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Étienne Geoffroy Saint-Hilaire

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Étienne Geoffroy Saint-Hilaire

Étienne Geoffroy Saint-Hilaire (* 15. April 1772 in Étampes; † 19. Juni 1844 in Paris) war ein französischer Zoologe. Sein einziger Sohn war der Zoologe Isidore Geoffroy Saint-Hilaire.

Leben

Étienne Geoffroy Saint-Hilaire wurde im Dorf Étampes in der Nähe von Paris als das jüngste von vierzehn Kindern geboren. Sein Vater Gerard Jean Geoffroy war Rechtsanwalt. Der junge Geoffroy Saint-Hilaire (dies ist sein voller Nachname) schlug zunächst eine kirchliche Laufbahn ein. Hilaire besuchte das Collège d’Étampes und studierte anschließend am Collège de Navarre in Paris. Dort förderten Abbé Henri-Alexandre Tessier (1741–1837) und der Botaniker Antoine-Laurent de Jussieu seine Auseinandersetzung mit der Naturlehre. Seine ursprünglichen klerikalen Interessen verlagerten sich abrupt mit dem Beginn der Französischen Revolution. So folgte er der Empfehlung seines Vaters und nahm ein Jurastudium auf. Er erhielt sein Diplom im Jahre 1790. Im August 1792 wurden verschiedene seiner Lehrer und Kollegen von Jakobinern verhaftet; er unternahm – unter Einsatz seines Lebens – einen Befreiungsversuch, der nur teilweise gelang. Später 1788 absolvierte er dennoch einen Abschluss in der Theologie und wurde vorübergehend Kanonikus in der Gemeinde Sainte Croix in seiner Heimatstadt.[1] Dann folgte er seinen eigentlichen Neigungen zur Medizin und den Naturwissenschaften und begann am Collège du Cardinal Lemoine zu studieren.[2] Es waren die Veranstaltungen des Professors für Naturgeschichte Mathurin Jacques Brisson, die ihn beeinflussten, aber auch viele andere Wissenschaftler seiner Zeit, René-Just Haüy, Antoine Laurent de Lavoisier und Claude-Louis Berthollet.

Danach besuchte er die Vorlesungen von Louis Jean-Marie Daubenton am Collège de France und Antoine François de Fourcroy im Jardin des Plantes. Im März 1793 bot ihm Louis Jean Marie Daubenton, durch die Intervention von Jacques Henri Bernardin de Saint-Pierre, die Position eines Assistenzanwärters sous-garde et d’assistant in dem Muséum national d’histoire naturelle an. Durch das am 10. Juni 1793 verabschiedete Gesetz wurde der ursprüngliche Jardin du Roi (königlicher Garten) in das Muséum national d’histoire naturelle umgewandelt, und Hilaire wurde einer der zwölf ernannten Professoren dieses neu konstituierten Museums. Ihm wurde der Lehrstuhl für Zoologie zugewiesen. Im selben Jahr beschäftigte er sich mit der Bildung einer Menagerie an der Einrichtung.[3] Dort lernte er den Naturhistoriker Jean-Baptiste Lamarck kennen und verschaffte dem noch unbekannten Georges Cuvier eine Stelle als Assistent. Durch dieses Trio hatte das Museum großen Einfluss auf die Entwicklung der Paläo-Biologie im 19. Jahrhundert, siehe auch Pariser Akademiestreit von 1830.

Gemeinsam mit Cuvier schrieb Hilaire fünf Artikel über die Naturgeschichte (Sur la classification des mammifères, 1795). In seiner Schrift Histoire des Makis, ou singes de Madagascar (1796) brachte er erstmals seine Ansicht von einem einheitlichen Plan in der Entwicklungsgeschichte der Lebewesen zum Ausdruck. Er begleitete Napoléon Bonapartes Truppen von 1798 bis 1801 als Wissenschaftler nach Ägypten (Ägyptische Expedition).

Im September 1807 wurde er Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften und im selben Jahr auswärtiges Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften.[4] Von 1809 an beschäftigte er sich als Professor für Zoologie an der Universität Paris intensiv mit Anatomie. 1818 erschien der erste Teil seiner Philosophie anatomique, dem vier Jahre später der zweite Teil folgte.

In seinen späten Lebensjahren befasste sich Hilaire vor allem mit organischen Missbildungen. 1840 erblindete er, einige Monate später erlitt er einen Schlaganfall und gab seine Ämter auf.[5]

Grabstein von Étienne Geoffroy Saint-Hilaire auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise (division 19)

Wissenschaftliche Leistungen

In der Philosophie anatomique (1818–1822) entwickelte Hilaire die Theorie, dass der Körperbau von Wirbeltieren und Wirbellosen einen gemeinsamen Grundbauplan aufweist. Da es – nach seiner Ansicht – in der Entwicklung der Arten keine Sprünge gegeben hat, müssten selbst überflüssig gewordene Organe heute noch als Rudimente aufzufinden sein (wie etwa das Zwischenkieferbein).

Hilaire versuchte den Körperbau der Wirbeltiere und Wirbellosen zu analogisieren und gelangte so zu einer Theorie der Einheit des Bauplans unité de plan, zu einer Theorie von den Analogien (modern als Homologien bezeichnet), woraus er schloss, dass die Entwicklung der Lebewesen von einem einzigen Bauplan, plan d’organisation, hergeleitet werden könne. Durch diese Hypothese geriet er aber mit Georges Cuvier in Streit, bekannt als Pariser Akademiestreit (1830–1832), der eine Aufspaltung in vier verschiedene und unabhängige Grundbaupläne im Tierreich postulierte. Der Disput wurde europaweit verfolgt, auch Johann Wolfgang von Goethe – mit dessen Ansichten Hilaire weitgehend übereinstimmte – schaltete sich ein. Sein früherer Mitstreiter G. Cuvier war ferner ein Verfechter der Katastrophentheorie oder Kataklysmentheorie.

Hilaire entdeckte viele Ähnlichkeiten zwischen verschiedensten Wirbeltieren und gelangte zur Überzeugung, dass die Vögel von urzeitlichen Reptilien abstammten. Er war somit der Erste, der eine fortdauernde Entwicklung zwischen fossilen und rezenten Lebewesen postulierte. Andererseits glaubte er nicht daran, dass es in der Gegenwart noch Artenentwicklung gebe.

Durch verschiedene Experimente erkannte er, dass Umwelteinflüsse Missbildungen bei Embryos von Wirbeltieren auslösen können. Er gilt zusammen mit Johann Friedrich Meckel als Begründer der Teratologie,[6] der Lehre der Missbildungen.

Im Jahre 1822 schlug er vor, dass die Segmente der Gliederfüßer und die Wirbelsäule der Säugetiere jeweils Beispiele für einen einheitlichen Organisationsplan der Tiere sind. Diese Überlegung ist durchaus aktuell im Hinblick auf die Wirkung der Hox-Gene, einer Familie von regulativen Genen, deren Genprodukte als Transkriptionsfaktoren die Aktivität anderer, funktionell zusammenhängender Gene im Verlauf der Individualentwicklung (Morphogenese) steuern.[7]

Im frühen 19. Jahrhundert stellte der Biologe Étienne Geoffroy St.-Hilaire die These auf dass der Bauplan von Wirbeltiere invertiert (auf dem Kopf gestellt) ist im Vergleich zu Wirbellose Tiere.

Die dorsoventrale Inversionstheorie (siehe auch: Verdrehungstheorien) basiert auch auf seine Wahrnehmungen, dass die Reihenfolge des Nervensystems, der Speiseröhre, und der Blutgefäße von der ventralen zur dorsalen Seite bei Wirbeltiere und Wirbellose Tiere umgekehrt ist.[8]

Durch seine vergleichenden Untersuchungen in Anatomie, Paläontologie und Embryologie gab Hilaire der modernen Evolutionstheorie entscheidende Anstöße.

Im Übrigen führte er lebhafte Briefwechsel, z. B. mit George Sand, die ihn sehr bewunderte.[9] Weitere Freunde sind u. a. Jules Michelet und Henri de Saint-Simon.

Ehrungen

Die Säugetierarten Callithrix geoffroyi, Inia geoffrensis, Ateles geoffroyi, Nyctophilus geoffroyi, Anoura geoffroyi, Dasyurus geoffroyi und Leopardus geoffroyi sind nach Étienne Geoffroy Saint-Hilaire benannt.[10] Ebenso die Vogelarten Schistes geoffroyi, Neomorphus geoffroyi und Geoffroyus geoffroyi.

Schriften (Auswahl)

  • Philosophie anatomique. 1818.
  • Histoire naturelle des mammifères. 1820–1842. 7 Bände
  • Mémoire sur plusieurs déformations du crâne de l’Homme, suivi d’un essai de classification des monstres acéphales. In: Mem. Museum Hist. Nat., VII, 1821, S. 85–162.
  • Des faits anatomiques et physiologiques de l’anencéphalie, observés sur un anencéphale humain né à Paris en mars 1821. In: Philosophie Anatomique, tome II, 1822, S. 125–153.
  • Note sur un monstre humain (anencéphale) trouvé dans les ruines de Thèbes en Egypte par M. Passalacqua, Arch. Génér. de Médecine, X, 1826, S. 154–126.
  • Description d’un monstre humain, né avant l’ère chrétienne, et considérations sur le caractère des monstruosités dites anencéphales. In: Ann. Sc. Naturelles, VII, 1826, S. 357–381.
  • Principes de philosophie zoologique, discutés in mars 1830, au sein de l’Académie royale des sciences. Pichon & Didier, Paris 1830 (online).
  • Notions Synthétiques historiques et physiologiques de philosophie naturelle. Paris 1838.

Literatur

  • Franck Bourdier: Geoffroy Saint-Hilaire, Isidore. In: Complete Dictionary of Scientific Biography. Band 5. Charles Scribner’s Sons, Detroit 2008. S. 358–360 (online).
  • Isidore Geoffroy Saint-Hilaire: Vie, travaux et doctrine scientifique d’Étienne Geoffroy Saint-Hilaire. Bertrand, Paris 1847 (online).
  • Herve Le Guyader: Geoffroy Saint-Hilaire: A Visionary Naturalist. University of Chicago Press, 2004, ISBN 0-226-47091-1.
  • Alec L. Panchen: Étienne Geoffroy St.-Hilaire: father of „evo-devo“? In: Evolution & Development. Band 3, Nummer 1, 2001, S. 41–46 (doi:10.1046/j.1525-142x.2001.01085.x).
  • Olivier Rieppel: Étienne Geoffroy Saint-Hilaire (1772–1844). In: Ilse Jahn, Michael Schmitt: Darwin & Co. Eine Geschichte der Biologie in Portraits. Band 1. C. H. Beck, München 2001, ISBN 3-406-44638-8, S. 157–175.

Weblinks

 Commons: Étienne Geoffroy Saint-Hilaire – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Étienne Geoffroy Saint-Hilaire. In: Encyclopædia Britannica. 11. Auflage. Bd {{{1}}}. London 1910–1911, S. {{{2}}}.
  2. American Philosophical Society (englisch)
  3. Vie, travaux et doctrine scientifique d’Étienne Geoffroy Saint-Hilaire (Wikisource, französisch)
  4. Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Band 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Band 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 209.
  5. Étienne Geoffroy St. Hilaire (1772–1844). UCMP Berkeley; Biografie (englisch)
  6. Pierre Charon: Tératologie du tube neural: histoire et paléopathologie. Teratology of the neural tub: history and paleopathology. (PDF; 560 kB) Ecole pratique des hautes études, La Sorbonn.
  7. Biografische Notiz. (englisch)
  8. K Nübler-Jung, D Arendt: Is ventral in insects dorsal in vertebrates?. In: Roux Arch. Dev. Biol.. 203, Nr. 7, 1994, S. 357–366. doi:10.1007/BF00188683.
  9. Corpus Littéraire Étampois. George Sand: Lettre à Geoffroy Saint-Hilaire (1837)
  10. Bo Beolens, Michael Watkins, Michael Grayson: The Eponym Dictionary of Mammals. Johns Hopkins University Press, Baltimore 2009, ISBN 978-0-8018-9304-9, S. 150.
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