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Agoraphobie

Aus Jewiki
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Vergleichende Klassifikation nach
ICD-10   DSM-IV
F40.0 Agoraphobie 300.21 Panikstörung mit Agoraphobie
F40.01 Agoraphobie mit Panik 300.22 Agoraphobie ohne Panikstörung in der Vorgeschichte
ICD-10 online DSM IV online

Als Agoraphobie (altgriechisch ἀγορά agoráMarktplatz‘ und φόβος phóbosFurcht‘) bezeichnet man eine Angststörung, die durch bestimmte Orte und Situationen wie weite Plätze oder Menschengedränge ausgelöst wird. Betroffene vermeiden die auslösenden Situationen und können im Extremfall nicht mehr die eigene Wohnung verlassen. Eine Agoraphobie liegt auch dann vor, wenn Menschen angstbedingt weite Plätze oder Reisen allein oder generell meiden.

Allen diesen Situationen ist eine Angst vor einem Kontrollverlust gemeinsam.[1] Die Betroffenen befürchten so etwa, dass sie im Falle einer Panik oder potentiell bedrohlicher Körperzustände nicht schnell genug flüchten könnten, Hilfe nicht schnell genug verfügbar wäre oder sie in peinliche Situationen geraten könnten. Die Agoraphobie tritt häufig zusammen mit einer Panikstörung auf.[2] Die Angst vor weiten Plätzen wird in der Psychologie „Platzangst“ genannt, ein Terminus, der in der Umgangssprache für den entgegengesetzten Angstzustand verwendet wird, nämlich die Klaustrophobie (Angst vor engen Räumen), die in der Fachsprache als Raumangst bezeichnet wird (isolierte Phobie gemäß der Norm ICD-10 F40.2).

Symptome

Hauptmerkmal der Agoraphobie ist eine grundlose oder unrealistisch starke Angst vor bestimmten Orten oder Reisen.[3] Diese Angst entzieht sich der willentlichen Steuerung und kann auch durch rationale Argumente nicht beseitigt werden.[4] Die Betroffenen zeigen in der Regel ein starkes Vermeidungsverhalten, da in unterschiedlichem Ausmaß Panikattacken auftreten können. Die Angst kann sich darauf beschränken, öffentliche Plätze oder Geschäfte zu betreten, wobei oft speziell Menschenansammlungen vermieden werden. In ausgeprägten Fällen setzt die Angst bereits in der Wohnung ein, sodass diese nicht mehr verlassen wird.[5]

Diagnose

Der erste diagnostische Schritt ist, zu klären, ob die Agoraphobie bei einem betroffenen Patienten als eigenständiges Krankheitsbild besteht oder ein Symptom einer anderen, zugrunde liegenden psychischen oder organischen Erkrankung ist.[6]

Früher wurde der Begriff Agoraphobie ausschließlich für die Angst vor öffentlichen großen Plätzen verwendet. Inzwischen umfasst er auch die Angst vor anderen Situationen, sodass laut ICD-10 mindestens zwei als Angstauslöser nachweisbar sein müssen:

  1. Menschenmengen
  2. öffentliche Plätze
  3. Reisen mit weiter Entfernung von Zuhause
  4. Reisen alleine

Die letzte international gültige ICD-10 2006 unterscheidet nicht nach Vorhandensein oder Fehlen von Panikattacken. In der nur in Deutschland gültigen ICD-10 2010 GM (German Modification) wird das Auftreten oder Fehlen von Panikattacken innerhalb der Diagnose Agoraphobie (F40.0) spezifiziert. Die Agoraphobie wird als übergeordnet angenommen und kann ohne Angabe einer Panikstörung (F40.00) bzw. mit Panikstörung (F40.01) klassifiziert werden. Demgegenüber ist die Agoraphobie im DSM-IV der Panikstörung untergeordnet. Die Panikstörung ist primär und kann mit oder ohne Agoraphobie spezifiziert werden. Die Diagnose Agoraphobie ohne Panikstörung in der Vorgeschichte besteht separat.

Prävalenz, Studien

Nach einer Untersuchung von McCabe et al.[7] wurde bei 0,61 % einer Studienpopulation von 12.792 (55-jährig oder älter) eine Agoraphobie nachgewiesen. Damit war die Häufigkeit der Störung hier geringer als sonst berichtet wird.

Anhand der „National Comorbidity Survey Replication“-Erhebung in den USA wurden ebenfalls 2006 Zahlen zur Beziehung zwischen Agoraphobie, Panikattacken und einer Panikstörung (nach der Definition des DSM-IV) veröffentlicht. Demnach betrug die Lebenszeitprävalenz bei 9282 Untersuchten, die mindestens 18 Jahre alt waren, in den möglichen Kombinationen:

  1. 22,7 % für isolierte Panikattacken
  2. 0,8 % für Panikattacken in Kombination mit Agoraphobie
  3. 3,7 % für Panikstörung ohne Agoraphobie
  4. 1,1 % für Panikstörung mit Agoraphobie

Es konnte gezeigt werden, dass es von der 1. bis zur 4. Gruppe zu einem durchgehenden Ansteigen der einzelnen untersuchten Merkmale wie Anhalten der Beschwerden, Anzahl der Attacken, Anzahl der Krankheitsjahre, Schweregrad der einzelnen Episoden und Begleitkrankheiten kam.

Im Jahr 2005 untersuchten Kituchi et al. von der Universität Kanazawa in Japan 233 ambulante Patienten mit Panikstörung (99 Männer, 134 Frauen), davon 63 ohne und 170 mit Agoraphobie. Letztere Gruppe wies dabei im Schnitt eine länger bestehende Panikstörung und eine höhere Prävalenz einer generalisierten Angststörung auf. Keine Unterschiede gab es bzgl. ausgeprägter depressiver Episoden, Schweregrad der einzelnen Panikattacken oder Verteilung der Geschlechter. Weiter zeigte sich, dass bei knapp über 40 % derjenigen Studienteilnehmer, die eine Panikstörung entwickelt hatten, innerhalb von 24 Wochen auch eine Agoraphobie auftrat und sich auch diese Gruppe nicht bzgl. Alter oder Geschlecht unterschied.

Als mögliche Ursache muss immer auch eine eventuelle Traumatisierung in Betracht gezogen werden. Die Agoraphobie wird zu den möglichen psychischen Störungen gezählt, die sich zusätzlich zu den klassischen Symptomen der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und auch zu den Symptomen der Komplexen PTBS entwickeln können (Komorbidität).[8]

Therapie der Agoraphobie

Ist die Agoraphobie Symptom einer zugrunde liegenden Erkrankung, wird vor allem diese entsprechend behandelt. Liegt eine Agoraphobie als eigenständiges Störungsbild vor, gehören sowohl psychotherapeutische als auch medikamentöse Mittel zum Standard.

Psychotherapie

Gesprächstherapien sind bei der reinen Agoraphobie in der Regel wenig wirksam. Eine bewährte Behandlung der Agoraphobie ist die Expositionstherapie, die im Rahmen einer Verhaltenstherapie durchgeführt wird.[9] Dabei begeben sich der Betroffene und sein Therapeut an den jeweiligen Ort, der Angst auslöst und daher vermieden wird. Mit Hilfe des Therapeuten stellt sich der Betroffene seinen Ängsten und lässt sie in voller Stärke zu, um erleben zu können, dass die Angst unbegründet ist und mit der Zeit ganz von allein nachlässt. Der Therapeut unterstützt den Patienten darin, die Situation aufzusuchen, in der Situation zu bleiben und keine Vermeidungsstrategien anzuwenden. Vermeidungsverhalten kann die Angst zwar kurzfristig lindern, führt jedoch langfristig zur Aufrechterhaltung der Angst.[10][11] Es gibt mindestens zwei verschiedene Arten der Konfrontations-Therapie. Einerseits die Systematische Desensibilisierung, die schrittweise erfolgt. Andererseits gibt es auch noch das sogenannte „Flooding“, bei dem der Klient sich einer besonders angstauslösenden Situation sofort stellt. Meist bleibt dabei der Klient allein und der Therapeut im Hintergrund bzw. in größerem Abstand. Erzwungenes Flooding, dem der Klient nicht freiwillig zustimmt, kann jedoch die gegenteilige Wirkung haben und die Problematik verschlimmern.[12]

Medikamentöse Behandlung

Eine Agoraphobie kann, wie andere Angsterkrankungen auch, medikamentös behandelt werden. In der Regel wirken diese Arzneimittel jedoch nicht heilend, sondern lindern nur die Symptome, so lange man sie einnimmt. Zum Einsatz kommen dabei vor allem Anxiolytika, Trizyklische Antidepressiva und Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer. Der Einsatz von Benzodiazepinen wird im Dauergebrauch kritisch beurteilt.[13][14][15]

Literatur

  • Agoraphobia. In: Rosalyn Deutsche: Evictions - Art and spatial politics. Massachusetts Institute of Technology Press, 1996, ISBN 0-262-04158-8, S. 269.
  • Kathleen A. Brehony: Women and agoraphobia. In: The stereotyping of women. New York 1983.* Sigmund Freud: Hemmung, Symptom und Angst. In: Freud: Studienausgabe. Band 6: Hysterie und Angst. Frankfurt am Main 1970, S. 253 und 284.
  • Gerda Lazarus-Mainka, Stefanie Siebeneick: Angst und Ängstlichkeit. Hogrefe, Göttingen 2000, ISBN 3-8017-0969-8.
  • Pschyrembel - Klinisches Wörterbuch. 261. Auflage. Walter de Gruyter, S. 32.
  • Silvia Schneider, Jürgen Margraf: Agoraphobie und Panikstörung. Hogrefe, Göttingen 1998, ISBN 3-8017-1011-4 (= Fortschritte der Psychotherapie).

Weblinks

Wiktionary: Agoraphobie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. H. Hinterhuber: Ethik in der Psychiatrie. In: H-J. Möller, G. Laux, H-P. Kapfhammer (Hrsg.): Psychiatrie, Psychosomatik, Psychotherapie. Band 1: Allgemeine Psychiatrie. 4. erw. und vollständig neu bearbeitete Auflage. Springer, Berlin 2011.
  2. Phobie. In: Werner D. Fröhlich: Wörterbuch Psychologie. 26. Auflage. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008, ISBN 978-3-423-34231-5.
  3. Andrew Mathews, Michael G. Gelder, Derek W. Johnston: Agoraphobie. Springer, London 1988.
  4. Eugen Bleuler: Lehrbuch der Psychiatrie. Springer, 1983.
  5. Gökce Ipeklioglu: Panikstörung und Agoraphobie. Norderstedt 2000.
  6. Frank Schneider: Facharztwissen Psychiatrie und Psychotherapie. Springer, 2012.
  7. L. McCabe, J. Cairney, S. Veldhuizen, N. Herrmann, D. L. Streiner: Prevalence and correlates of agoraphobia in older adults. In: American Journal of Geriatric Psychiatry. Juni 2006; 14(6), S. 515–522.
  8. Willi Butollo u. a.: Kreativität und Destruktion posttraumatischer Bewältigung. Forschungsergebnisse und Thesen zum Leben nach dem Trauma. 2., erw. Auflage. Stuttgart 2003, S. 61.
  9. Nina Heinrichs, Georg W Alpers, Alexander L. Gerlach: Evidenzbasierte Leitlinie zur Psychotherapie der Panikstörung und Agoraphobie. Göttingen 2009.
  10. Sigrun Schmidt-Traub: Angst bewältigen: Selbsthilfe bei Panik und Agoraphobie. Berlin 2008.
  11. Faust: Psychiatrie - Ein Lehrbuch für Klinik, Praxis und Beratung. ISBN 3-437-00759-9.
  12. Thomas Lang, Sylvia Helbig-Lang, Dorte Westphal: Expositionsbasierte Therapie der Panikstörung mit Agoraphobie: Ein Behandlungsmanual. Göttingen 2012.
  13. T. Poehlke: Psychiatrie. 17. Auflage. 2009.
  14. Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft: Evidenzbasierte Therapie-Leitlinien. 2. Auflage. Köln, 2004.
  15. Dr. Michael Elze: Agoraphobie, Abgerufen am 7. Mai 2015
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