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Bruderschaft der Vagabunden

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Die Bruderschaft der Vagabunden war eine internationale Bewegung von Landstreichern und Vagabunden von 1927 bis 1933, sie stand der anarchistischen Weltanschauung nahe und hatte Verbindungen zum Anarchosyndikalismus und der Freien Arbeiter-Union Deutschlands.

Geschichte

Vorgeschichte

In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre gab es circa 70.000 Obdachlose[1] in Deutschland, bis 1933 stieg die Anzahl zur Zeit der Weltwirtschaftskrise auf rund 450.000 Menschen.[2] Die als „Landstreicher“ bezeichneten Erwerbslosen wurden nicht nur vom Bürgertum größtenteils verschmäht. Bereits Karl Marx und Friedrich Engels schrieben über den „fünften Stand“ im Manifest der Kommunistischen Partei (1848): „Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen.“[3]

Der ehemalige Seemann und Gärtner Gregor Gog (1891−1945) geriet 1919, zusammen mit seinen Freunden Theodor Plievier und Karl Raichle, in der Kommune am Grünen Weg bei Urach unter den Einfluss des vagabundierenden Dichters Gusto Gräser. In der Folge wurde auch er zeitweilig zum Vagabunden. Seine Erfahrungen verarbeitete er in seinen „Tagebuchblättern“ und in einer „Philosophie der Landstraße“.

Gründung der Bruderschaft und der Vagabundenkongress

1927 gründete er in Stuttgart die Bruderschaft der Vagabunden, deren Schutzpatron Till Eulenspiegel war. Zu Pfingsten 1929 rief er zu dem ersten internationalen Vagabundenkongress auf den Stuttgarter Killesberg, zu dem etwa 500 Teilnehmer kamen.[4] Unter den Rednern befanden sich Alfons Paquet, Willi Hammelrath, Gusto Gräser und Theodor Lessing. Lewis Sinclair und Knut Hamsun sandten Grußbotschaften. Auf diesem Kongress rief G. Gog zum „Generalstreik das Leben lang“ auf. Zitat:

„Die Gesellschaft, vertreten durch ihre Behörden, spricht von ihrer Fürsorge. Das Gesetz sorgt für mich, für die Gesellschaft, für die Satten, damit die Opfer ihrer Tyrannis ihnen nicht an den Leib rücken. Ihre ‚Fürsorge‘ ist Polizistenhumanität! Ist ‚Vorsorge‘! […] Die tugendfreien Spießer sprechen von den Vagabunden als einem arbeitsscheuen Gesindel. Was weiß den (sic!) diese Gesellschaft vom Weg und Ziel der Landstraße? […] Generalstreik das Leben lang! Lebenslänglich Generalstreik!“[5]

Als treibende Kraft der internationalen Vagabundenbewegung setzte sich Gog, der „König der Vagabunden“ wie die Presse ihn bezeichnete, für die Rechte der Obdachlosen ein.[6] Die „Reservearmee des kämpfenden Proletariats“ von „Tippelbrüdern, Außenseitern“ und „Ausgestossenen“ hatten sich zum Schrecken der Behörden[7] zu einem „Weltkongress der Vagabunden“, von tatsächlich internationaler Beachtung und zu Hungermärschen organisiert.[8]

Ziele und Aktivitäten

Ziel der Bruderschaft war gegenseitige Hilfe, Solidarität, das Bewusstwerden der eigenen Situation in der Gesellschaft, das Fördern des Selbstbewusstseins und Selbsthilfe. Kirchliche und staatliche Organisationen für soziale Fürsorge wurden abgelehnt. Um sich der Kontrolle durch den Staat und der „bürgerlichen Gesellschaft“ zu entziehen, sollte von den Vagabunden die Initiative ausgehen, selbst Herbergen und andere Unterkünfte zu realisieren. Eine klassenlose, freie Gesellschaft wurde angestrebt im Sinne des Anarchismus und Anarchosyndikalismus.

Organ der Bruderschaft war die von unter anderem Gustav Brügel 1927 herausgegebene Zeitschrift Der Kunde. Die erste Ausgabe wurde beschlagnahmt und die folgenden Hefte von Gog herausgegeben. Die Artikel enthielten sozialkritischen Protest „als auch eine utopische Überhöhung der Vagabunden-Existenz“. Über die Situation der Obdachlosen schrieb Gog unter anderem Artikel zu Zwei Millionen auf der Landstraße, Der Landstreicher Tombrock und Straßen ohne Ende.[9] Die Zeitschrift sollte den Vagabunden die Gelegenheit geben, ihre Erfahrungen und Meinungen zu veröffentlichen. Darüber hinaus wurde auch in anderen anarchistischen und anarchosyndikalistischen Blättern veröffentlicht. Gerhard Siegismund publizierte in Besinnung und Aufbruch, G. Gog in Der Syndikalist.

Gog und seine Ehefrau standen der FAUD nahe, ebenso Theodor Plivier und Helmut Klose. Durch Artur Streiter, Hermann Giesau, Karl Heinz Bodensieck und Helmut Klose kam die Verbindung zur Berliner FAUD und zur Gilde freiheitlicher Bücherfreunde zustande. Der Einfluss der Vagabundenbewegung auf den Anarchosyndikalismus und die FAUD war jedoch gering.[10]

1933 wurde die Bruderschaft der Vagabunden von den Nationalsozialisten zerschlagen.[11]

Künstlergruppe der Vagabunden

Die Bruderschaft der Vagabunden war zugleich auch eine Künstlerbewegung. Hans Tombrock (1895−1966) lernte Gog 1928 kennen, zusammen mit Hans Bönnighausen und Gerhart Bettermann gründeten sie die „Künstlergruppe der Bruderschaft der Vagabunden“.[12] Tausende von Zeichnungen, Aquarellen, Holz- und Linolschnitte entstanden und wurden zum Teil abgedruckt. 1929 wurde die erste Kunstausstellung organisiert und im „Verlag der Vagabunden“ erschien eine „Vagabundenmappe“.

Filmische Rezeption

1929 drehte der Österreicher Fritz Weiß mit der Fachberatung von Gregor Gog den 49-minütigen Film Der Vagabund, der sich um den Alltag von Menschen dreht, die sich für ein Leben auf der Straße entschieden haben. Ein toter Obdachloser wird für einen Journalisten Aufhänger für erfolgreiche Artikel zum Thema.[13]

Eine zweiteilige Filmdokumentation, „Generalstreik das Leben lang“ und „Könner in Lumpen“ wurde 2008 im Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin gezeigt − ein Zeitzeugnis über die Künstler der Landstraße und die Bruderschaft der Vagabunden.

Trivia

  • Die Stiftung Geißstraße Sieben in Stuttgart hatte 2004 anlässlich des 75. Jahrestages des ersten Vagabundenkongresses (Pfingsten 1929) ein „Gregor-Gog-Gedenkblatt“ herausgegeben.
  • Die Berliner Straßenzeitung Motz betreibt neben ihrer Arbeit für Obdachlose ein „Antiquariat Gregor Gog“.

Weblinks

Weiterführende Literatur

  • Hans-Dier Mück: Roter Verschwörerwinkel am Grünen Weg. Der „Uracher Kreis“ Karl Raichles: Sommerfrische für Revolutionäre des Worts, 1918-1931. Bad Urach, 1991.
  • Gregor Gog: Von unterwegs. Tagebuchblätter des verlorenen Sohnes. Verlag des Bundes der Brüder, Stuttgart 1926.
  • Gregor Gog: Vorspiel zu einer Philosophie der Landstraße. Aus den Notizen eines Vagabunden. Stuttgart: Verlag der Vagabunden, 1928.
  • Harry Wilde: Theodor Plievier. Nullpunkt der Freiheit. Kurt Desch Verlag. München u. a. 1965.
  • Walter Fähnders (Hrsg.): Nomadische Existenzen. Vagabondage und Boheme in Literatur und Kultur des 20. Jahrhunderts. Schriften des Fritz-Hüser-Instituts 16. Klartext Verlag, Essen 2007. ISBN 978-3-89861-814-4
  • Walter Fähnders, Henning Zimpel (Hrsg.), Die Epoche der Vagabunden. Klartext Verlag (Schriften des Fritz-Hüser-Instituts). Essen 2009, ISBN 978-3-89861-655-3.
  • Klaus Trappmann (Hrsg): Landstrasse, Kunden, Vagabunden. Gregor Gogs Liga der Heimatlosen. Gerhardt Verlag, Berlin 1980.
  • Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus. Seite 294. Libertad Verlag, Potsdam 1994, ISBN 3-922226-21-3.
  • Rolf Jessewitsch, Gerhard Schneider (Hrsg.), Verfemt – Vergessen – Wiederentdeckt. Kunst expressiver Gegenständlichkeit aus der Sammlung Gerhard Schneider. Seite 481. Anlässlich der Ausstellung Verfemt, Vergessen, Wiederentdeckt. Kunstverein Südsauerland Olpe, 4. Juli bis 8. August 1999 und 23. Juli bis August 2000. Museum Baden, Solingen-Gräfrath. Wienand Verlag, Köln 1999, ISBN 3-87909-665-1.
  • Elvira Reith (Hrsg.), Katalog: Hans Bönnighausen - ein Malervagabund. Edition Karo Dame, Dortmund, ISBN 3-00-010141-1.

Einzelnachweise

  1. Zur Geschichte der zeitgenössischen Begriffe vgl. Wolfgang Ayaß: "Vagabunden, Wanderer, Obdachlose und Nichtsesshafte": eine kleine Begriffsgeschichte der Hilfe für Wohnungslose, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 44 (2013), S. 90–102.
  2. Angaben aus der Zeitschrift Graswurzelrevolution, Nr. 295 (2005)
  3. Zitiert nach Graswurzelrevolution nr. 295. Quelle: K. Marx, F. Engels, Ausgewählte Schriften in 2 Bänden. Band 1, Seite 33. Dietz Verlag, Berlin 1959. Abgerufen am 26. Mai 2010
  4. Grüne Jugend Berlin. Generalstreik ein Leben lang. Abgerufen am 28. April 2013
  5. Gregor Gog: Generalstreik das Leben lang! Lebenslänglich Generalstreik. Stuttgart 1929. Aufruf zum Kongress der Vagabunden 1929 in Stuttgart
  6. Gregor Gog: Rebell und Revolutionär. Abgerufen am 23. Mai 2010
  7. Autor: Karsten Krampitz. In: Berliner Zeitung vom 7. Oktober 2005. Abgerufen am 28. April 2013
  8. Syndikalismusforschung. Einführung. Unter Abschnitt: „Die Vagabundenbewegung“ (4.3.3.2.). Abgerufen am 23. Mai 2010
  9. Ruhr Universität Bochum. Über G. Gog. PDF, 71 kB. Abgerufen am 27. Mai 2010 [Website nicht mehr erreichbar]
  10. Die Vagabundenbewegung und die FAUD. Abgerufen am 27. Mai 2010
  11. Zeitungsartikel von Baga Gam, Zitat: „1933 beendete eine ‚Bettlerrazzia‘ der Nationalsozialisten die ‚Bruderschaft der Vagabunden‘. 1938 ließ Heinrich Himmler mehr als 1.500 ‚Arbeitsscheue‘, ‚Asoziale‘ und Obdachlose ins Konzentrationslager Buchenwald bringen.“ In: Straßenfeger, Nr. 18, August 2010. Abgerufen am 24. August 2012
  12. „Wohnsitz nirgendwo“. Künstlergruppe der Vagabunden, abgerufen am 26. Mai 2010
  13. Kurzinformation zum Film Der Vagabund. Regie: Fritz Weiß. Österreich 1930
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