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Brachycephalie

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Brachycephalie bei einem Petit Brabançon
Brachycephalie bei einer Perserkatze

Brachycephalie (auch: Brachyzephalie, von gr. βραχύς brachýs ‚kurz‘ und κεφαλή kephalḗ ‚Kopf‘) bedeutet Kurzköpfigkeit bzw. Rundköpfigkeit. Es handelt sich dabei um eine angeborene, erbliche Deformation des Schädels, die zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen führt. Unter den Haustieren sind insbesondere Hunde, teilweise auch Katzen betroffen.

Definition

Kraniofazialwinkel bei einem Boxerschädel

Die Definition eines Schädels als brachycephal geschieht nach mehreren Kriterien. Einerseits bedient man sich der äußeren Erscheinungsform einer gesamten Rasse und bezeichnet kurze und breite Schädel als brachycephal. Andererseits werden Schädelmessungen herbeigezogen, um ein Einzeltier als brachycephal einzustufen. Dies kann zu dazu führen, dass bei einigen nicht als brachycephal geltenden Rassen sehr wohl Hunde mit brachycephalem Schädel zu finden sind. Dazu gehören zum Beispiel die Norwich Terrier. Dieses generelle Dilemma kann nicht gelöst werden, zumal die permanente und züchterisch verursachte Veränderung der Schädelform rasch verläuft.[1]

Schädelmessungen für den S-Index

Die bekannten Schädelmessungen sind:

  • Verhältnis Schädelbreite zu Schädellänge von 0,81 oder höher
  • Verhältnis Hirnschädel zu Gesichtsschädel größer 1,6
  • Kraniofazialwinkel (CFA) zwischen 9° und 14°
  • Verhältnis Gesichtsschädel zu Hirnschädel kleiner 1,25 (S-Index)

Die ersten beiden Indizes werden am Kadaver erhoben. Für den CFA und den S-Index nutzt Untersucher Röntgenbilder, was den großen Vorteil bietet, dass die Messungen auch an lebenden Hunden durchgeführt werden können. Der Kraniofazialwinkel ist der von der Schnauzenspitze, der Schädelbasis und dem Mittelpunkt der Augenhöhle begrenzte Winkel.[2] Hier wurden jedoch massive Überlappungen bei den drei Schädelformen (brachycephal = kurzer Kopf; mesocephal = mittellanger Kopf, doolichocephal = langer Kopf) festgestellt, so dass der S-Index wegen seiner klinischen Anwendung zumindest in der Schweiz als Referenzmaß angesehen wird.[3]

Gesundheitliche Folgen

Brachycephales Syndrom

Brachycephalie kann zu Problemen der oberen Atemwege führen, die zusammenfassend als brachycephales Syndrom oder Brachycephalie-Syndrom bezeichnet werden. Es ist durch eine starke Behinderung der Atmung und eine gestörte Thermoregulation gekennzeichnet.

Pathogenese

Brachycephalie bei einem Pekingesen. Verengte Nasenlöcher und proportional zu große Zunge sind gut erkennbar.

Auslöser der Verengung der oberen Luftwege ist vor allem eine Hemmung des Längenwachstums des Gesichtsschädels.

Durch das voluminöse Ausmaß des Knorpels des Nasenflügels (insbesondere die Cartilago nasi lateralis dorsalis) und eine reduzierte Beweglichkeit des Nasenflügels kommt es zu einer Verengung der Nasenlöcher. Die Nasenhöhle des heranwachsenden Hundes streckt sich normalerweise in die Länge und die zur Geburt noch unterentwickelten Nasenmuscheln wachsen aufeinander zu, stellen aber ihr Wachstum ein, bevor die sie überziehenden Schleimhautschichten einander berühren. Bei brachycephalen Hunden unterbleibt diese Wachstumshemmung – es kommt zu einer relativen Conchen-Hypertrophie („Nasenmuschelwucherung“). Zudem wachsen die Nasenmuscheln als aberrante Nasenmuscheln über ein für die Größe der Nasenhöhle mögliches Maß. Man unterscheidet dabei rostrale aberrante Nasenmuscheln (vor der Plica alaris gelegen), die die vorderen Abschnitte des mittleren und unteren Nasengangs einengen, und kaudale aberrante Nasenmuscheln, die den Übergang zum Nasenrachen (Meatus nasopharyngeus) einengen. Zudem sind die Lamellen der Nasenmuscheln bei brachycephalen Hunden deutlich dicker als bei anderen Hunden. Die Folge ist, dass kaum noch Luft durch die Nase strömen kann, was für einen obligaten Nasenatmer ein schwerwiegendes Problem darstellt.[4]

Das Gaumensegel brachycephaler Hunde ist verlängert und verdickt. Dies führt zu einer Einengung des Nasenrachens sowie in Kombination mit der relativ zu großen Zunge (relative Makroglossie) auch des Mundrachens.[4]

Im Bereich des Kehlkopfs treten ebenfalls krankhafte Veränderungen auf, vor allem beim Mops. Hier ist das Kehlkopfskelett instabil, insbesondere der Stellknorpel und der Kehldeckel, so dass die Gefahr eines Kehlkopfkollapses besteht. Zudem ist die Schleimhaut im Bereich der Processus corniculates meist im Übermaß ausgebildet und geschwollen, so dass sie bei der Einatmung durch die Stimmritze gezogen wird und sie teilweise verlegt.[4]

Im Bereich der Luftröhre und großen Bronchien treten rassespezifische Fehlbildungen auf. Auch die Knorpelspangen der Luftröhre sind beim Mops weich (Tracheomalazie), so dass sie zum Trachealkollaps neigen. Dagegen sind die Knorpelspangen der Französischen Bulldogge zwar klein, aber zumeist ausreichend steif (hypoplastische Trachea). Diese Veränderungen setzen sich auch auf die großen Bronchien fort.[4]

Klinisches Bild

Typisches Symptom des brachycephalen Syndroms ist eine geräuschvolle, in der Regel inspiratorisch betonte Atmung in Verbindung mit Zeichen von Atemnot. Bei der klinischen Untersuchung können als charakteristische Befunde verengte Nasenlöcher und Nasenhöhlen, ein verlängertes und verdicktes Gaumensegel, verkürzter Rachenraum sowie Veränderungen am Kehlkopf festgestellt werden. Darüber hinaus können die Rachenmandeln in den Innenraum der Atemwege gezogen werden, wenn der Unterdruck beim Einatmen zu groß wird. Dies kann zu Atemproblemen, Erstickungsanfällen, Ohnmacht, zumindest aber röchelnden Atemgeräuschen und Schnarchgeräuschen führen. Durch die verminderte Fähigkeit zum Hecheln reagieren brachycephale Hunde empfindlicher auf Hitze als ihre nicht deformierten Artgenossen.

Mögliche Komplikationen eines brachycephalen Syndroms sind ein Ödem des Kehldeckels, Kollaps des Kehlkopfs, Einstülpung der seitlichen Kehlkopftaschen nach innen, Trachealkollaps, Entzündung und/oder Vorfall der Rachenmandeln, Bronchitis sowie Herzinsuffizienz infolge von ungenügender Sauerstoffsättigung des Blutes.

Häufig ist auch eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Wärme zu beobachten. Da die Nasenmuscheln und die laterale Nasendrüse eine wichtige Rolle bei der Wärmeabgabe spielen, sind brachycephale Hunde häufig sehr empfindlich gegenüber warmen Umgebungstemperaturen.[4]

Therapie

Die Behandlung eines brachycephalen Syndroms kann über konservative oder chirurgische Maßnahmen erfolgen, wobei eine Gewichtsreduktion und konservative Behandlung mit Corticosteroiden nur in leichten Fällen Aussicht auf Erfolg bietet.

Die chirurgische Behandlung besteht in der Resektion des die Atemwege einengenden Gewebes (Nasenlocherweiterung, Vestibuloplastie, Laser-assistierte Turbinektomie, Gaumensegelresektion, Tonsillektomie etc.), um dadurch ein freieres Atmen zu ermöglichen.[4]

Sonstige gesundheitliche Probleme

Vorbiss infolge von Brachycephalie bei einer Englischen Bulldogge

Die proportionale Vergrößerung des Kopfes in Verbindung mit der runden Kopfform führt mechanisch zu einem erhöhten Risiko für Schwergeburten. Auch bei einem Kaiserschnitt ist die Überlebensrate von brachycephalen Welpen im Vergleich zu anatomisch normalen Hunden verringert.[5] Brachycephale Rassen sind außerdem überdurchschnittlich häufig von Hirntumoren und Wasserkopf betroffen. Besonders ausgeprägt ist diese Prädisposition bei Rassen, in denen zusätzlich zur Brachycephalie auch eine Chondrodysplasie vorhanden ist. Die starke Abweichung von der normalen Kopfform führt außerdem zu einer anatomischen Reorganisation des Gehirns.[6] Brachycephale Zwergrassen sind daneben häufig von bis ins Erwachsenenalter persistierenden Fontanellen betroffen, was durch den mangelhaften Schutz des Gehirns in der Schädelhöhle ein zusätzliches Verletzungsrisiko darstellt.

Brachycephalie führt durch die Verkürzung des Oberkiefers (Brachygnathia superior) oft zu einem ausgeprägten Vorbiss, der bei einigen brachycephalen Rassen auch ausdrücklich im Standard gefordert wird. Dies kann in manchen Fällen zu einer mangelhaften Gebissfunktion führen.

Bei den extrem rundköpfigen Rassen (z. B. Mops) sind zusätzlich hervorstehende, teils auch vergrößerte Augen zu beobachten, was zu häufigen Verletzungen der Hornhaut führt. Außerdem besteht die Gefahr eines Augapfelvorfalls. Dieser Symptomkomplex wird vereinzelt als okulares Brachycephalensyndrom bezeichnet.[7]

Genetik und Zuchthygiene

Brachycephalie ist ein Komplex aus verschiedenen anatomischen Merkmalen, die polygen vererbt werden. Aus tierschützerischen Überlegungen sind extrem brachycephale Tiere von der Zucht auszuschließen. Insbesondere ist die extreme Rundköpfigkeit in Kombination mit einer ausgeprägten Verkürzung der Gesichtsknochen züchterisch zu bekämpfen, was über das Festlegen von Grenzwerten und einer darauf basierenden Indexselektion und Zuchtwertschätzung möglich ist.

Zuchtversuche zur Bekämpfung von Brachycephalie und brachycephalem Syndrom sind beispielsweise der Continental Bulldog und die Olde English Bulldogge.

Betroffene Rassen

Folgende Rassen sind vom Auftreten von Brachycephalie und den Folgen aufgrund der Zuchtentwicklung der letzten Jahrzehnte betroffen:

Verstärkung der Brachycephalie beim Mops: links 2003, rechts 1927

Eine dem brachycephalen Syndrom ähnliche Erkrankung bei einer nicht eindeutig brachycephalen Hunderasse ist beim Norwich Terrier beschrieben, dessen Schädel eine nur bedingt brachycephale Anatomie aufweist.[8]

Gesetzliche Situation

Deutschland

Starke Erscheinungsformen von Brachycephalie gelten laut einem Gutachten des Bundesministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft als verbotene Qualzucht. In dem Gutachten werden den Zuchtverbänden Untersuchungen betroffener Tiere, Zuchteinschränkungen und geänderte Zuchtstandards empfohlen.[9]

In §11b des Tierschutzgesetzes, der das Verbot von Qualzucht regelt, ist festgelegt:

„Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten […], wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht, […] erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten.“[10]

Österreich

Im Bundesgesetz über den Schutz der Tiere § 5 ist Atemnot als eine der gesundheitlichen Auswirkungen von Qualzucht genannt, so dass in der Folge die Zucht, aber auch Import, Erwerb, Weitergabe oder Ausstellung entsprechender Tiere verboten sind.[11] Gemäß § 38 sind Verstöße gegen § 5 mit einer Geldstrafe bis zu 7.500 Euro, im Wiederholungsfall bis zu 15.000 Euro zu bestrafen. Allerdings besteht gemäß § 44. (17) eine Übergangsfrist, in der durch schriftliche dokumentierte Zuchtmaßnahmen, die die Einhaltung der Bestimmung bis zum 1. Jänner 2018 gewährleisten, kein Verstoß vorliegt.

Weitere Verwendung des Begriffes

Der Begriff Brachycephalie findet sich in der Literatur (Anthropologie und Ethnologie) des 19. Jahrhunderts. Dort war mittels Vermessung des Schädel die Eintheilung der Menschenrassen (Zitat von [12]) versucht worden.

In der Humanmedizin findet sich der Begriff Brachycephalie zur Beschreibung (angeborener) Wachstumsstörungen wie der Achondroplasie.[13][14]

Quellen

Literatur

  • Lowell J. Ackerman: The Genetic Connection. A Guide to Health Problems in Purebred Dogs. American Animal Hospital Association Press, Lakewood CO 1999, ISBN 0-941451-93-3, S. 177.
  • Thomas Bartels, Wilhelm Wegner: Fehlentwicklungen in der Haustierzucht. Zuchtextreme und Zuchtdefekte bei Nutz- und Hobbytieren. Ferdinand Enke, Stuttgart 1998, ISBN 3-432-28131-5.
  • Alexander Herzog: Pareys Lexikon der Syndrome.. Erb- und Zuchtkrankheiten der Haus- und Nutztiere. Parey, Berlin 2001, ISBN 3-8263-3237-7, S. 68 ff.

Einzelnachweise

  1. Daniel A. Koch, Susanne Arnold, Madeleine Hubler, Pierre M. Montavon: Brachycephalic Syndrome in Dogs. In: The Compendium on Continuing Education for the Practicing Veterinarian. Bd. 25, Nr. 1, 2003, ISSN 0193-1903, S. 48–55 (online (PDF; 115 KB)).
  2. S. Regodón, J. M. Vivo, A. Franco, M. T. Guillén, A. Robina: Craniofacial angle in dolicho-, meso- and brachycephalic dogs: radiological determination and application. In: Annals of Anatomy - Anatomischer Anzeiger. Bd. 175, Nr. 4, 1993, S. 361–363, PMID 8363043, doi:10.1016/S0940-9602(11)80043-9.
  3. D. Koch, T. Wiestner, A. Balli, P. Montavon, E. Michel, G. Scharf, S. Arnold: Proposal for a new radiological index to determine skull conformation in the dog. In: Schweizer Archiv für Tierheilkunde. Band 154, Nummer 5, Mai 2012, S. 217–220, ISSN 0036-7281. doi:10.1024/0036-7281/a000331. PMID 22547337.
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 Gerhard Oechtering: Das Brachyzephalensyndrom – Neue Informationen zu einer alten Erbkrankheit. In: Veterinary Focus. Bd. 20, Nr. 2, 2010, ISSN 0965-4593, S. 2–9, online (PDF; 594 KB).
  5. P. F. Moon, H. N. Erb, J. W. Ludders, R. D. Gleed, P. J. Pascoe: Perioperative risk factors for puppies delivered by cesarean section in the United States and Canada. In: Journal of the American Animal Hospital Association. Bd. 36, Nr. 4, 2000, ISSN 0587-2871, S. 359–368, PMID 10914537.
  6. Taryn Roberts, Paul McGreevy, Michael Valenzuela: Human Induced Rotation and Reorganization of the Brain of Domestic Dogs. In: PLoS One. Bd. 5, Nr. 7, 2010, e11946, doi:10.1371/journal.pone.0011946.
  7. Erkrankungen der Augenlider auf der Seite der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
  8. Daniel Koch: Neue Erkenntnisse zum Brachycephalensyndrom beim Hund. (PDF; 83 kB).
  9. Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qual-Züchtungen). Vom 2. Juni 1999, S. 26 f. und 49 f.
  10. Tierschutzgesetz (TierSchG). § 11b
  11. Bundesgesetz über den Schutz der Tiere (Tierschutzgesetz – TSchG).
  12. Robert Hartmann: Untersuchungen über die Völkerschaften Nord-Ost-Afrikas. III. In: Zeitschrift für Ethnologie. Bd. 2, 1870, S. 86–111, S. 109, hier online.
  13. Francis A. Burgener, Steven P. Meyers, Raymond K. Tan, Wolfgang Zaunbauer: Differentialdiagnose in der MRT. Kartonierte Sonderausgabe. Georg Thieme, Stuttgart u. a. 2005, ISBN 3-13-141211-9, S. 178, hier online
  14. Rudolf Virchow: Ueber den Cretinismus, namentlich in Franken, und über pathologische Schädelformen. (Fortsetzung). In: Verhandlungen der Physikalisch-Medicinischen Gesellschaft in Würzburg. Bd. 2, Nr. 16, 1851, ISSN 0931-6493, S. 241–256, hier S. 242, hier online.

Weblinks

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