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Überfall auf die Bank von Tiflis
Der Überfall auf die Bank von Tiflis war eine politisch motivierte Raubtat im Jahr 1907, die zu den wichtigsten Ereignissen in der Frühgeschichte der bolschewistischen Richtung der Sozialdemokratischen Partei Russlands zählt.
Die unter äußerst brutaler Gewaltanwendung durchgeführte Aktion kostete rund vierzig Menschenleben und erregte seinerzeit weltweites Aufsehen. Aus heutiger Sicht ist sie insbesondere bemerkenswert als die erste „politische Tat“ von weitreichenderer Bedeutung in der Karriere des jungen Josef Stalin, der damals allerdings noch den Namen Josef Wissarionowitsch Dschugaschwili führte und den Überfall organisierte und anführte.
Ablauf des Überfalls
Vorgeschichte
Seit den revolutionären Unruhen von 1905 kam es in Russland immer wieder zu spektakulären, rücksichtslos ausgeführten Banküberfällen revolutionärer Gruppen, die auch international Aufsehen erregten. So waren „die russischen Banküberfälle“ etwa in der deutschen Presse schon im Jahr vor dem Überfall von Tiflis ein Begriff.[1]
Das Hauptmotiv der bolschewistischen Gruppe lag nach allgemeiner Überzeugung in der Geldbeschaffung zur Finanzierung ihres Kampfes gegen die zaristische Staatsordnung. Zusätzlich könnten terroristische Motive eine Rolle gespielt haben, insofern das durch die Brutalität und Effizienz der Überfälle ausgelöste starke öffentliche Echo billigend in Kauf genommen wurde.
Auftraggeber des Überfalls auf die Bank von Tiflis war Wladimir Iljitsch Lenin, der Anführer der bolschewistischen Gruppe innerhalb der russischen Sozialdemokratie, der seinen georgischen Gefolgsmann Josef Dschugaschwili, der später unter dem Kampfnamen Stalin bekannt wurde, mit der Planung und Durchführung der Aktion beauftragte. Wann genau der spätere Diktator mit der Vorbereitung der Aktion begann, ist unklar, verschiedene Biografen wie Montefiore veranschlagen jedoch eine nicht näher bestimmte Vorlaufzeit von „mehreren Monaten“.
Jedenfalls dürfte die Vorbereitung des Überfalls bereits im Gange gewesen sein, als Dschugaschwili im Mai 1907 an einer Konferenz der russischen Sozialdemokratie in London teilnahm, bei der die menschewikische Mehrheitsfraktion der Partei eine Resolution verabschiedete, die Banküberfälle als Mittel des politischen Kampfes bzw. der Devisenbeschaffung verurteilte.
Der 26. Juni 1907
Der Überfall fand schließlich nach seiner Rückkehr nach Georgien am 26. Juni 1907 statt. Am Morgen dieses Tages, gegen 10:30 Uhr, fingen Dschugaschwili und seine aus rund zwanzig Männern und Frauen bestehende Gruppe von Aktivisten einen aus zwei pferdebespannten Panzerwagen sowie einer kleinen Abteilung berittener Kosaken bestehenden Geldtransport der russischen Staatsbank ab, als dieser auf dem Vorplatz der Reichsbankfiliale von Tiflis am Yerevanplatz einfuhr. Während der erste Wagen die zu transportierenden Devisen – begleitet von zwei Bankbeamten und zwei Wächtern – enthielt, diente der zweite als Fuhrwerk für einen Begleittrupp aus Polizisten und Soldaten.
Der Angriff auf den kleinen Konvoi begann mit einem konzertierten Bewurf der Panzerwagen mit starken Granaten, bei dem große Teile des Begleitpersonals sowie ihre Pferde getötet oder verstümmelt wurden. Nahezu zeitgleich setzten Angriffe auf die in den umliegenden Straßen patrouillierenden Kosaken und Schutzmänner ein. Dabei wurden insgesamt rund 90 Menschen verletzt und 40 getötet.
Die gesamte Aktion wurde mit blitzartiger Schnelligkeit durchgeführt und war trotz einer unerwarteten Komplikation – als ein vermeintlich totes Zugpferd aufgeschreckt mit dem Geldtransporter davongaloppierte – nach Aussage von Tovarish Kamo (1882–1922), einem der Hauptakteure des Ereignisses, in „knapp drei Minuten“ vorbei.
Folgen
Die Täter entkamen mit einer Beute von rund 250.000 Rubel,[2] was laut Montefiore in etwa der Apanage entsprach, die der russische Zar Nikolaus II. zu dieser Zeit jährlich bezog. Kamo schmuggelte das Geld bald darauf nach Finnland, wo er es Lenin zukommen ließ, der es größtenteils für die Finanzierung seiner weiteren Aktivitäten nutzte.
Die Aktion, von der Lenin offiziell behauptete, nichts mit ihr zu tun gehabt zu haben, beschleunigte das weitere Auseinanderdriften der seit 1903 in zwei Flügel gespaltenen russischen Sozialdemokratie, was schließlich dazu führte, dass die beiden Flügel sich 1912 jeweils als neue Parteien selbständig machten. In der internationalen Presse fand die blutige Tat ein weit reichendes Echo, so unter anderem in den Ausgaben der Londoner Tageszeitung The Times vom 27. und 29. Juni.
Literatur
Archivalien
- Stanford, Paris Okhrana Archiv, Kiste 209, Ordner XXB.1 und XXB. 2.
Monographien und Aufsätze
- Roy Stanley De Lon: Stalin and social democracy, 1905–1922. The political diaries of David A. Sagirashvili. University Microfilms, Ann Arbor MI 1074, (Washington, D. C., Diss., 1974).
- Simon Sebag-Montefiore: Der junge Stalin. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-050608-5.
- Edward Ellis Smith: The Young Stalin. The early years of an elusive revolutionary. Farrar – Straus – Giroux, New York NY 1967.
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Meldung in der Vossischen Zeitung vom 17. Oktober 1906.
- ↑ Josef Stalin. Tabellarischer Lebenslauf im LeMO (DHM und HdG)
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Überfall auf die Bank von Tiflis aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |