diaspora entstanden wieder Gemeinden und viele Juden folgten dem Ruf, nach Eretz Yisrael zurückzukehren, wo ein souveräner jüdischer Staat entstand.

Die doppelte Verpflichtung des jüdischen Volkes – ein Licht für die Völker zu sein (Jesaja 49,6) und seine eigene Zukunft trotz des Hasses und der Gewalt in der Welt zu sichern – war nur äußerst schwer zu erfüllen. Trotz unzähliger Hindernisse hat das jüdische Volk der Menschheit viele Segnungen sowohl im Bereich der Wissenschaften, der Kultur, Philosophie, Literatur, Technologie und Wirtschaft als auch auf dem Gebiet des Glaubens, der Spiritualität, der Ethik und der Moral hinterlassen. Auch dadurch zeigt sich Gottes ewiger Bund mit dem jüdischen Volk.

Zweifellos stellte die Shoah den historischen Tiefpunkt der Beziehungen zwischen uns Juden und unseren nicht-jüdischen Nachbarn in Europa dar. Aus einem Kontinent, der über ein Jahrtausend lang vom Christentum geprägt worden war, keimte ein bitterer und böser Trieb, der zu der mit industrieller Präzision durchgeführten Ermordung von sechs Millionen unserer Brüder, einschließlich eineinhalb Millionen Kinder, führte. Viele von denen, die an diesen abscheulichen Verbrechen beteiligt waren und ganze Familien und Gemeinden auslöschten, waren in christlichen Familien und Gemeinden aufgewachsen und erzogen worden (Anm. 2).

Gleichzeitig gab es während dieses Jahrtausends, selbst in sehr dunklen Zeiten, immer wieder äußerst mutige Einzelpersonen – Söhne und Töchter der katholischen Kirche, sowohl Laien als auch führende Mitglieder der Kirche – die gegen die Verfolgung der Juden kämpften und ihnen in düsteren Zeiten halfen (Anm. 3).

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstand eine neue Ära des friedlichen Zusammenlebens und der Akzeptanz in den Ländern Westeuropas und ein Zeitalter des Brückenbauens und der Toleranz setzte sich in vielen christlichen Konfessionen durch. Glaubensgemeinschaften bewerteten ihre historische Ablehnung anderer Glaubensrichtungen neu und Jahrzehnte eines fruchtbaren Austausches und der Kooperation folgten. Obwohl wir Juden vor einem oder zwei Jahrhunderten politische Emanzipation erlangt hatten, wurden wir damals immer noch nicht als gleich- bzw. vollwertige Mitglieder der Nationen, in denen wir lebten, akzeptiert. Nach der Shoah wurde die jüdische Emanzipation in der Diaspora sowie das Recht des jüdischen Volkes, als souveräne Nation in unserem eigenen Land zu leben, endlich sichtbar und selbstverständlich.

Während der folgenden sieben Jahrzehnte bewerteten jüdische Gemeinden und deren geistige Führer die Beziehung des Judentums zu den Mitgliedern und Führern anderer Glaubensgemeinschaften schrittweise neu.

Wendepunkt – Nostra Aetate

Vor fünfzig Jahren, zwanzig Jahre nach der Shoah, begann mit der Erklärung Nostra Aetate (Nr. 4) (Anm. 4) ein Prozess der Selbstprüfung der katholischen Kirche, der allmählich dazu führte, dass jegliche Feindseligkeiten gegenüber Juden aus der kirchlichen Lehre entfernt wurden, sodass zwischen unseren beiden Glaubensgemeinschaften Vertrauen und Zuversicht wachsen konnten.

In dieser Hinsicht spielte Papst Johannes XXIII. die Rolle des Umgestalters in den jüdisch-katholischen Beziehungen und in der Geschichte der Kirche selbst. Er bewies Mut, als er während des Holocaust Juden rettete, und es war seine Einsicht, die „Lehre der Verachtung“ revidieren zu müssen, die dazu beitrug, Widerstand gegenüber Veränderungen zu überwinden, und schließlich die Annahme der Erklärung Nostra Aetate (Nr. 4) erleichterte.

Es ist unser Verständnis, dass in seiner konzentriertesten, konkreten und für die Kirche dramatischsten (Anm. 5) Behauptung, Nostra Aetate anerkennt, dass man keinem Juden, der nicht direkt und persönlich an der Kreuzigung beteiligt war, diese zur Last legen kann (Anm. 6). Die Betrachtungen und Erklärungen von Papst Benedikt XVI. zu diesem Thema verdienen besondere Beachtung (Anm. 7).

Ergänzend verstehen wir, dass auf Grundlage christlicher Schriften Nostra Aetate zudem erklärt, dass die göttliche Erwählung Israels, die die „Gabe Gottes“ genannt wird, nicht widerrufen wird: „Nichtsdestoweniger sind die Juden nach dem Zeugnis der Apostel immer noch von Gott geliebt um der Väter willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich.“ Außerdem wird erklärt, dass „man die Juden nicht als von Gott verworfen oder verflucht darstellen (darf).“ 2013 schrieb Papst Franziskus in seiner Apostolischen Exhortation Evangelii Gaudium: „Gott wirkt weiterhin im Volk des alten Bundes und lässt einen Weisheitsschatz entstehen, der aus der Begegnung mit dem göttlichen Wort entspringt“ (Anm. 8).

Nach unserem Verständnis ebnete Nostra Aetate dem Vatikan auch den Weg für die Aufnahme umfassender diplomatischer Beziehungen mit dem Staat Israel im Jahr 1993. Durch diese Verbindung zeigte die katholische Kirche, dass sie ihre Darstellung des jüdischen Volkes als Nation, die bis zum letzten Tag zum Umherwandern verdammt sei, nun wahrhaftig ablehnte. Dieser historische Moment ermöglichte die Pilgerreise von Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 nach Israel, die ein weiteres beeindruckendes Zeichen für die neue Ära in den katholisch-jüdischen Beziehungen darstellte. Seit damals besuchten auch seine beiden Nachfolger das Land.

Nostra Aetate erklärt, dass die Kirche „alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgendjemandem gegen die Juden gerichtet haben“, aus religiösen Gründen beklagt. Dementsprechend erklärte Papst Johannes Paul II. wiederholt, dass der Antisemitismus „eine Sünde gegen Gott und die Menschheit“ sei. An der Klagemauer in Jerusalem sprach er folgendes Gebet: „Gott unserer Väter, du hast Abraham und seine Nachkommen auserwählt, deinen Namen zu den Völkern zu tragen: Wir sind zutiefst betrübt über das Verhalten aller, die im Laufe der Geschichte deine Söhne und Töchter leiden ließen. Wir bitten um Verzeihung und wollen uns dafür einsetzen, dass echte Brüderlichkeit herrsche mit dem Volk des Bundes“.

Papst Franziskus erkannte eine neue, um sich greifende und sogar modische Form des Antisemitismus, als er einer Delegation des Jüdischen Weltkongresses sagte: „Juden angreifen ist Antisemitismus, aber ein expliziter Angriff auf Israel ist auch Antisemitismus. Zwar mag es politische Meinungsverschiedenheiten zwischen Regierungen und hinsichtlich politischer Fragen geben, aber der Staat Israel hat jedes Recht, in Sicherheit und Wohlstand zu existieren“ (Anm. 9).

Schließlich forderte Nostra Aetate dazu auf „gegenseitige Kenntnis und Achtung“ zu fördern und „brüderliche Gespräche“ zu führen. 1974 folgte Papst Paul VI. diesem Aufruf, indem er die Päpstliche Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum ins Leben rief. Als Antwort auf diesen Aufruf hat sich die jüdische Gemeinschaft regelmäßig mit Vertretern der Kirche getroffen.

Wir begrüßen die Arbeit von Päpsten, Kirchenführern und Gelehrten, die mit Leidenschaft zu diesen Entwicklungen beigetragen haben, sowie die Anstrengungen der willensstarken Verfechter des katholisch-jüdischen Dialogs am Ende des Zweiten Weltkriegs, deren gemeinsame Arbeit der Hauptantrieb für Nostra Aetate war. Die wichtigsten Meilensteine waren das Zweite Vatikanische Konzil, die Errichtung der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, die Anerkennung des Judentums als lebendige Religion mit einem ewigen Bund, die Würdigung der Signifikanz der Schoah und ihrer Vorläufer und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zum Staat Israel. Die theologischen Schriften der Leiter der Päpstlichen Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum haben sehr zu den Kirchendokumenten, die Nostra Aetate folgten, beigetragen. Gleiches gilt für Schriften zahlreicher anderer Theologen.

In ihren jüngsten Reflexionen zu Nostra Aetate „Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt“ vertrat die Päpstliche Kommission unzweideutig die Auffassung, dass Juden Anteil an Gottes Heil haben und sie nannte diese Vorstellung „ein abgrundtiefes Geheimnis Gottes“ (Anm. 10). Außerdem erklärte sie, dass „die katholische Kirche keine spezifische institutionelle Missionsarbeit, die auf Juden gerichtet ist, kennt und unterstützt“ (Anm. 11). Obwohl die katholische Kirche nicht darauf verzichtet hat, gegenüber Juden Zeugnis abzulegen, verstehen wir, dass sie für jüdische Empfindungen Verständnis und Einfühlungsvermögen gezeigt und sich von der aktiven Judenmission distanziert hat.

Die offensichtliche Änderung der Einstellung der Kirche gegenüber der jüdischen Gemeinschaft wird besonders deutlich durch den Synagogenbesuch von Papst Franziskus, der dritte Papst, der diesen wichtigen Weg beschritten hat. Wir wiederholen seine Worte: „Von Feinden und Fremden sind wir zu Freunden und Brüdern geworden. Ich wünsche mir, dass die Nähe, das gegenseitige Kennen und die Wertschätzung zwischen unseren beiden Glaubensgemeinschaften immer mehr wachse.“

Diese freundlichen Einstellungen und Handlungen stehen im starken Gegensatz zu Jahrhunderten der Verachtung und der weit verbreiteten Feindseligkeiten und leiten ein äußerst ermutigendes Kapitel in einem langen Prozess gesellschaftlicher Veränderung ein.

Bewertung und Neubewertung

Aufgrund der langen Geschichte des christlichen Antijudaismus bezweifelten anfangs viele hochrangige Vertreter des Judentums (Anm. 12) die Ernsthaftigkeit der Annäherung der Kirche an die jüdische Gemeinschaft. Mit der Zeit zeigte sich, dass die Veränderungen in der Haltung und der Lehre der Kirche nicht nur ernsthaft, sondern auch immer tiefgreifender werden, und dass wir in eine Phase der wachsenden Toleranz, des gegenseitigen Respekts und der Solidarität zwischen den Mitgliedern unserer beiden Glaubensgemeinschaften eintreten.

Das orthodoxe Judentum war – durch die American Orthodox Union und den Rabbinical Council of America – schon im Internationalen Jüdischen Komitee für Interreligiöse Konsultationen (IJCIC), das in den späten 1960er Jahren gegründet wurde und als offizielle jüdische Vertretung für die Beziehungen zum Vatikan galt, vertreten. Eine neue Seite in den Beziehungen des orthodoxen Judentums zur katholischen Kirche wurde durch die Einrichtung der Bilateralen Kommission des Oberrabbinats von Israel und des Vatikan im Jahr 2002 unter der Leitung von Oberrabbiner She’ar Yashuv Cohen eingeleitet. In den veröffentlichten Erklärungen der bisher dreizehn Treffen dieser bilateralen Kommission (abwechselnd in Rom und Jerusalem) wird die Behandlung grundlegender Glaubensfragen sorgfältig vermieden, aber ein breites Spektrum aktueller gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Herausforderungen angesprochen; gemeinsame Werte werden betont und die Unterschiede beider Glaubenstraditionen respektiert.

Wir Juden erkennen, dass diese brüderliche Verbundenheit die Unterschiede in unseren Lehrmeinungen nicht einfach beseitigen kann, aber sie stärkt echte gegenseitige positive Einstellungen zu bestimmten Werten, die von den abrahamitischen Religionen allgemein und von denen, die die Hebräische Bibel verehren, im Besonderen geteilt werden (Anm. 13).

Die theologischen Unterschiede zwischen Judentum und Christentum sind tiefgehend. Der grundlegende Glaube des Christentums, der in der Person „Jesu als der Messias“ und als zweite Person des „dreieinen Gottes“ seine Mitte hat, schafft eine unüberbrückbare Trennung zum Judentum. Die Geschichte des jüdischen Martyriums im christlichen Europa dient als tragisches Zeugnis für die Hingabe und Beharrlichkeit, mit der die Juden sich gegen Glaubensüberzeugungen wehrten, die mit ihrem alten und ewigen Glauben, der absolute Treue zur mündlichen und schriftlichen Tora verlangt, unvereinbar waren. Trotz dieser grundlegenden Unterschiede haben einige der höchsten Autoritäten des Judentums erklärt, dass den Christen ein besonderer Status gebührt, da sie den Schöpfer des Himmels und der Erde anbeten, der das Volk Israel aus ägyptischer Knechtschaft befreite und dessen Vorsehung der gesamten Schöpfung gilt (Anm. 14).

Die Unterschiede in der jeweiligen Lehre sind wesentlich und können nicht debattiert oder verhandelt werden; ihre Bedeutung und Wichtigkeit sind Bestandteil der internen Erörterungen der jeweiligen Glaubensgemeinschaft. Das Judentum, dessen Besonderheit aus seiner empfangenen Tradition aus den Tagen seiner glorreichen Propheten und besonders der Offenbarung am Berg Sinai stammt, wird seinen Prinzipien, Gesetzen und ewigen Lehren immer treu bleiben. Außerdem werden unsere interreligiösen Gespräche durch die tiefen Einsichten solch großer jüdischer Denker wie Rabbiner Joseph Ber Soloveitchik (Anm. 15), Rabbiner Lord Immanuel Jakobovits (Anm. 16) und vieler anderer bereichert, die wortgewandt argumentierten, dass die religiöse Erfahrung eine private ist, die häufig nur innerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft wahrhaft verstanden werden kann.

Jedoch sollen diese Unterschiede der jeweiligen Lehre unserer friedlichen Zusammenarbeit zum Wohl unserer gemeinsamen Welt und der Kinder des Noach nicht im Weg stehen. Deshalb ist es erforderlich, dass unsere Glaubensgemeinschaften sich weiterhin begegnen, miteinander vertraut werden und das Vertrauen des jeweils anderen gewinnen.

Deshalb geben wir kund

Trotz der unüberbrückbaren theologischen Differenzen, betrachten wir Juden die Katholiken als unsere Partner, enge Verbündete und Brüder bei unserer gemeinsamen Suche nach einer besseren Welt, in der Friede, soziale Gerechtigkeit und Sicherheit herrschen mögen (Anm. 17).

Nach unserem Verständnis schließt die jüdische Berufung den Auftrag ein, ein Licht für die Völker zu sein, was uns verpflichtet, dazu beizutragen, dass die Menschen Heiligkeit, Moral und Frömmigkeit wertschätzen. Mit zunehmender Säkularisierung gibt der Westen viele der gemeinsamen moralischen Werte von Juden und Christen auf. So wird die Religionsfreiheit zunehmend von den Kräften des Säkularismus und des religiösen Extremismus bedroht. Deshalb suchen wir die Partnerschaft besonders mit der katholischen Gemeinschaft, und mit anderen Glaubensgemeinschaften im Allgemeinen, um die Zukunft der Religionsfreiheit zu sichern, die moralischen Prinzipien unserer Glaubensgemeinschaften zu fördern, insbesondere die Heiligkeit des Lebens, die Bedeutung der traditionellen Familie und um ─ in den Worten von Oberrabbiner Lord Immanuel Jakobowitz ─ „das moralische und religiöse Gewissen der Gesellschaft zu kultivieren“.

Eine der Lektionen der Shoah ist die Verpflichtung für Juden sowie für Nichtjuden gegen Antisemitismus anzukämpfen, insbesondere nachdem der Antisemitismus wieder steigt. Diese Lektionen müssen sowohl in den bildenden als auch in den legalen Sphären ausgedrückt werden, von allen Nationen, ohne Kompromiss.

Als ein Volk, das während seiner Geschichte unter Verfolgung und Völkermord litt, sind wir allzu vertraut mit der realen Gefahr, die vielen Christen im Mittleren Osten droht. Auch an anderen Orten werden sie verfolgt und ihnen drohen Gewalt und Tod durch die Hände derjenigen, die sich bei der Ausübung von Gewalt und Terror vergeblich auf den Namen Gottes berufen.

Wir verurteilen hiermit jede Gewalt gegen Personen aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Religion. Wir verurteilen ebenso alle Akte von Vandalismus, mutwilliger Zerstörung und/ oder Entweihung von heiligen Stätten aller Religionen.

Wir rufen die Kirche auf, gemeinsam mit uns gegen die neue Barbarei unserer Generation zu kämpfen, d.h. gegen die radikalen Auswüchse des Islam, die unsere globale Gesellschaft bedrohen und die die gemäßigten Muslime nicht verschonen. So werden der Weltfrieden im Allgemeinen und die christlichen und jüdischen Glaubensgemeinschaften im Besonderen bedroht. Wir rufen alle Menschen guten Willens dazu auf, sich zur Bekämpfung dieses Übels zusammenzuschließen.

Trotz grundlegender theologischer Differenzen teilen Katholiken und Juden den gemeinsamen Glauben an den göttlichen Ursprung der Tora und an den Gedanken einer endgültigen Erlösung und heute auch die Überzeugung, dass Religionen durch moralisches Verhalten und religiöse Erziehung – nicht aber durch Krieg, Zwang oder gesellschaftlichen Druck – ihren inspirierenden Einfluss ausüben sollen.

Üblicherweise äußern wir bezüglich der Lehren anderer Glaubensgemeinschaften keine Erwartungen. Manche Lehren verursachen jedoch echtes Leiden; die christlichen Lehren und Rituale, die negative Haltungen gegenüber Juden und dem Judentum zum Ausdruck bringen, nähren den Antisemitismus. Um die freundlichen Beziehungen und gemeinsamen Anliegen, die Katholiken und Juden als Ergebnis von Nostra Aetate pflegen, zu erweitern, rufen wir alle christlichen Konfessionen, die dies noch nicht getan haben, dazu auf, dem Beispiel der katholischen Kirche zu folgen und den Antisemitismus aus ihrer Liturgie und Doktrin zu entfernen, die aktive Judenmission einzustellen und Hand in Hand mit uns, dem jüdischen Volk, an einer besseren Welt zu arbeiten.

Wir bemühen uns um eine Vertiefung des Dialogs und der Partnerschaft mit der Kirche, um gegenseitiges Verständnis zu fördern und um die o.g. Ziele zu erreichen. Wir suchen nach zusätzlichen Möglichkeiten, die uns in die Lage versetzen, gemeinsam die Welt zu verändern: Gottes Wegen zu folgen, die Hungrigen zu speisen, die Nackten zu kleiden, Witwen und Waisen Freude zu bringen, den Verfolgten und Unterdrückten Zuflucht zu bieten und uns damit Seiner Wohltaten würdig zu erweisen.

Betreffend der unterzeichneten Organisationen

Die CER (Konferenz Europäischer Rabbiner)

ist die wichtigste Vereinigung von Rabbinern in Europa. Zu ihr gehören mehr als 700 religiöse Führer der etablierten Synagogengemeinden in Europa. Die Konferenz dient der Wahrung und Verteidigung der religiösen Rechte der Juden in Europa und wurde zur Stimme des Judentums in Europa.

Das Oberrabbinat des Staates Israel

wird vom israelischen Recht als Leiter des religiösen Gesetzes und der geistlichen Autorität des jüdischen Volkes in Israel anerkannt. Ein Oberrabbinat unterstützt die beiden Oberrabbiner, die sich in ihrem Vorsitz abwechseln. Es hat rechtliche und administrative Autorität, religiöse Vorkehrungen für Israels Juden zu organisieren. Es reagiert auch auf halachische Fragen, die von jüdischen öffentlichen Körperschaften in der Diaspora eingereicht wurden. Das Oberrabbinat ist gesetzlich zuständig für Eheschließung und Scheidung unter Juden, Bestattung von Juden, Konvertierung zum Judentum, Etablierung der jüdischen Identität, Aufsicht über das rabbinische Gerichtssystem, Koscher-Zertifizierung und Aufsicht über heilige Stätten.

Der Amerikanische Rabbinerverband (Rabbinical Council of America)

mit Hauptsitz in New York City, ist eine Organisation im Dienste von mehr als 1000 orthodoxen Rabbinern in den USA, Kanada, Israel und der Welt. Mitglieder sind ordnungsgemäß ordinierte orthodoxe Rabbiner, die in den Gemeinden, auf dem Gebiet der Bildung und Erziehung, in der Seelsorge und anderen Bereichen der jüdischen Gemeindearbeit tätig sind.

Fußnoten

1) Vgl. Genesis 17,7 & 17,19, Levitikus 26, 42-45, Deuteronomium 20, 3-5, etc.

2) Papst Johannes Paul II schrieb: „Zu Recht nimmt sich daher die Kirche, während sich das zweite christliche Jahrtausend seinem Ende zuneigt, mit stärkerer Bewusstheit der Schuld ihrer Söhne und Töchter an…“ (Papst Johannes Paul II, Apostolisches Schreiben Tertio Millennio Adveniente, 10. November 1994, 33: Acta Apostolicae Sedis 87, 1995, 25) Die Päpstliche Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum schrieb: „Die Tatsache, dass die Shoah in Europa stattfand, das heißt in Ländern mit einer langen christlichen Kultur, wirft die Frage nach der Beziehung zwischen der Verfolgung durch die Nationalsozialisten und der Haltung der Christen gegenüber den Juden in allen Jahrhunderten auf.“ (Wir erinnern: Eine Reflexion zur Shoah, 16. März 1998).

3) Zu den Helden der Geschichte gehören Abt Bernhard von Clairvaux und Jules-Géraud Kardinal Saliège von Toulouse, die während der Kreuzzüge bzw. während des Zweiten Weltkriegs ein besonders mutiges Verhalten zeigten. Als ein zisterziensischer Mitbruder während der Kreuzzüge die Deutschen aufforderte, die Juden zu vernichten, bevor man gegen die Muslime Krieg führte, beendete Abt Bernhard von Clairvaux persönlich diese Hetze. So schrieb Rabbi Efraim von Bonn:

„Ein ehrbarer Priester namens Bernhard, eine großartige Persönlichkeit und Lehrmeister aller Priester, die ihre Religion kannten und verstanden, sagte zu ihnen: „Mein Schüler, der predigte, dass die Juden vernichtet werden sollen, sprach unrichtig, denn im Buch der Psalmen steht geschrieben ‚Töte sie nicht, damit mein Volk nicht vergisst’“. Alle Menschen betrachteten diesen Priester als einen ihrer Heiligen und unsere Untersuchungen ergaben nicht, dass er sich bestechen ließ, um gut über Israel zu reden. Als sie dies hörten, unterbrachen viele ihre Anstrengungen, unseren Tod herbeizuführen. (Sefer Zekhirah, Hrsg. A.M. Haberman, S. 18).

Jules- Géraud Saliège (24. Februar 1870 – 5. November 1956) war von 1928 bis zu seinem Tod Erzbischof von Toulouse. Er spielte eine bedeutende Rolle beim katholischen Widerstand gegen das Pro-Nazi-Regime in Frankreich. 1946 wurde er von Papst Pius XII zum Kardinal ernannt. Für seine Bemühungen, Juden während der Shoah zu schützen, ehrt Yad Vashem ihn als Gerechten unter den Völkern.

4) Hier wird hauptsächlich Abschnitt 4 von Nostra Aetate behandelt, da dieser Abschnitt sich besonders mit dem Verhältnis der Katholischen Kirche zum Judentum befasst. Um das Lesen zu erleichtern, beziehen wir uns im Text nur auf Nostra Aetate, aber im gesamten Dokument nehmen wir besonders auf Abschnitt 4 Bezug.

5) Die Behauptung aus Nostra Aetate hat ihren Ursprung in früheren Lehren der Kirche, wie zum Beispiel im Katechismus gemäß Beschluss des Konzils von Trient aus dem Jahr 1566. In Artikel 4 aus dem Abschnitt des Dokumentes mit der Überschrift „Das Glaubensbekenntnis“ wird die den Juden angelastete Schuld relativiert, indem erklärt wird, dass die Sündhaftigkeit der Christen noch eher zur Kreuzigung geführt hat. Nichtsdestoweniger wurde den Juden noch mehrere Jahrhunderte lang vorgeworfen, die Mörder Gottes zu sein. Wenn die Anschuldigungen im Laufe der Zeit schwächer wurden, lag das wahrscheinlich an der Aufklärung, die dazu führte, dass der Judenhass in Europa etwas von seiner religiösen Prägung verlor. Dagegen war Nostra Aetate, das dem Wunsch des Westens, vom intensiven Judenhass, der zur Shoah führte, abzurücken, unmittelbar folgte, geradezu revolutionär, weil es eine bedeutende Veränderung in der katholischen Kirche mit sich brachte.

6) Der Grad, bis zu dem die Juden aus dem ersten Jahrhundert eine Rolle bei der Kreuzigung Jesu spielten, wird wissenschaftlich kontrovers diskutiert, aber wenn es um die interne christliche Lehre geht, dann erkennen wir die Freisprechung aller anderen Juden von jeglicher Verantwortung für die Kreuzigung als äußerst wichtigen Schritt für die Kirche an.

7) In seinem Buch Jesus von Nazareth, Band II, 2011.

8) Papst Franziskus, Evangelii Gaudium, Vatikan 2013, 247, 249.

9) http://www.worldjewishcongress.org/en/news/pope-francis-to-make-first-official-visit-to-rome und http://edition.cnn.com/2015/10/28/world/pope-jews/.

10) Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt, Päpstliche Kommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum, 2015, 36-39.

11) Ebd. 40.

12) Siehe Rabbi Moshe Feinstein, Responsa Iggerot Mosche, Jore De’a Bd. 3, §43, sowie Anmerkungen des französischen Oberrabbiners Rabbi Jacob Kaplan in Droit et liberté, Dezember 1964, und in Hamodia, 16. September 1965. Jeder wies auf Bereiche hin, in denen Skepsis berechtigt war.

13) Siehe Commentary to Song of Songs (nach Nahmanides) (Kommentar zum Lied der Lieder), in Kitve ha-Ramban. Ed. Chavel, Bd, II. Seiten 502-503; Ralbag, Milhamot, Ed. Leipzig, S. 356 und Kommentar zur Tora, Ed. Venice, S. 2.

14) Tosafot Sanhedrin 63b, s.v. Asur; Rabbenu Yeruham ben Meshullam, Toledot Adam ve-Havvah 17:5; R. Moses Isserles zu Schulchan Aruch, Orach Chajim 156:2; R. Moses Rivkis, Be’er ha-Gola zum Schulchan Aruch Choschen Mischpat 226:1 & 425:5; R. Samson Raphael Hirsch, Principles of Education in “Talmudic Judaism and Society”, Seiten 225-227.

15) Besonders in seinem Essay “Confrontation”, Tradition: A Journal of Orthodox Thought. 6.2 (1964).

16) Siehe zum Beispiel „The Timely and the Timeless”, London 1977, Seiten 119-121.

17) Die Presseerklärung nach dem vierten Treffen der Bilateralen Kommission des israelischen Oberrabbinats und des Heiligen Stuhls für religiöse Beziehungen mit dem Judentum in Grottaferrata (Rom, 17.-19. Oktober 2004) ist in dieser Hinsicht besonders bemerkenswert. Folgendes wurde erklärt: „Wir wissen, dass das Bewusstsein in unseren jeweiligen Gemeinschaften hinsichtlich der enormen Veränderungen, die in der Beziehung zwischen Katholiken und Juden stattgefunden haben, noch nicht ausreicht. Angesichts der Arbeit unseres Komitees und unserer aktuellen Diskussionen über eine gemeinsame Vision einer gerechten und ethischen Gesellschaft erklären wir: Wir sind nicht länger Feinde, sondern unwiderrufliche Partner bei der Artikulierung der wesentlichen moralischen Werte für das Überleben und das Wohl der Menschheit.“

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