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Der rote Stern

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Красная звезда: Buchdeckel der russischen Erstausgabe (1908)

Der rote Stern (im russischen Original Красная звезда) bzw. Der rote Planet ist ein 1907 fertiggestellter utopischer Roman des russischen Schriftstellers, Arztes und Bolschewiken A. Bogdanow. Das Buch schildert eine ideale Gesellschaftsordnung sozialistischer/kommunistischer Prägung auf dem Mars.[1]

Titel

Der rote Stern: Buchdeckel der deutschen Erstausgabe (1923)

Der Roman trägt im Original den Titel Красная звѣзда, was wörtlich übersetzt Roter Stern bedeutet und mit der Doppelbedeutung Himmelskörper und politisches Symbol des Kommunismus spielt. Der rote Stern sollte den Menschen metaphorisch den Weg in die klassenlose Gesellschaft leuchten. In der deutschsprachigen Übersetzung hat sich zunehmend der ebenso doppeldeutige Titel Der rote Planet durchgesetzt, da der Mars eben kein Stern ist und aufgrund seiner Oberflächenfarbe auch als roter Planet bezeichnet wird.

Hintergrund

Alexander Malinowski war praktizierender Arzt und seit 1896 Mitglied der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, als er sich 1903 unter dem Kampfnamen „Maximow“ den Bolschewiki, Lenins radikalem Flügel, anschloss. Schon auf dem dritten (1905), vierten (1906) und fünften (1907) Parteitag wurde Malinowski ins Zentralkomitee gewählt, darüber hinaus war er mit Anatoli Lunatscharski verschwägert. Bald war Malinowski neben Lenin der prominenteste Führer der Bolschewiki.

Nach dem Scheitern der Russischen Revolution (1905–1907) flüchtete er ins finnische Exil, wo er unter dem Pseudonym „Bogdanow“ (auf Deutsch in etwa „Gottesgabe“) seine Zukunftsvision einer möglichen kommunistischen Gesellschaft niederschrieb. Gleich mit dem ersten Satz knüpfte sein utopischer Roman an die Gegenwart an: „Die Ereignisse haben sich zugetragen, als in unserem Lande der große Umbruch gerade anhob, jener Umbruch, der bis in die Gegenwart fortwährt und sich nun wohl seinem unabwendbaren schrecklichen Ende nähert.

Der rote Stern gab dem Leser ein anschauliches Bild vom Kommunismus, denn auf dem Mars war die kommunistische Gesellschaft bereits Realität. Damit lieferte Bogdanow allen Unentschlossenen oder von der Revolution Enttäuschten eine Zukunftsperspektive. Die Organisation der Arbeit durch eine allwissende und dynamische Bürokratie wird ebenso geschildert wie die Modalitäten der politischen Willensbildung, das Erziehungswesen, der Städtebau, die sozialen und wissenschaftlich-technischen Errungenschaften usw. So nutzen die Marsmenschen „radioaktive Materie“ zum Antrieb ihrer Sternschiffe und zur Erzeugung der in den Fabriken priorisierten elektrischen Energie; die marsianischen Steinkohlevorkommen waren längst aufgebraucht: „Kein Rauch, kein Ruß, keine Gerüche, kein Staub. (…) Nicht die plumpe Kraft von Feuer und Dampf, sondern die feine, aber noch mächtigere elektrische Energie war die Seele dieses furchteinflößenden Mechanismus“. (S. 58). Die Geschlechter haben sich in Kleidung und Aussehen einander angeglichen, die Kinder werden in „Kinderstädten“, einer Art immerwährendem Ferienlager mit Schulbetrieb, von Pädagogen kindgerecht betreut. Marsmenschen mit Todeswunsch stehen in Krankenhäusern spezielle „Sterbezimmer“ zur Verfügung. (S. 82–83)

Der Roman fand viele Leser, darunter auch Lenin, der das Buch aber kritisierte. Zwischen Bogdanow und Lenin hatten die ideologischen Meinungsverschiedenheiten über die Ausrichtung der Bolschewiki zugenommen. Lenin lehnte Bogdanows idealistischen Standpunkt scharf ab und reagierte auf die innerparteilichen Flügelkämpfe mit seiner Schrift Materialismus und Empiriokritizismus (1908). Auf einer Sitzung der erweiterten Redaktion der Zeitung Пролетарий (Proletarier, faktisch das Bolschewistische Zentrum) im Juni 1909 in Paris wurde Bogdanow schließlich auf Lenins Betreiben hin aus dem inneren Zirkel der Bolschewiki ausgeschlossen.[2]

Dramatis Personae

  • Leonid alias Lenni (Леонид/Лэнни): russischer Revolutionär und Naturwissenschaftler
  • Anna Nikolajewna (Анна Николаевна): Revolutionärin und Leonids Ex-Freundin
  • Letta (Летта): Chemiker, Mennis Gehilfe
  • Menni (Мэнни): Naturwissenschaftler und Kapitän des Sternenschiffs
  • Sterni (Стэрни): Astronom und Mathematiker
  • Netti (Нэтти): Ärztin
  • Nella (Нэлла): Nettis Mutter
  • Enno (Энно): Astronomin, Sternis Gehilfin
  • Werner (Вернер): Leonids Genosse und Leiter einer Nervenheilanstalt
  • Wladimir (Владимир): in der Illegalität lebender junger Genosse

Fortsetzung

Durch den literarischen Erfolg ermutigt, verfasste Bogdanow nach seinem Ausstieg aus der aktiven Politik das Prequel Ingenieur Menni (1912). Hier geht es um die Entstehung und Etablierung des marsianischen Sozialismus, wie sie sich 250 Jahre zuvor zugetragen haben. Beim Bau der Marskanäle revoltieren die Arbeiter gegen die herrschende Klasse und bewirken einen friedlichen Umsturz. Im Mittelpunkt stehen der Titelheld Menni und der Arbeiterführer Netti.[3]

Lenin kritisierte die Fortsetzung ebenso wie den Vorgängerroman. In einem Brief an Maxim Gorki vom Februar 1913 schrieb er: „Ich habe seinen Ingenieur Menni gelesen. Immer derselbe Machismus-Idealismus, so versteckt, dass weder die Arbeiter noch die dummen Redakteure in der Prawda es begriffen haben.“[4]

Rezeption

Bogdanows Utopie wurde in der russischen Literatur von verschiedenen Seiten rezipiert, so zum Beispiel von Majakowski. Der Ingenieur Jewgeni Samjatin reagierte mit seiner Dystopie Wir (Мы, 1920) äußerst kritisch und pessimistisch. Bogdanows transparente und geometrische Mars-Architektur mit gläsernen Dächern wird bei Samjatin zu einer totalitaristischen Glasarchitektur, die jeglichen Rückzug ins Privatleben verhindert.

Der Schriftsteller Alexei Tolstoi ließ sich zu der Mars-Novelle Aëlita (Аэлита, 1922) sowie wenige Jahre später zu dem Science-Fiction-Roman Geheimnisvolle Strahlen: Ingenieur Garins Hyperboloid (Гиперболоид инженера Гарина, 1925) anregen.[5][6]

Die derzeit gängige englischsprachige Ausgabe des Doppelromans Der rote Stern/Ingenieur Menni wurde von den beiden US-amerikanischen Historikern Loren Graham und Richard Stites im Jahr 1984 herausgegeben. Red Star wird hier bereits im Buchtitel explizit als erste bolschewistische Utopie bezeichnet.[7] Der Science-Fiction-Autor Walter M. Miller, Jr. (bekannt für Lobgesang auf Leibowitz) schrieb dazu für die New York Times eine längere Rezension unter der Überschrift „Bolschewiken auf dem Mars“. Die Besprechung war mit drei Holzstichen illustriert.[8]

Der US-amerikanische Science-Fiction-Autor Kim Stanley Robinson ließ sich für seine Novelle Roter Mars (1993) von Bogdanow inspirieren und schuf einen ihm ähnlichen Charakter mit Namen Arkadi Bogdanov.

Deutsche Ausgaben

  • deutsch: Der rote Stern. Ein utopistischer Roman. Aus dem Russischen übertragen von Hermynia Zur Mühlen. Verlag der Jugendinternationale, Berlin 1923
  • erneut: Der rote Stern. Ein utopischer Roman. Makol, Frankfurt am Main 1972.
  • erneut: Der rote Stern. Ein klassischer Science-Fiction-Roman. Heyne, München 1974, ISBN 3-453-30298-2.
  • erneut: Der rote Stern. Ein utopischer Roman. Luchterhand, Darmstadt 1982, ISBN 3-472-61431-5.
  • erneut: Der rote Planet. Utopischer Roman. Verlag Volk und Welt, Berlin 1984.
  • erneut: Der rote Planet. Utopischer Roman. Buchclub 65 Vorzugsausgabe (Verlag Volk und Welt) 1984.
  • ebenfalls: Der rote Planet. Ingenieur Menni. Utopische Romane. Verlag Volk und Welt, Berlin 1989.
  • erneut: Der rote Stern. Europäischer Hochschulverlag, Bremen 2010, ISBN 978-3-86741-197-4.
  • Volltext (korrupt).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ulrich M. Schmid: Die Zukunft von gestern (10): Der rote Stern laut NZZ vom 25. Juni 2007, Seite 22.
  2. Tony Cliff über Konflikte zwischen Lenin und Bogdanow im Marxists Internet Archive.
  3. Richard Saage: Wider das marxistische Bilderverbot. Bogdanows utopische Romane »Der rote Planet« (1907) und »Ingenieur Menni« (1912) in UTOPIE kreativ, H. 112, Februar 2000, S. 171.
  4. Richard Saage: Wider das marxistische Bilderverbot. Bogdanows utopische Romane »Der rote Planet« (1907) und »Ingenieur Menni« (1912) in UTOPIE kreativ, H. 112, Februar 2000, S. 168.
  5. Peter Rollberg in seinem Nachwort (Leipzig im Mai 1988) zu Der rote Planet. Ingenieur Menni. Utopische Romane. Verlag Volk und Welt, Berlin 1989, S. 297.
  6. Richard Saage: Wider das marxistische Bilderverbot. Bogdanows utopische Romane »Der rote Planet« (1907) und »Ingenieur Menni« (1912) in UTOPIE kreativ, H. 112, Februar 2000, S. 168.
  7. Alexander Bogdanov: Red Star: The First Bolshevik Utopia. Herausgegeben von Loren Graham und Richard Stites und übersetzt von Charles Rougle, Indiana University Press, Bloomington 1984, ISBN 978-0253203175.
  8. Walter Miller Jr.: Bolsheviks On Mars, in: The New York Times vom 8. Juli 1984.
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Der rote Stern aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar.