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Derivation (Linguistik)
Derivation (deutsch auch Ableitung) ist in der Linguistik die Bezeichnung für ein Verfahren der Wortbildung. Hierbei werden aus lexikalischen Morphemen (Lexeme/Grundmorpheme) und Affixen (grammatische Morpheme) neue Formen gebildet, die selbst nicht unbedingt Lexeme sein müssen, es jedoch in den meisten Fällen sind. Als Derivation bezeichnet man den Prozess ihrer Bildung. Das Ergebnis nennt man Derivat[um] oder Derivativ[um]. Zusammen mit der Komposition (Zusammensetzung) ist die Derivation das wichtigste Wortbildungsmittel der deutschen Sprache. Weitere Wortbildungsverfahren unter Wortbildung.
Beispiele für Derivationen:
- Frei-heit
- mach-bar
- be-greifen
- un-be-greif-lich (abgeleitete Wörter (begreiflich) können auch selbst wieder abgeleitet werden)
- Ab-leit-ung
Abgrenzung von anderen Wortbildungstypen und Klassifikation
Die Derivation unterscheidet sich von der Zusammensetzung (Komposition) dadurch, dass bei letzterer mindestens zwei Wörter (Grundmorpheme) eine eigenständige lexikalische Bedeutung besitzen, während bei der Derivation nur ein Wort existiert, dessen Anhängsel (Affixe) keine konkrete (jedoch eine abstrakte) lexikalische Bedeutung haben.
- Beispiel eines Derivats: Frei-heit → frei ist Lexem (Adjektiv), heit besitzt abstrakte lexikalische Bedeutung, nämlich einen Seins-Zustand. Gesamtwort: Substantiv
- Beispiel eines Kompositums: Hauswand → Haus ist Lexem (Substantiv), Wand ist Lexem (Substantiv). Gesamtwort: Substantiv
Unterschiede zur Flexion sind, dass bei der Derivation
- ein neues Wort (Lexem) und nicht nur eine neue Wortform entsteht: brauch-bar (Adjektiv) versus brauch-t (Verb, 3. Person Singular Präsens von brauchen)
- die Wortart sich ändern kann (Adjektivierung, Substantivierung)
- nie alle theoretisch möglichen Grundmorpheme erfasst werden: es gibt keine *Rauschung zu rauschen, keine *Schwimmung zu schwimmen
Einige Forscher zählen auch Teile der Konversion zur Derivation. Bei der lexikalischen (auch: morphologischen) Konversion oder der Ablautbildung (manchmal auch: implizite Derivation oder Konversion) etwa wird die Kategorie, d. h. die Wortart, eines Grundmorphems so verändert, dass die Wortstämme und seine Bedeutung verändert werden:
- glauben (Verb) → Glaube (Substantiv): innere Haltung eines Menschen (lexikalische Konversion); der Fall wird jedoch angemessener als Ableitung des Verb zu einem Substantiv mit dem Ableitungsmorphem -e beschrieben
- schießen (Verb) → Schuss (Substantiv): das einzelne Ereignis, der einzelne Vorgang (Ablautbildung)
Andere rechnen Präfixbildungen, auch Präfigierungen genannt, nicht dazu (be-schreiben, aus-sprechen).
Folgende vier Gruppen von Wortbildungen können also - je nach grammatischer Theorie - zur Derivation gerechnet werden:
- Die explizite Derivation (auf diese beschränkt sich dieser Artikel) mit Suffigierung, Präfigierung und Zirkumfigierung: Bildung durch Affixe (Mann → männlich, schön → unschön, renn- → Gerenne)
- Als Sonderfall gehört auch die Motion (= Movierung: Genuswechsel durch explizite Ableitung) dazu (König → Königin, Witwe → Witwer)
- Die implizite Derivation: manchmal auch Bildung durch Ablautbildung ohne Affixe genannt (küssen → Kuss)
- Die Konversion: Bildung allein durch Wortartenwechsel, d. h. Umkategorisierung (laufe(en) → (der) Lauf). In manchen Grammatiken wird die implizite Derivation auch Konversion durch Ablautbildung genannt. Grund: in beiden findet eine Umkategorisierung, d. h. ein Wortartenwechsel statt.
Bestandteile eines Derivats
Morphologische Bestandteile
Jedes Derivat besteht in morphologischer Hinsicht aus einem Komplement und einem Kopf. Der Kopf bestimmt die grammatischen Eigenschaften des Derivats. Am einfachsten kann dies am Beispiel der Suffigierung, also dem Anhängen bestimmter Wortendungen, erläutert werden: Beispiel Freiheit:
- Kopf des Derivats ist das Suffix heit, das die Grammatik des Wortes: Substantiv, femininum bestimmt: Frei-heit, die
- Komplement ist frei
Semantische Bestandteile
In semantischer, die Bedeutung des Wortes betreffender Hinsicht besteht ein Derivat aus einem Kern und einem Modifikator. Der Kern bestimmt die Grundbedeutung des Derivats, während der Modifikator diese nur ändert. Beispiel Freiheit:
- Kern des Derivats ist frei.
Substitutionstest: Ersetze frei durch Synonyme wie ungebunden und vollziehe die Derivation. Die Bedeutung sollte sich nicht (groß) ändern: ungebunden + heit → Ungebundenheit
- Modifikator heit besagt, dass es sich dabei um ein Abstraktum handelt, also um die Idee, frei zu sein
Arten von (expliziten) Derivationen
In morphologischer Hinsicht lassen sich Derivationen im Deutschen nach Art ihrer Affigierung, d. h. der Zusätze zu einem Grundmorphem, einteilen. Als Affixe kennt das Deutsche: Suffixe, Präfixe, Infix und Zirkumfixe. Für die Derivation spielen lediglich Suffixe, Präfixe und Zirkumfixe eine Rolle, wenn man die Präfigierung zu den Derivationen rechnet. Die damit verbundenen Wortbildungstypen nennt man
- Suffixe → Suffigierung
- Präfixe → Präfigierung
- Zirkumfixe → Zirkumfigierung
Suffigierung
Suffigierung nennt man das Anhängen von Suffixen ("Endungen") an Wortstämme. Viele Suffixe legen die Wortart (bei Substantiven auch das Genus) fest. Eine Übersicht mit Beispielen soll folgende Liste geben:
- a) Nominalsuffixe: -heit, -keit, -tät, -ung (Lässigkeit, die; Rivalität, die)
- b) Adjektivsuffixe: -bar, -lich, -sam (erlebbar, lieblich, schweigsam)
- c) *Verbsuffixe: -el-, -ier- (köcheln, ratifizieren). Hingegen ist -en kein Ableitungssufix bei Verben, da es das Flexionssuffix des Infinitivs ist.
Die Liste zeigt, dass Ableitungen auf -bar oder -sam immer Adjektive und solche auf -heit, -keit und -tät immer feminine Substantive ergeben. Ihr feminines Genus rührt von der Tatsache, dass man im Deutschen geneigt war und ist, Abstrakta als feminin aufzufassen. Einige Suffixe verbinden sich nur mit Grundmorphemen, die bestimmte Eigenschaften aufweisen. Das Suffix -ung beispielsweise bindet sich fast nur an Verbstämme (Les-ung zu lesen, Muster-ung zu mustern, Betracht-ung zu betrachten). Das Verb zu Zeitung existiert heute nicht mehr.
Präfigierung
Wie bereits erwähnt, ist die Präfigierung als Derivationstyp umstritten. Grund hierfür ist die Auffassung, dass Affixe, also auch Präfixe, keine eigenständige lexikalische Bedeutung haben dürfen. Im Fall von ent-gehen mit ent als untrennbarem Präfix stellt dies noch kein Problem dar. Genauso unproblematisch:
- be-, er-, miss-, un-, ver- und zer- und etliche entlehnte Präfixe wie a- (areligiös)
Jedoch bereiten die Fälle Probleme, in denen bestimmte Präpositionen präfigiert werden, die als Partikel selbstständig als Wort vorkommen und dann eine lexikalische Bedeutung besitzen:
- vorbei-gehen, hinunter-reichen, um-'fahren (in der Bedeutung von um-herum)
Deswegen rechnen manche Linguisten letzte Präfigierungen zu den Kompositionen, zumindest nicht zu den Derivationen.
Bei den Verben unterscheidet man zwischen drei Präfigierungsarten:
- Präfixverb: be-'fahren, ent-'gehen, ver-'laufen. Stammbetont, d. h. Akzent liegt auf Verbstamm
- Partikelpräfixverb: um-'fahren, um-'laufen. Noch stammbetont, d. h. Akzent liegt auf Verbstamm
- Partikelverb: 'um-fahren, 'um-laufen. Partikelbetont, d. h. Betonung liegt auf der dem Verbstamm vorhergehenden Silbe. Der Partikel ändert die Bedeutung des Grundmorphems komplett: 'um-fahren bedeutet eben nicht um etwas herum fahren, sondern genau sein Gegenteil über etwas drüber fahren,
Zirkumfigierung
Bei der Zirkumfigierung wird ein Grundmorphem sowohl am Anfang wie am Ende durch ein Affix erweitert. Da diese beiden Affixe stets zusammen auftreten, nennt man sie mit einem Ausdruck Zirkumfixe. Die Zirkumfigierung ist ein dem Deutschen sehr eigentümliches Phänomen, was die Wortbildung (nicht jedoch was die Flexion!) anbetrifft. Die neu entstandenen Formen nennt man Parasynthetika. Beispiele und Typen von Zirkumfigierungen sind:
- Typ V → N: Ge-hup-e, Ge-zerr-e: Vst → Ge+Vst+e
- Typ N → Adj/Pseudopartizip: be-brill-t, be-reif-t: N → be+N-en+t
(mit Vst = Verbstamm, V = Verb, N = Nomen)
Ableitung im Sinne der generativen Grammatik
In einer anderen Bedeutung als der der Wortbildungsart wird der Ausdruck Ableitung in der generativen Grammatik verwendet. Dort bedeutet er den Prozess (Derivation) und das Resultat (Derivat) der Satzerzeugung durch die Anwendung von Erzeugungsregeln und Veränderungsregeln von der Anfangskette bis hin zur Endkette[1].
Siehe auch
Literatur
- Bußmann, H. (Hg.): Lexikon der Sprachwissenschaft, 3. aktual. u. erw. Aufl, Stuttgart 2002, ISBN 3-520-45203-0
- DUDEN: Die Grammatik, 7. völlig neu bearb. u. erw. Aufl. hg. v. Dudenred. Mannheim u.a. 2005, ISBN 3-411-04047-5
- Helbig, G./Buscha, J: Deutsche Grammatik, Berlin u.a. 2001, ISBN 3-468-49493-9
- Linke, A./Nussbaumer, M./Portmann, P. R.: Studienbuch Linguistik, 4. Aufl., Tübingen 2001, ISBN 3-484-31121-5
- Volmert, Johannes (Hg.): Grundkurs Sprachwissenschaft: eine Einführung in die Sprachwissenschaft für Lehramtsstudiengänge, 4. Aufl. München: Fink 2000, ISBN 3-8252-1879-1
Weblinks
- grammis grammatisches informationssystem des ids
- Systematische Grammatik des grammis: Wortbildung
- Deutsche Grammatik, Online Wörterbuch zur Rechtschreibung, Flexion und Wortbildung für die Sprache Deutsch mit morphologischem Wörterbuch, Wortgrammatik, Satzgrammatik und Wortbildung: Eintrag Wortbildung
Einzelnachweise
- ↑ Vgl. Metzler-Lexikon Sprache, 3. Aufl. (2005)/Ableitung; Lewandowski, Linguistisches Wörterbuch, 4. Aufl. (1984)/Ableitung
Dieser Artikel basiert ursprünglich auf dem Artikel Derivation (Linguistik) aus der freien Enzyklopädie Wikipedia und steht unter der Doppellizenz GNU-Lizenz für freie Dokumentation und Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported. In der Wikipedia ist eine Liste der ursprünglichen Wikipedia-Autoren verfügbar. |