Jewiki unterstützen. Jewiki, die größte Online-Enzy­klo­pädie zum Judentum.

Helfen Sie Jewiki mit einer kleinen oder auch größeren Spende. Einmalig oder regelmäßig, damit die Zukunft von Jewiki gesichert bleibt ...

Vielen Dank für Ihr Engagement! (→ Spendenkonten)

How to read Jewiki in your desired language · Comment lire Jewiki dans votre langue préférée · Cómo leer Jewiki en su idioma preferido · בשפה הרצויה Jewiki כיצד לקרוא · Как читать Jewiki на предпочитаемом вами языке · كيف تقرأ Jewiki باللغة التي تريدها · Como ler o Jewiki na sua língua preferida

Albert Neisser

Aus Jewiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Albert Ludwig Sigesmund Neisser (geb. 22. Januar 1855 in Schweidnitz; gest. 30. Juli 1916 in Breslau) war ein deutscher Dermatologe und Sozialhygieniker jüdischer Herkunft.

Beschreibung

Arzt und Professor der Dermatologie

Er wurde als Sohn des jüdischen Arztes Moritz Neisser (1820–1896), Geheimer Sanitätsrat in Breslau und Charlottenbrunn, und Louise Lossen (1819–1855), die aus einer Berliner Unternehmerfamilie stammte, geboren. Da seine Mutter starb, bevor er ein Jahr alt war, wurde Neisser von der Stiefmutter aufgezogen. 1883 heiratete Albert Neisser die Philanthropin Toni Kauffmann (1861–1918). Das Ehepaar blieb kinderlos.

Nachdem er die Volksschule in Münsterberg besucht hatte, trat Neisser in das humanistische St.-Maria-Magdalena-Gymnasium in Breslau ein. Hier legte er mit Paul Ehrlich 1872 die Reifeprüfung ab. Im selben Jahr begann er an der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität mit dem Studium der Medizin. Später war er für ein klinisches Semester an der Universität Erlangen. 1877 legte er sein Staatsexamen ab und wurde mit einer Arbeit über die Bandwurmerkrankung zum Dr. med. promoviert. Seine Lehrer waren der Internist Anton Biermer, Rudolf Heidenhain, Julius Cohnheim, Carl Weigert und Carl Julius Salomonsen († 1924).

Anschließend arbeitete Neisser zwei Jahre als Assistenzarzt an der neu gegründeten Breslauer Hautklinik bei Oskar Simon (1845–1882). Er habilitierte sich 1880 und wurde zum Privatdozenten ernannt. 1882 übernahm er als a.o. Professor die Leitung der dermatologischen Klinik in Breslau. 1888 gründete er die Deutsche Dermatologische Gesellschaft und 1902 die Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, 1907 erhielt er die o. Professur.

Zu seinen Schülern gehört Paul Linser.

Im Jahr 1879 gelang Neisser die bahnbrechende Entdeckung des Erregers der Gonorrhoe (Tripper), den er „Micrococcus“ nannte, von Ehrlich später in „Gonococcus“ (Neisseria gonorrhoeae, Neisser-Diplokokken) umbenannt. Noch im gleichen Jahr ging Neisser auf Forschungsreise nach Norwegen, um dort mehr als 100 Leprafälle zu untersuchen. Mit einer speziellen Färbemethode konnte er den Leprabazillus nachweisen, der 1873 von dem norwegischen Bakteriologen Gerhard Armauer Hansen beobachtet worden war, und eindeutig als krankheitsverursachend identifizieren.

Weitere Arbeitsgebiete waren neben der Syphilis auch Lupus-Erkrankungen, wobei er erstmals auf eine Abgrenzung von tuberkulöser (Lupus vulgaris: Hauttuberkulose) und nicht-tuberkulöser Formen (Lupus pernio) hinwies. Neisser fand zwar nicht die Ursachen der Syphilis, lieferte aber wesentliche Beiträge zum Infektionsmodus durch Versuche mit Affen, die er in Java (1905/1907) durchgeführt hatte. Als Meilensteine der Syphilisdiagnostik gelten gemeinsame Studien mit August von Wassermann, die zur Entwicklung einer Nachweisreaktion für Syphiliserreger (1906) im Blutserum führten (Wassermann-Reaktion).

Neisser beschäftigte sich bevorzugt mit Diagnostik, Therapie (Arsphenamin) und Verhütung (Prostituiertenproblem) von Geschlechtskrankheiten, darüber hinaus befasste er sich auch mit anderen Hauterkrankungen (lichenoider Vitiligo, Urtikaria, Hauttumoren, Hautinfektionen, Psoriasis, Hautpilzerkrankungen, Pemphigus, Ekzem).

Neissers Arbeit war international anerkannt, aus seiner Schule ging eine große Zahl bedeutender Dermatologen hervor. Er war Geheimer Medizinalrat, wurde mehrfach mit Orden ausgezeichnet und war Mitglied des Reichsgesundheitsrats (1916).

Albert Neisser verursachte einen der ersten deutschen Medizinskandale, indem er 1892 bei einem Menschenversuch Krankenhauspatientinnen mit Syphilis infizierte. Bei diesen Experimenten suchte er – analog zu der von Emil von Behring entwickelten Serumtherapie der Diphtherie – nach einem Serum gegen Syphilis.[1] Zunächst einmal wollte Neisser die Vorfrage klären, ob das Serum syphilitischer Personen für gesunde Menschen unschädlich ist. Zu dem Zeitpunkt war der Erreger noch unbekannt, Neisser ging jedoch von bakteriellen Erregern aus, und hielt es deswegen für unproblematisch, zellenfreies Blutserum von Syphilis-Patienten zu injizieren.[2] Dies tat er bei acht Frauen bzw. Mädchen, das jüngste von ihnen zehn Jahre alt. Bei vier Patientinnen trat später Syphilis auf. Neisser selbst ging davon aus, dass sie – weil es sich um junge Prostituierte gehandelt habe – sich die Infektion auf dem Weg der Prostitution geholt hatten.[3]

Der Skandal wurde durch einen Artikel des späteren Friedensnobelpreisträgers Ludwig Quidde, der auch in der Antivivisektionisten-Bewegung aktiv war, ausgelöst,[4] und im Preußischen Abgeordnetenhaus diskutiert. Das führte einerseits dazu, dass sich Wissenschaftler mit Neisser solidarisierten und für ihn Unterschriften sammelten, andererseits zu einem Prozess gegen Neisser. Als besonders problematisch wurde empfunden, dass Neisser auch an unmündigen Kindern experimentiert hatte, ohne die Erlaubnis der Eltern einzuholen.[1] In dem Prozess vertrat der Göttinger Strafrechtler Carl Ludwig von Bar als Gutachter die Ansicht, Forschungsexperimente ohne rechtswirksame Zustimmung der Versuchspersonen seien strafbar.[5] Am 29. Dezember 1900 wurde Neisser eines Dienstvergehens für schuldig befunden, da er „zur Heilung aufgenommene Personen mit Blutserum syphilitischer Personen geimpft hat oder hat impfen lassen, ohne sich der Zustimmung dieser Personen oder ihrer gesetzlichen Vertreter versichert zu haben“.[6] Am selben Tag wies das Preußische Ministerium der geistlichen-, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten die Vorsteher der Kliniken, Polikliniken und sonstigen Krankenanstalten an, Menschenversuche nur noch nach eingehender Belehrung und ausdrücklicher Einwilligung der Probanden zuzulassen. Versuche an Minderjährigen wurden vollständig verboten.[7]

Aus seiner Hand stammen zahlreiche Werke, wie Aufsätze und Monographien:

Aufsätze
  • Über eine der Gonorrhoe eigenthümliche Micrococcenform. In: Centralblatt für die Medizinische Wissenschaft. Jg. 28 (1879), S. 497–500.
  • Über die Aetiologie des Aussatzes. In: Jahresbericht der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur. Bd. 57 (1880), S. 65–70.
  • Die Mikrokokken der Gonorrhoe. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift. (DMW), Jg. 8 (1882), S. 279–283, ISSN 0012-0472.
  • Die chronischen Infektionskrankheiten der Haut. In: Heinrich Auspitz, Victor Babeș (Hrsg.): Handbuch der Hautkrankheiten. Bd. 1. Vogel Verlag, Leipzig 1883, S. 560–723. (Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, Bd. 14)
  • Über die Mängel der zur Zeit üblichen Prostituiertenuntersuchungen. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift. (DMW), Jg. 16 (1890), S. 834–837, ISSN 0012-0472.
  • Pathologie des Ekzems. In: Archives of Dermatology and Syphilology/Supplement. Bd. 1 (1892), S. 116–161.
  • Meine Versuche zur Übertragung der Syphilis auf Affen. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift. (DMW), Jg. 30 (1904), S. 1369–1373, ISSN 0012-0472.
  • Weitere Mitteilungen über den Nachweis spezifischer luetischer Substanzen durch Komplementverankerung. In: Zeitschrift für Hygiene und Infektionskrankheiten. Bd. 55 (1906) S. 451–477, ISSN 0340-1782 (zusammen mit August von Wassermann, Carl Bruck und A. Schlucht).
Monographien
  • Die Echinococcen-Krankheit. Bernstein Verlag, Breslau 1877 (Habilitationsschrift).
  • Über die Bedeutung der Lupuskrankheit und die Notwendigkeit ihrer Bekämpfung. Klinkhardt Verlag, Leipzig 1908.
  • Syphilis und Salvarsan. Springer Verlag, Berlin 1913.
  • Die Geschlechtskrankheiten und ihre Bekämpfung. Vorschläge und Forderungen für Ärzte, Juristen und Soziologen. Verlag VDM Müller, Saarbrücken 2007, ISBN 978-3-8364-0948-3 (Nachdr. d. Ausg. Berlin 1916).

Kunstsammler und Mäzen

Villa Neisser, Architekt Grisebach

Neisser und seine Frau Toni waren Kunstliebhaber und Mäzene.[8] Die Villa Neisser war reich mit Kunstschätzen ausgestattet und ein kulturelles Zentrum der Stadt Breslau. Zum Freundeskreis des Ehepaars zählten der Architekt Hans Poelzig, der Bildhauer Theodor von Gosen, die Komponisten Gustav Mahler und Richard Strauss, der Schriftsteller und spätere Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann sowie der Maler Eugen Spiro. In der Villa befanden sich zahlreiche Kunstwerke der Künstler Fritz und Erich Erler, unter ihnen auch die Portraits der Eheleute Toni und Albert Neisser und berühmter Gäste der Villa. Zu der Sammlung zählten auch Bilder von Giovanni Segantini (Mittagszeit in Alpen), Arnold Böcklin (Triptychon Venus Genetrix), Oswald Achenbach, Hans Thoma, Frijts Thaulow, Eugen Spiro, und Kunstwerke von Constantin Meunier, Franz Stuck, Ignatius Taschner und Theodor von Gosen.[9]

Literatur

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Axel C. Hüntelmann: Paul Ehrlich. Leben, Forschung, Ökonomien, Netzwerke. Wallstein Verlag, Göttingen 2011, ISBN 978-3-8353-0867-1, S. 143.
  2. Albert Neisser: Was wissen wir von einer Serumtherapie bei Syphilis und was haben wir von ihr zu erhoffen? zitiert nach: Nicolas Pethes u.a. (Hrsg.): Menschenversuche. Eine Anthologie 1750-2000. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2008, ISBN 978-3-518-29450-5, S. 595-599, hier S. 595.
  3. Albert Neisser: Was wissen wir von einer Serumtherapie bei Syphilis und was haben wir von ihr zu erhoffen? zitiert nach: Nicolas Pethes u.a. (Hrsg.): Menschenversuche. Eine Anthologie 1750-2000, S. 595-599, hier S. 598.
  4. Axel C. Hüntelmann: Paul Ehrlich. Leben, Forschung, Ökonomien, Netzwerke, S. 142.
  5. zitiert nach: Nicolas Pethes u.a. (Hrsg.): Menschenversuche. Eine Anthologie 1750-2000, S. 516.
  6. zitiert nach: Nicolas Pethes u.a. (Hrsg.): Menschenversuche. Eine Anthologie 1750-2000, S. 599.
  7. Nicolas Pethes u.a. (Hrsg.): Menschenversuche. Eine Anthologie 1750-2000, S. 515f.
  8. Marius Winzeler: Jüdische Sammler und Mäzene in Breslau – von der Donation zur „Verwertung“ ihres Kunstbesitzes, In: Sammeln. Stiften. Fördern. Jüdische Mäzene in der deutschen Gesellschaft, red. Andrea Baresel-Brand, Peter Müller, Magdeburg 2006, S. 131–150, S. 137f
  9. http://www.schlesischesammlungen.eu/Kolekcje/Neisser-Toni-1861-1913-Neisser-Albert-1855-1916-Breslau

Weblinks

Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Albert Neisser aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.